DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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KAPITEL V - Selig sind die Leidenden

1. – Selig sind die, die weinen, denn sie werden getröstet. Selig sind die, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt. Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich. (Matthäus, Kap.V, 4, 6, 10)




2. – Selig seid ihr, die ihr arm seid, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. (Lukas, Kap. VI, 20-21)


Aber wehe euch Reichen, denn ihr habt euren Trost in dieser Welt. Wehe euch, die ihr satt seid, denn ihr werdet hungern. Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet gezwungen werden, zu heulen und zu weinen. ( Lukas, Kap. VI, 24-25)





Gerechtigkeit der Leiden

3. Die Kompensationen, die Jesus den Leidenden auf der Erde verspricht, können nur im zukünftigen Leben stattfinden. Ohne die Gewissheit über die Zukunft wären diese Grundsätze ein Widersinn, mehr noch, sie wären eine Täuschung. Sogar mit dieser Gewissheit versteht man schwerlich die Nützlichkeit des Leidens, um glücklich zu werden. Das ist so, sagt man, um mehr Verdienst zu haben. Aber man fragt sich dann: – Warum leiden einige mehr als andere? – Warum werden einige im Elend und andere im Reichtum geboren, ohne dass sie irgendetwas getan haben, das diese Lage rechtfertigen würde? – Warum haben einige keinen Erfolg, während bei anderen alles zu gelingen scheint?


Aber was man noch weniger versteht ist, dass das Gute und das Böse so ungleichmäßig zwischen Laster und Tugend verteilt sind; dass die tugendhaften Menschen leiden neben den Bösen, die gedeihen. Der Glaube an die Zukunft kann trösten und Geduld verschaffen, erklärt aber solche Anomalien nicht, die Gottes Gerechtigkeit zu widersprechen scheinen.


Sobald man jedoch Gott anerkennt, kann man sich IHN nicht ohne unendliche Vollkommenheit vorstellen. ER soll der Allmächtige, Gerechte, Gütige sein, andernfalls wäre ER nicht Gott. Wenn Gott souverän, gut und gerecht ist, kann ER weder aus einer Laune heraus noch mit Parteilichkeit handeln. Die Schicksalsschläge des Lebens haben also eine Ursache, und da Gott gerecht ist, muss diese Ursache gerecht sein. Das ist es, wovon sich jeder gut überzeugen sollte. Gott brachte die Menschen durch die Lehre Jesu auf die Spur dieser Ursache, und heute, da ER die Menschen für reif genug hält, um sie zu verstehen, offenbart ER sie vollständig durch den Spiritismus, d.h. durch die Stimme der Geister.






Aktuelle Ursachen der Leiden

4. Es gibt zweierlei Arten von Schicksalsschlägen des Lebens, oder – wenn man es so sehen möchte – sie rühren aus zwei unterschiedlichen Quellen her, die zu unterscheiden wichtig sind. Die einen haben ihre Ursache im gegenwärtigen Leben, die anderen außerhalb dieses Lebens.


Indem man auf die Ursache der irdischen Leiden zurückgeht, wird man erkennen, dass viele eine natürliche Folge des Charakters und des Verhaltens derjenigen sind, die sie erdulden.


Wie viele Menschen fallen aufgrund ihrer eigenen Fehler! Wie viele sind Opfer ihrer Sorglosigkeit, ihres Hochmuts und ihres Ehrgeizes!


Wie viele Leute ruinieren sich aus Mangel an Ordnung und Beharrlichkeit, wegen des schlechten Benehmens und weil sie ihre Begierden nicht einschränken konnten!


Wie viele unglückliche Verbindungen gibt es, weil sie aus einem berechnenden Interesse oder aus Eitelkeit eingegangen wurden, wobei das Herz nicht mit einbezogen wurde!


Wie viele Streitigkeiten und verhängnisvolle Auseinandersetzungen hätte man mit mehr Mäßigung und weniger Empfindlichkeit vermeiden können!


Wie viele Krankheiten und Gebrechen sind die Folge von Unmäßigkeit und Übertreibungen aller Art!


Wie viele Eltern sind mit ihren Kindern unglücklich, weil sie deren schlechte Neigungen nicht von Anfang an bekämpft haben! Aus Schwäche oder Gleichgültigkeit haben sie in ihnen die Keime des Hochmutes, des Egoismus und der törichten Eitelkeit, die das Herz abstumpfen, sich entwickeln lassen. Später, wenn sie ernten, was sie gesät haben, wundern sie sich und regen sich über deren Respektlosigkeit und Undankbarkeit auf.


Alle diejenigen, die im Herzen durch die Schicksalsschläge des Lebens und Enttäuschungen betroffen sind, sollten ganz ernsthaft ihr Gewissen befragen; und indem sie nach und nach bis zur Quelle ihrer Leiden zurück gehen, mit denen sie geschlagen sind, werden sie erkennen, ob sie in den meisten Fällen nicht sagen müssen: „Wenn ich dies und jenes gemacht bzw. nicht gemacht hätte, wäre ich nicht in einer solchen Situation“.


Wem soll man die Schuld für all diesen Kummer geben, wenn nicht sich selbst? Der Mensch ist daher in vielen Fällen der Urheber seines eigenen Unglückes. Aber anstatt dies anzuerkennen, hält er es für einfacher und weniger demütigend für seine Eitelkeit, das Schicksal, die Vorsehung, die fehlenden Chancen und seinen schlechten Stern anzuklagen, während in Wirklichkeit sein schlechter Stern nur seine Nachlässigkeit ist.


Leiden dieser Art haben sicherlich einen bedeutenden Anteil an den Schicksalsschlägen des Lebens. Der Mensch wird sie vermeiden, wenn er an seiner moralischen und intellektuellen Verbesserung arbeitet.


5. Das menschliche Gesetz erfasst bestimmte Verstöße und bestraft sie. Der Verurteilte kann also erkennen, dass er die Konsequenzen für das, was er gemacht hat, zu spüren bekommt. Aber das Gesetz erfasst nicht alle Verstöße und kann sie auch nicht erfassen. Das Gesetz trifft insbesondere die Verstöße, die der Gesellschaft Schaden zufügen und nicht die, die nur denjenigen schaden, die sie begehen. Gott aber will den Fortschritt all SEINER Geschöpfe, und folglich lässt ER keine Abweichung vom geraden Weg unbestraft. Es gibt keinen Verstoß, egal wie klein er ist, und keine Übertretung seines Gesetzes, die keine, mehr oder weniger schwerwiegenden und unvermeidlichen Konsequenzen haben. Daraus folgt, dass der Mensch in den kleinen wie in den großen Sachen immer da bestraft wird, wo er gesündigt hat. Die daraus folgenden Leiden sind eine Warnung, dass er Fehler begangen hat. Sie geben ihm Erfahrung und lassen ihn den Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen erkennen, sowie die Notwendigkeit sich zu verbessern, um in der Zukunft zu vermeiden, was für ihn eine Leidensquelle war. Ohne das hätte er keinen Grund, sich zu verbessern; an die Straflosigkeit glaubend, würde er seinen Fortschritt und folglich auch sein zukünftiges Glück verzögern.


Aber die Erfahrung kommt manchmal etwas spät: wenn das Leben bereits vergeudet und getrübt ist; die Kräfte schon verbraucht sind und wenn das Übel nicht wiedergutzumachen ist, dann fängt der Mensch an zu sagen: „Wenn ich am Anfang meines Lebens gewusst hätte, was ich jetzt weiß, wie viele Fehler hätte ich vermeiden können! Wenn ich wieder anfangen sollte, würde ich mich ganz anders verhalten; aber die Zeit dafür gibt es nicht mehr!“ Wie der faule Arbeiter, der sagt: „Ich habe meinen Tag vergeudet“, sagt er sich auch: „Ich habe mein Leben verloren“. Aber genauso wie für den Arbeiter die Sonne am nächsten Tag wieder aufgeht und ein neuer Tag beginnt, der es ihm ermöglicht, die verlorene Zeit wiedergutzumachen, so wird für den Menschen ebenfalls – nach der Dunkelheit des Grabes – die Sonne eines neuen Lebens scheinen, in dem er die Erfahrungen der Vergangenheit und seine guten Vorsätze für die Zukunft nutzen kann.





Vorherige Ursachen der Leiden

6. Aber wenn es in diesem Leben Übel gibt, von denen der Mensch die Ursache ist, so gibt es auch andere, die ihm – zumindest scheinbar – völlig fremd sind und die ihn anscheinend wie ein unabwendbares Schicksal treffen. Ein solches Leid ist zum Beispiel der Verlust von geliebten Menschen und dem Ernährer der Familie; solche Leiden sind auch die Unfälle, die keine Voraussicht vermeiden konnte; Schicksalsschläge, die keine Vorsichtsmaßnahmen verhindern konnten; die natürlichen Geißeln, Behinderungen von Geburt an, vor allem diejenigen, die den Unglücklichen die Möglichkeit nehmen, ihren Lebensunterhalt durch die Arbeit zu verdienen: zum Beispiel die Missbildung, die Idiotie, der Kretinismus, usw.


Diejenigen, die unter solchen Umständen geboren werden, haben in der aktuellen Existenz bestimmt nichts gemacht, um ohne Ausgleich so ein trauriges Schicksal zu verdienen, welches sie nicht vermeiden konnten und von sich selbst aus nicht ändern können und das sie auf öffentliche Hilfe angewiesen sein lässt. Also warum gibt es solche unglücklichen Wesen, während neben ihnen, unter demselben Dach, in derselben Familie, andere in jeglicher Hinsicht begünstigt sind?


Was soll man von diesen Kindern sagen, die so jung sterben und im Leben nur das Leid kennen gelernt haben? Das sind Probleme, die noch keine Philosophie lösen konnte; Anomalien, die noch keine Religion rechtfertigen konnte und die die Verneinung der Güte, der Gerechtigkeit und der göttlichen Vorsehung wären, wenn man voraussetzt, dass die Seele gleichzeitig mit dem Körper erschaffen wird, und dass ihre Bestimmung nach einem kurzen Aufenthalt auf der Erde unwiderruflich festgelegt ist. Was haben diese Seelen gemacht, die gerade aus den Händen des Schöpfers hervorgekommen sind, um auf dieser Welt soviel Elend zu erleiden und um dann in der Zukunft irgendeine Belohnung oder Bestrafung zu erhalten, wenn sie weder das Gute noch das Übel tun konnten?


Aber aufgrund des Grundsatzes „jede Wirkung hat eine Ursache“, sind solche Miseren eine Wirkung, die eine Ursache haben müssen, und sobald man annimmt, dass Gott gerecht ist, dann muss diese Ursache auch gerecht sein. Wenn nun die Ursache immer vor der Wirkung steht, und da diese nicht im aktuellen Leben ist, muss sie sich im vorherigen Leben befinden, d.h. sie muss einer vorigen Existenz angehören. Da andererseits Gott jemanden weder für das Gute das er gemacht hat noch für das Böse das er nicht getan hat, bestrafen kann, bedeutet das, dass wenn wir bestraft werden, wir das Böse auch getan haben. Wenn wir dieses Übel nicht im gegenwärtigen Leben getan haben, dann haben wir es in einem anderen Leben getan. Das ist eine Alternative, aus der man nicht entfliehen kann, und wo die Logik zeigt, auf welcher Seite die Gerechtigkeit Gottes ist.


Also der Mensch wird nicht immer in seinem aktuellen Leben bestraft oder ganz bestraft; aber er entkommt nie den Konsequenzen seiner Verstöße. Das Gedeihen des Übels ist nur vorübergehend; wenn er seine Schulden heute nicht büßt, wird er morgen büßen, während derjenige, der leidet, gerade seine Vergangenheit abbüßt. Das Unglück, das auf den ersten Blick unverdient scheint, hat seine Daseinsberechtigung und derjenige, der leidet, kann immer sagen: „Verzeihe mir, Herr, denn ich habe gesündigt“.



7. Leiden aufgrund früherer Verfehlungen, die vor dem gegenwärtigen Leben stattgefunden haben, sowie die wegen der Fehler aus dem jetzigen Leben, sind oft die Folge des begangenen Verstoßes, d.h. durch eine streng verteilte Gerechtigkeit erträgt der Mensch das, was er anderen angetan hat: – falls er hart und grausam war, kann er seinerseits hart und mit Grausamkeit behandelt werden; – falls er hochmütig war, kann er in einem demütigenden Zustand geboren werden; – falls er geizig oder egoistisch war oder falls er sein Vermögen falsch verwendet hatte, kann ihm das Notwendigste entzogen werden; – falls er ein schlechter Sohn war, kann er unter seinen Kindern leiden, usw.


So erklären sich – durch die Pluralität der Existenzen und die Bestimmung der Erde als eine Welt der Sühne – die Anomalien der Verteilung von Glück und Unglück zwischen den Guten und Bösen auf Erden. Diese Anomalie existiert jedoch bloß scheinbar, nämlich dann, wenn einzig und allein nur das gegenwärtige Leben betrachtet wird. Wenn man sich aber durch die Gedanken so erhebt, dass eine Serie von Existenzen überblickt werden kann, wird man sehen, dass jeder den Teil bekommt, den er verdient, ohne Beeinträchtigung dessen, was ihm in der Welt der Geister zusteht, und dass die Gerechtigkeit Gottes niemals unterbrochen wird.


Der Mensch soll nie aus den Augen verlieren, dass er sich in einer niedrigen Welt befindet, wo er nur wegen seiner Unvollkommenheiten gehalten wird. Bei allen Schicksalsschlägen soll er sich sagen, dass dies nicht passiert wäre, wenn er einer fortgeschritteneren Welt angehören würde, und dass es nur von ihm abhängt, auf diese Welt nicht mehr zurückkehren zu müssen, indem er an seiner Verbesserung arbeitet.



8. Die Drangsale des Lebens können den Geistern auferlegt werden, die verhärtet oder zu unwissend sind, um in Kenntnis der Ursache eine Wahl zu treffen. Die Drangsale sind aber freiwillig gewählt und angenommen von den reumütigen Geistern, die das Böse, das sie getan haben, wieder gutmachen möchten und versuchen das Beste zu tun. Diejenigen, die ihre Aufgabe schlecht erfüllt haben, bitten darum, diese noch einmal von vorne beginnen zu dürfen, damit sie den Nutzen ihrer Arbeit nicht verlieren.


Die Drangsale sind daher gleichzeitig: Sühnen der Vergangenheit sowie Strafen und Prüfungen für die Zukunft, die von ihnen vorbereitet wird. Danken wir Gott, dass ER in SEINER Güte dem Menschen die Möglichkeit der Wiedergutmachung gewährt und ihn nicht wegen eines ersten Verstoßes unwiderruflich verurteilt.



9. Man soll aber nicht glauben, dass jedes auf dieser Welt erduldete Leiden unbedingt ein Hinweis auf einen bestimmten Verstoß sei. Oft sind es einfache, von dem Geist ausgewählte Prüfungen zwecks Vollendung seiner Läuterung und Beschleunigung seines Fortschritts. Die Sühne dient immer als Prüfung, aber nicht immer ist die Prüfung eine Sühne. Jedoch sind Prüfungen und Sühne immer Zeichen einer gewissen Mangelhaftigkeit, denn das, was perfekt ist, braucht nicht geprüft zu werden. Ein Geist kann also schon einen bestimmten Erhabenheitsgrad erreicht haben, aber weil er weiter fortschreiten möchte, bittet er um eine Mission, um eine Aufgabe, für die er – falls er sie siegreich bewältigt – umso reichlicher belohnt wird, je schwieriger der Kampf war. Solche sind insbesondere jene Menschen, deren Instinkte von Natur aus gut sind, deren Seelen erhaben sind, deren edelmütigen Gefühle bereits angeboren sind; Menschen, die scheinbar nichts Schlechtes aus ihrer vorherigen Existenz mitgebracht haben und die mit einer christlichen Gelassenheit die größten Leiden erdulden und die Gott nur um Kraft bitten, sie ohne Murren ertragen zu können. Man kann im Gegenteil dazu den Kummer, der die Menschen zum Murren anregt und zur Empörung gegen Gott aufbringt, als Sühne betrachten.


Zweifellos kann das Leiden, das kein Murren hervorruft, eine Sühne sein; aber es ist ein Zeichen dafür, dass es eher freiwillig ausgewählt wurde, als aufgezwungen. Das Leiden ist der Beweis eines starken Entschlusses, was ein Zeichen von Fortschritt ist.



10. Die Geister können nur nach dem vollständigen Glück streben, wenn sie rein sind: jeder Schandfleck verbietet ihnen den Eingang in die glücklichen Welten. Sie sind wie die Passagiere eines Schiffs, welche von der Pest befallen wurden und denen deshalb der Zutritt in die Stadt solange verboten wird, bis sie wieder geheilt sind. Es geschieht durch die verschiedenen physischen Existenzen, dass die Geister sich nach und nach von ihren Unvollkommenheiten befreien. Die Prüfungen des Lebens bringen sie vorwärts, wenn sie gut ertragen werden; als Sühne löschen und reinigen sie die Verstöße; sie sind das Heilmittel, das die Wunden reinigt und den Kranken heilt. Je größer das Übel, desto stärker muss das Heilmittel sein. Derjenige also, der viel leidet, muss sich sagen, dass er viel abzubüßen hat und soll sich über die baldige Heilung freuen. Es hängt von ihm ab, durch die Gelassenheit sein Leiden nützlich zu machen, anstatt durch sein Murren die Früchte zu verlieren, denn sonst müsste er wieder neu beginnen.




Vergessen der Vergangenheit

11. Vergeblich hält man das Vergessen für ein Hindernis, um die Erfahrung aus vorherigen Existenzen zu nutzen. Wenn Gott es für gut hält, einen Schleier über die Vergangenheit zu legen, bedeutet dies, dass es notwendig ist. Denn die Erinnerung würde folgenschwere Nachteile haben. Sie könnte uns in bestimmten Fällen in einer sonderbaren Weise demütigen oder auch unseren Stolz erregen und dadurch sogar unseren freien Willen hemmen. Sie würde jedenfalls unvermeidliche Verwirrungen in den Sozialkontakten verursachen.


Der Geist wird oft in demselben Milieu wiedergeboren, wo er schon gelebt hat und befindet sich in Beziehungen mit denselben Personen, um das Böse wiedergutzumachen, das er ihnen angetan hat. Wenn er in ihnen diejenigen erkennen würde, die er gehasst hat, könnte vielleicht der Hass wieder entstehen. Auf jeden Fall wäre er vor den Menschen, die er beleidigt hatte, gedemütigt.


Damit wir uns verbessern, gewährt Gott uns genau das, was wir brauchen und was uns genügt: die Stimme des Gewissens und die instinktiven Neigungen; ER nimmt uns weg, was uns schaden könnte.


Von Geburt an bringt der Mensch das mit, was er erworben hat. Er kommt auf die Welt mit dem, was er aus sich gemacht hat; jede Existenz ist für ihn ein neuer Ausgangspunkt. Ihn interessiert es nicht zu wissen, was er war: er wird bestraft, wenn er eine Übeltat begangen hat. Seine aktuellen bösen Neigungen sind das Überbleibsel, das in ihm noch zu verbessern ist; und darauf muss er seine ganze Aufmerksamkeit konzentrieren; denn das, was man vollständig verbessert hat, hinterlässt keine Spuren. Die guten Entschlüsse, die er getroffen hat, sind die Stimme des Gewissens,die ihn auf das Gute und das Böse hinweist und die ihm Kraft gibt, den Versuchungen zu widerstehen.


Außerdem kommt das Vergessen nur während des physischen Lebens vor. Kehrt der Geist in das geistige Leben zurück, erhält er auch die Erinnerungen an die Vergangenheit wieder; daher ist es nichts anderes als eine vorübergehende Unterbrechung, ähnlich der, die im irdischen Leben während des Schlafes passiert, was nicht daran hindert, uns am nächsten Tag daran zu erinnern, was wir am Vorabend und an vorhergehenden Tagen gemacht haben.


Es ist nicht nur nach dem irdischen Tod, dass der Geist die Erinnerung an die Vergangenheit wiederbekommt. Man kann sagen, dass er sie nie verliert, denn die Erfahrung beweist, dass der Geist innerhalb der Inkarnation, während des physischen Schlafes – wo er eine bestimmte Freiheit genießt – das Bewusstsein seiner vorherigen Taten hat. Er weiß dann, warum er leidet, und dass er zu Recht leidet. Die Erinnerung erlischt nur während der physischen Lebensphase. Aber mangels einer genaueren Erinnerung, die für ihn schmerzlich und schädigend bei seinen Sozialkontakten sein könnte, schöpft er in diesen Augenblicken der Befreiung der Seele neue Kräfte, falls er sie nutzen konnte.






Gründe der Gelassenheit

12. Durch diese Worte: „Selig sind die Leidenden, denn sie werden getröstet“, weist Jesus zugleich auf die Kompensationen hin, die die Leidenden erwartet und auf die Gelassenheit, die das Leid segnet, als Anfang der Heilung.


Diese Worte können auch so gedeutet werden: Ihr sollt euch glücklich schätzen zu leiden, weil eure Leiden hier auf Erden eure Schuld von vergangenen Verstößen sind, und diese Leiden, hier geduldig ertragen, euch Jahrhunderte von Leiden in den zukünftigen Leben ersparen. Ihr sollt also glücklich sein, dass Gott eure Schuld vermindert hat, indem ER euch erlaubt, sie jetzt wieder gutzumachen, was euch die Ruhe in der Zukunft garantiert.


Der Mensch, der leidet, ist ähnlich dem Schuldner einer beträchtlichen Summe, dessen Gläubiger sagt: „Wenn du mir heute noch ein Hundertstel deiner Schuld bezahlst, werde ich dir den Rest erlassen und du wirst frei sein; falls nicht, werde ich dich verfolgen, bis du die letzte Rate bezahlt hast“. Würde der Schuldner sich nicht freuen, alle Arten von Entbehrungen zu erdulden, um sich zu befreien, indem er nur das Hundertstel seiner Schuld bezahlen muss? Statt sich über seinen Gläubiger zu beschweren, sollte er ihm nicht dankbar sein?


So ist der Sinn dieser Worte: „Selig sind die Leidenden, denn sie werden getröstet“. Sie sind glücklich, weil sie ihre Schulden bezahlen, und nach der Bezahlung werden sie frei sein. Wenn aber der Mensch bei der Bezahlung einer Teilschuld sich wiederum neu verschuldet, wird er nie seine Befreiung erreichen können. Jeder neue Verstoß erhöht also die Schuld, denn es gibt keinen Verstoß, egal welcher, der keine zwingende und unvermeidliche Strafe nach sich zieht; wenn nicht heute, wird es morgen sein; wenn nicht in dem gegenwärtigen Leben, wird es im nächsten sein. Unter diesen Verstößen muss man an erste Stelle den Mangel an Unterwerfung gegenüber Gottes Willen stellen, denn, wenn man über den Kummer murrt, wenn man ihn nicht mit Gelassenheit und als etwas annimmt, das man verdient hat, wenn man Gott als ungerecht bezeichnet, zieht man neue Schuld auf sich, welche den Nutzen verlieren lässt, den man aus dem Leiden hätte ziehen können. Man muss dann wieder von Neuem beginnen; es ist genauso, als ob ihr bei einem Gläubiger, der euch quält, einen Teil eurer Schulden begleicht, aber gleich wieder ein neues Darlehen von ihm in Anspruch nehmt.


Bei seinem Eintritt in die geistige Welt ist der Mensch wie ein Arbeiter, der am Zahltag erscheint. Zu einigen wird der Herr sagen: „Hier ist der Lohn eurer Tagesarbeit“; zu anderen, den Glücklichen der Erde, die im Müßiggang gelebt haben, deren Glück aus den Befriedigungen ihrer Eigenliebe und weltlichen Genüssen bestanden hat, wird er sagen: „Ihr werdet nichts bekommen, denn ihr habt bereits auf Erden euren Lohn erhalten. Geht und fangt eure Arbeit wieder von vorne an“.



13. Der Mensch kann die Bitterkeit seiner Prüfungen mildern oder vergrößern, je nachdem wie er das irdische Leben betrachtet. Er leidet umso mehr, wenn ihm die Dauer des Leidens zu lang erscheint. Derjenige aber, der sich auf den Standpunkt des spirituellen Lebens stellt, erfasst auf einen Blick das physische Leben; er sieht es wie einen Punkt in der Unendlichkeit, begreift die Kürze des Lebens und sagt sich, dass dieser schmerzliche Moment sehr schnell vergehen wird. Die Gewissheit einer nahen glücklicheren Zukunft gibt ihm Kraft und Mut; und anstatt sich zu beklagen, dankt er dem Himmel für die Leiden, die ihn vorwärts bringen. Demjenigen, allerdings, der nur das physische Leben sieht, scheint dieses endlos, und das Leid lastet auf ihm mit seinem ganzen Gewicht. Das Leben auf die spirituelle Art und Weise zu betrachten führt dazu, dass die Wichtigkeit der weltlichen Dinge verringert wird, der Mensch dazu gebracht wird, seine Begierden zu begrenzen und sich mit seiner Position zufrieden gibt, ohne die anderen um die ihre zu beneiden und dass der moralischen Eindruck der Misserfolge und der Enttäuschungen, die er erleidet, gemildert werden.


Er schöpft daraus eine Ruhe und Gelassenheit, sowohl für seine körperliche Gesundheit wie auch für seine Seele; während er sich durch Neid, Eifersucht und Ehrgeiz freiwillig der Qual aussetzt und folglich die Miseren und die Ängste seiner kurzen Existenz vergrößert.





Selbstmord und Wahnsinn

14. Die Ruhe und die Gelassenheit, erlangt durch die Art und Weise wie man das irdische Leben betrachtet, und der Glaube an die Zukunft geben dem Menschen eine Ausgeglichenheit, die der beste Schutz vor dem Wahnsinn und Selbstmord ist. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Fälle von Wahnsinn auf Erschütterungen zurückzuführen sind, die durch Schicksalsschläge verursacht wurden, die der Mensch nicht ertragen kann. Falls er jedoch auf die Art und Weise, wie der Spiritismus ihn die Dinge dieser Welt betrachten lässt, mit Gleichgültigkeit, oder sogar mit Freude die Misserfolge und Enttäuschungen annimmt, welche ihn unter anderen Umständen zur Verzweiflung bringen würden, ist es offensichtlich, dass diese Kraft, die ihn über die Ereignisse stellt, seinen Verstand vor Erschütterungen schützt, die ihn sonst ins Wanken bringen würden.



15. Dasselbe geschieht beim Selbstmord; wenn man von jenen absieht, die ihn im Zustand der Trunkenheit und des Wahnsinns begehen und die Unbewusste genannt werden können. Es ist unbestreitbar, dass die Ursache des Selbstmordes immer eine Unzufriedenheit ist, egal welche der Grund jedes einzelnen ist. Doch derjenige, der sich sicher ist, dass er nur für einen Tag unglücklich ist, und dass die kommenden Tage besser sein werden, wird sich leicht in Geduld fassen. Er verzweifelt nur dann, wenn er kein Ende für seine Leiden absehen kann. Und was ist die Dauer des menschlichen Lebens im Vergleich zur Ewigkeit? Doch viel weniger als ein Tag. Derjenige jedoch, der an die Ewigkeit nicht glaubt und meint, dass für ihn alles mit seinem Leben zu Ende geht, sieht nur im Tod eine Lösung für seine Leiden, wenn das Unglück und der Kummer ihn niederdrücken. Da er nichts erwartet, hält er es für natürlich und sogar sehr logisch, dass er seine Leiden durch Selbstmord verkürzt.



16. Die Ungläubigkeit, der einfache Zweifel an der Zukunft, kurz gesagt, die materialistischen Ideen, sind die größten Anreize zum Selbstmord; sie verursachen die moralische Feigheit. Wenn man die Wissenschaftler sieht, die sich – auf die Autorität ihres Wissens stützend – bemühen, ihren Zuhörern und Lesern zu beweisen, dass sie nach dem Tod nichts zu erwarten haben, bringen sie diese dadurch nicht zu der Schlussfolgerung, dass ihnen, wenn sie unglücklich sind, nichts Besseres übrig bleibt, als sich umzubringen? Was könnten sie ihnen sagen, um sie davon abzubringen? Welche Kompensation können sie ihnen anbieten? Was können sie ihnen geben? Hoffnung? Nein, nichts anderes als nur das Nichts. Also muss man folgendes daraus schließen: Wenn das Nichts das einzige heldenhafte Hilfsmittel, die einzige Perspektive ist, so ist es besser, sich sofort dort hineinfallen zu lassen und nicht noch zu warten, um die Leidenszeit zu verlängern.


Die Verbreitung der materialistischen Lehren ist also das Gift, das die Idee des Selbstmordes in viele Menschen einimpft, die sich umbringen; und diejenigen, die sich zu Aposteln einer solchen Lehre machen, übernehmen eine furchtbare Verantwortung. Mit dem Spiritismus – woran nicht mehr zu zweifeln ist – ändert sich der Aspekt des Lebens. Der Gläubige weiß, dass seine Existenz nach dem Grab unbegrenzt fortbesteht, wenn auch unter gänzlich anderen Bedingungen; was dazu führt, dass ihn die Geduld und die Gelassenheit auf eine sehr natürliche Weise davon ablenken, an Selbstmord zu denken. Kurz gesagt, er hat die moralische Stärke.



17. In dieser Hinsicht hat der Spiritismus noch ein anderes, ebenso positives und vielleicht noch entscheidenderes Ergebnis. Er zeigt uns die Selbstmörder selbst, die zu uns kommen und uns über ihre unglückliche Situation berichten und beweisen, dass niemand das Gesetz Gottes ungestraft verletzt, welches dem Menschen verbietet, sein Leben zu verkürzen. Unter den Selbstmördern gibt es welche, deren Leiden – auch wenn sie nur vorübergehend, also nicht ewig sind – nicht weniger schrecklich und so beschaffen sind, dass sie jeden zum Nachdenken führen, der vielleicht versucht wäre, von dieser Erde zu gehen, ohne dass Gott es gewollt hat. Der Spiritist hat also mehrere Motive, um den Gedanken des Selbstmordes entgegenzuwirken: – die Gewissheit eines zukünftigen Lebens, von dem er weiß, dass er umso glücklicher sein wird, je unglücklicher und ergebener er auf der Erde gewesen ist; – die Gewissheit, dass er, indem er sein Leben verkürzt, etwas ganz anderes erreicht als das, was er sich erhofft hat; – dass er sich von einem Übel befreit, um ein schlimmeres, längeres und grausameres zu bekommen; – dass er sich irrt, wenn er glaubt, dass er durch Selbstmord schneller in den Himmel kommt; – dass der Selbstmord ihn daran hindert, sich im Jenseits mit denjenigen zu treffen, die er geliebt hat, die er erwartet hat wiederzutreffen; woraus er folgern kann, – dass der Selbstmord, der ihm nur Enttäuschungen bringt, gegen seine eigenen Interessen ist.


Die Zahl der Selbstmorde, die durch den Spiritismus verhindert worden sind, ist beträchtlich und man kann daraus schließen, dass es keine bewussten Selbstmorde mehr geben wird, wenn alle Menschen Spiritisten sein werden. Wenn man also die Ergebnisse der materialistischen Lehren mit denen der spiritistischen Lehren nur unter diesem einen Aspekt des Selbstmordes vergleicht, erkennt man, dass die Logik der Erstgenannten zu Selbstmord führt, während die der anderen den Selbstmord abwenden, was durch die Erfahrung bestätigt worden ist.




Unterweisungen der geistigen Welt



Richtiges und falsches Leiden





Leiden und deren Heilmittel





Das Glück ist nicht von dieser Welt





Verlust geliebter Menschen – Frühtod





Wenn er ein guter Mensch gewesen wäre, wäre er gestorben.





Freiwillige Qualen





Wirkliches Unglück





Die Schwermut





Freiwillige Prüfungen – Die wahre Aufopferung





Sollten wir den Prüfungen unseres Nachbarn ein Ende setzen?





Ist es zulässig, das Leben einer kranken Person zu verkürzen, die ohne Hoffnung auf Genesung leidet?





Opfer seines eigenen Lebens.






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