Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Trennung der Seele und des Leibes

154. Ist die Trennung der Seele und des Leibes schmerzhaft?

Nein, der Leib leidet oft mehr bei Lebzeiten, als im Augenblick des Todes: die Seele kommt dabei nicht in Betracht. Die Leiden, die man zuweilen im Augenblick des Todes erduldet, sind für den Geist, der das Ende seiner Verbannung herankommen sieht, eine Freude.“ Beim natürlichen Tod, der aus Erschöpfung der Organe infolge des Alters eintritt, verlässt der Mensch das Leben ohne es nur zu merken; es ist eine Lampe die aus Mangel an Nahrung auslöscht.


155. Wie vollzieht sich die Trennung der Seele und des Leibes?
„Da die Bande, welche sie zurückhielten, zerrissen sind, so macht sich die Seele los.“


155a. Vollzieht sich die Trennung plötzlich und in hastigem Übergang? Gibt es eine scharfe Grenzlinie zwischen Leben und Tod?
„Nein, die Seele macht sich allmählich los und entfliegt nicht wie ein gefangener Vogel, dem man plötzlich die Freiheit wiedergibt. Die beiden Zustände berühren und vermischen sich: der Geist befreit sich allmählich von seinen Banden, diese lösen sich und brechen nicht.“

Während des Lebens hängt der Geist durch seine halbstoffliche Hülle (Perispirit) mit dem Leib zusammen. Der Tod ist die Zerstörung des Leibes allein und nicht jener zweiten Hülle, welche sich vielmehr vom Leib trennt, wenn in diesem das organische Leben erlischt. Die Beobachtung beweist, dass im Augenblick des Todes die Ablösung des Perispirit nicht sofort eine vollständige ist. Sie vollzieht sich nur allmählich und mit einer je nach den Individuen sehr verschiedenen Geschwindigkeit. Bei den einen geschieht sie ziemlich schnell, so dass man sagen kann, dass der Augenblick des Todes zugleich der der Befreiung sei. Bei anderen hingegen, besonders bei denen, deren Leben ganz materiell und sinnlich gewesen ist, ist die Trennung viel weniger schnell und dauert zuweilen Tage, Wochen, ja Monate, was übrigens kein bisschen Leben im Leib, noch die Möglichkeit einer Rückkehr ins Leben in sich schließt, sondern nur eine einfache Verwandtschaft zwischen Geist und Leib, welche stets im Verhältnis steht zu dem Übergewicht des Geistes über den Stoff während des Lebens. Es ist in der Tat selbstverständlich, dass, je mehr der Geist sich mit dem Stoff identifiziert hatte, er auch desto mehr Mühe hat, sich von ihm zu trennen. Umgekehrt bewirken intellektuelle und moralische Tätigkeit, Erhebung des Denkens selbst schon während des Lebens einen Anfang des Loslassens und wenn der Tod eintritt, so geschieht dies augenblicklich. Dies ist das Resultat aller Beobachtungen, die man an Individuen im Moment ihres Todes angestellt hat. Diese Betrachtungen beweisen ferner, dass die Verwandtschaft, die bei gewissen Individuen zwischen Seele und Leib fortbesteht, zuweilen sehr qualvoll ist, denn der Geist kann dann das Grauen des körperlichen Zerfalls erfahren. Dieser Fall bildet übrigens eine Ausnahme und zeichnet gewisse Lebens – und Todesarten; er zeigt sich bei gewissen Selbstmördern.







156. Kann die endgültige Trennung der Seele und des Leibes vor dem vollständigen Aufhören des organischen Lebens stattfinden?
„Im Todeskampf hat die Seele zuweilen den Leib schon verlassen: es ist nur noch das organische Leben übrig. Der Mensch hat kein Bewusstsein mehr von sich selbst und doch bleibt ihm noch ein Hauch des Lebens. Der Leib ist eine vom Herzen in Bewegung gesetzte Maschine: er existiert, solange das Herz das Blut in den Adern kreisen lässt und bedarf hierzu der Seele nicht.“



157. Hat die Seele im Augenblick des Todes zuweilen eine innere Erhebung oder Ekstase, welche sie die Welt, in die sie geht, vorausahnen lässt?
„Oft fühlt sie die Bande sich lösen, welche sie an den Leib fesseln. Dann macht sie alle Anstrengungen, sie ganz zu brechen. Vom Stoff schon halb gelöst, sieht sie die Zukunft sich vor ihr entrollen und genießt zum Voraus den Zustand eines Geistes.“



158. Vermag uns das Bild der Raupe, die zuerst auf der Erde kriecht, dann in der Puppe sich scheinbar tot einschließt, um zu einem herrlichen Dasein wieder aufzuerstehen, eine Vorstellung vom Erdenleben, dann vom Grab und endlich von unserem neuen Dasein zu gewähren?
,,Eine Vorstellung im Kleinen. Das Bild ist gut, jedoch darf man es nicht buchstäblich nehmen, wie euch das oft geschieht.“



159. Was für ein Gefühl hat die Seele im Augenblick, wo sie sich in der Geisterwelt wieder erkennt?
,,Je nach dem. Hast du Böses in der Absicht Böses zu tun getan, so fühlst du dich im ersten Moment ganz beschämt. Beim Gerechten ist es anders: die Seele ist wie von einer großen Last erleichtert, denn sie fürchtet keinen forschenden Blick.“



160. Findet der Geist die, welche er auf Erden gekannt hatte und die vor ihm starben, unmittelbar wieder?
„Ja, je nach der Liebe, die er zu ihnen und sie zu ihm hatten. Oft kommen sie zu seinem Empfang beim Eintritt in die Geisterwelt und helfen ihn aus den Wickelbändern des Stoffes lösen. Auch gibt es viele, die er während seines Lebenes auf Erden aus den Augen verloren hat; er sieht die Irrenden, er sieht die Inkarnierten und geht sie besuchen.“



161. Finden beim plötzlichen und gewalttätigen Tod, wenn die Organe noch nicht vom Alter oder von Krankheiten geschwächt sind, die Trennung der Seele und das Aufhören des Lebens gleichzeitig statt?
„Im Allgemeinen ist es so, aber in allen Fällen ist der Augenblick, der beide trennt, sehr kurz.“



162. Bei der Enthauptung z.B. bewahrt da der Mensch noch einige Augenblicke das Bewusstsein?
„Oft bewahrt er es noch einige Minuten, bis das organische Leben vollständig erloschen ist. Oft aber auch ließ ihn es die Furcht vor dem Tod schon vor dem Moment des Todesstreiches verlieren.“

Es ist hier nur von dem Bewusstsein die Rede, das der Hingerichtete von sich haben kann als Mensch und durch Vermittlung der Organe, nicht als Geist. Hat er also das Bewusstsein nicht schon vor der Hinrichtung verloren, so kann er es noch einige Augenblicke behalten, die aber von sehr kurzer Dauer sind und dasselbe hört notwendig mit dem organischen Leben des Gehirns auf. Jedoch nicht erforderlich ist, dass der Perispirit sich ganz vom Leib gelöst hat, im Gegenteil. In allen Fällen gewaltsamen Todes, wenn der Tod also nicht durch allmähliches Erlöschen der Lebenskräfte herbeigeführt wird, sind die den Leib mit dem Perispirit einigenden Bande zäher und die vollständige Lösung ist langsamer.