Das Buch der Geister

Allan Kardec

Zurück zum Menü
Somnambulismus

425. Hat der natürliche Somnambulismus eine Beziehung zu den Träumen? Wie kann man sich ihn erklären?
„Er besteht in einer vollständigeren Unabhängigkeit der Seele, als beim Traum, und dann sind deren Fähigkeiten höher entwickelt: Sie hat Wahrnehmungen, deren sie im Traum entbehrt, der nur ein Zustand von unvollkommenem Somnambulismus ist.

Im Somnambulismus gehört der Geist ganz sich selbst an. Die stofflichen Organe empfangen keine äußeren Eindrücke mehr, da sie gewissermaßen sich in kataleptischen Zustand befinden. Dieser Zustand zeigt sich besonders im Schlaf: Es ist der Augenblick, wo der Geist vorläufig den Leib verlassen kann, da dieser sich der ihm unentbehrlichen Ruhe hingeben muss. Wenn sich die Tatsachen des Somnambulismus zeigen, so kommt dies daher, dass der Geist, mit irgendetwas lebhaft sich beschäftigend, sich irgendeiner Handlung hingibt, welche notwendig den Gebrauch seines Leibes erfordert, dessen er sich dann in ähnlicher Weise bedient, wie wenn er von einem Tisch oder sonst welchem stofflichen Gegenstand, bei physischen Äußerungen oder selbst von eurer Hand bei schriftlichen Mitteilungen, Gebrauch macht. Bei den bewussten Träumen beginnen die Organe, auch die des Gedächtnisses, zu erwachen. Diese empfangen in unvollkommener Weise die von den äußeren Gegenständen oder Ursachen hervorgebrachten Eindrücke und teilen sie dem Geist mit, der, jetzt selbstruhend, davon nur wirre und zusammenhangslose Wahrnehmungen, die oft gar keinen auch nur scheinbaren Grund haben, aufnimmt – ein Gemisch unbestimmter Erinnerungen, sei es an dieses, sei es an ein früheres Dasein. Da ist es dann leicht zu erkennen, warum die Somnambulen gar keine Erinnerung, und die Träume, an die man sie noch erinnert, meistens gar keinen Sinn haben. Ich sage „meistens“, denn es kommt vor, dass sie die Folge einer ganz bestimmten Erinnerung an Ereignisse eines früheren Lebens und zuweilen sogar eine Art von vager Ahnung der Zukunft sind.“


426. Hat der sogenannte magnetische Somnambulismus Beziehungen zum natürlichen Somnambulismus?
„Er ist dasselbe, nur dass er künstlich hervorgebracht wird.“


427. Welches ist die Natur der Kraft, die man magnetisches Fluidum nennt?
„Lebensfluidum, animalisierte Elektrizität, beides Modifikationen oder Wandlungen des Universalfluidums.“


428. Was ist die Ursache des somnambulen Hellsehens?
„Wir haben es gesagt: Die Seele ist es, welche sieht.“


429. Wie kann der Hellsehende undurchsichtige Gegenstände durchschauen?
„Nur für eure groben Organe gibt es undurchsichtige Körper: für den Geist ist der Stoff kein Hindernis, da er ihn frei durchdringt. Oft sagt er euch, er sehe durch seine Stirn, sein Knie u.s.w., weil ihr, ganz in den Stoff versenkt, es nicht begreift, dass er ohne Hilfe von Organen sehen kann. Er selbst meint, weil ihr es so haben wollt, dieser Organe zu bedürfen: würdet ihr ihn aber gewähren lassen, so würde er erkennen, dass er durch alle Teile seines Leibes sieht, oder besser, dass er außerhalb seines Leibes sieht.“


430. Da das Hellsehen des Somnambulen das seiner Seele oder seines Geistes ist, warum sieht er dann nicht alles und warum irrt er sich zuweilen?
„Zunächst ist es den unvollkommenen Geistern nicht gegeben, alles zu sehen und zu kennen. Du weißt, dass sie noch an euren Irrtümern und Vorurteilen teilhaben; sodann erfreuen sie sich, solange sie an den Stoff gebunden sind, nicht aller ihrer Fähigkeiten als Geister. Gott gab dem Menschen diese Fähigkeit zu einem nützlichen und ernsten Zweck und nicht um ihn das zu lehren, was er nicht wissen soll. Deswegen können die Somnambulen nicht alles sagen.“


431. Was ist die Quelle der dem Somnambulen angeborenen Ideen und wie kommt es, dass er mit Genauigkeit über Dinge sprechen kann, die er im wachen Zustand nicht kennt, ja welche über seine intellektuellen Fähigkeiten hinausliegen?
„Es kommt vor, dass der Somnambule mehr Kenntnisse besitzt, als du weißt; nur schlummern dieselben, weil seine Hülle zu unvollkommen ist, um sich daran erinnern zu können. Aber schließlich, was ist er denn? Er ist, wie wir, ein in den Stoff inkarnierter Geist, der seine Aufgabe zu erfüllen hat, und der Zustand, in den er eintritt, erweckt ihn aus seiner Lethargie. Wir haben dir sehr oft gesagt, dass wir mehrere Male neu zu leben anfangen: Diese Veränderung ist es, welche ihn physisch das vergessen lässt, was er in einem früheren Dasein sich hatte aneignen können. Tritt er nun in die sogenannte Krise ein, so kehrt die Erinnerung wieder, nicht immer aber vollständig. Er weiß, aber er kann nicht sagen, woher er weiß, noch wie er sich dieses Wissen aneignete. Ist die Krise vorüber, so hört jede Erinnerung auf und er verliert jedes Wissen darüber.

Die Erfahrung lehrt, dass die Somnambulen auch von anderen Geistern Mitteilungen empfangen, die ihnen das, was sie sagen sollen, vermitteln und ihrer Unzulänglichkeit aushelfen. Das zeigt sich besonders bei den ärztlichen Vorschriften: der Geist des Somnambulen erkennt die Krankheit, ein anderer gibt ihm das Heilmittel an. Diese doppelte Tätigkeit tritt zuweilen ganz offen zu Tage und kündigt sich außerdem durch jene ziemlich häufigen Ausdrücke an, wie: „Man sagt mir“ oder „man verbietet mir, das und das zu sagen. In letzterem Fall ist es immer gefährlich, auf den Empfang einer verweigerten Enthüllung zu bestehen, weil man leicht zum Spielball der leichtfertigen Geister wird, die, ohne sich um die Wahrheit zu kümmern, ohne Skrupel von allem sprechen.


432. Wie erklärt sich in die Ferne sehen können bei gewissen Somnam – bulen?
„Kann sich die Seele während des Schlafes nicht überallhin versetzen? Eben dies geschieht auch im Somnambulismus.“


433. Hängt die mehr oder minder hohe Entwicklung des somnambulen Hellsehens von der physischen Veranlagung oder von der Natur des inkarnierten Geistes ab?
„Von beiden: Es gibt physische Zustände, die dem Geist gestatten, sich mehr oder weniger leicht vom Stoff zu lösen.“


434. Sind die Fähigkeiten des Somnambulen dieselben, wie die des Geistes nach dem Tod?
„Bis zu einem gewissen Grad, denn man muss den Einfluss des Stoffes dabei berücksichtigen, an den er noch gebunden ist.“


435. Kann der Somnambule die anderen Geister sehen?

„Die Mehrzahl sieht sie sehr wohl. Das hängt vom Grad und der Art ihres Hellsehens ab. Zuweilen aber geben sie sich darüber nicht sofort Rechenschaft und nehmen sie für leibliche Wesen. Es geschieht dies besonders denen, die keine Kenntnis vom Spiritismus haben, sie begreifen noch nicht das Wesen der Geister: Dieses verwundert sie und darum glauben sie Lebendige zu sehen.“ Die gleiche Wirkung zeigt sich im Augenblick des Todes bei denen, die sich für noch lebend halten. Nichts um sie herum scheint ihnen anders geworden zu sein, die Geister scheinen ihnen den unsrigen ähnliche Leiber zu haben und den Schein ihres eigenen Leibes halten sie für einen wirklichen Leib.


436. Sieht der mit Fernsicht begabte Somnambule von dem Punkt aus, wo sein Leib ist oder von dem, wo seine Seele ist?
„Wozu diese Frage, da es ja die Seele ist, welche sieht, und nicht der Leib.“


437. Da die Seele sich überallhin versetzen kann, wie kann denn der Somnambule in seinem Leib warme oder kalte Empfindungen von den Orten haben, wo seine Seele sich befindet und der oft sehr weit von seinem Leib entfernt ist?
„Die Seele hat den Leib nicht gänzlich verlassen, sie hängt mit ihm immer durch das die beiden einigende Band zusammen: dieses Band ist der Leiter der Empfindungen. Wenn zwei Menschen durch die Elektrizität von einer Stadt in die andere korrespondieren, so ist die Elektrizität das Band zwischen ihren Gedanken; darum teilen sie sich gegenseitig mit, als wenn sie sich nebeneinander befänden.“


438. Hat der Gebrauch, den der Somnambule von seiner Begabung macht, Einfluss auf den Zustand seines Geistes nach dem Tod?
„Einen großen, wie der gute oder schlechte Gebrauch aller Gaben, die Gott dem Menschen schenkte.“