Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Viertes Buch – Hoffnungen und Tröstungen



KAPITEL I – Irdische Leiden und Freuden



Relatives Glück und Unglück

920. Kann der Mensch auf Erden ein reines Glück genießen?
„Nein, denn das Leben wurde ihm gegeben als Prüfung oder zur Sühne. Es hängt aber von ihm ab, seine Leiden zu mildern und so glücklich zu werden wie man überhaupt auf der Erde sein kann.“



921. Man begreift, dass der Mensch einst auf Erden glücklich sein wird, wenn sich die Menschheit wird umgewandelt haben. Bis dann aber, kann sich da jeder ein, wenigstens verhältnismäßiges Glück sichern?
„Der Mensch ist meistens der Schmied seines eigenen Unglücks. Tut er Gottes Willen, so erspart er sich sehr viele Übel und schafft sich eine so große Glückseligkeit, als sein grobes Dasein verträgt.“


Der von seiner künftigen Bestimmung ganz durchdrungene Mensch sieht in seinem leiblichen Leben nur einen kurzen Aufenthalt, einen zeitweilige Halt in einem schlechten Gasthof. Er tröstet sich leicht über einige vorübergehende Unannehmlichkeiten auf einer Reise, die ihn in eine umso bessere Lage bringen soll, je besser er sich vorher darauf vorbereitete.


Wir sind von Anbeginn dieses Lebens für unsere Übertretung der Gesetze des leiblichen Daseins durch die Übel gestraft, welche die Folge jener Übertretung und unserer eigenen Ausschreitungen sind. Steigen wir Schritt für Schritt zum Ursprung dessen, was wir unser irdisches Unglück nennen hinauf, so werden wir es meistens als die Folge eines ersten Abweichens vom rechten Weg erkennen. Durch diese Abweichung gelangten wir in eine falsche Bahn, die uns folgerichtig von einem Missgeschick ins andere führt.



922. Das irdische Glück steht im Verhältnis zur Lage eines jeden. Was zum Glück des einen ausreicht, bildet das Unglück des anderen. Gibt es nun trotzdem einen Maßstab des Glücke, der für alle Menschen gültig wäre?
„Für das materielle Leben ist es der Besitz des Notwendigen, für das moralische Leben ein gutes Gewissen und Glauben an die Zukunft.“



923. Wird nicht das, das für den einen das Überflüssige wäre, für die anderen zum Notwendigen, und umgekehrt, je nach ihrer Stellung?
„Ja, nach euren stofflichen Ansichten, euren Vorurteilen, eurem Ehrgeiz und allen euren lächerlichen Verschrobenheiten, mit denen die Zukunft aufräumen wird, wenn ihr die Wahrheit erkennen werdet. Gewiss hält sich der, welcher fünfzigtausend Pfund Rente hatte und sich jetzt mit zehntausend begnügen muss, für sehr unglücklich, weil er nicht mehr eine so große Rolle spielen kann, seinen sogenannten Rang in der Gesellschaften behaupten, sich Pferde, Diener halten und alle seine Leidenschaften befriedigen kann usw. Er glaubt am Notwendigen Mangel zu leiden; aber hältst du ihn offengestanden wirklich für so beklagenswert, wenn neben ihm Menschen vor Kälte und Hunger sterben und nichts haben, wo sie ihr Haupt hinlegen können? Der Weise blickt, um glücklich zu sein unter sich, niemals über sich, es sei denn, um seine Seele zum Unendlichen zu erheben. (715.)



924. Es gibt Übel, die nicht von unserer Handlungsweise abbängen und die auch den Gerechtesten treffen. Besitzt dieser kein Mittel sich davor zu schützen?
„Er muss in einem solchem Fall entsagen und seine Leiden tragen ohne Murren, wenn er fortschreiten will. Er schöpft aber immer einen Trost in seinem Gewissen, das ihm Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt, wenn er so lebt, wie es zu deren Erlangung nötig ist.“



925. Warum begünstigt Gott gewisse Menschen, die es nicht zu verdienen scheinen, mit Glücksgütern?
„Das ist eine Gunst in den Augen derer, die nur die Gegenwart sehen. Aber wisse, das Glück ist oft eine gefährlichere Prüfung als das Elend.“ (814 ff.)



926. Wird die Zivilisation, indem sie neue Bedürfnisse schafft nicht zur Quelle neuer Trübsal?
„Die Übel dieser Welt stehen im Verhältnis zu den künstlichen Bedürfnissen, die ihr euch selbst schafft. Wer seine Wünsche zu beschränken weiß und neidlos sieht, was über ihm steht, erspart sich manche Verrechnung in diesem Leben. Der Reichste ist der, welcher am wenigsten Bedürfnisse hat. Ihr beneidet die Genüsse derer, die euch als die Glücklichsten dieser Welt erscheinen. Wisst ihr aber auch, was ihnen noch vorbehalten ist? Genießen sie nur für sich selbst, so sind sie Egoisten und dann kommt die Kehrseite. Beklagt sie lieber. Gott lässt es zuweilen zu, dass der Böse gedeiht, aber sein Glück ist nicht zu beneiden, denn er wird es mit bitteren Tränen bezahlen. Wenn der Gerechte unglücklich ist, so ist dies eine Prüfung, die ihm, wenn er sie mutig erträgt, gutgeschrieben wird. Denkt an Jesu Worte: Selig die da wehklagen, denn sie werden getröstet werden.“



927. Das Überflüssige ist gewiss nicht unerlässlich zum Glück, aber so verhält es sich nicht mit dem Notwendigen; oder ist das Unglück derer, die diesem Notwendigen beraubt sind, kein wirkliches?
„Der Mensch ist nur dann wahrhaft unglücklich, wenn er an dem, was zum Leben oder zur Gesundheit des Leibes notwendig ist, Mangel leidet. Diese Entbehrung ist vielleicht sein eigener Fehler, dann hat er es sich selbst zu zuschreiben. Ist sie hingegen der Fehler anderer, so fällt die Verantwortlichkeit dafür auf ihren Urheber.“



928. Durch die Verschiedenheit der natürlichen Begabung weist uns Gott augenscheinlich unseren Beruf in dieser Welt an. Stammen nun nicht viele Übel daher, dass wir diesem Beruf nicht folgen?
„Allerdings, und oft sind es die Eltern, die aus Hochmut oder aus Geiz ihre Kinder die ihnen von der Natur gewiesene Bahn zu verlassen nötigen und dadurch deren Glück schädigen. Sie werden sich dafür zu verantworten haben.“


928a. Ihr würdet es also passend finden, wenn der Sohn eines hochgestellten Mannes z.B. Holzschuhe anfertigte, wenn er Anlagen zu diesem Handwerk zeigte?
„Verfallt nicht in Abgeschmacktheiten und Übertreibungen. Warum sollte der Sohn eines hochgestellten Mannes Holzschuhe anfertigen, wenn er etwas anderes tun kann? Er wird sich immer nach Maßgabe seiner Fähigkeiten nützlich machen können, wenn sie nicht widersinnig angewendet werden. So könnte er z.B. gar wohl statt eines schlechten Advokaten ein guter Mechaniker werden usw.“


Die Versetzung von Menschen in eine Richtung, die nicht ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht, ist gewiss eine der gewöhnlichsten Ursachen von Enttäuschung. Die Untauglichkeit zur einmal gewählten Laufbahn bildet eine unversiegliche Quelle von Niederlagen.


Dann kommt noch die Eigenliebe und verhindert den Gefallenen in einem bescheideneren Beruf ein besseres Auskommen zu suchen und zeigt ihm den Selbstmord als das letzte Heilmittel, um dem zu entgehen, was er eine Demütigung nennt. Hätte ihn eine moralische Erziehung über die dummen Vorurteile des Hochmuts erhoben, so wäre er vorbereitet gewesen.



929. Es gibt Leute, welche aller Hilfsmittel entblößt sind, selbst wenn rings um sie herum Überfluss herrscht, und nur noch den Tod vor sich sehen. Was für einen Entschluss sollen sie fassen? Sollen sie sich selbst verhungern lassen?
„Man soll nie mit dem Gedanken umgehen, sich selbst verhungern zu lassen. Man würde immer imstande sein, sich zu ernähren, wenn der Hochmut sich nicht zwischen das Bedürfnis und die Arbeit stellte. Man hört oft sagen: Kein Handwerk bringt Unehre; man sagt es aber wohl anderen gegenüber, nicht zu sich selbst.“



930. Offenbar fände man ohne die gesellschaftlichen Vorurteile, von denen man sich einnehmen lässt, immer irgendeine Arbeit, die uns zu leben gäbe, müsste man sich auch zu einer niederen Stellung bequemen; aber auch unter Leuten, die keine Vorurteile haben oder die sie bei Seite legen, gibt es doch solche, die sich in der Unmöglichkeit befinden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen infolge von Krankheit oder aus anderen Ursachen, für die sie nichts können?

„In einer nach Christi Gesetz organisierten Gesellschaft darf niemand Hungers sterben.“


Bei einer weisen und auf alles Rücksicht nehmenden gesellschaftlichen Organisation kann der Mensch nur durch eigenen Fehler am Notwendigen Mangel leiden. Aber selbst seine Fehler sind oft das Ergebnis seiner Umgebung. Wenn einmal der Mensch das Gesetz Gottes erfüllt, wird er auch eine, auf Gerechtigkeit und wechselseitige Verpflichtung gegründete soziale Ordnung haben und er selbst wird besser geworden sein. (793.)



931. Warum sind die leidenden Klassen der Gesellschaft zahlreicher, als die glücklichen?
„Keine ist ganz glücklich und was man für Glück hält, birgt oft die bittersten Schmerzen in sich: Leiden findet sich überall. Um jedoch deinen Gedanken zu beantworten, will ich dir sagen, dass die Klassen, die du die Leidenden nennst, deswegen die Zahlreicheren sind, weil die Erde ein Ort der Sühne ist. Wenn der Mensch aus ihr eine Wohnung des Guten und der guten Geister gemacht haben wird, dann wird er hier nicht mehr unglücklich und die Erde wird für ihn das irdische Paradies sein.“



932. Warum haben die Bösen so oft einen viel größeren Einfluss in der Welt als die Guten?
„Wegen der Schwäche der Guten: Die Bösen sind ränkevoll und kühn, die Guten schüchtern. Wenn diese es wollten, würden sie die Oberhand gewinnen.“



933. Wenn der Mensch oft der Schmied seines eigenen materiellen Unglücks ist, ist er es auch bei seinen moralischen Leiden?
„Nur noch mehr, denn die materiellen Leiden sind zuweilen vom Willen unabhängig. Aber verletzter Stolz, enttäuschter Ehrgeiz, die Angst des Geizhalses, Neid, Eifersucht, kurz alle Leidenschaften sind Qualen der Seele selbst.

Neid und Eifersucht! Glücklich derjenige, welcher diese beiden nagenden Würmer nicht kennt! Für den Neidischen und Eifersüchtigen gibt es keinen Frieden, keine denkbare Ruhe. Die Gegenstände seiner Begehrlichkeit, seines Hasses, seines Ärgers, erheben sich vor ihm gleich Gespenster, die ihn ohne Rast und Ruhe bis in seine Träume verfolgen. Er befindet sich in einem beständigen Fieber. Ist das nun etwa ein wünschenswerter Zustand und seht ihr nicht ein, dass sich der Mensch mit seinen Leidenschaften freiwillig die größten Strafen auferlegt und die Erde eine wahre Hölle für ihn wird?“


Mehrere Ausdrücke bezeichnen die Wirkungen gewisser Leiden – schaften mit lebhaften Farben. Man sagt: Vor Hochmut aufgeblasen sein, vor Neid bersten, vor Eifersucht oder Ärger platzen, Hunger und Durst darüber verlieren usw. Die Bilder sind nur zu wahr. Zuweilen hat die Eifersucht nicht einmal einen bestimmten Gegenstand. Es gibt Leute, die von Natur auf alles eifersüchtig sind, was sich über das Gemeine emporhebt, selbst wenn sie daran gar kein unmittelbares Interesse haben, sondern einzig und allein weil sie sich nicht selbst so hoch erheben können. Alles was sich über ihren Horizont erhebt, verdrießt sie, und hätten sie in der Gesellschaft die Mehrheit, würden sie alles versuchen zu sich herunterzuziehen. Das ist die, mit der Mittelmäßigkeit verbundene Eifersucht. Der Mensch ist oft nur wegen der Wichtigkeit unglücklich, die er den Dingen dieser Welt beilegt. Getäuschte Eitelkeit, Ehrgeiz, Begehrlichkeit machen sein Unglück. Erhebt er sich dagegen über den engen Kreis des stofflichen Lebens, richtet er seine Gedanken auf das Unendliche, das seine Bestimmung ist, dann erscheinen ihm die Widrigkeiten des Leben als kleinlich und kindisch, wie die Kümmernisse des Kindes, welches sich über den Verlust eines Spielzeuges nicht trösten kann, das sein höchstes Glück für dasselbe gewesen ist.


Wer das Glück nur in der Befriedigung seines Hochmuts und seiner groben Begierden erblickt, ist unglücklich, wenn er zu jener nicht gelangt, während dagegen der, welcher vom Überfluss nichts verlangt, mit dem glücklich und zufrieden ist, was andere als Entbehrungen betrachten.


Wir sprechen vom zivilisierten Menschen; denn der Wilde hat beschränktere Bedürfnisse und kennt nicht dieselben Gegenstände der Begehrlichkeit und der Ängste. Seine Anschauungsweise ist eine ganz andere. Im zivilisierten Zustand denkt der Mensch über sein Unglück nach und zergliedert es; darum wirkt es stärker auf ihn ein; er kann aber auch über die Trostmittel nachdenken und sie sich einzeln zu Gemüte führen. Diesen Trost zieht er aus dem christlichen Gefühl, das ihm Hoffnung auf eine bessere Zukunft und aus dem Spiritismus, der ihm die Gewissheit dieser Zukunft verbürgt.




Verlust geliebter Personen

934. Verursacht uns der Verlust geliebter Personen nicht einen umso berechtigteren Schmerz, als jener ein unersetzlicher und von unserem Willen unabhängiger ist?
„Diese Ursache des Schmerzes trifft den Reichen wie den Armen: Es ist eine Prüfung oder eine Sühne und unser gemeinsames Los. Es gewährt euch aber Trost mit euren Freunden durch die Mittel, die ihr besitzt, in Verbindung treten zu können, bis ihr andere unmittelbarere und euren Sinnen zugänglichere empfangen werdet.“



935. Was soll man von der Ansicht derjenigen halten, welche die Mitteilungen von jenseits des Grabes als eine Entheiligung betrachten?
„Es kann hier keine Entheiligung stattfinden, wenn die gehörige Sammlung und Andacht vorhanden ist und wenn die Anrufung in achtungsvoller und schicklicher Weise geschieht; Beweis davon ist, dass die euch liebenden Geister mit Freuden kommen: Sie fühlen sich glücklich durch euer Andenken und in der Unterhaltung mit euch. Eine Entheiligung wäre es, hier leichtsinnig zu verfahren.“


Die Möglichkeit mit den Geistern in Verbindung zu treten ist ein herrlicher Trost, indem sie uns das Mittel verschafft, uns mit unseren Verwandten und Freunden zu unterhalten, die vor uns die Erde verließen. Durch die Anrufung ziehen wir sie näher zu uns, sie befinden sich an unserer Seite, hören uns und antworten uns: Es ist sozusagen keine Scheidewand mehr zwischen ihnen und uns. Sie unterstützen uns mit ihrem Rat, sie bezeugen uns ihre Liebe und ihre Freude, dass wir uns ihrer erinnern. Und für uns ist es eine Befriedigung, sie glücklich zu wissen, von ihnen selbst die Einzelheiten ihrer neuen Existenz zu erfahren und uns die Gewissheit zu verschaffen, uns einst, wenn die Reihe an uns kommt, wieder mit ihnen zu vereinigen.



936. Wie berührt der untröstliche Schmerz der Überlebenden die betreffenden Geister?
„Der Geist ist dankbar für das Andenken und die Klagen derer, die er liebte, aber ein nicht enden wollender und vernunftwidriger Schmerz berührt ihn peinlich, weil er in diesem übermäßigen Schmerz einen Mangel an Glauben an die Zukunft und an Gottvertrauen, folglich auch ein Hindernis des Fortschreitens und vielleicht der Wiedervereinigung erblickt.“


Da der Mensch als Geist glücklicher ist, denn auf Erden, so ist unser Bedauern, dass er nicht mehr am Leben ist, eigentlich ein Bedauern, dass er glücklich ist. Zwei Freunde sitzten in demselben Gemach gefangen, beide sollen eines Tages ihre Freiheit wieder erlangen, aber der eine erhält sie früher als der andere. Wäre es liebevoll von dem, der noch bleiben muss, darüber verdrießlich zu sein, dass sein Freund vor ihm in Freiheit gesetzt wurde? Wäre es nicht eher Egoismus, als Liebe von seiner Seite, wenn er wünschte, dass jener Gefangenschaft und Leiden ebenso lange aushalte wie er? Ebenso ist es mit zwei Wesen, die sich auf der Erde lieben: Wer zuerst geht, ist der zuerst in Freiheit gesetzte und wir sollen ihn dazu beglückwünschen, indem wir geduldig des Augenblicks harren, bis auch wir an die Reihe kommen. Wir machen noch einen anderenVergleich. Ihr habt einen Freund, der bei euch sich in einer sehr peinlichen Lage befindet. Seine Gesundheit oder seine Verhältnisse erheischen, dass er in ein anderes Land zieht, wo er sich in jeder Beziehung besser befinden wird. Er wird nun für den Augenblick nicht mehr in eurer Nähe sein, aber ihr werdet stets mit ihm in Korrespondenz bleiben. Die Trennung wird nur eine stoffliche sein. Wird euch nun seine Entfernung verdrießen, da sie ja zu seinem Wohle dient?


Die spiritistische Lehre gibt uns einen hohen Trost in unserem berechtigten Schmerz, indem sie uns augenscheinliche Beweise vom zukünftigen Leben, von der Gegenwart der einst von uns Geliebten um uns her, von ihrer fortdauernden Liebe und Sorge für uns gibt und uns in den Zustand setzt, mit ihnen Beziehungen zu unterhalten. Beim Spiritismus gibt es keine Einsamkeit, keine Verlassenheit mehr. Auch der einsamste Mensch hat stets Freunde um sich, mit denen er verkehren kann.


Wir ertragen ungeduldig die Trübsale des Lebens, sie scheinen uns so unerträglich, dass wir nicht begreifen, wie wir sie aushalten können. Und dennoch werden wir, wenn wir sie mutig ertragen, wenn wir unser Murren zum Schweigen zu bringen wissen, uns, einmal aus diesem irdischen Gefängnis befreit, dazu Glück wün – schen, wie der Kranke sich bei seiner Heilung beglückwünscht, wenn er sich in eine schmerzhafte Kur begeben hatte.





Enttäuschungen. Undank.

937. Sind die Enttäuschungen durch die Undankbarkeit und die Gebrechlichkeit der Freundschaftsbande für den seelenvollen Menschen nicht eine Quelle des Herzschmerzes?
„Ja, aber wir lehren euch die undankbaren und die untreuen Freunde beklagen: Sie werden unglücklicher sein als ihr. Die Undankbarkeit ist die Tochter des Egoismus und der Egoist wird später ebenso harte Herzen finden, wie er selbst eins war. Denkt an alle die, welche mehr Gutes taten als ihr, die mehr wert waren als ihr und denen mit Undank gelohnt wurde. Bedenkt, dass Jesus selbst zu seinen Lebzeiten geschmäht und verachtet, als Betrüger und Schurke behandelt worden war und wundert euch nicht, wenn es euch auch so ergeht. Das Gute, das ihr getan habt, sei euer Lohn in dieser Welt und achtet nicht auf das, was die, welche es empfingen, dazu sagen. Der Undank ist eine Prüfung für eure Beständigkeit im Gutes tun, er wird euch in Rechnung gebracht werden und die, welche euch verkannten, werden um so stärker bestraft werden, je größer ihr Undank gewesen war.“



938. Sind die durch Undank bewirkten Enttäuschungen nicht dazu angetan, das Herz zu verhärten und gefühllos zu machen?
„Das wäre Unrecht; denn der Mensch, der ein Herz hat, wie du sagst, wird immer vom Guten, das er stiftet, beglückt. Er weiß, dass, wenn man sich in diesem Leben nicht daran erinnert, man sich in einem anderen daran erinnern wird und dass der Undankbare Scham und Reue darüber empfinden wird.“


938a. Dieser Gedanke hindert nicht, dass er in seinem tiefsten Herzen sich gekränkt fühlt und muss dies nicht endlich in ihm den Gedanken erwecken, er wäre glücklicher, wenn er weniger gefühlvoll wäre?
„Ja, wenn er das Glück des Egoisten vorzieht, ein trauriges Glück ist das! So wisse er denn, dass die undankbaren Freunde, die ihn verlassen haben, seiner Freundschaft nicht würdig sind, dass er sich in ihnen täuschte. Von nun an soll er sie nicht mehr vermissen. Später wird er welche finden, die ihn besser verstehen werden. Beklagt die, welche sich so gegen euch benehmen, wie ihr es nicht verdient habt, denn es wird für sie eine traurige Vergeltung kommen; aber betrübt euch darüber nicht, das ist das Mittel, euch über sie zu erheben.“


Die Natur gab dem Menschen das Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden. Eine der größten ihm auf Erden gestatteten Freuden ist für ihn gleichgestimmte Herzen zu finden. Diese schenkt ihm so die ersten Eindrücke der Seligkeit, die seiner in der Welt der vollendeten Geister wartet, wo alles Liebe und Wohlwollen ist: Es ist dies eine Freude, die dem Egoisten versagt bleibt.





Antipathische Verbindungen

939. Da die gleichgestimmten Geister sich angetrieben fühlen sich zu vereinigen, wie kommt es da, dass unter den inkarnierten Geistern die Zuneigung oft nur von einer Seite stattfindet und auch die reinste Liebe mit Gleichgültigkeit, ja Abneigung erwidert wird? Wie kann sich ferner die lebhafteste Zuneigung zweier Wesen in Abneigung und zuweilen Hass verwandeln?
„Du siehst also nicht, dass dies eine Strafe ist, die aber vorübergeht. Sodann, wieviele gibt es, die sterblich verliebt zu sein meinen, weil sie nur nach dem Schein urteilen, und wenn sie dann mit den Personen zusammenleben müssen, bald genug einsehen, dass es nur ein Sinnenrausch gewesen war. Es genügt nicht, in eine Person, die euch gefällt und der ihr schöne Eigenschaften andichtet, verliebt zu sein. Erst wenn ihr wirklich mit ihr lebt, werdet ihr sie richtig beurteilen. Wieviele solcher Verbindungen gibt es nicht auch, die im Anfang nie sympathisch zu sein scheinen können und dann, wenn man sich gegenseitig gut kennen und verstehen gelernt hat, mit einer zärtlichen und dauernden Liebe schließen, die auf gegenseitiger Achtung beruht! Man darf nicht vergessen, dass der Geist und nicht der Leib liebt und dass, wenn die sinnliche Illusion vergeht, der Geist die Wirklichkeit erkennt.


Es gibt zwei Arten von Zuneigungen, die der Seele und die des Leibes und oft nimmt man die eine für die andere. Die Zuneigung der Seele, wenn sie rein und sympathisch ist, ist dauerhaft. Die des Leibes ist vergänglich. Daher kommt es, dass oft die, welche sich mit einer ewigen Liebe zu lieben wähnten, sich hassen, wenn der Wahn schwindet.“



940. Ist der Mangel an Sympathie zwischen Wesen, die miteinander zu leben bestimmt sind, nicht ebenso auch eine Quelle von umso bittereren Schmerzen, als diese ein ganzes Dasein vergiften?
„Sehr bitter in der Tat; aber es ist ein Unglück, wovon ihr selbst oft die erste Ursache seid. Zunächst haben hier eure Gesetze Unrecht, denn meinst du, Gott verpflichte dich bei solchen zu bleiben, die dir missfallen? Und dann sucht ihr bei diesen Verbindungen oft mehr die Befriedigung eures Hochmuts und Ehrgeizes, als das Glück einer gegenseitigen Zuneigung; ihr erleidet dann die Folgen eurer Vorurteile.“


940a. Gibt es aber in diesem Fall nicht fast immer ein unschuldiges Opfer?
„Ja, und dann ist es für dasselbe eine strenge Sühne; aber die Verantwortlichkeit für sein Unglück wird auf die zurückfallen, die es verursachten. Wenn das Licht der Wahrheit seine Seele durchdringt, wird es im Glauben an die Zukunft seinen Trost finden. Übrigens werden die Ursachen solchen Unglücks in dem Maße verschwinden, als die Vorurteile verschwinden.“






Todesfurcht

941. Die Todesfurcht ist für viele Leute eine Ursache der Bestürzung; woher kommt diese Furcht, da sie doch die Zukunft vor sich haben?
„Mit Unrecht fürchten sie sich? Aber was willst du? In ihrer Jugend sucht man sie glauben zu machen, dass es eine Hölle und ein Paradies gibt, dass es aber wahrscheinlicher sei, dass sie in die Hölle kommen, weil man ihnen sagt, dass das, was in der Natur liegt, für die Seele eine Todsünde sei: Wenn sie dann erwachsen sind, können sie, wenn sie ein wenig Urteilskraft haben, dies nicht akzeptieren und sie werden Atheisten oder Materialisten. So macht man sie schließlich glauben, dass es außer diesem gegenwärtigen Leben nichts mehr gibt. Diejenigen hingegen, welche in dem Glauben ihrer Kindheit beharren, fürchten sich vor dem ewigen Feuer, welches sie verbrennen soll, ohne sie zu vernichten.
Der Tod flößt dem Gerechten gar keine Furcht ein, weil er in seinem Glauben die Gewissheit der Zukunft besitzt, weil die Hoffnung ihn ein besseres Leben erwarten lässt und die Liebe, deren Gebote er erfüllte, ihm die Versicherung gibt, dass er in der Welt, in die er eingehen soll, keinem Wesen begegnen werde, dessen Blick er zu fürchten hätte.“ (730.)


Der fleischliche Mensch, der sich mehr dem leiblichen als dem geistigen Leben hingibt, hat auf Erden leibliche Freuden und Leiden und sein Glück besteht in der flüchtigen Befriedigung aller seiner Wünsche. Seine beständig von den Wechselfällen des Lebens voreingenommene und bewegte Seele ist in einer fortwährenden Beängstigung und Pein. Der Tod schreckt ihn, weil er an seiner Zukunft zweifelt und alle seine Zuneigungen und Hoffnungen auf der Erde zurücklässt.



Der moralische Mensch, der sich über die künstlichen, durch Leidenschaften erzeugten Bedürfnisse erhebt, hat schon hier auf Erden Freuden, die der materiell gesinnte Mensch nicht kennt. Die Zügelung seiner Begierden gibt seinem Geist Ruhe und Heiterkeit. Glücklich durch das Gute, das er tut, unterliegt er keinen Täuschungen und die Widerwärtigkeiten gleiten an seiner Seele ab, ohne schmerzhafte Eindrücke zu hinterlassen.


942. Werden gewisse Leute diese Ratschläge zum Glücklichsein auf Erden nicht etwas abgedroschen finden? Werden sie nicht in denselben sogenannte Gemeinplätze, breitgetretene Wahrheiten erblicken?
Werden sie nicht sagen, dass das ganze Geheimnis glücklich zu sein schließlich darin besteht, sein Unglück zu ertragen zu wissen?
Es gibt solche, die so sprechen und zwar viele. Aber es ist mit ihnen wie mit gewissen Kranken, denen der Arzt eine Diät verschreibt: Sie möchten aber lieber ohne Arznei geheilt werden und fortfahren dürfen, Unverdaulichkeiten einzunehmen“






Lebensüberdruß. Selbstmord.

943. Woher kommt der Lebensüberdruss, der sich gewisser Individuen ohne annehmbare Gründe bemächtigt?
,,Eine Folge des Müßiggangs, des Mangels an Glauben und oft der Sättigung. Für den, der seine Fähigkeiten zu einem nützlichen Zweck und seinen natürlichen Anlagen gemäß ausübt, hat die Arbeit nichts Herbes und sein Leben verläuft rascher: Er erträgt dessen Wechselfälle mit um so größerer Geduld und Ergebung, als er im Hinblick auf ein ihn erwartendes sichereres und dauerhafteres Glück handelt.“




944. Hat der Mensch das Recht, über sein eigenes Leben zu verfügen?
„Nein, Gott allein hat dieses Recht. Der freiwillige Selbstmord ist eine Übertretung desselben.“


944a. Ist der Selbstmord nicht immer freiwillig?
„Der sich tötende Wahnsinnige weiß nicht, was er tut.“



945. Was ist vom Selbstmord zu halten, welcher Lebensüberdruss zur Ursache hat?
„Die Unsinnigen! Warum arbeiten sie nicht? Das Dasein wäre ihnen dann nicht lästig gefallen!“



946. Was soll man vom Selbstmord denken, der zum Zweck hat, dem Elend und den Enttäuschungen dieser Welt zu entfliehen?
„Arme Geister, die nicht den Mut haben, das Elend des Daseins zu ertragen! Gott hilft denen, die da leiden und nicht denen, welche weder Kraft noch Mut besitzen. Die Trübsale des Lebens sind Prüfungen oder eine Sühne. Glückselig die, welche sie ohne Murren ertragen. Sie werden dafür belohnt werden. Wehe dagegen denjenigen, die ihr Heil von dem erwarten, was sie in ihrer Gottlosigkeit Zufall oder Glück nennen. Zufall oder Glück, um mich ihrer Redeweise zu bedienen, können sie in der Tat einen Augenblick begünstigen, jedoch nur, um sie später die Nichtigkeit dieser Worte umso härter empfinden zu lassen.“


946a. Werden diejenigen, die den Unglücklichen zu dieser Unglückstat veranlassten, die Folgen davon zu tragen haben?
„Oh, wehe ihnen! Denn sie werden sich dafür, wie für einen Mord zu verantworten haben.“




947. Kann der Mensch, der mit der Not ringt und aus Verzweiflung den Tod herbeiruft, als ein Selbstmörder betrachtet werden?

„Auch das ist ein Selbstmord, aber die, welche die Ursache davon sind oder die ihn hätten verhindern können, sind strafbarer als er selbst, und seiner harret die Verzeihung. Glaubt jedoch nicht, dass er ganz freigesprochen werde, wenn er es an Festigkeit und Beharrlichkeit hatte fehlen lassen und wenn er nicht seinen ganzen Verstand zusammennahm, sich aus seiner schlimmen Lage zu retten. Wehe ihm, namentlich wenn seine Verzweiflung aus Hochmut entspringt. Ich rede hier von jenen Menschen, in denen der Hochmut die Hilfsmittel der Intelligenz abschwächt, welche erröten würden ihr Leben durch ihrer Hände Arbeit zu fristen und welche lieber Hungers sterben, als das, was sie soziale Stellung nennen, aufgeben. Liegt nicht eine viel größere Würde und Größe darin, mit den Widerwärtigkeiten zu ringen, das Urteil einer nichtswürdigen und egoistischen Welt herauszufordern, die nur gegen die, denen es an nichts mangelt, guten Willen zeigt und die euch den Rücken kehrt, sobald ihr ihrer bedürft? Sein Leben der Achtung dieser Welt zu opfern ist eine Dummheit, denn sie kümmert sich nicht darum.“



948. Ist der Selbstmord, der zum Zweck hat, der Schande einer bösen Tat zu entfliehen, ebenso tadelnswert, wie der, welcher von der Verzweiflung eingegeben wird?
„Der Selbstmord macht den Fehler nicht wieder gut, im Gegenteil, es sind dann ihrer zwei, statt einem. Hatte man den Mut das Böse zu tun, so soll man ihn auch haben, die Folgen zu tragen. Gott richtet und kann je nach der Lage zuweilen seine Strenge mildern.“



949. Ist der Selbstmord zu entschuldigen, wenn er zu hindern bezweckt, dass die Schande auf die Kinder oder die Familie zurückfalle?

„Wer so handelt, tut nicht wohl, aber er meint es und Gott trägt ihm dafür Rechnung, denn es ist eine sich selbst auferlegte Sühne. Er mildert seinen Fehler durch seine Absicht, aber er begeht nichtsdestoweniger einen Fehler. Schafft übrigens nur die Missbräuche eurer Gesellschaft und eure Vorurteile aus der Welt und ihr werdet keine Selbstmörder mehr haben.“


Wer sich das Leben nimmt, um der Schande einer Missetat zu entgehen, beweist, dass ihm mehr an der Achtung der Menschen, als an Gott gelegen ist; denn er steht im Begriff, in das Geisterleben zurückzukehren, beladen mit seiner Schuld und hat sich der Mittel beraubt, sie bei Lebzeiten wieder gut zu machen. Gott ist oft weniger unerbittlich als die Menschen. Er verzeiht der aufrichtigen Reue und trägt der Genugtuung Rechnung: Der Selbstmord aber macht nichts wieder gut.



950. Was ist von dem zu halten, der sich in der Absicht das Leben nimmt, um so schneller in ein besseres zu gelangen?
„Wieder eine andere Torheit! Er tue Gutes und er wird sicherer sein dahin zu gelangen. Denn er verzögert damit seine Rückkehr in eine bessere Welt und er selbst wird dann verlangen, dieses Leben, das er wegen einer falschen Vorstellung zerschnitten hat, zu Ende zu führen. Ein Fehler, welcher auch immer, öffnet nie das Heiligtum der Auserwählten.“



951. Ist das Opfer seines Lebens nicht zuweilen verdienstlich, wenn es den Zweck hat, das eines andern zu retten oder überhaupt seinesgleichen nützlich zu sein?
„Das ist erhaben, je nach der Absicht, und das Opfer des Lebens ist dann kein Selbstmord. Gott aber widerstrebt ein unnötiges Opfer und er sieht es nicht mit Wohlgefallen an, wenn es vom Hochmut getrübt wird. Ein Opfer ist durch seine Selbstlosigkeit verdienstlich und der es vollbringt, hat zuweilen einen Hintergedanken, der dessen Wert in den Augen Gottes vermindert.“


Jedes, auf Kosten des eigenen Glücks gebrachte Opfer ist eine höchst verdienstliche Tat in den Augen Gottes, denn es ist eine Erfüllung des Gesetzes der Liebe. Da nun das Leben dasjenige irdische Gut ist, das für den Menschen den höchsten Wert hat, so begeht der, welcher auf dasselbe zum Wohl seiner Mitmenschen verzichtet, keinen Frevel, sondern er bringt ein Opfer dar. Bevor er es aber bringt, soll er sich besinnen, ob sein Leben nicht mehr nützen könnte, als sein Tod.



952. Begeht derjenige einen Selbstmord, der als Opfer von Leidenschaften zugrunde geht, von denen er weiß, dass sie sein Lebensende beschleunigen, denen er aber nicht mehr die Kraft hat zu widerstehen, weil die Gewohnheit sie ihm zu wahren leiblichen Bedürfnissen gemacht hat?
„Das ist moralischer Selbstmord. Seht ihr nicht ein, dass der Mensch hier doppelt strafbar ist? Hier findet sich Gottvergessenheit, Verrohrung, Mangel an Mut.“


952a. Ist er weniger oder mehr strafbar, als der, welcher, sich aus Verzweiflung umbringt?
„Er ist strafbarer, weil er Zeit hat, seinen Selbstmord zu überlegen. Bei dem, der ihn augenblicklich vollbringt, ist es zuweilen eine Art von an Wahnsinn grenzender Verwirrung. Der andere wird viel strenger bestraft werden, denn die Strafen stehen stets im Verhältnis zum Bewusstsein, das man von den begangenen Fehlern hat.“




953. Wenn jemand einen unvermeidlichen und schrecklichen Tod vor sich sieht, ist er dann strafbar, wenn er seine Leiden durch einen freiwilligen Tod um einige Augenblicke abkürzt?
„Man ist immer strafbar, das von Gott gesetzte Ende nicht abzuwarten. Ist man übrigens ganz sicher, dass dieses Ende dem Anschein zu Trotz gekommen sei und kann man nicht im letzten Augenblick eine unverhoffte Hilfe erhalten?“


953a. Man begreift, dass unter gewöhnlichen Umständen der Selbstmord zu tadeln ist, aber gesetzt nun dem Fall, der Tod sei unvermeidlich und das Leben würde nur um wenige Augenblicke abgekürzt?
„Es ist immer ein Mangel an Ergebung und Unterwerfung unter den Willen des Schöpfers.“


953b. Was sind dann in diesem Fall die Folgen dieser Handlung?
„Eine zur Schwere des Fehlers im Verhältnis stehende Sühne, wie stets je nach den Umständen.“




954. Ist eine Unvorsichtigkeit tadelnswert, welche das Leben ohne Not in Gefahr bringt?
„Schuld ist nicht vorhanden, wo keine Absicht oder kein bestimmtes Bewusstsein etwas Unheilvolles zu tun stattfindet.“



955. Sind die Frauen, die sich in gewissen Ländern mit der Leiche ihrer Männer verbrennen lassen, als Selbstmörderinnen zu betrachten und erleiden sie dafür die Folgen?
„Sie gehorchen einem Vorurteil und oft mehr der Gewalt, als ihrem Willen. Sie meinen eine Pflicht zu erfüllen und das hat nicht den Charakter eines Selbstmordes. Ihre Entschuldigung liegt in der moralischen Nichtigkeit der meisten von ihnen und in ihrer Unwissenheit. Diese barbarischen und törichten Gebräuche verschwinden mit der Zivilisation.“



956. Erreichen die, welche den Verlust teurer Personen nicht ertragen können und sich deswegen selbst töten in der Hoffnung sich wieder mit ihnen zu vereinigen, damit ihren Zweck?

„Der Erfolg ist für sie ein ganz anderer, als sie erwarten und statt mit dem Gegenstand ihrer Liebe vereint zu werden, entfernen sie sich auf längere Zeit von dem selben. Denn Gott kann keine Tat der Feigheit belohnen, ebenso wenig als die ihm, durch den Zweifel an seiner Vorsehung angetane Beleidigung. Sie werden diesen Augenblick der Torheit mit größerem Kummer bezahlen, als den sie abzukürzen meinen und werden die Befriedigung, die sie erhofften, nicht als Ersatz erhalten.“ (934 ff.)



957. Welches sind im Allgemeinen die Folgen des Selbstmordes für den Zustand des Geistes?
„Die Folgen des Selbstmordes sind sehr verschieden: Es gibt keine festgesetzten Strafen dafür und jedenfalls richten sie sich stets nach den Gründen, die ihn herbeiführten. Eine unvermeidliche Folge ist aber die Enttäuschung. Übrigens ist das Schicksal nicht für alle dasselbe: Es hängt von den Umständen ab, einige sühnen ihre Fehler unmittelbar, andere in einem neuen Dasein, das schlimmer sein wird, als das, dessen Lauf sie unterbrochen haben.“


Die Beobachtung zeigt in der Tat, dass die Folgen des Selbstmordes nicht immer die gleichen sind. Aber es gibt welche, die allen Fällen gewaltsamen Todes gemeinsam und die Folge der plötzlichen Unterbrechung des Lebens sind. So zunächst der längere und zähere Fortbestand des den Geist mit dem Leib einigenden Bandes, da dieses fast immer im Augenblick, wo es gesprengt wird, noch in seiner ganzen Kraft besteht, während es beim natürlichen Tod allmählich schwächer wird, und oft schon, bevor das Leben ganz erlischt, gelöst ist. Die Folgen dieses Zustandes sind die Verlängerung der geistigen Verwirrung, sodann auch der Täuschung, welche den Geist kürzere oder längere Zeit glauben lässt, dass er sich noch unter der Zahl der Lebenden befindet. (155., 165.)


Die fortbestehende Verwandtschaft zwischen Geist und Leib erzeugt bei einigen Selbstmördern eine Art von Rückschlag des Zustandes des Leibes auf den Geist, indem dieser so die Wirkungen der Zersetzung wider Willen empfindet und daher von Angst und Schauder erfüllt ist, ein Zustand, der so lange dauern kann, als das Leben des Selbstmörders ursprünglich hätte dauern sollen. Diese Wirkung ist zwar keine allgemeine, aber in keinem Fall entrinnt der Selbstmörder den Folgen seines Mangels an Mut und früher oder später sühnt er seinen Fehltritt auf die eine oder andere Weise. So sagten gewisse Geister, die auf Erden sehr unglücklich gewesen waren aus, sie hätten sich in ihrer früheren Existenz selbst getötet und sich nun freiwillig neuen Prüfungen unterzogen, um zu versuchen, sie mit mehr Ergebung zu ertragen. Bei einigen ist es eine Art von Haften am Stoff, dessen sie sich vergeblich zu entledigen suchen, um sich auf bessere Welten zu schwingen, deren Eingang ihnen aber versperrt bleibt. Bei der Mehrzahl ist es Reue über eine unnütze Tat, da sie von derselben nur Enttäuschung ernteten.


Religion, Moral, jede Philosophie verdammen den Selbstmord als dem Naturgesetz zuwider. Alle sagen uns, dass man nicht berechtigt sei, sein Leben freiwillig abzukürzen. Aber warum hat man dieses Recht nicht? Warum ist man nicht frei, seinem Leiden ein Ziel zu setzen? Es war dem Spiritismus vorbehalten, an dem Beispiel der Unterlegenen nachzuweisen, dass der Selbstmord nicht nur eine Verletzung eines moralischen Gesetzes ist, – was für gewisse Individuen von wenig Belang wäre – , sondern eine Dummheit, weil man damit nichts gewinnt, weit entfernt davon! Er gibt uns keine bloße Theorie, sondern legt uns die Tatsachen selbst vor Augen.





KAPITEL II – Zukünftige Leiden und Freuden



Das Nichts. Zukünftige Leben.

958. Warum hat der Mensch instinktmäßig einen Schauder vor dem Nichts?
„Weil das Nichts nicht existiert.“


959. Woher kommt dem Menschen das instinktartige Gefühl vom zukünftigen Leben?
„Wir sagten es schon: Vor seiner Inkarnation kannte der Geist alle diese Dinge und die Seele bewahrt eine unbestimmte Erinnerung an das, was sie in ihrem Zustand als Geist gesehen hat.“ (393.)


Zu allen Zeiten kümmerte sich der Mensch um seine Zukunft jenseits des Grabes und das ist ganz natürlich. Welche Wichtigkeit er auch dem gegenwärtigen Leben beilegen mag, so kann er doch nicht umhin, dessen Kürze und besonders dessen Ungewissheit in Betracht zu ziehen, da es ja jeden Augenblick ihm genommen werden kann und er nie des nächsten Tages gewiss ist. Was wird nach dem verhängnisvollen Augenblick aus ihm? Die Frage ist hochwichtig, denn es handelt sich nicht um einige Jahre, sondern um die Ewigkeit. Wer lange Jahre in einem fremden Land zubringen soll, beunruhigt sich über seine dortige Lage: Wie sollten wir uns daher nicht um die bekümmern, in welche wir beim Verlassen dieser Welt kommen werden, da es für immer geschieht?


Die Idee des Nichts hat etwas die Vernunft abstoßendes. Auch der bei Lebzeiten sorgloseste Mensch fragt sich, wenn er bei seiner letzten Stunde angelangt ist, was aus ihm werden wird und unwillkürlich hofft er.


An Gott glauben, ohne ein zukünftiges Leben anzunehmen, wäre Unsinn. Das Gefühl von einem besseren Dasein lebt im Innersten aller Menschen: Gott konnte es nicht für nichts in sie legen.

Das zukünftige Leben setzt die Erhaltung unserer Individualität nach dem Tod voraus. Was würde es uns in der Tat kümmern, unseren Leib zu überleben, wenn unser moralisches Wesen im Weltmeer der Unendlichkeit sich verlieren sollte? Die Folgen wären für uns die gleichen, wie die des Nichts.




Vages Bewusstsein von den zukünftigen Leiden und Freuden

960. Woher kommt der, bei allen Völkern sich zeigende Glaube an künftige Strafen und Belohnungen?
„Es ist immer dasselbe: das Vorgefühl der Wirklichkeit, das dem Menschen von dem in ihn inkarnierten Geist verliehen wird; denn wisst, nicht ohne Grund und Zweck redet eine innere Stimme zu euch. Unrecht tut ihr, dass ihr nicht genug auf sie achtet. Dächtet ihr öfter und mehr daran, so würdet ihr besser werden.“


961. Was ist im Augenblick des Todes, das bei der Mehrzahl der Menschen herrschende Gefühl: Zweifel, Furcht oder Hoffnung?
„Zweifel bei den verhärteten Zweiflern, Furcht bei den Schuldigen, Hoffnung bei den Guten.“



962. Wie kann es Zweifler geben, da doch die Seele dem Menschen das Gefühl von den geistigen Dingen verleiht?
„Es gibt deren weniger als man denkt. Viele spielen bei Lebzeiten aus Hochmut die Freigeister, aber beim Sterben sind sie nicht mehr so prahlerisch.“


Die Folge des zukünftigen Lebens ist die Verantwortlichkeit für unsere Handlungen. Vernunft und Gerechtigkeitsgefühl sagen uns, dass bei der Verteilung des Glücks, auf das jeder Mensch Anspruch macht, die Guten und die Bösen nicht verwechselt werden können. Gott kann nicht wollen, dass die einen ohne Mühe Freuden genießen, zu welchen andere nur mit Anstrengung und Beharrlichkeit gelangen.


Die Idee, die uns Gott von seiner Gerechtigkeit und Güte durch die Weisheit seiner Gesetze gibt, gestattet uns nicht zu glauben, dass der Gerechte und der Ungerechte vor ihm auf derselben Stufe stehen, noch zu zweifeln, dass sie einst der eine seinen Lohn, der andere seine Strafe für das Gute oder Böse, das sie getan haben, empfangen werden. Darum verleiht uns unser angeborenes Gerechtigkeitsgefühl das vage Bewusstsein von den zukünftigen Strafen und Belohnungen.




Eingreifen Gottes bei den Strafen und Belohnungen

963. Beschäftigt sich Gott persönlich mit jedem Menschen? Ist er nicht zu groß und wir zu klein, als dass jedes Individuum besonders vor seinen Augen irgendwelche Wichtigkeit haben könnte?
„Gott beschäftigt sich mit allen Wesen, die er geschaffen hat, so klein sie auch seien: Nichts ist seiner Güte zu gering.“


964. Hat Gott es nötig, sich mit jeder unserer Handlungen zu beschäftigen, um uns zu belohnen oder zu strafen und sind nicht die meisten dieser Handlungen unbedeutend für ihn?
„Gott hat seine Gesetze, die alle eure Handlungen ordnen: Wenn ihr sie verletzt, so ist das euer Fehler. Gewiss, wenn ein Mensch eine Ausschreitung begeht, so erlässt Gott nicht einen Urteilsspruch gegen ihn, um z. B. zu sagen: Du warst ein Freund der guten Tafel, ich werde dich strafen; sondern er zog eine Grenze. Krankheiten und oft der Tod sind die Folgen der Ausschreitungen. Das ist die Strafe, sie ist die Folge der Gesetzesübertretung. Und so ist es mit allem.“


Alle unsere Handlungen sind Gottes Gesetzen unterstellt. Es gibt keine, so unbedeutend sie uns auch erscheinen mag, welche dieselben nicht verletzen könnte. Wenn wir nun Folgen dieser Übertretung zu tragen haben, so haben wir es nur uns selbst zuzuschreiben, die wir uns so selbst zum Schmied unseres Glücks oder Unglücks machen.


Diese Wahrheit wird durch folgende Fabel sehr anschaulich gemacht. „Ein Vater gab seinem Sohn Erziehung und Unterricht, d.h. die Mittel zu wissen, wie es sich zu verhalten habe. Er überlässt ihm nun ein Feld zur Bebauung und sagt zu ihm: Da hast du die Vorschriften, die du zu befolgen hast und da hast du auch alle nötigen Werkzeuge, um das Feld fruchtbar zu machen und dir eine Existenz zu gründen. Ich gab dir den nötigen Unterricht, so dass du diese Regel verstehen kannst. Befolgst du sie, so wird dein Feld reichlich Frucht tragen und dir Ruhe bereiten für deine alten Tage. Befolgst du sie nicht, so wird es keine Frucht bringen und du wirst Hungers sterben. Sprach’s und ließ den Sohn tun wie er es wollte.“


Wird dieses Feld nun nicht Frucht bringen nach Verhältnis der auf selbiges verwandten Mühe, und wird nicht jede Vernachlässigung die Ernte vermindern? Der Sohn wird also auf seine alten Tage entweder glücklich oder unglücklich sein, je nachdem er die vom Vater gegebenen Vorschriften befolgte oder ver – nachlässigte. Gott ist noch voraussehender: Er lässt es uns jeden Augenblick wissen, ob wir gut oder böse handeln, er sendet uns die Geister, um uns Eingebungen zu machen, aber wir hören nicht auf sie. Es besteht auch noch der Unterschied, dass Gott dem Menschen in seinen neuen Daseinsformen stets ein Hilfsmittel gibt, seine früheren Fehler wieder gut zu machen, während jener Sohn kein solches mehr besitzt, wenn er seine Zeit schlecht angewandt hatte.





Wesen der zukünftigen Strafen und Freuden

965. Haben die Strafen und Freuden der Seele nach dem Tod auch etwas Stoffliches an sich?
„Sie können nicht stofflich sein, weil die Seele nicht Stoff ist: Das sagt uns die gesunde Vernunft. Diese Strafen und Freuden haben nichts Fleischliches und doch sind sie tausendmal lebhafter als die irdischen, weil der Geist, wenn er einmal befreit ist, eindrucksfähiger ist: Der Stoff stumpft dessen Gefühle nicht mehr ab.“ (237. bis 257.)


966. Warum macht sich der Mensch von den zukünftigen Strafen und Freuden eine oft so rohe und abgeschmackte Vorstellung?
,,Eine noch nicht genügend entwickelte Intelligenz. Versteht das Kind den Erwachsenen? Übrigens hängt dies auch von seinem Unterricht ab: Hier wäre eine Reform nötig. Eure Sprache ist zu unvollständig, um das, was außer euch ist, auszudrücken. Da bedurfte es dann freilich der Vergleichungen und diese Bilder und Figuren nehmt ihr dann für Wirklichkeiten. Je weiter der Mensch aber in der Erkenntnis fortschreitet, desto besser begreift sein Denken die Dinge, die seine Sprache nicht auszudrücken vermag.“



967. Worin besteht die Glückseligkeit der guten Geister?
,,Alle Dinge zu erkennen, keinen Hass, noch Eifersucht, noch Neid oder Ehrgeiz, noch irgendeine der Leidenschaften zu haben, die das Unglück der Menschen bilden. Die sie einigende Liebe ist für sie die Quelle der höchsten Glückseligkeit. Sie empfinden weder die Bedürfnisse noch die Leiden und Ängste des stofflichen Lebens. Sie sind glücklich in dem Tun des Guten; übrigens steht das Glück der Geister immer im Verhältnis zu ihrer Erhöhung. Die reinen Geister genießen allerdings allein die höchste Seligkeit, aber auch alle anderen sind nicht unselig. Zwischen bösen und vollkommenen gibt es eine unendliche Zahl von Stufen, auf denen die Freuden im Verhältnis zu ihrem moralischen Zustand stehen. Die, welche genügend fortgeschritten sind, verstehen das Glück der vor ihnen am Ziel angelangten: Auch sie streben demselben zu. Dies ist für sie aber ein Gegenstand der Nacheiferung, nicht des Neides: Sie wissen, dass es an ihnen liegt, dahin zu gelangen und arbeiten auf dieses Ziel los, jedoch mit der Ruhe eines guten Gewissens und sie sind glücklich nicht das leiden zu müssen, was die bösen Geister erdulden.“



968. Ihr setzt die Abwesenheit der stofflichen Bedürfnisse unter die Zahl der Bedingungen der Seligkeit für die Geister. Ist nun aber nicht die Befriedigung dieser Bedürfnisse für den Menschen eine Quelle von Freuden?

„ Ja, der Freuden des Tieres, und wenn du diese Bedürfnisse nicht befriedigen kannst, so ist dir das eine Qual. “



969. Was soll man darunter verstehen, wenn man sagt, die reinen Geister seien vereinigt in Gottes Schoß und singen ihm Lobgesänge?
„Das ist eine sinnbildliche Darstellung, welche ihre Erkenntnis von der Vollkommenheit Gottes ausmalen soll, die man aber so wenig als manche andere buchstäblich zu nehmen hat. Alles in der Natur, vom Sandkorn an, besingt, d.h. verkündet Gottes Macht, Weisheit und Güte. Glaube jedoch nicht, dass die seligen Geister die ganze Ewigkeit hindurch in Beschaulichkeit aufgehen; das wäre eine einförmige und dumme Seligkeit; es wäre das Glück des Egoisten, indem ihr Dasein ein ewig nutzloses sein würde. Sie haben nicht mehr die Trübsale der leiblichen Existenz: Schon das ist ein Glück; ferner erkennen und wissen sie, wie gesagt, alle Dinge; sie gebrauchen ihre erworbene Intelligenz zur Förderung des Fortschritts der anderen Geister: Das ist ihre Beschäftigung und zugleich ihr Genuss.“



970. Worin bestehen die Leiden der niedrigeren Geister?
„Sie sind so mannigfach wie deren Ursachen und der Stufe ihrer Niedrigkeit gerade so angemessen, wie die Freuden dem Grad der Erhöhung. Sie lassen sich in folgendes zusammenfassen: Neid gegen alles, was ihnen zu ihrem Glück mangelt sowie Ohnmacht es nicht zu erlangen, Anschauung des Glücks, das sie nicht erreichen können, Enttäuschung, Eifersucht, Wut, Verzweiflung über das, was sie an ihrem Glück hindert, Reue, unbeschreibliche moralische Angst. Sie sehnen sich nach allen Genüssen und können keinen befriedigen: Das ist es, was sie quält.“




971. Ist der Einfluss der Geister aufeinander immer ein guter?
,,Immer gut von Seiten der guten Geister, das versteht sich von selbst; die verdorbenen Geister hingegen suchen die, welche sie dafür empfänglich halten und die so oft während des Lebens zum Bösen verleitet hatten, vom Weg des Guten und der Reue abzubringen.“


971a. Also befreit uns der Tod nicht von der Versuchung?
„Nein, aber die Einwirkung der bösen Geister ist gegenüber den anderen Geistern eine viel geringere, als gegenüber den Menschen, weil sie die stofflichen Leidenschaften dort nicht auf ihrer Seite haben.“ (996.)



972. Wie fangen es die bösen Geister an, die anderen Geister in Versuchung zu bringen, da ihnen deren Leidenschaften nicht beistehen können?
„Wenn die Leidenschaften auch nicht mehr stofflich existieren, so stecken sie doch noch in den Gedanken der zurückgebliebenen Geister. Die bösen unterhalten nun diese Gedanken, indem sie ihre Opfer zu den Orten zu locken wissen, wo ihnen der Anblick dieser Leidenschaften selbst alles dessen wird, was sie erregen kann.“


972a. Aber wozu diese Leidenschaften, wo sie ja keinen wirklichen Gegenstand mehr haben?
„Eben das ist ihre Strafe und ihre Qual: Der Geizige sieht Gold, das er nicht besitzen kann, der Wüstling Ausschweifungen, an denen er nicht teilnehmen kann, der Hochmütige Ehren, die er beneidet und die er nicht genießen kann.“



973. Welches sind die größten Qualen, welche die bösen Geister leiden können?
„Es ist unmöglich, die moralischen Qualen zu beschreiben, welche die Strafe gewisser Verbrechen sind. Selbst der, welcher sie erleidet, hätte Mühe euch davon eine Vorstellung zu geben, jedoch die schrecklichste von allen ist gewiss der Gedanke, unwiederbringlich verdammt zu sein.“


Der Mensch bildet sich eine Vorstellung von den Leiden und Freuden nach dem Tod, welche je nach dem Standpunkt seiner Intelligenz eine mehr oder weniger erhabene ist. Je höher er sich entwickelt, desto mehr reinigt und befreit sich ihm diese Vorstellung vom Stoff, er erkennt die Dinge unter einem vernünftigeren Gesichtspunkt, er nimmt die Ausmalungen einer bildlichen Sprache nicht mehr buchstäblich. Die fortgeschrittenere Vernunft lehrt uns, dass die Seele ein durchaus geistiges Wesen ist und dass sie eben deshalb keine solche Eindrücke, die nur auf den Stoff wirken, aufnimmt. Daraus folgt aber keineswegs, dass sie frei sei von Schmerzen und dass sie für ihre Fehler nicht Strafe empfängt. (237.)


Die spiritistischen Mitteilungen führen zu dem Ergebnis, dass sie uns den zukünftigen Zustand der Seele nicht bloß theoretisch, sondern als eine Wirklichkeit zeigen. Sie stellen uns alle Höhen und Tiefen des jenseitigen Lebens vor Augen, zeigen uns aber dieselben zugleich als die durchaus vernunftgemäßen Folgen des irdischen Lebens. Jene Wechselfälle, obgleich hier von den phantastischen Umhüllungen der menschlichen Einbildungskraft befreit, sind deswegen nicht weniger qualvoll für die, welche von ihren Fähigkeiten einen schlechten Gebrauch machten. Die Verschiedenheit dieser Folgen ist eine unendliche, aber als allgemeine Regel kann man den Satz aufstellen: Jeder wird mit dem bestraft, was er gesündigt hat: So die einen mit dem unaufhörlichen Anblick des Unglücks, das sie angerichtet haben, die anderen mit Gewissensbissen, Furcht, Schande, Zweifel, Vereinsamung, Finsternis, Trennung von geliebten, teuren Wesen usw.



974. Woher stammt die Doktrin vom ewigen Feuer?
,,Ein Bild wie so manches andere, das für Wirklichkeit genommen wird.“


974a. Kann aber die Furcht davor nicht gute Folgen haben?

„So siehe doch wie viele sie zurückhält, selbst diejenigen, die sie lehren. Wenn ihr Dinge lehrt, welche die Vernunft später verwerfen muss, so werdet ihr weder einen dauerhaften, noch heilsamen Eindruck hinterlassen.“


Der Mensch, unfähig mit seiner Sprache das Wesen jener Leiden auszudrücken, fand keine treffenderen Vergleich als die mit dem Feuer, als dem Abbild der grausamsten Strafe und dem Sinnbild der gewaltigsten Wirkung. Darum verliert sich der Glaube an das ewige Feuer bis ins höchste Altertum und von den alten Völkern erbten ihn dann die neueren. Darum sagt der Mensch auch in seiner sinnbildlichen Sprache: Das Feuer der Leidenschaften, vor Liebe, aus Eifersucht brennen usw.



975. Erkennen die niedrigen Geister das Glück des Gerechten?
„Ja, und das ist ihre Strafe und ihre Qual; denn sie wissen, dass sie sich durch ihre eigenen Fehler desselben beraubten. Darum strebt der vom Stoff befreite Geist nach einer neuen Existenz, weil jede solche die Dauer dieser Strafe abkürzen kann, wenn sie gut angewandt wird. Dann trifft er seine Wahl unter den Prüfungen, durch die er seine Fehler sühnen kann; denn wisst: Der Geist leidet unter allem Übel, das er getan hat, oder dessen Ursache er freiwillig geworden ist, unter allem Guten, das er hätte tun können und nicht tat und unter allem Übel, das aus dem, von ihm unterlassenen Guten hervorging.
Der wandernde Geist hat keinen Schleier mehr, er ist wie aus dem Übel herausgetreten und sieht nun, was ihn vom Glück scheidet. Dann leidet er noch mehr, denn er erkennt, wie strafbar er gewesen ist. Für ihn gibt es keine Täuschung mehr: Er sieht die Dinge wie sie wirklich sind.“


Der Geist im herumwandernden Zustand überblickt einerseits alle seine früheren Existenzen, andererseits sieht er die ihm versprochene Zukunft und erkennt, was ihm noch fehlt, sie zu erreichen. So sieht der auf der Höhe eines Berges angelangte Reisende seinen zurückgelegten Weg, sowie den vor sich, den er noch zu durchlaufen hat.



976. Ist der Anblick der leidenden Geister nicht eine Ursache des Schmerzes für die Guten und was wird dann aus ihrem Glück, wenn dieses Glück getrübt wird?
„Es ist dies kein Schmerz, weil sie wissen, dass das Übel ein Ende nehmen wird. Sie helfen den anderen bei ihrer Besserung und reichen ihnen die Hand: Das ist ihre Beschäftigung und, wenn es ihnen gelingt, ihre Freude.“


976a. Das versteht sich bei den fremden oder unbeteiligten Geistern; trübt aber nicht der Anblick des Kummers und der Leiden ihrer Lieben auf der Erde ihr Glück?
„Wenn sie diese Leiden nicht sähen, so wären sie euch fremd nach dem Tod. Nun sagt euch aber die Religion, dass die Seelen euch sehen. Sie sehen aber euer Trübsal von einem anderen Gesichtspunkt aus, sie wissen, dass dieselben von Nutzen sind für euren Fortschritt, wenn ihr sie mit Ergebung tragt. Sie betrüben sich also mehr über euren Mangel an Mut, der euch aufhält, als über eure Leiden selbst, die nur vorübergehend sind.“



977. Da die Geister sich ihre Gedanken gegenseitig nicht verbergen können und da all ihr Tun im Leben bekannt ist, so würde daraus folgen, dass der Schuldige in beständiger Gegenwart seines Opfers wäre?
„Das kann auch nicht anders sein, die gesunde Vernunft sagt es uns.“


977a. Ist dieses Bekanntsein all unseres tadelnswerten Tuns und Lassens und die beständige Gegenwart derjenigen, welche die Opfer davon geworden sind, eine Züchtigung für den Schuldigen?

„Eine größere als man glaubt, aber nur für so lange, bis er seine Fehltritte gesühnt hat, sei es als Geist oder als Mensch in neuen leiblichen Existenzen.“


Wenn wir einst selbst in der Welt der Geister sein werden, so wird, da unsere ganze Vergangenheit aufgedeckt vor uns liegt, auch das Gute und das Böse, das wir getan haben, ebenso bekannt sein. Vergeblich wird der Böse dem Anblick seiner Opfer zu entrinnen suchen. Ihre unvermeidliche Gegenwart wird ihm zur Züchtigung und unaufhörlichen Reue dienen, bis er sein Unrecht gesühnt hat, während der Gute im Gegenteil nur freundlichen und wohlwollenden Blicken überall begegnen wird.


Für den Bösen gibt es auf Erden keine größere Qual, als die Gegen – wart seiner Opfer: Darum vermeidet er sie fortwährend. Wie wird ihm nur zumute sein, wenn die Täuschungen der Leidenschaften aufgehoben sind und er das Böse, das er getan hat erkennt, sein geheimstes Treiben enthüllt, seine Heuchelei entlarvt sieht und sich diesem Anblick nicht entziehen können wird? Während die Seele des Lasterhaften die Beute der Schande, der Reue und der Gewissensbisse ist, genießt die des Gerechten eine vollkommene Heiterkeit.



978. Trübt die Erinnerung an die von der Seele damals, als sie noch unvollkommen war, begangenen Fehler nicht ihr Glück, selbst nachdem sie sich gereinigt hat?
„Nein, denn sie hat ihre Fehler wieder gutgemacht und ist siegreich aus den Prüfungen hervorgegangen, die sie sich zu diesem Zweck auferlegte.“



979. Sind nicht die Prüfungen, die noch durchzumachen sind, um die Reinigung zu vollenden, ein Gegenstand schmerzlicher Besorgnis für die Seele, der ihr Glück trüben muss?
„Für die noch befleckte Seele, ja: darum vermag sie kein vollkommenes Glück zu genießen, bis sie ganz rein ist: Aber für die, welche sich schon erhöht hat, hat der Gedanke an ihre noch durchzumachenden Prüfungen nichts Schmerzliches mehr.“



Die zu einem gewissen Grad von Reinheit gelangte Seele kostet schon von der Seligkeit. Das Gefühl einer sanften Befriedigung durchdringt sie, sie ist beglückt von allem, was sie sieht, von allem, was sie umgibt. Der Schleier, der sich über die Geheimnisse und Wunder der Schöpfung breitete, lüftet sich vor ihr und die göttliche Vollkommenheit erscheint ihr in all ihrer Herrlichkeit.



980. Bildet die gegenseitige Sympathie, welche die Geister desselben Ranges einigt, eine Quelle der Seligkeit?
„Die Einigung der dem Guten verpflichtenden Geister ist für sie einer der höchsten Freuden, denn sie haben nicht zu fürchten, dass diese Einigung durch Egoismus könnte getrübt werden. Sie bilden in der geistigen Welt Familien von gleichen Gefühlen und darin eben besteht die geistige Glückseligkeit, wie ihr in deiner Welt euch nach Klassen zusammentut und eine gewisse Freude genießt, wenn ihr vereinigt seid. Die reine und aufrichtige Liebe, die sie füreinander hegen, ist für sie eine Quelle des Glücks, denn es gibt da keine falschen Freunde und keine Heuchler.“


Der Mensch kostet schon auf Erden die Vorfreude dieses Glückes, wenn er Seelen findet, mit denen er in einer reinen und heiligen Vereinigung aufgehen kann. In einem reineren und höheren Leben wird dieser Genuss ein unaussprechlicher und grenzenloser sein, weil er nur sympathischen Seelen begegnen wird, welche der Egoismus nicht erschüttern kann. Denn in der Natur ist alles Liebe: Der Egoismus aber tötet diese.



981. Gibt es für den zukünftigen Zustand des Geistes einen Unterschied zwischen dem, der zu Lebzeiten den Tod fürchtete und dem, der ihn mit Gleichgültigkeit oder selbst mit Freude kommen sieht?
„Der Unterschied kann sehr groß sein, indessen verschwin – det er oft vor den Ursachen, welche diese Furcht oder diesen Wunsch einflößen. Möge man den Tod fürchten oder herbeiwünschen, die Beweggründe können sehr verschieden sein und diese sind es, welche auf den Zustand des Geistes Einfluss üben. So ist es z.B. klar, dass bei dem, der den Tod nur deswegen herbeiwünscht, weil er darin das Ende seiner Trübsale erblickt, es eine Art von Murren gegen die Vorsehung und gegen die durchmachenden Prüfungen ist.“



982. Ist es nötig den Spiritismus offen zu bekennen und an die Manifestationen zu glauben, um uns unser Los im zukünftigen Leben zu sichern?
„Wenn dem so wäre, so müsste daraus folgen, dass alle die, welche nicht glauben oder welche nicht in der Lage waren sich zu unterrichten, enterbt würden und das wäre gegen alle Vernunft. Das Gute sichert das künftige Geschick und das Gute ist aber immer das Gute, welches auch der Weg sei, der zu demselben führt.“ (165. bis 799.)


Der Glaube an den Spiritismus fördert die Besserung, indem er unsere Gedanken auf gewisse Punkte der Zukunft richtet. Er beschleunigt den Fortschritt der Einzelnen und der Massen, indem er uns gestattet, uns Rechenschaft über das zu geben, was wir einst sein werden. Er ist für uns eine Stütze, ein Licht, das uns leitet. Der Spiritismus lehrt uns die Prüfungen mit Geduld und Ergebung zu ertragen. Er hält uns von Dingen ab, die unser zukünftiges Glück verzögern könnten. So trägt er zu diesem Glück bei, womit aber nicht gesagt ist, dass man es nicht auch auf anderem Weg erlangen kann.




Zeitliche Strafen

983. Empfindet der Geist, der in einer neuen Existenz seine Fehler büßt und sühnt, keine stofflichen, leiblichen Leiden und ist es in diesem Fall richtig, wenn man sagt, dass die Seele nach dem Tod nur moralische Schmerzen zu leiden habe?

„Es ist ganz richtig, dass wenn die Seele wieder inkarniert ist, die Trübsale des Lebens für sie ein Leiden sind; aber nur der Leib leidet hier in stofflicher Weise.


Ihr sagt oft von dem Verstorbenen, jetzt habe er ausgelitten. Das ist nicht immer wahr. Als Geist hat er keine leiblichen Schmerzen mehr; aber je nach den Fehlern, die er begangen hat, kann er empfindlichere moralische Schmerzen leiden und in einer neuen Existenz kann er noch unglücklicher werden. Der schlechte Reiche wird dann um Almosen betteln und alle Entbehrungen des Elends erleben, so wie der Hochmütige eine Beute aller Demütigungen sein wird. Wer sein Ansehen missbraucht und seine Untergebenen mit Härte und Verachtung behandelt, wird dann einem noch härteren Herrn als er selbst gewesen ist, zu dienen haben. Alle Leiden und Trübsale des Lebens sind die Sühne für die Verfehlungen eines früheren Daseins, wenn sie nicht die Folgen der Fehler des gegenwärtigen Lebens sind. Wenn ihr von hier weggegangen seid, so werdet ihr das erkennen. (273., 393., 399.)


Der Mensch, der sich auf Erden glücklich fühlt, weil er seine Leidenschaften befriedigen kann, bemüht sich am wenigsten sich zu bessern. Er sühnt dieses Eintagsglück oft schon in diesem Leben, jedenfalls aber wird er es in einem anderen, ebenso stofflichen Dasein sühnen.“



984. Sind die Widrigkeiten des Lebens immer Strafen für hier begangene Fehler?
„Nein, wie schon gesagt: Sie sind von Gott euch auferlegte oder von euch selbst im Geisteszustand und vor eurer Reinkarnation gewählte Prüfungen, um die in einem früheren Dasein begangenen Fehler zu sühnen. Denn nie bleibt die Übertretung der Gesetze Gottes und namentlich desjenigen der Gerechtigkeit ungestraft: Geschieht es nicht in diesem Leben, so geschieht es notwendig in einem anderen Leben. So wird der in euren Augen als gerecht Erscheinende oft für sein früheres Dasein gestraft.“ (393.)



985. Ist die Reinkarnation der Seele in einer weniger groben Welt eine Belohnung?
„Sie ist die Folge ihrer Reinigung. Denn je mehr sich die Geister reinigen, auf um so vollkommeneren Welten inkarnieren sie sich, bis sie jeglichen Stoff abgelegt und sich von allen ihren Unreinheiten reingewaschen haben, um dann in Ewigkeit die Glückseligkeit der reinen Geister in der Geborgenheit Gottes zu genießen.“


Auf den Welten, wo das Dasein weniger stofflich ist, als hier auf Erden, sind auch die Bedürfnisse weniger grob und die leiblichen Leiden weniger lebhaft. Die Menschen kennen dann nicht mehr die schlechten Leidenschaften, die sie auf den niedrigeren Welten einander zu Feinden machen. Da sie keinen Grund zu Hass oder Eifersucht haben, so leben sie miteinander in Frieden, da sie das Gesetz der Gerechtigkeit, der Liebe und der Nächstenliebe erfüllen. Sie kennen nicht den Verdruss und den Kummer, der aus Neid, Hochmut und Egoismus entspringt und der die Qual unseres irdischen Daseins bildet. (172. bis 182.)


986. Kann der Geist, der in seinem irdischen Dasein fortgeschritten ist, zuweilen auf der gleichen Welt reinkarniert werden?
„Ja, wenn er seine Aufgabe nicht erfüllen konnte und er selbst dieselbe in einem neuen Dasein zu vervollständigen bittet. Das ist dann aber für ihn nicht mehr eine Sühne.“ (173.)


987. Was wird aus dem Menschen, der ohne etwas Böses zu tun, doch nichts tut, um den Einfluss des Stoffes abzuschütteln?
„Da er keinen Fortschritt zur Vollkommenheit macht, so muss er wieder ein Dasein von vorn anfangen, das von derselben Art ist wie das, welches er verlässt. Er steht still und so kann er seine Leiden der Sühne verlängern.“


988. Es gibt Leute, deren Leben in vollkommenster Stille verläuft und die, da sie nichts selbst zu tun brauchen, keine Kümmernisse kennen. Ist ein solch glückliches Dasein ein Beweis, dass sie von einem früheren Dasein her nichts zu sühnen haben?
„Kennst du deren viele? Wenn du das meinst, so irrst du. Die Ruhe ist oft nur scheinbar. Sie können dieses Dasein gewählt haben, aber wenn sie es wieder verlassen, so entdecken sie, dass es ihnen nicht zum Fortschritt gedient hat, und dann bereuen sie, gleich den Trägen, die verlorene Zeit. Wisset, dass der Geist nur durch Tätigkeit sich Kenntnisse sammeln und sich selbst erhöhen kann; wenn er sich in Untätigkeit einschläfern lässt, so schreitet er nicht fort. Er gleicht dem, der (nach eurem Brauch) es nötig hat zu arbeiten, aber spazieren geht oder sich schlafen legt, und zwar in der Absicht, nichts zu tun. Wisset auch, dass jeder Rechenschaft zu geben haben wird von der selbst gewählten Nutzlosigkeit seines Daseins: Diese Nutzlosigkeit ist stets verhängnisvoll für das künftige Glück. Die Summe des zukünftigen Glücks steht im Verhältnis zur Summe des Guten, das man getan hat, und die des Unglücks steht im Verhältnis zum Übel, das man tat, und zu den Unglücklichen die man gemacht hat.“


989. Es gibt Leute, die ohne geradezu schlecht zu sein doch durch ihren Charakter alle, welche sie umgeben, unglücklich machen. Welche Folgen hat das für sie?
„Diese Leute sind sicherlich nicht gut und sie werden das sühnen müssen mit dem Anblick derer, die sie unglücklich gemacht haben und dies wird für sie ein Vorwurf sein. Dann in einem anderen Dasein werden sie das Gleiche zu leiden haben, was sie anderen angetan hatten.“




Sühne und Reue

990. Findet die Reue im leiblichen oder im geistigen Zustand statt?
„Im geistigen, aber sie kann auch im leiblichen eintreten, wenn ihr Gutes und Böses wohl zu unterscheiden wisst.“


991. Was ist die Folge der Reue im geistigen Zustand?
,,Der Wunsch nach einer neuen Inkarnation, um sich zu reinigen. Der Geist erkennt die Unvollkommenheiten, die ihn daran hinderten glücklich zu sein; darum strebt er nach einem neuen Dasein, in welchem er seine Fehler sühnen kann.“(332. bis 975.)



992. Was ist die Folge der Reue im leiblichen Zustand?
„Schon in diesem Leben fortzuschreiten, wenn man Zeit hat seine Fehler wieder gutzumachen. Wenn das Gewissen einen Tadel ausspricht und auf eine Unvollkommenheit hinweist, kann man sich immer bessern.“



993. Gibt es nicht Menschen, die nur für das Böse gleichsam einen Instinkt haben und der Reue geradezu unzugänglich sind?
„Ich sagte dir, dass man ohne Unterlass fortschreiten müsse. Wer hier in diesem Leben nur zum Bösen einen Trieb hat, wird in einem anderen Leben einen Trieb zum Guten haben und eben deswegen wird er mehrere Male wieder zur Welt kommen. Denn alle müssen fortschreiten und das Ziel erreichen, nur die einen je nach ihrem Streben in einer kürzeren, die anderen in einer längeren Zeit. Wer nur den Trieb zum Guten hat, ist schon gereinigt, denn er konnte den zum Bösen in einer früheren Existenz gehabt haben.“ (894.)



994. Erkennt der lasterhafte Mensch, der seine Sünden bei Lebzeiten nicht erkannte, dieselben nach seinem Tod?

„Ja, er erkennt sie immer und dann leidet er noch mehr, denn er erkennt dann alles Übel, das er getan hat oder von dem er die freiwillige Ursache gewesen war. Jedoch tritt die Reue nicht immer sofort ein. Es gibt Geister, die trotz ihrer Leiden eigensinnig auf dem Weg des Bösen beharren. Aber früher oder später werden sie ihren falschen Weg einsehen und die Reue wird kommen. Diese zur Erkenntnis zu bringen, daran arbeiten die guten Geister und daran könnt auch ihr mitarbeiten.“



995. Gibt es Geister, die, ohne böse zu sein, doch gleichgültig gegen ihr Schicksal sind?
„Es gibt Geister, die sich mit nichts Nützlichem beschäftigen: Sie befinden sich im Zustand der Erwartung; aber in diesem Fall leiden sie auch nach Verhältnis. Und da in allem immer Fortschritt stattfinden muss, so zeigt er sich hier im Schmerz.“


995a. Wünschen sie denn nicht ihre Leiden abzukürzen?
„Sie wünschen es ohne Zweifel, aber sie besitzen die Energie nicht, das zu wollen, was ihnen Erleichterung bringen könnte. Wie viele Leute habt ihr unter euch, die lieber Hungers sterben als arbeiten würden?“



996. Da die Geister das Übel, das ihnen aus ihren Unvollkommenheiten erwächst, sehen, wie kommt es dann, dass es solche gibt, die ihre Lage verschlimmern und den Stand ihrer Niedrigkeit verlängern, indem sie nun auch als Geister Böses tun um die Menschen vom guten Weg abzubringen?
„Diejenigen, deren Reue nur eine zögernde ist, tun so. Der bereuende Geist kann sich von anderen noch weiter zurückgebliebenen Geistern von neuem wieder auf den Weg des Bösen locken lassen.“ (971.)




997. Man sieht Geister von anerkannter Niedrigkeit guten Gefühlen zugänglich und gerührt von den Gebeten für sie. Wie kommt es nun, dass andere Geister, die man für höher entwickelt halten sollte, eine Verhärtung und einen Zynismus zeigen, deren nichts Herr zu werden vermag?
„Das Gebet hat nur für den Geist, der Reue empfindet, Wirksamkeit. Wer vom Hochmut getrieben sich gegen Gott auflehnt und in seinen Verirrungen beharrt, ja sie noch häuft, wie es unglückliche Geister tun, – für diesen vermag das Gebet nichts und wird nichts vermögen bis zu dem Tag, wo sich bei ihm ein Schimmer von Reue zeigen wird.“ (664.)


Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass der Geist nach des Leibes Tod nicht plötzlich umgewandelt ist. War sein Leben ein tadelnswertes, so war er eben noch unvollkommen. Nun macht der Tod einen nicht unmittelbar vollkommen: Der Geist kann in seinen Irrtümern, falschen Ansichten und Vorurteilen beharren, bis er sich durch Lernen, Nachdenken und Leiden eine höhere Erkenntnis wird erworben haben.



998. Vollzieht sich die Sühne im leiblichen oder im geistigen Zustand?
„Sie vollzieht sich im leiblichen Dasein durch die Prüfungen, denen der Geist unterworfen wird, und im geistigen Leben durch die moralischen Leiden, die mit dem niedrigen Stand des Geistes verknüpft sind.“



999. Reicht die aufrichtige Reue während des Lebens zur Tilgung der Fehler und zur Erlangung der Gnade Gottes aus?
„Die Reue fördert die Besserung des Geistes, aber das Vergangene muss gesühnt werden.“


999a. Wenn also demnach ein Verbrecher sagte, dass er, da er unter allen Umständen seine Vergangenheit sühnen müsse, keiner Reue bedürfe, was für Folgen hätte das für ihn?

„Wenn er sich in seinen bösen Gedanken verhärtet, so wird seine Sühne umso qualvoller sein und um so länger dauern.“




1000. Können wir schon in diesem Leben für unsere Verfehlungen Verzeihung erlangen?
,,Ja, wenn ihr sie wieder gutmacht. Hofft aber auf keine Verzeihung durch einige kindische Entbehrungen oder davon, dass ihr nach eurem Tod Geschenke stiftet, wenn ihr selbst nichts mehr bedürft. Gott trägt einer unfruchtbaren Reue gar keine Rechnung, einer Reue, die stets leicht ist und nichts kostet als sich an die Brust zu schlagen. Der Verlust des kleinen Fingers bei der Erweisung eines Dienstes tilgt mehr Verfehlungen als die selbst gewählte jahrelange Pein des Büßergewandes, ohne anderen Zweck als Eigennutz. (726.)


Das Böse wird nur durch das Gute wieder gutgemacht und auch dies hat gar kein Verdienst, wenn es den Menschen weder in seinem Hochmut, noch in seinen materiellen Interessen berührt.


Was soll es ihm zu seiner Rechtfertigung nützen, nach seinem Tod das unrecht erworbene Gut zu ersetzen, nachdem es für ihn seinen Wert verloren und er es genossen hatte?


Was soll ihm die Entbehrung einiger nichtiger Genüsse und Überflüssigem nützen, wenn das Unrecht, das er anderen zugefügt hat, dasselbe bleibt?


Was soll es ihm endlich nützen, sich vor Gott zu demütigen, wenn er fortfährt in seinem Hochmut gegenüber den Menschen?“


1001. Ist es gar kein Verdienst, wenn einer eine nützliche Verwendung seiner Besitztümer nach seinem Tod stiftet?

„Gar kein Verdienst gerade nicht; es ist immer besser als nichts. Unglücklicherweise ist jedoch der, welcher erst nach dem Tod gibt, oft mehr egoistisch als grosszügig: Er will die Ehre einer guten Tat besitzen, aber ohne deren Mühen. Wer sich aber bei seinen Lebzeiten Entbehrungen auferlegt, hat doppelten Gewinn: das Verdienst des Opfers und die Freude, die Glücklichen zu sehen, die er gemacht hat. Allein der Egoismus steht neben ihm und sagt: So viel du gibst, so viel brichst du dir an deinen Genüssen ab. Und da der Egoismus lauter ruft als die Selbstlosigkeit und die Nächstenliebe, so behält er es für sich unter dem Vorwand seiner Bedürfnisse und der Erfordernisse seiner Stellung. Oh, beklagt den, der die Freude des Gebens nicht kennt! Der ist wirklich und wahrhaftig einer der reinsten und süßesten Freuden beraubt. Als ihm Gott der Prüfung des Reichtums unterwarf, die für seine Zukunft so gefährlich und schlüpfrig sein kann, wollte er ihm als Ersatz die Freude der Freigiebigkeit hier auf Erden gewähren, die er schon geniessen kann.“ (814.)



1002. Was soll derjenige tun, der in der Sterbestunde seine Verfehlungen bekennt, aber keine Zeit mehr hat, sie wieder gutzumachen. Genügt es in diesem Fall Reue zu empfinden?
„Reue beschleunigt seine Besserung, spricht ihn aber nicht frei. Hat er nicht die Zukunft vor sich, die ihm nie verschlossen bleibt?“




Dauer der zukünftigen Strafen

1003. Ist die Dauer der Leiden der Schuldigen im zukünftigen Leben eine willkürliche oder eine an irgendein Gesetz gebundene?

„Gott tut nichts aus Laune und alles in der ganzen Welt wird von Gesetzen regiert, welche seine Weisheit und Güte offenbaren.“



1004. Worauf gründet sich die Länge der Leiden des Schuldigen?
,,Auf die zu seiner Besserung nötigen Zeit. Da der Zustand des Leidens und des Glücks im Verhältnis steht zum Grad der Reinheit des Geistes, so hängt Dauer und Wesen seiner Leiden von der Zeit ab, die er braucht, um sich zu bessern. Je mehr er fortschreitet und seine Gefühle sich reinigen, desto mehr vermindern sich seine Leiden und ändern ihre Natur.“
hl. Ludwig



1005. Erscheint dem leidenden Geist die Zeit ebenso lang oder kürzer, als zu seinen Lebzeiten?
„Sie erscheint ihm eher länger: Der Schlaf existiert nicht für ihn. Erst für die zu einem gewissen Grad von Reinheit gelangten Geister verschwindet die Zeit sozusagen vor der Ewigkeit.“ (240.)



1006. Können die Leiden des Geistes ewig dauern?
,,Ohne Zweifel litte er ewig, wenn er ewig böse bliebe, d.h. wenn er nie bereuen noch sich bessern würde; aber Gott schuf nicht Wesen, damit sie auf ewig dem Bösen geweiht seien: Er schuf sie nur einfach und unwissend und alle sollen fortschreiten während einer kürzeren oder längeren Zeit, je nach ihrem Wollen. Der Wille kann mehr oder weniger verspätet eintreten, so wie es mehr oder weniger frühreife Kinder gibt; aber er kommt früher oder später kraft des unwiderstehlichen Dranges des Geistes aus seiner Niedrigkeit herauszutreten und glücklich zu werden. Das die Dauer der Leiden ordnende Gesetz ist somit in hervorragender Weise wohlwollend und weise, indem es jene Dauer den Anstrengungen des Geistes unterordnet. Es raubt ihm nie den freien Willen; macht er von diesem einen schlechten Gebrauch, so trägt er selbst die Folgen.“
hl. Ludwig



1007. Gibt es Geister, die nie bereuen?
,,Es gibt welche, deren Reue sehr spät eintritt; aber behaupten, dass sie sich nie bessern, hieße das Gesetz des Fortschritts leugnen und sagen, das Kind könne nie zum Erwachsenen werden.“
hl. Ludwig



1008. Hängt die Dauer der Leiden stets vom Willen des Geistes ab und gibt es nicht solche, die ihm für eine bestimmte Zeit auferlegt werden?
„Ja, Strafen und Leiden können ihm für eine zeitlang auferlegt werden, aber Gott, der nur das Beste seiner Geschöpfe will, nimmt stets die Reue an, und die Sehnsucht, besser zu werden, ist niemals unfruchtbar.“
hl. Ludwig



1009. Demnach würden die Leiden nie für die Ewigkeit verhängt werden?
„Fragt eure Vernunft, euren gesunden Menschenverstand und bedenkt, ob eine ewige Verdammnis für einige Augenblicke der Verfehlung nicht ein Leugnen der Güte Gottes wäre? Was bedeutet in der Tat die Dauer des Lebens und betrüge sie auch hundert Jahre, gegenüber der Ewigkeit? Endlose Leiden und Qualen ohne Hoffnung, für einige Verfehlungen! Weist euer Urteil einen solchen Gedanken nicht zurück? Dass die Alten im Herrn der Welt einen schrecklichen, eifersüchtigen und rachsüchtigen Gott erblickten, das lässt sich begreifen: In ihrer Unwissenheit legten sie der Gottheit menschliche Leidenschaften bei; das ist aber dann nicht der Gott der Christen, welcher Liebe, Erbarmen, Vergessen der Beleidigungen zu den ersten Tugenden rechnet: Sollte er selbst der Eigenschaften entbehren, die er als Tugenden bezeichnet? Ist es nicht ein Widerspruch, ihm unendliche Güte und unendliche Rache zuzuschreiben? Ihr sagt, vor allem sei er gerecht, und der Mensch begreife seine Gerechtigkeit nicht. Aber Gerechtigkeit schließt Güte nicht aus, und er wäre nicht gut, wenn er die Mehrzahl seiner Geschöpfe ewigen schrecklichen Strafen und Leiden weihen würde. Könnte er seine Kinder zur Gerechtigkeit verpflichten, wenn er ihnen nicht auch die Mittel, sie zu erkennen, verliehen hätte? Kann es übrigens eine erhabenere Vereinigung von Gerechtigkeit und Güte geben, als die Länge der Leiden von den Bemühungen des Schuldigen, sich zu bessern, abhängig zu machen? Hier erfüllt sich die Wahrheit des Wortes: „Einem jeden nach seinen Werken.“
hl. Augustin


Bemüht euch mit allen Mitteln, die in eurer Macht liegen, den Gedanken an die Ewigkeit der Höllenstrafen zu bekämpfen, diesen Lästergedanken gegen Gottes Gerechtigkeit und Güte, diese fruchtbarste Quelle des Unglaubens, des Materialismus und der Gleichgültigkeit, welche die Massen, seit sie sich geistig zu entwickeln begannen, mit sich fortreißen. Sobald der Geist bereit ist, die Erkenntnis zu erlangen, erfasst er die ungeheuerliche Ungerechtigkeit dieses Gedankens der ewigen Strafe; seine Vernunft weist diesen Gedanken zurück und dann verfällt er selten in denselben Irrtum, die ihn empörende Strafe, Gott zu zuschreiben. Daher die zahllosen Übel, die über euch kommen und deren Heilung wir euch bringen wollen.

Die Lösung der Aufgabe, die wir euch bezeichnen, wird euch um so leichter fallen, als die Autoritäten, auf die sich die Verteidiger dieses Glaubens stützen, alle es vermieden haben, sich festzulegen: Weder die Konzilien, noch die Kirchenväter haben diese wichtige Frage entschieden. Wenn Christus nach den Evangelisten selbst und wenn man seine sinnbildlichen Worte buchstäblich nähme, die Schuldigen mit dem nicht verlöschenden Feuer, mit dem ewigen Feuer bedrohte, so liegt doch absolut nichts in seinen Worten, das bewiese, er habe sie auf ewig verdammt.


Ihr armen verirrten Schafe, lasset den guten Hirten zu euch kommen, welcher weit entfernt, euch für ewig aus seiner Gegenwart zu verstoßen, vielmehr euch entgegeneilt, um euch in eure Herde zurückzuführen. Verlorene Söhne, verlasst eure freiwillige Verbannung, wendet eure Schritte zum Vaterhaus: der Vater streckt euch seine Arme entgegen und ist stets bereit, eure Rückkehr festlich zu begehen.“
Lamennais


„Streit um Worte! Streit um Worte! Habt ihr noch nicht genug Blut vergossen? Sollen die Scheiterhaufen wieder auflodern? Man streitet sich über die Worte „Ewigkeit der Leiden, Ewigkeit der Strafen.“ Wisst ihr denn nicht, dass unter dem, was ihr heute „Ewigkeit“ nennt, die Alten etwas anderes verstanden? Der Theologe möge in den Quellen forschen und wie ihr alle, so wird auch er in denselben finden, dass der hebräische Text dem Wort „Ewigkeit“, das die Griechen, Lateiner und die Neueren mit „endlosen, nimmer zu erlassenden“ Strafen oder Leiden übersetzten, nicht dieselbe Bedeutung beilegte. Ewigkeit der Strafe entspricht der Ewigkeit des Bösen. Ja, so lange das Böse unter den Menschen dauern wird, ebenso lange werden auch die Strafen dauern. Die heiligen Schriften müssen nach ihrem Zusammenhang ausgelegt werden. Die Ewigkeit der Strafen ist also eine relative, keine absolute .


Möge der Tag kommen, wo alle Menschen, kraft ihrer Reue, sich mit dem Gewand der Unschuld bekleiden und von dem Tag an wird es kein Heulen und Zähneklappern mehr geben. Eure menschliche Vernunft ist allerdings beschränkt, aber so wie sie einmal ist, ist sie doch ein Geschenk Gottes, und mit dieser Vernunft vermag kein einziger aufrichtiger Mensch die Ewigkeit der Strafen anders zu verstehen: Ewigkeit der Strafen! Wie? Da müsste man ja annehmen, dass das Böse ewig sei. Gott allein ist ewig und konnte nicht das Böse als ein ewiges schaffen, sonst müsste man ihm die herrlichste seiner Eigenschaften, seine Allmacht absprechen; denn der ist nicht allmächtig, der eine seiner Werke zerstörendes Element schaffen kann. O Menschheit, Menschheit! Versenke nicht mehr deinen traurigen Blick in die Tiefe der Erde, um dort unten Strafen zu entdecken: Weine, hoffe, übe Sühne und suche Zuflucht in der Vorstellung eines allgütigen, allmächtigen und allgerechten Gottes.“
Platon


„Nach der göttlichen Einheit hinstreben, das ist das Ziel der Menschheit. Dazu gehören drei Dinge: Gerechtigkeit, Liebe und Wissen. Drei Dinge widerstreiten diesem: Unwissenheit, Hass und Ungerechtigkeit. Nun denn! Wahrlich ich sage euch, ihr würdet diese Grundwahrheiten Lügen strafen, wenn ihr die Ideen Gottes durch Übertreibung seiner Strenge verzerrt. Ihr verzerrt sie zweifach, wenn ihr in dem Geist des Geschöpfes den Gedanken aufkommen lasst, dass es selbst mehr Gnade, Milde, Liebe und wahre Gerechtigkeit besitze, als ihr dem unendlichen Wesen zuschreibt. Ihr vernichtet selbst die Vorstellung der Hölle, indem ihr sie lächerlich und eurem Glauben unzugänglich macht, wie auch dies mit den widrigen Schauspielen der Henker, der Scheiterhaufen und der Folter des Mittelalters geschieht! Wie? Hofft ihr jetzt, nachdem die blinde Wiedervergeltung für immer aus den menschlichen Gesetzen verbannt ist, sie im Ideal aufrecht zu erhalten? Oh!; glaubt mir, Brüder in Gott und Christo, glaubt mir, ihr lasst alle eure Glaubenssätze lieber unter euren Händen zugrunde gehen, statt sie zu ändern, flößt ihnen neues Leben ein, indem ihr sie dem wohltuenden eben jetzt auf euch einströmenden Einfluss der Guten in dieser Zeit sich öffnen lasst. Die Vorstellung der Hölle mit ihren brennenden Öfen, ihren siedenden Kesseln, mag in einem eisernen Zeitalter verständlich, d.h. verzeihlich sein; im neunzehnten Jahrhundert aber ist sie nichts mehr als ein eitles Gespenst, gerade noch gut genug, etwa kleine Kinder zu schrecken, – ein Gespenst aber, an das die Kinder nicht mehr glauben, sobald sie erwachsen sind. Verharrt ihr in dieser Schrecken erregenden Sagenkunde oder Mythologie, so erzeugt ihr damit den Unglauben, den Vater jeder gesellschaftlichen Zerrüttung. Denn ich zittere vor dem Gedanken, eine ganze soziale Ordnung wegen jeden Mangels an letzter Strafbestimmung erschüttert und in sich zusammenstürzen zu sehen. Ans Werk denn, Männer des lebendigen und glühenden Glaubens, ihr Vorläufer des Tages des Lichts! Nicht um veraltete Fabeln, die keinen Glauben mehr verdienen, aufrecht zu halten, sondern um die wahrhaftige letzte Strafbestimmung wieder ins Leben zu rufen in einer Gestalt, die eurer Moral, euren Gefühlen und der Bildung eurer Zeit entspricht.


Wer ist in Wahrheit der Strafbare? Der ist es, der durch eine Verirrung, durch eine falsche Richtung seiner Seele sich vom Endziel der Schöpfung entfernt, das in dem harmonischen Kult des Schönen, Guten besteht; idealisiert in dem Vorbild des Menschen, Jesus Christus.

Was ist die Strafe? Sie ist die natürliche Folge, die aus jener falschen Richtung entspringt. Die notwendige Summe von Schmerzen, um dem Menschen den Geschmack an seiner Missgestaltung verlieren zu lassen, durch gründliche Erfahrung dessen, was Leiden heißt. Die Strafe ist der Stachel, der die Seele durch bitteres Leid zwingt, sich in sich selbst zurückzuziehen und zu den Gestaden des Heils zurückzukehren. Der Zweck der Strafe ist kein anderer als Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, als Befreiung. Die Strafe zu einer ewigen machen für einen Fehltritt, der nicht ewig ist, heißt derselben allen vernünftigen Grund absprechen.

Oh!; wahrlich, wahrlich, ich sage euch, stellt von nun an nicht mehr als ewig nebeneinander das Gute, das Wesen des Schöpfers, und das Böse, das Wesen des Geschöpfes: Das hieße eine nimmer zu rechtfertigende Strafgerechtigkeit schaffen. Behauptet vielmehr die stufenweise Tilgung der Züchtigungen und Leiden durch die Reinkarnation, dann bestätigt und heiligt ihr, indem ihr Vernunft und Gefühl vereinigt, die göttliche Einheit.“
Apostel Paulus


Durch den Reiz von Belohnungen will man den Menschen zum Guten ermuntern, durch Furcht vor Strafe ihn vom Bösen abhalten. Wenn aber die Strafen in einer Weise dargestellt werden, dass die Vernunft nicht an sie glauben kann, so haben sie keine Wirkung auf ihn. Im Gegenteil, er wird beides verwerfen: Form und Inhalt. Führt man ihm dagegen die Zukunft in einer vernünftigen Weise vor Augen, dann wird er nichts zu verwerfen haben. Diese Erklärung gibt ihm der Spiritismus.



Die Lehre von der Ewigkeit der Strafen im unbedingten Sinn des Wortes macht einen unversöhnlichen Gott zum höchsten Wesen. Vertrüge es sich mit der Vernunft, von einem Fürsten zu sagen, er sei sehr gut, sehr wohlwollend und nachsichtig, er wolle nur das Wohl seiner Untergebenen, sei aber gleichzeitig eifersüchtig, rachsüchtig, unerbittlich streng und strafe mit den äußersten Leiden dreiviertel seiner Untertanen wegen einer Beleidigung oder einer Übertretung seiner Gesetze, selbst diejenigen, welche nur fehlten, weil sie diese nicht kannten? Wäre das nicht ein Widerspruch? Oder sollte Gott weniger gut sein als ein Mensch?

Noch ein anderer Widerspruch zeigt sich hier. Da Gott allwissend ist, so wusste er also auch, als er eine Seele schuf, dass sie sich verfehlen werde. Sie war also schon bei ihrer Erschaffung dem ewigen Leiden geweiht. Ist so was möglich, vernunftgemäß? Mit der Lehre von den verhältnismäßigen Strafen ist hingegen alles gerechtfertigt. Gott wusste ohne Zweifel, dass die Seele sich verfehlen werde, aber er gibt ihr die Mittel an die Hand, sich durch eigene Erfahrung, ja durch ihre Fehltritte zu belehren und zu bessern. Sie muss ihre Irrtümer sühnen, um sich im Guten mehr und mehr zu befestigen, aber die Türe der Hoffnung ist ihr nicht auf ewig verschlossen und Gott macht die Zeit ihrer Befreiung von der Mühe abhängig, die sie sich gibt, dahin zu gelangen. Das ist etwas, das jeder begreifen und das auch die peinlichste Logik zugeben kann. Wären die künftigen Strafen unter diesem Gesichtspunkt dargestellt worden, es gäbe viel weniger Zweifler.


Das Wort „ewig“ wird in der gewöhnlichen Redeweise oft bildlich gebraucht als Bezeichnung für etwas, das sehr lange dauert und dessen Ende man nicht vorhersieht, obschon man weiß, dass dieses Ende kommt. So reden wir z.B. von dem ewigen Schnee der Hochgebirge, der Pole, obwohl wir wissen, dass einerseits die physische Welt ein Ende nehmen und dass andererseits der Zustand jener Gegenden durch die regelmäßige Veränderung der Erdachse oder durch eine Erdrevolution verändert werden kann. Das Wort „ewig“ bezeichnet hier also nicht eine Dauer ohne Ende. Leiden wir an einer langen Krankheit, so sagen wir unser Leiden sei ein ewiges. Wer wird sich somit wundern, wenn Geister, die seit Jahren, seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden leiden, ebenso sprechen? Vergessen wir dabei namentlich nicht, dass ihre Niedrigkeit ihnen nicht gestattet, das Ende des Weges zu sehen und sie daher immer leiden zu müssen meinen, was für sie eine besondere Strafe ist.


Übrigens hat die hohe Gottesgelehrtheit die Lehre von dem stofflichen Feuer, vom Braten in der Hölle, von den der heidnischen Unterwelt entlehnten Qualen und Foltern heutzutage längst aufgegeben und nur noch in den Schulen werden von einigen mehr sich ereifernden als unterrichteten Männern diese schrecklichen Bilder als tatsächliche Wahrheiten vorgeführt, und zwar sehr mit Unrecht, denn diese jungen Köpfe voll Einbildungskraft dürften, wenn sie später von ihrem Schrecken zurückkommen, leicht die Zahl der Ungläubigen vermehren. Die Gottesgelehrtheit anerkennt jetzt, dass das Wort „Feuer“ bildlich gemeint und als moralisches Feuer zu verstehen ist. (974.) Wer so wie wir die Höhen und Tiefen dieses hiesigen und die Leiden des jenseitigen Lebens nach den Geistermitteilungen verfolgte, konnte sich überzeugen, dass letztere, wenn sie auch nicht stofflicher Art sind, nicht weniger schmerzen. Selbst in Bezug auf ihre Dauer beginnen gewisse Theologen dieselben in dem oben angegebenen beschränkteren Sinn zu zulassen und meinen, dass man das Wort „ewig“ von den Leiden an und für sich als den Folgen eines unabänderlichen Gesetzes und nicht von ihrer Anwendung auf jedes Individuum zu verstehen brauche. An dem Tag, wo die Religion diese Auslegung sowie einige andere nicht minder aus der fortschreitenden Erkenntnis hervorgehende Deutungen zulässt, wird sie viele verirrte Schafe wieder um sich sammeln.




Auferstehung des Fleisches



1010

1010-a. Also lehrt die Kirche selbst mit dem Glaubenssatz von der Auferstehung des Fleisches die Reinkarnation? *
„Offenbar; diese Lehre ist übrigens die Folgerung aus manchen Dingen, die man unbemerkt hingehen ließ und die jetzt erst in diesem Sinn aufgefasst werden. Die Zeit ist nicht fern, wo man anerkennen wird, dass der Spiritismus auf Schritt und Tritt aus dem Wortlaut der heiligen Schriften selbst hervorgeht. Die Geister kommen also nicht, die Religion umzustürzen, wie einige behaupten, sie kommen vielmehr sie zu bestätigen und durch unverwerfliche Beweise wieder aufzurichten. Da aber die Zeit gekommen ist, wo man nicht mehr in Bildern spricht, so drücken sie sich ohne Bilder aus und geben den Dingen einen klaren und deutlichen Sinn, der keiner falschen Auslegung zugänglich ist. Darum eben werdet ihr nach einiger Zeit mehr aufrichtig religiöse und gläubige Leute haben, als jetzt.“
hl. Ludwig


Die Wissenschaft beweist in der Tat die Unmöglichkeit der Auferstehung nach der gewöhnlichen Vorstellung. Blieben die Überbleibsel des menschlichen Leibes gleichartig, so könnte man, selbst wenn sie zerstreut und in Staub verwandelt würden, ihre Wiedervereinigung in einer gegebenen Zeit noch begreifen: Die Sache verhält sich jedoch nicht so. Unser Leib besteht aus verschiedenen Grundbestandteilen: aus Sauer – , Wasser – , Stick – , Kohlenstoff usw. Durch die Zersetzung zerstreuen sich diese Grundstoffe, aber um zur Bildung anderer Körper zu dienen, so dass dieselben Moleküle von Kohlenstoff z.B. in die Mischung von mehreren Tausenden verschiedener Leiber eingegangen sein wird, – wobei wir nur von menschlichen Körpern reden, ohne alle die Leiber der Tiere mitzurechnen, so dass ferner dieses bestimmte Individuum in seinem Leib vielleicht Moleküle besitzt, die Menschen der ältesten Zeiten angehörten, dass diese gleichen organischen Molekülen, die ihr mit eurer Nahrung in euch aufnehmt, vielleicht vom Leib eines bestimmten anderen Individuums stammen, das ein Bekannter von euch gewesen ist usw. Da die Quantität des Stoffes eine bestimmte, seine Wandlungen aber von unbestimmter Zahl sind, wie sollte da jeder dieser Leiber sich aus den gleichen Grundstoffen wieder ausbilden können? Hier liegt eine tatsächliche Unmöglichkeit vor. Vernünftigerweise kann man also die Auferstehung des Fleisches nur als Sinnbild der Reinkarnation auffassen und dann ist sie nichts die Vernunft beleidigendes, nichts den Resultaten der Wissenschaft widersprechendes.


Jene Auferstehung soll nach der Glaubenslehre allerdings erst am Ende der Zeiten stattfinden, während sie nach der spiritistischen Lehre jeden Tag vor sich geht. Liegt aber nicht auch in jener Vorstellung vom jüngsten Gericht wieder ein großartig schönes Bild, das unter dem Schleier der Allegorie eine jener unabänderlichen Wahrheiten birgt, welche auf keine Zweifler mehr stoßen wird, wenn sie einmal auf ihre wahre Bedeutung zurückgeführt ist? Man denke über die spiritistische Lehre von der Zukunft der Seelen und über ihr aus den verschiedenen von ihnen durchmachenden Prüfungen hervorgehendes Schicksal gründlich nach und man wird erkennen, dass, mit Ausnahme der Gleichzeitigkeit, dasselbe verdammende oder freisprechende Gericht keine Erdichtung ist, wie die Ungläubigen wähnen. Wir fügen schließlich noch hinzu, dass sie eine natürliche Folgerung aus der Vielheit der Welten ist, welche heute vollständig anerkannt wird, während nach der Lehre vom jüngsten Gericht die Erde als die einzige bewohnte Welt vorausgesetzt wird.


_________________________
* Als die 2.Auflage des Buches der Geister in französischer Sprache (1860) zum zweiten Mal gedruckt wurde, folgte nach der Anwort auf die Frage 1010 die Frage 1012. Dies hatte zur Folge, dass die 2. Auflage 1019 Fragen hatte und nicht 1018, wie bei der ersten Ausgabe. Es ist anzunehmen, dass es sich hier um einen Fehler der Revision handelt, der während Allan Kardecs Lebzeiten unbemerkt geblieben ist. Es ist sicher im Sinne Allan Kardecs, dass dieser Fehler behoben wird. Da die gegenwärtige Übersetzung sich auf den zweiten Druck der 2. Auflage stützt und weil es uns wichtig ist, dass Fragen und Antworten einem logischen und sinnvollen Ablauf folgen, wurde die Frage 1010, die eine zweite Frage beinhaltet, aufgeteilt und neu die Frage Nummer 1011 eingefügt. Somit beinhaltet das Buch der Geister 1019 Fragen. (Anmerkung der Übersetzer)








Paradies. Hölle. Fegefeuer. Verlorenes Paradies. Sündenfall.

1012 [1011]. Ist für die Leiden und Freuden der Geister nach Maßgabe ihrer Verdienste ein bestimmt umgrenzter Ort im Universum angewiesen?
„Wir beantworteten schon einmal diese Frage. Leiden und Freuden liegen unmittelbar im Grad der Vollkommenheit der Geister: Jeder schöpft aus sich selbst das Wesentliche seines Glücks oder Unglücks und da die Geister überall sind, so ist weder dem einen noch dem anderen von ihnen irgendein bestimmt umgrenzter Ort angewiesen. Was die inkarnierten Geister betrifft, so sind sie mehr oder weniger glücklich, je nachdem wie die von ihnen bewohnte Welt mehr oder weniger fortgeschritten ist.“


1012a. Demnach würden also Hölle und Paradies nicht so, wie der Mensch sie sich vorstellt, existieren?

„Das sind nur Bilder: Glückliche und unglückliche Geister gibt es überall. Indessen vereinigen sich, wie wir ebenfalls schon gesagt haben, die Geister desselben Ranges aus Sympathie, sie können sich aber, wenn sie vollkommen sind, vereinigen, wo sie wollen.“



Die unbedingte Beschränkung der Strafen und Belohnungen auf einem bestimmten Ort besteht nur in der menschlichen Einbildung; sie stammt aus seinem Bestreben, Dinge, deren unendliches Wesen er nicht zu begreifen vermag, zu verbildlichen und zu begrenzen.


1013 [1012]. Was soll man unter dem Fegefeuer verstehen?
,,Leibliche und moralische Schmerzen. Es ist die Zeit der Sühne. Fast immer macht ihr euer Fegefeuer auf Erden durch, wo Gott euch eure Fehltritte sühnen lässt.“


Was der Mensch „Fegefeuer“ nennt, ist ebenfalls ein Bild, unter dem man nicht irgendeinen bestimmten Ort zu verstehen hat, sondern den Zustand der unvollkommenen Geister, welche in der Sühne begriffen sind bis zu ihrer völligen Reinigung, die sie zum Rang der seligen Geister erheben soll. Da sich diese Reinigung in den verschiedenen Inkarnationen vollzieht, so besteht das Fege – feuer in den Prüfungen des leiblichen Lebens.



1014 [1013]. Wie kommt es, dass Geister, welche durch ihre Sprache ihre hohe Stufe beweisen, ganz ernsthaften Personen über Hölle und Fegefeuer Antworten gaben, die sich den gewöhnlichen Vorstellungen von diesen Orten anschlossen?
„Sie reden die Sprache der Personen, von denen sie befragt werden. Sind diese Leute zu sehr von gewissen Vorstellungen eingenommen, so wollen sie bei denselben nicht Anstoß erregen, um sie nicht in ihren Überzeugungen zu verletzen. Würde ein Geist, ohne Vorsicht in seinen Ausdrücken zu gebrauchen, einem Moslem sagen, Mohamed sei kein Prophet, er dürfte es sehr übel aufnehmen.“


1014a. Dass es sich mit Geistern, die uns belehren wollen, so verhält, lässt sich begreifen; aber wie kommt es, dass über ihre eigene Lage befragte Geister antworteten sie litten die Qualen der Hölle oder des Fegefeuers?
„Stehen dieselben noch auf einer niederen Stufe und sind sie noch nicht ganz entstofflicht, so behalten sie einen Teil ihrer irdischen Vorstellungen und geben ihre Eindrücke in Ausdrücken wieder, die ihnen geläufig sind. Sie sind in einer Umgebung, die ihnen nur halb die Zukunft zu ergründen gestattet, und dies ist der Grund, dass wandernde oder erst vor kurzem befreite Geister oft so reden, wie sie es bei Lebzeiten getan hätten. „Hölle“ lässt sich wiedergeben mit einem äußerst mühseligen Prüfungsleben, verbunden mit der Ungewissheit eines besseren Zustandes, ,,Fegefeuer“ ebenfalls mit Prüfungsleben, aber mit dem Bewusstsein einer besseren Zukunft. Wenn du einen großen Schmerz leidest, sagst du dann nicht selbst, du leidest wie ein Verdammter? Das sind alles nur Worte und zwar stets bildlich gemeinte.“



1015 [1014]. Was ist unter einer leidenden Seele zu verstehen?
,,Eine wandernde und leidende Seele, die ungewiss ist über ihr Schicksal, der ihr Erleichterung verschaffen könnt, worum sie euch oft anfleht, wenn sie zu euch kommt, um sich euch mitzuteilen.“ (664.)



1016 [1015]. In welchem Sinne ist das Wort „Himmel“ zu verstehen?
,,Meinst du, er sei ein Ort, wie die elysischen Felder der Alten, wo alle guten Geister sich wirr zusammengedrängt finden, ohne sich um etwas anderes zu kümmern, als die Ewigkeit hindurch eine passive Glückseligkeit zu genießen? Nein, er ist der universelle Raum: auf den Planeten, den Sternen und allen höheren Welten ist es, wo die Geister sich all ihrer Fähigkeiten erfreuen, fern von den Trübsalen des stofflichen Lebens und den niedrigen Stufen anhaftenden Ängsten.“



1017 [1016]. Geister sagten, sie bewohnen den vierten, fünften Himmel usw.: Was meinten sie damit?
„Ihr fragt sie, welchen Himmel sie bewohnen, weil ihr euch mehrere Himmel vorstellt, die gleich Stockwerken übereinander sich aufbauen. Dann antworten sie euch in eurer Sprache. Ihnen selbst aber bedeuten die Worte vierter, fünfter Himmel verschiedene Grade der Reinigung und folglich des Glücks. Das ist gerade so, wie wenn man einen Geist fragt, ob er in der Hölle sei. Ist er unglücklich, so wird er sagen: Ja, weil ihm ,,Hölle“ gleichbedeutend ist mit Qual; aber er weiß gar wohl, dass sie kein Glutofen ist. Ein Heide würde gesagt haben, er befinde sich in der ,,Unterwelt“.


So verhält es sich auch mit anderen ähnlichen Ausdrücken, wie z. B. Stadt der Blumen, der Auserwählten, erste, zweite oder dritte Sphäre usw., die sämtlich nur sinnbildliche Ausdrücke sind, mit denen gewisse Geister, sei es aus Unkenntnis der Wirklichkeit oder selbst der einfachsten Begriffe der Wissenschaft, ihre Gedanken auszudrücken suchen. Nach der beschränkten Vorstellung früherer Zeiten von den Strafen und Belohnungen und besonders aufgrund der Meinung, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei, dass der Himmel sich über sie wölbe, und dass es dort eine Region der Sterne gebe, dachte man sich den Himmel oben und die Hölle unten. Daher die Ausdrücke: zum Himmel fahren, im höchsten Himmel sein, in die Hölle geworfen werden. Heute aber hat die Wissenschaft gezeigt, dass die Erde nur eine der kleinsten Welten unter so viel Millionen anderer und ohne besondere Wichtigkeit ist; sie hat die Geschichte ihrer Bildung aufgezeichnet und ihren Bau beschrieben; sie hat die Unendlichkeit des Raumes erwiesen und dass es im Universum weder ein Oben, noch ein Unten gibt. Da musste man nun wohl darauf verzichten, den Himmel über die Wolken und die Hölle unter die Erde zu versetzen. Was das Fegefeuer betrifft, so wird ihm nie ein bestimmter Ort angewiesen. Dem Spiritismus war es vorbehalten, über alles dies die vernünf – tigste, großartigste und zugleich für die Menschheit trostreichste Aufklärung zu geben. So kann man nur sagen, wir tragen unsere Hölle und unser Paradies in uns selbst, unser Fegefeuer finden wir in unserer Inkarnation, in unseren leiblichen oder physischen Existenzen.



1018 [1017]. In welchem Sinn sind Christi Worte zu verstehen: mein Reich ist nicht von dieser Welt?

„Als Christus so antwortete, redete er in bildlichem Sinn. Er wollte damit sagen, dass er nur über reine und selbstlose Herzen herrscht. Er ist überall da, wo Liebe zum Guten wohnt; die Menschen aber, die da gierig sind nach den Dingen dieser Welt und an den Gütern der Erde haften, sind nicht mit ihm.“



1019 [1018]. Wird auf der Erde jemals die Herrschaft des Guten stattfinden?
„Das Gute wird auf Erden herrschen, wenn unter den Geistern, die sie bewohnen werden, die guten über die bösen die Oberhand gewinnen. Dann werden sie hier Liebe und Gerechtigkeit herrschen lassen, die die Quelle des Guten und der Seligkeit sind. Durch moralischen Fortschritt und durch die Ausübung der Gesetze Gottes wird der Mensch die guten Geister auf die Erde anziehen und die bösen von ihr entfernen. Die Bösen aber werden sie erst verlassen, wenn der Mensch den Hochmut und den Egoismus von der Erde verbannt haben wird.


Die Umwandlung der Menschheit ist vorausgesagt worden und ihr steht unmittelbar vor diesem Zeitpunkt, dessen Eintritt alle Menschen beschleunigen, die den Fortschritt fördern helfen. Die Umwandlung wird sich mit der Inkarnation besserer Geister vollziehen, die auf Erden eine neue Generation bilden werden. Dann werden die Geister der Bösen, die der Tod jeden Tag dahinrafft, und alle, die den Fortschritt aufzuhalten streben, ausgeschlossen sein: Denn inmitten der guten Menschen, deren Glück sie nur trüben würden, wären sie nicht an ihrem Platz. Sie werden in neue, weniger fortgeschrittene Welten ziehen, mühsame Missionen zu übernehmen haben, wo sie an ihrer eigenen Besserung arbeiten können, während sie gleichzeitig für den Fortschritt ihrer noch weiter zurückgebliebenen Brüder arbeiten. Erblickt ihr nicht in dieser Ausschließung von der umgewandelten Erde das erhabene Bild des „verlorenen Paradieses“ und in dem unter ähnlichen Bedingungen zur Erde gekommenen Menschen, der den Keim seiner Leidenschaften in sich und die Spuren seiner ursprünglichen Niedrigkeit an sich trägt, das nicht minder erhabene Bild der „Erbsünde“? So betrachtet hängt die Erbsünde mit der unvollkommenen Natur des Menschen zusammen. Der Mensch ist für sich selbst verantwortlich, für seine Fehler und nicht für die seiner Eltern.


,,Ihr alle also, die ihr lauter und guten Willens seid, arbeitet mit Eifer und mit Mut an dem großen Werk der Wiedergeburt, denn tausendfältige Frucht wird euch das Samenkorn tragen, das ihr sät. Wehe aber denjenigen, die ihre Augen dem Licht verschließen, denn sie bereiten sich lange Jahrhunderte der Finsternis und der Enttäuschungen. Wehe denen, die all ihre Freuden nur in den Gütern dieser Welt suchen, denn sie werden mehr Entbehrungen erdulden, als sie Genüsse gehabt haben. Wehe besonders den Egoisten, denn niemanden werden sie finden, ihnen die Last ihres Elends tragen zu helfen.“
hl. Ludwig