Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Erster Teil - Die Lehre

Kapitel I - Die Zukunft und das Nichts

1. Wir leben, wir denken, wir handeln, das ist gewiss; wir sterben, auch das ist gewiss. Aber wohin gehen wir, wenn wir die Erde verlassen? Was wird aus uns? Wird es besser oder schlechter um uns stehen? Werden wir sein oder werden wir nicht sein? Sein oder nicht sein, das ist die Frage; es ist für immer oder für nie; es ist alles oder nichts; wir werden ewig leben oder alles wird aus sein, ohne Wiederkehr. Es ist wohl der Mühe wert, hierüber nach zudenken.

Jeder Mensch empfindet das Bedürfnis zu leben, zu genießen, zu lieben und glücklich zu sein. Sagt dem, der weiß, dass er im Begriff ist zu sterben, er werde noch am Leben bleiben, seine Stunde sei noch nicht gekommen. Sagt ihm vor allem, er werde glücklicher sein, als er gewesen ist, und sein Herz wird vor Freude klopfen. Aber wozu würde dieses sehnsüchtige Verlangen nach Glück dienen, wenn ein Lufthauch diese Sehnsucht verschwinden las sen kann?

Gibt es etwas Entmutigenderes als diesen Gedanken einer völligen Zerstörung? Heilige Zuneigungen, Einsicht, Fortschritt, mühsam erworbenes Wis sen, alles würde zerstört und verloren sein! Wo bliebe die Notwendigkeit, sich anzustrengen, um besser zu werden, sich zu zwingen, um seine Leidenschaften zu unterdrücken. Die Notwendigkeit, sich abzumühen, um sei nen Geist zu bereichern, wenn man keine Frucht davon ernten soll, vor allem bei dem Gedanken, dass uns dies morgen vielleicht gar nichts mehr nützt. Wenn es so wäre, würde das Los des Menschen hundertfach schlimmer sein als das eines wilden Tieres; denn das Tier lebt ganz und gar in der Gegenwart, in Befriedigung seiner materiellen Begierden, ohne Sehnsucht in Bezug auf Zukünftiges. Eine geheime innere Stimme sagt, dass das unmöglich ist.


2. Infolge des Glaubens an das Nichts konzentriert der Mensch zwangsläufig alle seine Gedanken auf das gegenwärtige Leben; tatsächlich kann man sich logischerweise nicht um eine Zukunft sorgen, die man nicht erwartet. Dieses ausschließliche Sich-Befassen mit der Gegenwart führt begreiflicherweise dazu, dass man vor allem an sich denkt. Das ist also der mächtigste Ansporn des Egoismus, und der Ungläubige verhält sich bei sich selbst konsequent, wenn er zu diesem Schluss kommt: Lasst uns genießen, solange wir da sind und so viel wie möglich, da ja nach uns doch alles aus ist – lasst uns schnell genießen, weil wir nicht wissen, wie lange das dauern wird; und zu jenem anderen auf ganz andere Art für die menschliche Gesellschaft gewichtigen Schluss: Lasst uns dennoch genießen, jeder für sich; das Glück hier auf Er den gehört dem Geschicktesten.

Wenn Rücksicht auf Menschen manche hiervon zurückhält, was für ein Zügel kann für die bestehen, die sich vor nichts fürchten? Sie sagen sich, dass das menschliche Gesetz nur die Ungeschickten betrifft, darum richten sie ihre Geisteskräfte darauf, es zu umgehen. Wenn es eine ungesunde und die Gesellschaft bedrohende Lehre gibt, so ist es sicherlich die des Nichtglaubens, weil dieser die wahren Bande der Solidarität und der Brüderlichkeit zerreißt, der Grundlagen der gesellschaftlichen Beziehungen.


3. Angenommen, infolge irgendeines Umstandes würde ein ganzes Volk die Gewissheit erlangen, dass es in acht Tagen, in einem Monat, meinetwegen in einem Jahr vernichtet sein wird, dass nicht ein einziger überlebt und dass nach dem Tod keine Spur von ihm selbst übrig sein wird; was wird es während dieser Zeit tun? Wird es an seiner Besserung, seiner Belehrung arbeiten? Wird es sich Mühe geben, um am Leben zu bleiben? Wird es die Rechte, die Güter, das Leben des Nächsten respektieren? Wird es sich den Gesetzen unterwerfen, einer Autorität, welche immer es sei, selbst der recht mäßigsten: der väterlichen Autorität? Wird es für das Volk eine Pflicht irgend welcher Art geben? Sicherlich nicht! Nun denn, was nicht im Großen geschieht, verwirklicht die Lehre des Nichtglaubens jeden Tag im Kleinen.

Wenn die Folgen nicht so schlimm sind, wie sie es sein könnten, liegt dies zunächst daran, dass bei der Mehrzahl der Ungläubigen mehr Prahlerei als wahrhafter Unglaube vorherrscht, mehr Zweifel als Überzeugung, und dass sie mehr Furcht vor dem Nichts haben, als sie es zeigen wollen: die Bezeichnung eines starken Geistes zu führen, schmeichelt ihrer Eigenliebe; des Weiteren bilden die ganz Ungläubigen eine verschwindende Minderzahl; sie unterliegen wider Willen der Überlegenheit der gegenteiligen Meinung und wer den durch eine äußere Gewalt in Schranken gehalten. Aber wenn eines Ta ges der völlige Unglaube die Ansicht der Mehrheit wird, ist die Gesellschaft in Auflösung begriffen. Darauf zielt die Ausbreitung der Lehre des Nichtglaubens.

Ein 18-jähriger junger Mann litt an einer für unheilbar erklärten Herzkrankheit. Die Wissenschaft hatte gesagt: er kann in 8 Tagen sterben oder erst in 2 Jahren, aber darüber hinaus wird er nicht gelangen. Der junge Mann wusste das; sogleich unterließ er es, sich weiterzubilden und gab sich den Ausschweifungen jeder Art hin. Wenn man ihm vorhielt, wie sehr ein ungeregeltes Leben in seiner Lage gefährlich sei, antwortete er: Was liegt mir daran, da ich ja doch nur noch zwei Jahre zu leben habe! Was würde es nützen, meinen Geist anzustrengen? Ich genieße, soviel mir übrigbleibt und will mich vergnügen bis an mein Ende. Das ist die logische Folge des Nichtglaubens.

Wäre dieser junge Mann ein Spiritist gewesen, hätte er sich gesagt: Der Tod wird nur meinen Körper zerstören, den ich zurücklassen werde wie ein abgenutztes Kleid; aber mein Geist wird immer leben. Ich werde in meinem zukünftigen Leben sein, was ich in diesem hier aus mir gemacht habe. Nichts von dem, was ich darin an moralischen und geistigen Eigenschaften erwerben kann, wird verloren sein, denn es wird für meinen Fortschritt so viel gewonnen. Alle Unvollkommenheit, die ich ablege, ist ein weiterer Schritt zur Glückseligkeit; mein künftiges Glück oder Unglück hängt von dem Nutzen oder der Nutzlosigkeit meines gegenwärtigen Daseins ab. Es liegt also in meinem Interesse, das bisschen Zeit, das mir noch bleibt, zu nutzen und alles zu vermeiden, was meine Kräfte vermindern könnte. Welche von diesen beiden Lehren ist vorzuziehen?

Was auch die Folgerungen hieraus sein mögen, würde der Nichtglaube auf Wahrheit beruhen, müsste man sie akzeptieren, und es würden weder entgegengesetzte Lehrweisen noch der Gedanke an das Böse, das daraus entspringen würde, bewirken können, dass sie nicht vorhanden wären. Nun darf man nicht verschweigen, dass trotz der Anstrengungen der Religion Skepsis, Zweifel und Gleichgültigkeit mit jedem Tag an Boden gewinnen, das steht fest. Wenn die Religion dem Unglauben gegenüber machtlos ist, so deshalb, weil ihr etwas fehlt, um diesen zu bekämpfen, so dass sie unweigerlich innerhalb einer bestimmten Zeit über Bord geworfen würde, würde sie unbeweglich bleiben. Was in diesem Jahrhundert des Positivismus, wo man begreifen will, bevor man glaubt, fehlt, ist die Bestätigung dieser Lehren durch feststehende Tatsachen; es ist auch die Übereinstimmung gewisser Lehren mit den Grundlagen der Wissenschaft. Wenn sie sagt: 'weiß', und die Tatsachen sagen: 'schwarz', muss man zwischen dem Offenkundigen und dem blinden Glauben wählen.


4. Bei diesem Stand der Dinge kommt die Spiritistische Lehre und stellt dem Vordrängen des Unglaubens einen Damm entgegen, nicht nur durch Argumente, nicht bloß durch die Aussicht auf die Gefahren, die er nach sich zieht, sondern durch greifbare Tatsachen, indem sie die Seele und das zukünftige Leben durch Hände und Augen sichtbar macht.

Jeder ist zweifellos frei in seinem Glauben, er kann an 'etwas' glauben oder an 'nichts' glauben. Aber die, die versuchen, im Geist der Massen, vor allem der Jugend, die Verneinung der Zukunft vorherrschend werden zu lassen, und sich dabei auf das Ansehen ihres Wissens und den Einfluss ihrer Stellung stützen, pflanzen Keime der Verwirrung und Auflösung in die Gesellschaft und laden große Verantwortung auf sich.


5. Es gibt eine andere Lehre, die sich dagegen wehrt, materialistisch zu sein, weil sie die Existenz eines intelligenten Prinzips außerhalb der Materie anerkennt; das ist die Lehre der Aufnahme in das universelle Ganze. Nach dieser Lehre nimmt jedes Individuum bei seiner Geburt ein Teilchen dieses Prinzips auf, das dann seine Seele ausmacht und ihm Leben, Intelligenz und Gefühl gibt. Beim Tod kehrt diese Seele zu ihrem Ursprung zurück und verliert sich im Unendlichen, wie ein Wassertropfen im Ozean.

Diese Lehre ist ohne Zweifel ein Schritt vorwärts, über den reinen Materialismus hinaus, weil sie 'etwas' gelten lässt, während die andere 'nichts' gelten 27 lässt. Die Konsequenzen daraus sind aber genau dieselben. Ob der Mensch ins Nichts oder in das gemeinsame Reservoir getaucht ist, für ihn ist alles eins. Wenn er im ersten Fall vernichtet wird, so verliert er im zweiten seine Individualität. Es ist also, als ob er nicht existiert hätte; die gesellschaftlichen Beziehungen sind dennoch für immer zerbrochen. Das Wesentliche für ihn ist die Bewahrung seines Ichs: Ohne dieses – was liegt ihm da am Sein oder Nichtsein? Die Zukunft ist für ihn immer nichtig, und das gegenwärtige Leben ist das Einzige, was ihn interessiert und beschäftigt. Vom Gesichtspunkt der moralischen Folgen ist diese Lehre ebenso ungesund, ebenso hoffnungslos, ebenso den Egoismus erregend wie der eigentliche Materialismus.


6. Man kann außerdem Folgendes einwenden: Alle aus dem Ozean geschöpften Wassertropfen ähneln einander und haben identische Eigenschaften, als Teile ein und desselben Ganzen. Warum ähneln die Seelen einander so wenig, wenn sie aus dem großen Ozean des allgemeinen Prinzips geschaffen sind? Warum Genialität neben der Dummheit, die erhabensten Tugenden neben den schändlichsten Lastern? Güte, Sanftmut, Milde an der Seite der Bosheit, der Grausamkeit und der Unmenschlichkeit? Wie können die Teile eines gleichartigen Ganzen so unterschiedlich sein? Will man behaupten, es sei die Erziehung, die sie verändert? Aber woher kommen dann die angeborenen Eigenschaften, die frühreifen Einsichten, die guten und schlechten Triebe, unabhängig von jeder Erziehung und oft so wenig im Einklang mit der Umgebung, innerhalb derer sie sich entwickeln?

Ohne Zweifel verändert die Erziehung die geistigen und moralischen Eigenschaften der Seele, aber hier bietet sich eine andere Schwierigkeit: Wer gibt der Seele die Erziehung, um ihren Fortschritt zu bewirken? Andere Seelen, die durch ihren gemeinsamen Ursprung nicht weiter vorangeschritten sein können? Andererseits, wenn die Seele ins universelle Ganze zurückkehrt, von wo sie ausgegangen war, bringt sie, nachdem sie im Leben fortgeschritten ist, einen vollkommeneren Bestandteil dahin mit; woraus folgt, dass dieses Ganze mit der Zeit grundlegend verändert und verbessert werden muss. Wie kommt es, dass daraus unaufhörlich unwissende und verdorbene Seelen hervorgehen?


7. Bei dieser Lehre ist die universelle Quelle der Intelligenz, die die menschlichen Seelen liefert, von der Gottheit unabhängig und das ist nicht genau der Pantheismus. Der eigentliche Pantheismus unterscheidet sich von ihr darin, dass er das universelle Lebens- und Intelligenzprinzip als Gott selbst betrachtet. Gott ist da Geist und Materie zugleich; alle Wesen, alle Körper der Natur ergeben die Gottheit, deren bindende Moleküle und Elemente sie sind; Gott ist das Gesamte aller vereinigten Geistwesen; jedes Individuum, einen Teil des Ganzen bildend, ist selber Gott; kein höheres und unabhängiges Wesen befehligt das Gesamte; das Universum ist ein unermesslich großer Staat ohne Oberhaupt oder vielmehr, wo jeder mit unumschränkter Macht Oberhaupt ist.


8. Gegen diese Lehransicht kann man zahlreiche Einwände machen, von denen die wichtigsten diese sind: Göttlichkeit kann man sich nicht ohne unendliche Vollkommenheit vorstellen, und so fragt man sich, wie ein vollkommenes Ganzes aus so unvollkommenen Teilen bestehen kann, die Fortschritt brauchen. Da jedes Teil dem Gesetz des Fortschritts unterliegt, folgt daraus, dass Gott selbst fortschreiten muss. Wenn er unaufhörlich fortschreitet, müsste er am Ursprung der Zeit sehr unvollkommen gewesen sein. Wie hätte ein unvollkommenes, aus so unterschiedlichen Willen und Gedanken gebildetes Wesen, die so harmonischen Gesetze erschaffen können, die das Universum lenken? Wenn alle Seelen Teile der Gottheit sind, haben sie alle bei den Naturgesetzen mitgewirkt; wie kommt es dann, dass sie unaufhörlich gegen diese Gesetze aufbegehren, die ihr Werk sind? Eine Theorie kann nur als wahr angenommen werden, wenn sie die Vernunft befriedigt und allen Tatsachen Rechnung trägt, die sie umfasst. Wenn eine einzige Tatsache sie widerlegt, beruht sie eben nicht auf absoluter Wahrheit.


9. Vom moralischen Standpunkt aus gesehen, sind die Folgen genauso unlogisch. Zunächst sind das für die Seelen, wie in dem vorhergehenden System, das Aufgehen in einem Ganzen und der Verlust der Individualität. Wenn man entsprechend der Meinung einiger Anhänger des Pantheismus einräumt, dass sie ihre Individualität bewahren, dann hat Gott ja nicht mehr einen alleinigen Willen; er ist eine Zusammensetzung von unzähligen unterschiedlichen Willen. Des Weiteren, wenn jede Seele ein zugehöriger Teil der Gottheit ist, wird keine von einer höheren Macht beherrscht: Sie trägt folglich keine Verantwortung für ihre guten oder bösen Handlungen und hat kein Interesse, Gutes zu tun und kann ungestraft Böses tun, da sie unumschränkte Herrscherin ist.


10. Abgesehen davon, dass diese Systeme weder die Vernunft noch die sehnsüchtigen Erwartungen des Menschen zufriedenstellen, stößt man, wie man sieht, auf unüberwindbare Schwierigkeiten, weil sie nicht alle Tatsachenfragen lösen können, die sie aufwerfen. Der Mensch hat daher drei Alternativen: Das Nichts, das Aufgehen im Ganzen oder die Individualität der Seele vor und nach dem Tod. Zu der letzteren Ansicht führt uns die Logik mit unbesiegbarer Kraft; diese ist es auch, die die Grundlage aller Religionen gebildet hat, seit die Welt existiert.

Wenn die Logik uns zur Individualität der Seele führt, bringt sie uns auch zu jener anderen Folgerung, dass das Los jeder Seele von ihren persönlichen Eigenschaften abhängen muss. Denn es wäre unvernünftig anzunehmen, dass die zurückgebliebenen Seelen des unwissenden und des verdorbenen Menschen auf derselben Stufe stünde wie die des gelehrten und des guten Menschen. Entsprechend der Gerechtigkeit müssen die Seelen die Verantwortung für ihre Handlungen besitzen, aber um verantwortlich zu sein, müssen sie die Freiheit haben, zwischen Gut und Böse zu wählen. Ohne Willensfreiheit ist es nur Schicksal, und beim Schicksal könnte es keine Verantwortung geben.


11. Alle Religionen haben in gleicher Art das Prinzip von dem glücklichen oder unglücklichen Los der Seelen nach dem Tod anerkannt, mit anderen Worten: Von den künftigen Strafen und Freuden, die in der Lehre vom Himmel und von der Hölle zusammengefasst werden, die überall zu finden ist. Aber worin sich alle wesentlich unterscheiden ist die Art und Weise dieser Strafen und Freuden und vor allem die Bedingungen, die die einen und die anderen verdienen. Daher kommen die widersprüchlichen Glaubensauffassungen, die die verschiedenen Arten der Gottesverehrung hervorbrachten und die besonderen, durch jede von ihnen auferlegten Pflichten, Gott zu ehren und hierdurch den Himmel zu erreichen und die Hölle zu vermeiden.


12. Alle Religionen müssen sich bei ihrem Ursprung auf den Grad der moralischen und geistigen Entwicklung der Menschen beziehen. Diejenigen, die noch zu materiell eingestellt waren, um den Wert rein spiritueller Dinge zu verstehen, haben die meisten religiösen Pflichten in der Ausführung äußerer Formen bestehen lassen. Eine Zeit lang haben diese Formen ihrer Vernunft genügt. Später, wenn in ihnen ein Licht aufgeht, empfinden sie die Leere, 30 die diese Formen zurücklassen, und wenn die Religion diese nicht ausfüllt, verlassen sie den Glauben und werden Philosophen.


13. Wäre die Religion, die im Prinzip den beschränkten Kenntnissen der Menschen angepasst war, immer der Fortschrittsbewegung des menschlichen Geistes gefolgt, gäbe es keine Ungläubigen, weil das Bedürfnis, einen Glauben zu haben, in der Natur des Menschen liegt, und er wird glauben, wenn man ihm eine geistige Nahrung gibt, die im Einklang mit seinen intellektuellen Bedürfnissen steht. Er will wissen, woher er kommt und wohin er geht. Wenn man ihm ein Ziel zeigt, das weder seinen Sehnsüchten noch der Vorstellung, die er sich von Gott macht, entspricht, noch den Beweisen, die ihm die Wissenschaft liefert; wenn man ihm außerdem zum Erreichen des Zieles Bedingungen auferlegt, deren Nutzen ihm seine Vernunft nicht zeigt, weist er das Ganze zurück. Der Materialismus und der Pantheismus scheinen ihm da noch vernünftiger, weil man da diskutiert und argumentiert. Man argumentiert zwar falsch, aber es ist ihm lieber, falsch zu argumentieren, als gar nicht.

Aber bietet man ihm eine Zukunft unter logischen Bedingungen, eine, die in jeder Hinsicht der Größe, der Gerechtigkeit und der unendlichen Güte Gottes würdig ist, und er wird den Materialismus und den Pantheismus verlassen, deren Leere er in seinem Innersten fühlt, und die er nur aus Mangel eines Besseren angenommen hatte. Der Spiritismus gibt mehr; deshalb wird er von all denen mit Eifer begrüßt, die von der schmerzlichen Ungewissheit des Zweifels gequält werden und die weder in den Glaubensvorstellungen noch in den allgemeinen Philosophien finden, was sie suchen. Der Spiritismus hat die Logik des Verstandes und die Bestätigung der Tatsache für sich, deshalb hat man ihn vergebens bekämpft.


14. Der Mensch glaubt instinktiv an die Zukunft. Da er aber bis heute keine sichere Grundlage hat, um sie genau zu erklären, hat seine Einbildungskraft die Systeme entstehen lassen, die die Unterschiede in den Glaubensvorstellungen hervorgebracht haben. Die spiritistische Lehre über die Zukunft ist dagegen keineswegs ein Werk mehr oder weniger geistreicher Einbildung, sondern das Ergebnis der Beobachtung materieller Tatsachen, die sich heutzutage vor unseren Augen abspielen, und so wird sie, wie sie es schon jetzt 31 tut, die voneinander abweichenden oder schwankenden Meinungen vereinen und nach und nach durch die Kraft der Tatsachen die Einheit im Glauben in diesem Punkt herbeiführen. Einem Glauben, der nicht mehr auf einer bloßen Vermutung, sondern auf einer Gewissheit beruhen wird. Die Vereinheitlichung darin, was das künftige Schicksal der Seelen angeht, wird der erste Punkt der Annäherung zwischen den verschiedenen Gottesverehrungen sein, ein gewaltiger Schritt erst in Richtung religiöser Toleranz und später in Richtung Vereinigung.



Kapitel II - Die Furcht vor dem Tod

Ursachen der Furcht vor dem Tod

1. Der Mensch, zu welcher Stufe der Entwicklung er auch gehören mag, hat seit dem Zustand der frühen Urzeit ein angeborenes Gefühl von einem zukünftigen Leben. Eine innere Stimme sagt ihm, dass der Tod nicht das Ende der Existenz ist und dass diejenigen, die wir betrauern, nicht endgültig verloren sind. Der Glaube an die Zukunft beruht auf Intuition und ist weitaus verbreiteter als der Glaube an das “Nichts”. Woher kommt es dann, dass jene, die an die Unsterblichkeit der Seele glauben, immer noch so sehr mit den irdischen Dingen verbunden sind und eine so große Furcht vor dem Tod haben?


2. Die Angst vor dem Tod wird von der Weisheit der Vorsehung bewirkt und ist eine Folge des Selbsterhaltungstriebs aller Lebewesen. Sie ist notwendig, solange der Mensch über die Umstände des zukünftigen Lebens unzureichend aufgeklärt ist, als Gegengewicht für den Impuls, der uns ohne diesen Zügel dazu bringen würde, das irdische Leben vorzeitig zu verlassen und die zu verrichtende Arbeit auf Erden zu vernachlässigen, die unserem eigenen Fortschritt dienen soll.

Das ist der Grund, warum bei den Urvölkern dieses zukünftige Leben nur eine vage Intuition ist, die dann später zu einer einfachen Hoffnung und schließlich zur Gewissheit wird, aber immer noch durch ein instinktives Festhalten an dem körperlichen Leben getrübt ist.


3. In dem Maße, wie der Mensch das zukünftige Leben besser versteht, verringert sich seine Furcht vor dem Tod. Aber gleichzeitig, wenn er seine Aufgabe auf Erden besser erkennt, erwartet er sein Ende mit mehr Ruhe, Ergebenheit und ohne Angst. Die Gewissheit des zukünftigen Lebens gibt seinen Gedanken eine andere Richtung und seinen Arbeiten einen anderen Sinn. Bevor er diese Gewissheit erlangt hat, arbeitet er nur für das gegenwärtige Leben; mit dieser Gewissheit arbeitet er mit dem Blick auf die Zukunft, ohne die Gegenwart zu vernachlässigen, weil er weiß, dass seine Zukunft von der mehr oder weniger guten Richtung abhängt, die er der Gegenwart gibt. Die Gewissheit, nach dem Tod seine Freunde wiederzutreffen, die Beziehungen, die er auf der Erde gehabt hat, fortzusetzen, die Früchte keiner Arbeit zu verlieren, stets an Einsicht und Verbesserung zu wachsen, gibt ihm Geduld zu warten und Mut, die vorübergehenden Beschwerden des irdischen Lebens zu ertragen. Die Solidarität, die er zwischen den Toten und Lebenden entstehen sieht, lässt ihn jene verstehen, die unter den Lebenden bestehen sollte. Die Brüderlichkeit hat so ihre Daseinsberechtigung und die Nächstenliebe einen Sinn in der Gegenwart und Zukunft.


4. Um sich von der Angst vor dem Tod zu befreien, muss man sie aus dem richtigen Blickwinkel betrachten können, d.h. man muss gedanklich in die geistige Welt eingedrungen sein und sich von ihr eine so genaue Vorstellung wie möglich gebildet haben, was bei dem inkarnierten Geist eine gewisse Entwicklung und eine bestimmte Fähigkeit offenbart, sich vom Materiellen zu lösen. Unter denen, die noch nicht weit genug fortgeschritten sind, hat das physische Leben noch Vorrang vor dem spirituellen.

Der im Materiellen behaftete Mensch sieht das Leben nur im Körper, während das wirkliche Leben in der Seele liegt. Ist der Körper des Lebens beraubt, so ist in seinen Augen alles verloren und er gibt jede Hoffnung auf. Wenn er seine Gedanken nicht auf das äußere Gewand konzentrierte, sondern auf die eigentliche Quelle des Lebens, auf die Seele, die das alles überlebende wirkliche Wesen ist, würde er dem Verlust des Körpers, einer Quelle von so viel Elend und Schmerz, weniger nachtrauern; aber dazu braucht der Mensch eine Kraft, die der Geist erst mit der Reife entwickelt.

Die Furcht vor dem Tod ist also verbunden mit unzureichenden Vorstellungen über das zukünftige Leben. Sie deutet auf das Bedürfnis zu leben hin, 35 und die Angst, dass die Zerstörung des Körpers das Ende von allem sein könnte, wird also getragen von dem geheimen Wunsch, dass die Seele ihn überleben möge, wenn auch teilweise verborgen unter dem Schleier der Ungewissheit.

Diese Furcht nimmt in dem Maße ab, wie sich Gewissheit bildet und verschwindet ganz, wenn diese vollständig ist.

Hier zeigt sich die Weisheit der Vorsehung. Es war weise, den Menschen nicht zu blenden, dessen Vernunft noch nicht stark genug war. Die Verführungen einer zu früh mitgeteilten Gewissheit hätten ihn dazu gebracht, sein gegenwärtiges Leben zu vernachlässigen, das so notwendig für seinen körperlichen und moralischen Fortschritt ist.


5. Diese Sachlage wird auch durch rein menschliche Ursachen aufrechterhalten und verlängert, die mit seinem Fortschritt verschwinden werden. Die erste ist der Aspekt, unter dem bisher das zukünftige Leben dargestellt wurde, eine Ansicht, die einer weniger fortgeschrittenen Intelligenz genügen könnte, jedoch die Anforderungen der Vernunft nachdenkender Menschen nicht zu befriedigen vermag. So sagen sie sich, wenn man uns Lehrmeinungen als absolute Wahrheiten präsentiert, die der Logik und den bewiesenen Tatsachen der Wissenschaft widersprechen, zeigt sich, dass es keine Wahrheiten sind. Daher herrscht bei einigen der Unglaube und bei einer großen Zahl ein mit Zweifeln untermischter Glaube. Das zukünftige Leben ist für sie nur ein vager Begriff, mehr eine Wahrscheinlichkeit als eine absolute Gewissheit. Sie glauben daran, wünschen sich, dass es so wäre, und entgegen ihrem eigenen Willen sagen sie sich: Was aber, wenn es nicht so ist? Über unsere Gegenwart haben wir Gewissheit, beschäftigen wir uns also zuerst mit ihr. Die Zukunft ergibt sich ja ohnehin ganz von selbst.

Und dann, so fragen sie sich weiter: Was ist denn eigentlich die Seele? Ist sie ein Punkt, ein Atom, ein Funke, eine Flamme? Wie fühlt sie? Wie sieht sie? Wie nimmt sie wahr? Die Seele besitzt für sie keine wirkliche Realität, sie ist nur eine Abstraktion. Die Menschen, die ihnen am Herzen liegen, in ihren Vorstellungen auf den Stand von Atomen reduziert, sind für sie sozusagen verloren und haben in ihren Augen nicht mehr die Eigenschaften, die sie für sie einst liebenswert machten. Sie begreifen weder die Liebe von einem Funken noch, dass man Liebe für einen solchen haben kann, und sind 36 nur wenig befriedigt, selbst in „Monaden“ (Grundelemente) umgewandelt zu werden. Daher die Rückkehr zum Positivismus des irdischen Lebens, das für sie etwas Greifbares hat. Die Zahl derer, die von solchen Erwägungen beeinflusst werden, ist sehr groß.


6. Ein anderer Grund für das Festhalten an den irdischen Dingen, sogar für diejenigen, die fest an das zukünftige Leben glauben, kommt von dem Eindruck, den sie aus dem Unterricht bewahren, den sie in ihrer Kindheit erhalten haben.

Das Bild, das die Religion vom Leben nach dem Tod beschreibt, ist – das muss man zugeben – weder sehr verführerisch noch besonders tröstlich. Auf der einen Seite erblickt man dort die verzerrten Grimassen der Verdammten, die in endlosen Qualen und Flammen ihre Verirrungen des Augenblicks sühnen. Für sie folgen die Jahrhunderte aufeinander, ohne Hoffnung auf Linderung oder Mitleid und, was noch erbarmungsloser ist, für die alle Reue ohne Wirkung bleibt. Auf der anderen Seite sieht man die unter der Last ihrer Leiden gequälten Seelen des Fegefeuers, die auf ihre Befreiung hoffen, durch den guten Willen der Lebenden, die für sie beten oder beten lassen, und nicht aufgrund ihrer eigenen Anstrengungen zur Weiterentwicklung. Diese zwei Gattungen machen die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung der anderen Welt aus. Darüber schwebt die sehr begrenzte Anzahl der Erwählten, die für die Ewigkeit eine beschauliche Glückseligkeit genießen. Diese ewige Nutzlosigkeit, die ohne Zweifel dem Nichts vorzuziehen ist, ist nicht weniger als eine überdrüssige Eintönigkeit. Auch sieht man in den Malereien, die die Seligen darstellen, Engelsgestalten, die eher Langeweile als wirkliches Glück ausstrahlen.

Dieser Zustand befriedigt weder Sehnsüchte noch die instinktive Vorstellung vom Fortschritt, die als einzige mit der reinen Freude verträglich erscheint. Man hat Mühe zu begreifen, wie der unwissende Urmensch, mit stumpfem Moralgefühl, allein dadurch, dass er die Taufe empfangen hat, auf gleicher Höhe stehen soll mit jemanden, der durch lange Jahre harter Arbeit zur höchsten Stufe des Wissens und der praktizierenden Moral gelangt ist. Es ist noch weniger begreiflich, dass ein in jungem Alter verstorbenes Kind, ehe es das Bewusstsein seiner selbst und seiner Handlungen hatte, die gleichen Vorrechte genießen soll, durch die bloße Tatsache einer feierlichen Handlung, an der sein Wille keinen Anteil hatte. Diese Gedanken hören nicht auf, die leidenschaftlichen Anhänger zu beschäftigen, auch wenn diese nicht wirklich darüber nachdenken.


7. Die Arbeit für den Fortschritt, die man auf der Erde vollbringt, soll ohne Wert für das zukünftige Glück sein. Die Leichtigkeit, mit der man glaubt, dieses Glück durch wenige äußerliche Handlungen zu erwerben, die Möglichkeit, es sogar für Geld zu kaufen, ohne ernsthafte Veränderung der Gesinnung und der Gewohnheiten, nehmen den Annehmlichkeiten der Welt ihren ganzen Wert. Mehr als ein Gläubiger sagt sich in seinem Innersten, dass seine Zukunft durch die Erfüllung gewisser Äußerlichkeiten gesichert ist oder auch durch Gaben nach seinem Tod, die ihn nichts kosten. Dadurch würde es überflüssig sein, sich irgendwelche Opfer oder Zwänge zum Vorteil anderer aufzuerlegen, wo doch jeder sein Heil erlangen kann, wenn er für sich allein arbeitet.

Sicherlich ist das nicht die Denkweise aller, da es große und schöne Ausnahmen gibt. Aber man kann nicht verhehlen, dass es die Mehrzahl ist, besonders der wenig aufgeklärten Massen, und dass die Vorstellung, die man sich darüber macht, wie man in der anderen Welt glücklich wird, und das Festhalten an den irdischen Gütern folglich den Egoismus fördern.


8. Fügen wir dem hinzu, dass alles an den kirchlichen Ritualen dabei mithilft, den Verlust des irdischen Lebens zu bedauern und sich vor dem Übergang von der Erde zum Himmel zu fürchten. Der Tod ist nur von düsteren Trauerfeierlichkeiten umgeben, die mehr Angst als Hoffnung hervorrufen. Wenn man den Tod darstellt, dann ist es immer unter einem abstoßenden Gesichtspunkt und nie in Form eines Schlafes für einen Übergang. All diese Sinnbilder halten die Sicht an der Zerstörung des Körpers wach und zeigen ihn als ein hässliches Skelett. Keines versinnbildlicht die Seele, die sich strahlend von ihren irdischen Banden löst. Der Übergang zu jener glücklicheren Welt ist nur von den Klagen der Überlebenden begleitet, als ob denen, die dahinscheiden, das größte Unglück widerfahren würde. Man sagt ihnen ein ewiges Lebewohl, als ob man sie niemals wiedersehen würde. Was man für sie bedauert, sind die fehlenden Freuden des Lebens auf der Erde, als ob sie keine größeren finden könnten. Was für ein Unglück, sagt man, zu sterben, wenn man jung, reich und glücklich ist und eine glänzende Zukunft vor sich hat! Die Vorstellung eines glücklicheren Lebens kommt ihnen kaum in den Sinn, weil sie dort keine Wurzeln hat. Alles trägt also dazu bei, Angst vor dem Tod einzuflößen, statt Hoffnung aufkeimen zu lassen. Der Mensch wird ohne Zweifel lange brauchen, bis er sich von diesen Vorurteilen frei macht. Aber er wird in dem Maße dahin gelangen, wie sein Glaube stärker wird und er sich eine gesündere Vorstellung vom geistigen Leben machen wird.


9. Der gewöhnliche Glaube versetzt die Seelen außerdem in Bereiche, die dem Gedanken kaum zugänglich sind, wo sie in gewisser Art den Hinterbliebenen fremd werden. Die Kirche selbst setzt zwischen ihnen und letzteren die unüberwindliche Barriere. Sie erklärt, dass alle Beziehungen abgebrochen werden und jegliche weitere Kommunikation unmöglich bleibt. Wenn sie in der Hölle sind, so ist alle Hoffnung für immer verloren, sie je wieder zu sehen, sofern man nicht selbst dorthin gelangt. Wenn sie unter den Auserwählten sind, dann sind sie von ihrer kontemplativen Glückseligkeit völlig in Anspruch genommen. All das baut zwischen den Toten und den Lebenden eine solche Distanz auf, dass man die Trennung als ewig ansieht. Deshalb zieht man es sogar vor, dass man die Menschen, die man liebt, lieber leidend bei sich auf der Erde hat, als sie sterben zu sehen und wären sie dadurch auch im Himmel. Und ist dann die Seele, die im Himmel ist, wirklich glücklich darüber, ihren Sohn, ihren Vater, ihre Mutter oder ihre Freunde auf ewig in der Hölle brennen zu sehen?



Warum Spiritisten den Tod nicht fürchten

10. Die spiritistische Lehre verändert völlig die Art, die Zukunft zu betrachten. Das zukünftige Leben ist keine Vermutung mehr, sondern eine Wirklichkeit, und der Zustand der Seelen nach dem Tod ist keine Lehrmeinung mehr, sondern ein Ergebnis von Beobachtungen. Der Schleier ist abgelegt, die geistige Welt erscheint uns in ihrer ganzen realen Wirklichkeit. Nicht die Menschen haben sie durch die Mühe einer geistreichen Planung und Auffassung entdeckt, sondern die Bewohner jener Welt selbst sind es, die erscheinen und uns ihre Lage beschreiben. Da sehen wir sie auf allen Stufen der geistigen Leiter, in allen Formen des Glücks und des Unglücks. Wir wohnen allen Entwicklungen des Lebens jenseits des Grabes bei. Darin liegt für die Spiritisten die Ursache jener Gelassenheit, mit der sie dem Tod ins Auge blicken, der Gemütsruhe ihrer letzten genossenen Augenblicke auf der Erde. Was sie aufrecht hält, ist nicht nur Hoffnung, das ist die Gewissheit. Sie wissen, dass das zukünftige Leben nur die Fortsetzung des jetzigen unter besseren Bedingungen ist, und sie erwarten es mit derselben Zuversicht, wie sie den Sonnenaufgang nach einer Gewitternacht erwarten. Die Gründe für diese Zuversicht liegen in den Beweisen, derer Zeugen sie sind, und im Einklang dieser Tatsachen mit der Logik, der Gerechtigkeit und der Güte Gottes sowie der innersten Sehnsucht des Menschen.

Für die Spiritisten ist die Seele keine Abstraktion mehr. Sie hat einen ätherischen Körper, der aus ihr ein eigenständiges Wesen macht, das der Gedanke umfasst und begreift. Das ist schon viel, um die Gedanken auf ihre Individualität, ihre Fähigkeiten und Wahrnehmungen zu lenken. Das Andenken an diejenigen, die uns am Herzen liegen, beruht auf etwas Realem. Man stellt sie sich nicht mehr als flüchtige Strahlen vor, die in ihren Gedanken nichts erinnern, sondern mit konkreter Form, die sie uns als lebende Wesen begreifbar macht. Dann sind sie unter uns, anstatt in den Tiefen des Raumes verloren zu sein. Die körperliche und geistige Welt steht in beständigen Wechselbeziehungen und unterstützen einander gegenseitig. Da nun ein Zweifel an der Zukunft nicht mehr begründet ist, hat die Furcht vor dem Tod keinen Grund und keine Daseinsberechtigung mehr. Man sieht ihn gelassen kommen, als eine Befreiung, als die Pforte des Lebens und nicht als die des „Nichts“.




Kapitel III - Der Himmel

1. Das Wort "Himmel” wird im Allgemeinen für den unbegrenzten Raum gebraucht, welcher die Erde umgibt, und im Besonderen für den Teil des Raumes, welcher über unserem Horizont liegt. Es kommt aus dem Lateinischen "coelum", gebildet vom griechischen "koilos", hohl, hohlrund, weil der Himmel den Augen als eine ungeheure runde Höhlung erscheint. Die Alten glaubten an das Dasein mehrerer übereinander gelagerter Himmel, die aus einem festen, durchscheinenden Stoff bestünden und ineinander liegende Kugeln bildeten, deren gemeinsamer Mittelpunkt die Erde sei. Diese sich um die Erde drehenden Kugeln zögen die Gestirne in ihrem Umkreis mit sich fort.

Diese Vorstellung, die aus den unzureichenden astronomischen Kenntnissen herrührte, war die Grundlage aller Götterentstehungslehren, die aus den so aufsteigenden Himmeln die verschiedenen Stufen der Seligkeit machten; der letzte war der Aufenthaltsort der höchsten Glückseligkeit. Nach der gängigsten Meinung gab es deren sieben; daher der Ausdruck: "im siebten Himmel sein", der ein vollkommenes Glück bezeichnen soll. Die Moslems nehmen neun an, mit zunehmender Glückseligkeit der Gläubigen in jedem von ihnen. Der Astronom Ptolemäus (lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. in Alexandria, Ägypten) zählte elf; deren letzter "Empyräum" (aus dem griechischen “pür” oder “pyr” für Feuer) hieß, wegen des strahlenden Lichtes, das dort herrscht. Das ist noch heute der dichterische Name für den Ort der ewigen Herrlichkeit. Die christliche Theologie erkennt drei Himmel an. Der erste ist die Region der Luft und der Wolken; der zweite ist der Raum, in dem sich die Gestirne bewegen; der dritte, jenseits der Region der Gestirne, ist die Wohnung des Höchsten, der Aufenthaltsort der Erwählten, welche Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Entsprechend dieser Glaubensvorstellung sagt man, der heilige Paulus sei in den dritten Himmel entrückt worden.


2. Die verschiedenen, den Aufenthalt der Seligen betreffenden Lehren beruhen alle auf dem zweifachen Irrtum, dass die Erde der Mittelpunkt des Weltalls und das Gebiet der Sterne begrenzt sei. Jenseits dieser erdachten Grenze haben alle jenen beglückten Aufenthalt und die Wohnung des Allmächtigen hin verlegt. Eine einzigartige Anomalie, die den Urheber aller Dinge, den, der sie alle regiert, an die Grenzen der Schöpfung stellt anstatt in den Mittelpunkt, von dem aus das Ausstrahlen seines Gedankens sich auf alles erstrecken könnte!


3. Die Wissenschaft hat, mit der unerbittlichen Logik der Tatsachen und der Beobachtung, ihre Fackel bis hinein in die Tiefen des Raumes getragen und das Nichts aller dieser Theorien aufgezeigt. Die Erde ist nicht mehr der Mittelpunkt des Weltalls, sondern einer der kleinsten Planeten, die im Weltraum kreisen. Die Sonne selbst ist nur der Mittelpunkt eines Wirbels von Planeten. Die Fixsterne sind zahllose Sonnen, um die zahllose Welten kreisen, getrennt durch Entfernungen, die unserem Denken kaum zugänglich sind, obgleich es uns scheint, als berührten sie einander. In diesem Ganzen, das mittels ewiger Gesetze gelenkt wird, in denen sich die Weisheit und Allmacht des Schöpfers offenbaren, erscheint die Erde nur als ein unmerklicher Punkt und als einer für die Bewohnbarkeit am wenigsten begünstigten. Aus diesem Grund fragt man sich, warum Gott daraus den einzigen Sitz des Lebens gemacht und seine Lieblingsgeschöpfe dorthin verbannt haben sollte. Im Gegenteil, alles verkündet, dass das Leben überall ist, dass die Menschheit unendlich ist wie das Universum. Da die Wissenschaft uns der Erde ähnliche Welten enthüllt, so konnte Gott dieselben nicht zwecklos erschaffen haben; er hat sie mit Wesen bevölkern müssen, die fähig sind, dieselben zu beherrschen.


4. Die Ideen des Menschen stehen im Verhältnis zu dem, was er weiß. Wie alle wichtigen Entdeckungen, so hat die der Anordnung der Welten ihnen einen anderen Kurs geben müssen. Unter der Herrschaft dieser neuen Kenntnisse haben sich die Glaubensvorstellungen wandeln müssen. Der Himmel ist verlegt worden. Die Region der Sterne, unbegrenzt wie sie ist, kann ihnen nicht mehr als solche dienen. Wo ist er? Angesichts dieser Frage bleiben alle Religionen stumm.

Der Spiritismus kommt und löst sie, indem er die wahre Bestimmung des Menschen aufzeigt. Wenn man die Natur dieses letzteren und die Eigenschaften Gottes als Ausgangspunkt nimmt, gelangt man zu Schlüssen; d.h. ausgehend vom Bekannten gelangt man zum Unbekannten durch logische Beweisführung, gar nicht zu reden von den unmittelbaren Beobachtungen, die die Spiritistische Lehre erlaubt.


5. Der Mensch ist aus Körper und Geist zusammengesetzt. Der Geist ist das grundlegende Wesen, Vernunftwesen, intelligente Wesen. Der Körper ist die materielle Hülle, in die der Geist sich zeitweise kleidet, um seine Aufgabe auf Erden zu erfüllen und die für sein Vorwärtskommen nötige Arbeit auszuführen. Der Körper nutzt sich ab und der Geist überlebt diese Zerstörung. Ohne den Geist ist der Körper nur eine träge Materie, wie ein Werkzeug, dem der Arm beraubt ist, der es in Tätigkeit setzt. Ohne den Körper ist der Geist alles: Leben und Intelligenz, der Träger und Ursache von beiden. Beim Verlassen des Körpers kehrt er in die spirituelle Welt zurück, von der er ausgegangen war, um sich zu inkarnieren.

Es gibt also eine körperliche Welt, die sich zusammensetzt aus inkarnierten Geistern, und eine spirituelle Welt, gebildet aus desinkarnierten Geistern. Die Wesen der körperlichen Welt sind, eben durch das Bestehen ihrer materiellen Hülle, an die Erde oder an irgendeine Weltkugel gebunden. Die Geisterwelt ist überall, um uns herum und im Raum; ihr ist keine Grenze zugewiesen. Entsprechend der fluidischen Natur ihrer Hülle durchschreiten die Wesen, die sie bilden, statt sich mühsam über den Boden zu schleppen, mit der Schnelligkeit des Gedankens die Entfernungen. Der Tod des Körpers ist der Bruch der Bande, die die Wesen gefangen hielten.


6. Die Geister sind einfach und unwissend erschaffen, aber mit der Fähigkeit, alles zu erwerben und fortzuschreiten, Kraft ihres freien Willens. Durch den Fortschritt erlangen sie neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Wahrnehmungen und infolgedessen neue Freuden, die den niederen Geistern unbekannt sind. Sie sehen, hören, fühlen und begreifen das, was die zurückgebliebenen Geister weder sehen noch hören, fühlen oder begreifen können. Das Glück entspricht dem erzielten Fortschritt, so dass von zwei Geistern der eine nicht ebenso glücklich sein kann, wie der andere, einzig darum, weil er nicht ebenso geistig und moralisch vorangeschritten ist, ohne dass jeder an einem anderen Ort sein müsste. Obwohl sie an der Seite des anderen stehen, kann der eine in Finsternis sein, während um den anderen alles in strahlendem Glanze steht, ganz wie bei einem Blinden und einem Sehenden, die einander die Hand reichen. Der eine nimmt das Licht wahr, das auf seinen Nachbarn keinerlei Eindruck macht. Da das Glück der Geister den Eigenschaften innewohnt, die sie besitzen, so schöpfen sie es überall, wo sie es finden, auf der Oberfläche der Erde, inmitten der Inkarnierten oder im Raum.

Ein gewöhnlicher Vergleich wird diese Situation noch verständlicher machen. Wenn sich in einem Konzert zwei Menschen finden, der eine ein guter Musiker mit geübtem Ohr, der andere ohne Kenntnis der Musik und mit einem wenig feinfühligen Gehörsinn, so empfindet ersterer ein Gefühl von Glück, während der zweite unempfindlich bleibt, weil der eine erfasst und begreift, was auf den anderen keinerlei Eindruck macht. So verhält es sich mit allen Freuden der Geister; sie stehen im Verhältnis zu der Fähigkeit, diese zu empfinden. Die spirituelle Welt besitzt überall einen Strahlenglanz, Harmonien und Empfindungen, die niedere Geister, noch dem Einfluss der Materie unterworfen, kaum entfernt wahrnehmen und die nur den gereinigten Geistern zugänglich sind.


7. Der Fortschritt bei den Geistern ist die Frucht ihrer eigenen Arbeit; aber da sie frei sind, arbeiten sie an ihrem Fortschritt mit mehr oder weniger Aktivität oder Nachlässigkeit, je nach ihrem Willen. Sie beschleunigen oder verzögern so ihren Fortschritt und folglich ihr Glück. Während die einen rasch voranschreiten, verharren andere lange Jahrhunderte hindurch in den niederen Reihen. Sie sind also die eigentlichen Verursacher ihrer glücklichen oder unglücklichen Lage, entsprechend dem Wort Christi: "Jedem nach seinen Werken." Jeder Geist, der zurückbleibt, kann sich deshalb nur selbst die Schuld geben, so wie der, der voranschreitet, den ganzen Verdienst hat. Das Glück, das er erlangt hat, hat nur umso mehr Wert in seinen Augen.

Das höchste Glück ist nur das Erbteil der vollkommenen Geister, mit anderen Worten der reinen Geister. Sie erreichen dieses nur, wenn sie an Intelligenz und Moral fortgeschritten sind. Intellektueller und moralischer Fortschritt gehen selten nebeneinander. Aber was der Geist nicht in einer Zeit tut, das tut er in einer anderen, so dass die beiden Fortschritte mit Erreichen derselben Ebene enden. Das ist der Grund, weshalb man oft intelligente und gebildete Menschen sieht, die in moralischer Hinsicht sehr wenig vorwärtsgekommen sind, und umgekehrt.


8. Die Inkarnation ist notwendig für den doppelten, also den moralischen und den intellektuellen Fortschritt des Geistes: Für den intellektuellen Fortschritt durch die Tätigkeit, zu deren Entfaltung er bei der Arbeit gezwungen ist; zum moralischen Fortschritt, weil die Menschen einander brauchen. Das gesellschaftliche Leben ist der Prüfstein für die guten und die schlechten Eigenschaften. Güte, Bosheit, Sanftmut, Gewalttätigkeit, Wohlwollen, barmherzige Liebe, Egoismus, Geiz, Hochmut, Demut, Aufrichtigkeit, Stolz, Treulosigkeit, Heuchelei, mit einem Wort alles, was den guten oder den verdorbenen Menschen ausmacht, hat als Beweggrund, als Zweck und als Ansporn die Beziehungen des Menschen zu seinesgleichen. Für den Menschen, der allein leben würde, gäbe es weder Laster noch Tugenden. Wenn er sich durch Isolation vor dem Bösen schützt, vernichtet er das Gute.


9. Eine einzige körperliche Existenz ist offenbar unzureichend dafür, dass der Geist all das erwerben kann, was ihm an Gutem noch fehlt, und sich von allem befreien, was noch Schlechtes in ihm ist. Könnte z.B. der Urmensch in einer einzigen Inkarnation die moralische und intellektuelle Bildungsstufe der fortgeschrittensten Zivilisation erreichen? Das ist sachlich unmöglich. Soll er also ewig in Unwissenheit und Rohheit verbleiben, der Freuden beraubt, die nur die Entwicklung der Fähigkeiten verschaffen kann? Der einfache, gesunde Menschenverstand weist eine solche Annahme ab. Sie würde zugleich die Verneinung der Gerechtigkeit und der Güte Gottes sein als auch des Fortschrittsgesetzes für alle Wesen. Darum eben bewilligt Gott, der im höchsten Maße gerecht und gut ist, dem Geist des Menschen so viele Existenzen, wie zum Erlangen des Zieles, das die Vollkommenheit ist, notwendig sind.

In jeder neuen Existenz bringt der Geist mit, was er in der vorhergehenden an Fähigkeiten, an Kenntnissen, innerer Anschauung, an Intelligenz und Moral erworben hat. Jede Existenz ist daher ein Schritt nach vorn auf dem Wege des Fortschritts. (Siehe Kap. 1, Nr. 3.)

Die Inkarnation resultiert aus der Niedrigkeit der Geister; sie ist für die nicht mehr notwendig, die deren Grenze überschritten haben und im geistigen Zustand fortschreiten oder in den körperlichen Existenzen der höheren Welten stehen, die von irdischer Materie nichts mehr an sich tragen. Von ihrer Seite ist sie freiwillig und geschieht in der Absicht, auf die Inkarnierten eine unmittelbarere Wirkung auszuüben, um ihre Mission zu erfüllen, mit der sie betraut worden sind. Sie nehmen die damit verbundenen Wechselfälle und Leiden mit Hingabe auf sich.


10. In den Zeiten zwischen den körperlichen Existenzen kehrt der Geist eine mehr oder weniger lange Zeit in die geistige Welt zurück, in der er glücklich oder unglücklich ist, je nach dem Guten oder dem Bösen, das er getan hat. Der geistige Zustand ist der normale Zustand des Geistes, weil das ja sein endgültiger sein soll und weil der spirituelle Körper nicht stirbt. Der körperliche Zustand ist nur vorübergehend und vergänglich. Vor allem im geistigen Zustand sammelt er die Früchte des Fortschritts, den er durch seine Arbeit in der Inkarnation vollbracht hat. Da bereitet er sich auch auf neue Kämpfe vor und fasst die Entschlüsse, um deren Ausführung er sich bei seiner Rückkehr in das Menschendasein bemüht.

Der Geist schreitet auch während des Herumwanderns fort. Er schöpft da neue Kenntnisse, die er auf Erden nicht erwerben konnte. Seine Begriffe modifizieren sich dort. Der körperliche und der geistige Zustand sind für ihn die Quelle zweier Arten von Fortschritt, die unauflöslich zusammengehören, deshalb geht er abwechselnd durch diese beiden Formen der Existenz.


11. Die Reinkarnation kann auf Erden oder in anderen Welten stattfinden. Unter den Welten gibt es solche, die weiter fortgeschritten sind als die anderen und wo das Dasein sich unter weniger schmerzvollen Bedingungen vollzieht als auf der Erde und zwar physisch wie moralisch; wo aber nur solche Geister Zutritt finden, die auf einer Stufe der Vollkommenheit angelangt sind, die dem Zustand dieser Welten entsprechen.

Das Leben in den höheren Welten ist an sich schon eine Belohnung, denn man ist dort frei von den Leiden und Wechselfällen, denen man hier auf Erden ausgesetzt ist. Die weniger grobstofflichen, beinahe fluidischen Körper sind dort weder Krankheiten noch Gebrechen noch denselben Bedürfnissen unterworfen. Da die niederen Geister davon ausgeschlossen sind, leben die Menschen dort in Frieden, ohne jede Sorge, außer der, durch die Arbeit der Intelligenz fortzuschreiten. Da herrscht die wahre Brüderlichkeit, weil es keine Selbstsucht gibt, die wahre Gleichheit, weil es keinen Hochmut gibt, die wahre Freiheit, weil es keine Unordnungen zu beseitigen gibt, keine Ehrgeizigen, die versuchen, den Schwachen zu unterdrücken. Verglichen mit der Erde sind diese Welten wahre Paradiese; sie sind die Etappen des Weges des Fortschritts, der zum endgültigen Zustand führt. Da die Erde eine niedere Welt ist, bestimmt zur Reinigung unvollkommener Geister, so ist dies die Ursache dafür, dass darauf das Böse herrscht, bis es Gott gefällt, aus ihr einen Wohnort für weiter fortgeschrittene Geister zu machen.

Auf diese Weise schreitet der Geist stufenweise fort, in dem Maße, wie er sich entwickelt und auf den Höhepunkt der Glückseligkeit gelangt. Aber ehe er den Gipfel der Vollkommenheit erreicht hat, genießt er ein Glück im Verhältnis zu seinem Fortschritt. So wie das Kind die Freuden der Kindheit, später die der Jugend und endlich die beständigeren des reifen Alters genießt.


12. Der Glückszustand der seligen Geister besteht nicht in einem beschaulichen Müßiggang, der, wie schon oft gesagt wurde, eine ewige und Überdruss erregende Nutzlosigkeit wäre. Das geistige Leben ist auf allen seinen Stufen im Gegenteil eine beständige Tätigkeit, aber eine ohne Ermüdung. Das höchste Glück besteht:

— im Genuss von der Herrlichkeit der Schöpfung, die keine menschliche Sprache wiederzugeben vermag und die fruchtbarste Fantasie nicht zu fassen vermag;

— in der Kenntnis und Durchdringung aller Dinge;

— in der Abwesenheit körperlicher und moralischer Schmerzen;

— in einer inneren Zufriedenheit einer durch nichts getrübten Heiterkeit der Seele;

— in einer reinen Liebe, die alle Wesen vereint, infolge der Abwesenheit all der aus der Berührung mit dem Bösen sich ergebenden verletzenden Reibungen;

— und über allem in der Sicht Gottes und dem Begreifen seiner den Würdigsten enthüllten Geheimnisse.

Seligkeit liegt ferner in den Funktionen, über die man sich glücklich schätzt, weil sie uns anvertraut werden. Die reinen Geister sind die Messiasse oder Boten Gottes, für die Überbringung und Ausführung seines Willens; sie erfüllen die großen Aufgaben, sie leiten die Bildung der Welten und die allgemeine Harmonie des Weltalls, eine ruhmreiche Aufgabe, zu der man nur durch Vollkommenheit gelangt. Die Geister höchster Ordnung sind als einzige in alle Geheimnisse Gottes eingeweiht, inspiriert von seinen Gedanken, deren unmittelbare Vertreter sie sind.


13. Die Befugnisse und Beauftragungen der Geister sind angepasst an ihren Fortschritt, den Einsichten, die sie besitzen, ihren Fähigkeiten, ihrer Erfahrung und dem Maße des Vertrauens, das sie Gott, dem Herrn, entgegenbringen. Da gibt es kein Privileg, keine Vergünstigung, die nicht der Preis des Verdienstes wären: Alles wird nach dem Gewicht der strengen Gerechtigkeit bemessen. Die wichtigsten Aufgaben werden nur denen anvertraut, die Gott für geeignet hält, sie zu erfüllen, und unfähig, darin zu fehlen oder sie zu gefährden. Während, unter den Augen Gottes selbst, die Würdigsten den obersten Rat bilden, ist höheren Vorgesetzten die Leitung der Planetenwirbel, der Planetensysteme, übertragen, anderen die Leitung besonderer Welten zugewiesen. Danach folgen, in der Ordnung des Fortschritts und der hierarchischen Unterordnung, die beschränkten Befugnisse derer, die dem Marsch der Völker, dem Schutz der Familien und der Individuen, dem Antrieb für jeden Zweig des Fortschritts vorgesetzt sind, von den verschiedenen Vorgängen der Natur bis zu den kleinsten Elementen der Schöpfung. In diesem weiten und harmonischen Ganzen finden sich Beschäftigungen für alle Fähigkeiten, für alle Eigenschaften, alle Arten von gutem Willen. Beschäftigungen, die mit Freuden angenommen und mit Eifer erbeten werden, weil sie ein Mittel zum Vorwärtskommen für solche Geister sind, die sich erheben möchten.


14. Neben den Missionen, die den höheren Geistern anvertraut sind, gibt es solche von allen Stufen der Wichtigkeit, die den Geistern aller Ordnungen übertragen werden. Daher kann man sagen, dass jeder Inkarnierte seine eigene hat, das heißt Pflichten für das Wohl seiner Mitmenschen zu erfüllen, vom Familienvater, dem die Sorge für den Fortschritt seiner Kinder obliegt – bis zum Genie, das neue Elemente des Fortschritts in die Gesellschaft einbringt. In diesen Aufgaben zweiten Ranges begegnet man häufig Versäumnissen, Pflichtverletzungen und Abkehr, die aber nur dem Einzelnen und nicht dem großen Ganzen schaden.


15. Alle Geistwesen wirken also am großen Gesamtwerk mit, auf welcher Stufe sie auch angelangt sein mögen und jedes entsprechend seiner Kräfte; die einen als Inkarnierte, die anderen als Geistwesen. Überall Tätigkeit, von der untersten bis zur obersten Stufe der Leiter; alle unterrichten sich, helfen einander, unterstützen sich gegenseitig und reichen einander die Hand, um den Gipfel zu erreichen.

So entsteht Solidarität zwischen der geistigen und der körperlichen Welt, mit anderen Worten, zwischen den Menschen und den Geistern, zwischen den freien und den gefangenen Geistern. So gewinnen, durch Läuterung und Beharrlichkeit der Beziehungen, die wahrhafte Teilnahme und die heiligen Zuneigungen Dauer und Festigkeit.

Überall ist also Leben und Bewegung; nicht ein Winkel in der Unendlichkeit, der nicht bevölkert ist; nicht ein Gebiet, das nicht unaufhörlich von zahllosen Scharen strahlender Wesen durchlaufen wird, unsichtbar für die groben Sinne der Inkarnierten, deren Anblick aber die Bewunderung und Freude der von der Materie befreiten Seelen mitreißt. Überall gibt es ein verhältnismäßiges Glück für alle Arten von Fortschritt, für alle erfüllten Pflichten. Jeder trägt die Keime zu seinem Glück in sich, entsprechend der Stufe, auf die sein Fortschritt ihn stellt.

Das Glück ist von den eigenen Befähigungen der einzelnen und nicht vom äußeren Zustand der Umgebung abhängig, in der sie sich befinden. Daher gibt es überall Geister, die fähig sind, glücklich zu sein. Ihnen ist kein begrenzter Raum im Universum zugewiesen. An welchem Ort sie sich auch befinden, die reinen Geister können die göttliche Hoheit und Größe betrachten, weil Gott überall ist.


16. Das Glück ist jedoch nicht persönlich; wenn man es nur aus sich selbst schöpfen würde, wenn man andere nicht daran teilnehmen lassen würde, so wäre es ein egoistisches und trauriges; es besteht auch in einer Gemeinschaft der Gedanken, die die sympathischen Wesen vereint. Die glücklichen Geister, die durch die Ähnlichkeit der Vorstellungen, des Geschmacks und der Gefühle voneinander angezogen werden, bilden ausgedehnte gleichartige Gruppen oder Familien, in denen jede Individualität ihre eigenen Qualitäten ausstrahlt und von reinen und wohltuenden Fluiden durchdrungen wird, die aus dem Ganzen kommen. Die Mitglieder, die zerstreut sind, um ihrer Aufgabe nachzugehen, kommen manchmal an einem beliebigen Punkt des Raumes zusammen, um einander das Ergebnis ihrer Arbeiten mitzuteilen.

Manchmal versammeln sie sich auch um einen Geist höherer Ordnung, um seine Ratschläge und Weisungen zu empfangen.


17. Auch wenn die Geister überall sind, so sind doch die sichtbaren Welten die Brennpunkte, wo sie sich vorzugsweise versammeln, entsprechend der Ähnlichkeit, die zwischen ihnen und deren Bewohnern besteht. Rings um die fortgeschrittenen Welten schweben unzählige höhere Geister. Rings um die zurückgebliebenen Welten wimmelt es von niederen Geistern. Die Erde ist noch eine von den letzteren. Jeder Weltkörper hat also in irgendeiner Weise seine eigene Bevölkerung an inkarnierten und nicht inkarnierten Geistern, die sich zum größeren Teil durch die Inkarnation und Desinkarnation derselben Geister ergänzt. Diese Bevölkerung ist gleichbleibender in den niederen Welten, wo die Geister mehr der Materie verhaftet sind und unbeständiger in den höheren Welten. Aber von diesen Welten, Orten des Lichts und des Glücks, lösen sich Geister los und gehen zu den niederen Welten, um dort die Keime des Fortschritts zu pflanzen, Trost und Hoffnung zu bringen, den durch die Schwierigkeiten des Lebens gesunkenen Mut zu erneuern und manchmal inkarnieren sie dort, um ihre Aufgabe wirksamer zu erfüllen.


18. In dieser grenzenlosen Unermesslichkeit – wo ist da der Himmel? Er ist überall, keine Umzäunung setzt ihm Grenzen. Die glücklichen Welten sind die letzten Stationen, die zu ihm führen. Die Tugenden bahnen den Weg dahin, die Laster verhindern den Zugang.

Neben diesem großartigen Bild, das alle Winkel des Universums bevölkert, das allen Gegenständen der Schöpfung einen Zweck und eine Berechtigung gibt, wie klein und unvollkommen ist da die Lehre, die die Menschheit auf einen winzigen Punkt des Raumes beschränkt, die uns diese zu einem bestimmten Augenblick beginnend zeigt, um in derselben Weise eines Tages mit der Welt zu enden, von der sie getragen wird und nur einen Moment in der Ewigkeit zu umfassen! Wie traurig, kalt und eisig ist sie, diese Lehre, wenn sie uns den übrigen Teil des Universums vor, während und nach dem irdischen Menschendasein als ohne Leben, ohne Bewegung zeigt, eine ungeheure, in Schweigen versunkene Wüste! Wie trostlos ist sie durch die Darstellung, die sie von der kleinen Zahl der Erwählten gibt, die sich einer beständigen Beschaulichkeit hingeben, während die Mehrheit der Geschöpfe zu endlosen Qualen verdammt ist! Wie grausam ist sie für liebende Herzen durch die Schranke, die sie zwischen Toten und Lebenden aufrichtet! Die glücklichen Seelen, sagt man, denken nur an ihr Glück; die, die unglücklich sind, an ihre Schmerzen. Ist es verwunderlich, dass der Egoismus auf der Erde herrscht, wenn man sie so im Himmel zeigt? Wie beschränkt ist die Vorstellung, die sie von der Größe, der Macht und der Güte Gottes gibt!

Wie erhaben ist dagegen der Begriff, den uns die spiritistische Lehre davon gibt! Wie sehr vergrößert ihre Lehre die Vorstellungen und erweitert die Gedanken! Aber wer sagt uns, dass sie wahr sei? Zuerst die Vernunft, danach die Offenbarung und dann ihre Übereinstimmung mit dem Fortschritt der Wissenschaft. Zwischen zwei Lehren, von denen die eine die Eigenschaften Gottes verringert und die andere ausdehnt, von denen die eine im Zwiespalt und die andere im Einklang mit dem Fortschritt steht, von denen die eine zurückbleibt und die andere vorwärtsschreitet, sagt uns der gesunde Menschenverstand auf welcher Seite die Wahrheit ist. Möge angesichts dieser beiden jeder vor seinem Innersten seine sehnsüchtigen Erwartungen fragen, und eine innere Stimme wird ihm antworten. Die sehnsüchtigen Erwartungen sind die Stimme Gottes, der die Menschen nicht täuschen kann.


19. Aber warum hat dann Gott ihnen nicht von Anfang an, gleich von vornherein, die ganze Wahrheit offenbart? Aus demselben Grund, aus dem man dem Kindesalter nicht lehrt, was man dem reifen Alter lehrt. Eine beschränkte Offenbarung war für eine gewisse Zeit ausreichend in der Geschichte der Menschheit: Gott passt alles den Kräften des Geistes an. Diejenigen, die heute eine vollständigere Offenbarung empfangen, sind dieselben Geister, die sie teilweise schon zu anderen Zeiten empfangen haben, seit jener Zeit aber an Einsicht zugenommen haben.

Ehe die Wissenschaft den Menschen die lebendigen Kräfte der Natur, die Anordnung der Sterne, die wahre Bildung und Entwicklung der Erde enthüllt hatte, würden sie da die Unendlichkeit des Raumes, die Vielzahl der Welten begriffen haben? Ehe die Geologie die Gestaltung der Erde nachgewiesen hatte, hätten sie da die Hölle aus ihrem Schoße verlegen und die sinnbildliche Bedeutung der sechs Tage des Schöpfungswerkes begreifen können? Ehe die Astronomie die Gesetze, die das Universum beherrschen, entdeckt hatte, hätten sie begreifen können, dass es weder ein Oben noch ein Unten im Raum gibt, dass der Himmel nicht oberhalb der Wolken, noch von den Fixsternen begrenzt ist? Vor den Fortschritten der Psychologie hätten sie sich mit dem geistigen Leben vertraut machen können; ein nach dem Tode kommendes glückliches oder unglückliches Leben fassen können, anders als an einem begrenzten Ort und in einer materiellen Form? Nein; weil sie mehr durch die Sinne, als durch das Denken begreifen, hätten sie das Weltall für ihr Gehirn zu weit gefunden; man musste es auf weniger ausgedehnte Maße verringern, um es in ihren Gesichtskreis zu rücken, unter Vorbehalt, es später auszudehnen. Eine Teiloffenbarung hatte ihren Nutzen; sie war damals weise, aber heutzutage ungenügend. Das Unrecht ist bei denen, die glauben, den Fortschritt der Ideen ignorieren zu können, reife Menschen am Gängelband der Kindheit lenken zu können. (Siehe: "Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus" Kap. 3.)



Kapitel IV - Die Hölle

1. Zu allen Zeiten hat der Mensch intuitiv geglaubt, dass das zukünftige Leben glücklich oder unglücklich sein müsse, je nachdem, ob man auf Erden Gutes oder Böses tut. Nur steht die Vorstellung, die er sich davon macht, im Verhältnis zur Entwicklung seines moralischen Sinnes und den mehr oder weniger richtigen Vorstellungen, die er vom Guten und Bösen hat. Strafen und Belohnungen sind das Spiegelbild seiner vorherrschenden Neigungen. So setzen kriegerische Völker ihr höchstes Glück in die durch Tapferkeit erworbenen Ehren; die Jägervölker in den Überfluss von Wild und sinnliche Völker in das Vergnügen an Sinnesfreuden. Solange der Mensch von der Materie beherrscht wird, kann er die Spiritualität nur unvollkommen begreifen. Darum macht er sich von den zukünftigen Strafen und Freuden ein eher materielles als geistiges Bild. Er stellt sich vor, man müsse in der anderen Welt essen und trinken, jedoch besser als auf Erden und bessere Sachen. (Ein kleiner Junge aus Savoyen, dessen Pfarrer ein verführerisches Bild vom zukünftigen Leben entwarf, fragte ihn, ob dort jeder Weißbrot esse wie in Paris.) Später findet man in den die Zukunft betreffenden Glaubensansichten eine Mischung aus Spiritualität und Materialität. So stellt der Mensch neben die beschauliche Glückseligkeit eine Hölle mit körperlichen Qualen.


2. Da er nur das begreifen konnte, was er sah, hat sich der Urmensch seine Zukunft entsprechend der Gegenwart vorgestellt. Um andere Urbilder zu begreifen als diejenigen, die er vor Augen hatte, bedurfte er einer geistigen Entwicklung, die sich nur mit der Zeit entfalten sollte. Auch ist das Bild, das er sich von den Strafen des zukünftigen Lebens machte, nur das Spiegelbild der Leiden der Menschheit, jedoch in einem größeren Ausmaß. Er hat dort alle Leiden, Qualen und Kümmernisse vereint, denen er auf Erden begegnete. So geschah es, dass er sich in den heißen Landschaften eine Feuerhölle und in den nördlichen Gegenden eine Eishölle vorgestellt hat. Weil der Verstand, der ihn später die geistige Welt begreifen lassen sollte, noch nicht entwickelt war, konnte er nur körperliche Strafen begreifen. Daher gleichen sich auch, von einigen formalen Unterschieden abgesehen, die Vorstellungen über die Hölle in allen Religionen.



3. Die Hölle der Heiden, von den Dichtern dargestellt und dramatisiert, war das großartigste Beispiel dieser Art. Sie hat in der Hölle der Christen fortbestanden, die auch ihrerseits ihre dichterischen Sänger hatte. Wenn man beide vergleicht, so finden sich, bis auf die Namen und einige Abweichungen in den Einzelheiten, zahlreiche Parallelen. In beiden ist materielles Feuer die Grundlage der Qualen, weil es das Sinnbild der schwersten Leiden ist. Aber, wie sonderbar, die Christen haben in vielen Punkten die Hölle der Heiden überboten. Wenn diese letztgenannten in ihrer das Fass der Danaiden hatten, das Rad des Ixion, den Felsblock des Sisyphos, so waren das vereinzelte Strafen. Die christliche Hölle hat für alle Bestraften ihre siedenden Kessel, deren Deckel die Engel öffnen, um die Verrenkungen der Verdammten zu sehen (Predigt, gehalten in Montpellier, im Jahre 1860). Gott hört ihre Seufzer ohne Mitleid und in alle Ewigkeit. Niemals haben die Heiden die Bewohner der Elysischen Felder (Insel der Glückseligen), als sich an den Strafen des Tartarus (Ort der Verdammten) erfreuend beschrieben. („Die Seligen werden, ohne den Platz zu verlassen, den sie innehaben, dennoch in einer gewissen Weise hinausgehen, aufgrund der ihnen verliehenen Weisheit und Abgrenzung, um die Qualen der Verdammten zu betrachten. Und indem sie dies tun, werden sie nicht nur keinerlei Schmerz empfinden, sondern vielmehr von Freude überwältigt werden. Und sie werden Gott für ihr eigenes Glück danken, während sie die unsagbaren Klagen der Gottlosen miterleben.” Der heilige Thomas von Aquin.)


4. Wie die Heiden, so haben auch die Christen ihren König der Hölle, den sie Satan nennen. Der Unterschied ist, dass Pluto sich darauf beschränkte, das finstere Reich zu beherrschen, das ihm als Erbteil zugefallen war; aber er war nicht böse. Er behielt diejenigen bei sich, die Böses getan hatten, weil das seine Aufgabe war. Aber er versuchte keineswegs, die Menschen zum Bösen zu verführen, um sich das Vergnügen zu gönnen, sie leiden zu lassen. Dagegen bemüht sich Satan überall um Opfer, die er dann mit Wohlgefallen von seinen Scharen von Teufeln foltern lässt. Diese sind mit Heugabeln bewaffnet, um Erstere im Feuer hin und her zu werfen. Man hat sogar ernsthaft über die Art dieses Feuers verhandelt, welches die Verdammten ununterbrochen verbrennt, ohne sie jemals zu verzehren. Man hat sich gefragt, ob es ein Feuer aus Erdharz sei (Predigt, gehalten in Paris, im Jahre 1861). Die (sogenannte) christliche Hölle steht also in nichts hinter der heidnischen zurück.


5. Dieselben Erwägungen, die die Alten dazu befähigten, den Aufenthalt der Glückseligkeit zu lokalisieren, hatten auch dazu geführt, den Ort der Bestrafungen einzugrenzen. Die Menschen hatten den ersten in die höheren Regionen verlegt und so war es naheliegend, den anderen an die unteren Orte zu verlegen, d.h. in den Mittelpunkt der Erde; von diesem glaubte man, dass dort gewisse finstere Höhlen von schrecklichem Aussehen als Eingang dienten. Dorthin haben auch die Christen lange Zeit den Aufenthaltsort der Verdammten verlegt. Beachten wir diesbezüglich noch eine andere Ähnlichkeit!

Die Hölle der Heiden umfasste einerseits die Elysischen Felder und andererseits den Tartarus. Der Olymp, der Wohnsitz der Götter und der vergöttlichten Menschen lag in den höheren Regionen. Nach der Schrift des Evangeliums stieg Jesus in die Hölle hinab, d.h. in die unteren Orte, um daraus die Seelen der Gerechten hervorzuholen, die seine Ankunft erwarteten. Die Hölle war also nicht einzig und allein ein Ort der Strafe; wie auch bei den Heiden lag sie an den unteren Orten. Ebenso wie der Olymp lag die Wohnung der Engel und der Heiligen an erhabenen Orten. Man hatte ihn jenseits des Fixsternhimmels verlegt, den man für begrenzt hielt.



7. Durch die Lokalisierung des Himmels und der Hölle sind die christlichen Glaubensrichtungen dazu veranlasst worden, für die Seelen nur zwei extreme Situationen zuzulassen: das vollkommene Glück und das uneingeschränkte Leiden. Das Fegefeuer, der Reinigungsort, ist nur eine kurzzeitige Übergangssituation, bei deren Verlassen sie ohne Übergang in den Wohnsitz der Seligen eintreten. Gemäß dem Glauben an das endgültige Los der Seele nach dem Tod könnte es nicht anders sein. Wenn es nur zwei Aufenthaltsorte gibt, den der Erwählten und den der Verstoßenen, so kann man nicht in jedem mehrere Stufen zulassen, ohne die Möglichkeit ihrer Überschreitung und infolgedessen den Fortschritt zuzulassen. Wenn es nun aber Fortschritt gibt, so gibt es kein endgültiges Schicksal. Wenn es ein endgültiges Schicksal gibt, so gibt es keinen Fortschritt. Jesus löst die Frage, indem er sagt: “In meines Vaters Haus gibt es viele Wohnungen" (“Evangelium aus der Sicht des Spiritismus", Kap. 3).



8. Es ist wahr, dass die Kirche in bestimmten Fällen eine besondere Ansicht zulässt. Die in jungen Jahren verstorbenen Kinder können, da sie nichts Böses getan haben, nicht zum ewigen Feuer verdammt werden; weil sie aber auch nichts Gutes getan haben, haben sie kein Recht auf das höchste Glück. Sie sind dann, so sagt man, in der Vorhölle, in einer gemischten Situation, die niemals genau bestimmt oder bezeichnet worden ist, in der sie, obwohl sie nicht leiden, keineswegs ein vollkommenes Glück genießen. Da jedoch ihr Los unwiderruflich festgelegt ist, so sind sie dieses Glücks auf ewig beraubt. Auch wenn es nicht von ihnen abhing, dass es genauso ist, kommt dieser Entzug einer unverdienten, ewigen Strafe gleich. Ebenso verhält es sich mit den Urmenschen. Da sie die Gnade der Taufe und die Erleuchtung des Glaubens nicht empfangen haben, sündigten sie aus Unwissenheit. Und weil sie sich ihren natürlichen Trieben überließen, können sie weder die Schuld noch die Verdienste derer haben, die in Kenntnis der Sache handeln können. Die einfache Logik weist eine solche Lehre im Namen der Gerechtigkeit Gottes zurück. Die Gerechtigkeit Gottes zeigt sich in jener Aussage von Jesus: “Einem jeden nach seinen Werken.” Aber man muss diesen hinsichtlich der guten oder schlechten Werke verstehen, die man frei und willentlich vollbringt, den einzigen, deren Verantwortung man auf sich nimmt, was weder beim Kind der Fall ist noch beim Urmenschen oder bei dem, von dem es nicht abhing, erleuchtet zu werden.



9. Wir kennen die heidnische Hölle kaum anders als durch die Beschreibung der Dichter. Homer und Virgil haben davon die vollständigste Beschreibung gegeben. Aber man muss berücksichtigen, welchen Zwang die Dichtung der Form auferlegt. Diejenige von Fénelon hat in seinem “Telemach" die deutlichere Einfachheit der Prosa, obwohl sie in Bezug auf die grundlegenden Glaubensansichten aus derselben Quelle stammt. Indem er den traurigen Anblick der Orte beschreibt, bemüht er sich vor allem, jene Art von Leiden hervorzuheben, welche die Schuldigen ertragen. Und wenn er sich eingehend über das Los der schlechten Könige äußert, dann vor allem im Hinblick auf die Erziehung seines königlichen Schülers. Wie volkstümlich sein Werk auch sei, so haben viele Leute zweifellos diese Beschreibung gegenwärtig nicht genügend im Gedächtnis oder sie haben vielleicht nicht genug darüber nachgedacht, um einen Vergleich anzustellen. Darum halten wir es für nützlich, jene Teile davon darzustellen, die einen unmittelbaren Bezug zu dem Thema haben, das uns beschäftigt, nämlich diejenigen, die insbesondere die individuelle Strafe betreffen.


10. Beim Eintritt hört Telemach die Seufzer eines Schattens, der sich nicht trösten konnte. “Was ist denn euer Unglück?”, sprach er zu ihm. “Wer wart ihr auf der Erde?” “Ich war,” gab ihm dieser Schatten zur Antwort, “Nabopharzan, König des stolzen Babylons; alle Völker des Ostens zitterten beim bloßen Klang meines Namens. Ich ließ mich von den BabyIoniern in einem Marmortempel anbeten, wo ich in einer goldenen Statue dargestellt war, vor der man Tag und Nacht die kostbaren Räucherstoffe Äthiopiens verbrannte. Nie wagte mir jemand zu widersprechen, ohne dass er sogleich bestraft worden wäre. Man erfand jeden Tag neue Vergnügungen, um mir das Leben vergnüglicher zu machen. Ich war noch jung und stark. Oh, welche Annehmlichkeiten blieben mir nicht auf dem Throne noch zu kosten! Aber eine Frau, die ich liebte und die mich nicht liebte, hat mich allerdings fühlen lassen, dass ich nicht Gott sei. Sie hat mich vergiftet; ich bin nichts mehr. Man hat meine Asche gestern prachtvoll in eine goldene Urne gelegt, hat geweint und sich die Haare ausgerissen. Man hat getan, als wolle man sich in die Flammen des Scheiterhaufens stürzen, um mit mir zu sterben. Man wird noch seufzen am Fuße des stolzen Grabmals, in das man meine Asche gesetzt hat. Aber niemand betrauert mich; mein Andenken erregt sogar in meiner Familie Schrecken und hier erleide ich bereits eine entsetzliche Behandlung.”

Gerührt von diesem Schauspiel sprach Telemach zu ihm: “Wart ihr während eurer Herrschaft tatsächlich glücklich? Habt ihr jenen süßen Frieden gefühlt, ohne den das Herz inmitten des Vergnügens immer bedrückt und welk bleibt?” “Nein”, antwortete der Babylonier, “ich weiß nicht einmal, was ihr sagen wollt. Die Weisen rühmen diesen Frieden als das einzige Gut: was mich betrifft, habe ich ihn nie empfunden; mein Herz war unaufhörlich hin und her getrieben von neuen Wünschen, von Furcht und Hoffnung. Ich versuchte mich durch die Erschütterung, die von meinen Leidenschaften kam, selbst zu betäuben. Ich bemühte mich, diesen Zustand ständig aufrechtzuerhalten; die geringste Zeitspanne ruhiger Vernunft wäre mir zu bitter gewesen. Das ist der Frieden, den ich genossen habe. Jeder andere erscheint mir als Märchen, als Traum; das sind die Güter, deren Verlust ich beklage.”

Wie er so sprach, weinte der Babylonier wie ein Feigling, der durch die Annehmlichkeiten des Lebens verweichlicht worden ist und nicht daran gewöhnt ist, ein Unglück standhaft zu ertragen. Er hatte einige Sklaven bei sich, die man hatte sterben lassen, um seine Bestattung zu ehren. Merkur, der Götterbote, hatte sie mit ihrem König dem Charon, dem Fährmann der Unterwelt, überliefert und ihnen eine unumschränkte Macht über diesen König gegeben, dem sie auf Erden gedient hatten. Diese Schatten von Sklaven fürchteten den Schatten des Nabopharzan nicht mehr. Sie hielten ihn in Ketten und fügten ihm die grausamsten Qualen zu. Der eine sprach zu ihm: "Waren wir nicht genauso Menschen wie du? Wie konntest du so unsinnig sein, dich für einen Gott zu halten? Und musstest du dich nicht daran erinnern, dass du von der Art der übrigen Menschen warst?” Ein anderer sagte, um ihn zu verhöhnen: “Du hattest Recht damit, nicht zu wollen, dass man dich für einen Menschen halte, denn du warst ein Ungeheuer ohne Menschlichkeit.” Ein anderer sprach zu ihm: “Nun, wo sind jetzt deine Schmeichler? Du hast nichts mehr zu geben, du Unglücklicher! Du kannst nichts Böses mehr tun. Sieh, du bist selbst ein Sklave deiner Sklaven geworden. Die Götter sind langsam damit, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, aber schließlich tun sie es.”

Bei diesen harten Worten warf sich Nabopharzan mit dem Gesicht auf die Erde und riss sich an den Haaren, außer sich vor Wut und Verzweiflung. Aber Charon sprach zu den Sklaven: “Zerrt ihn an seiner Kette, richtet ihn trotz seines Widerstands wieder auf! Er wird nicht einmal den Trost haben, seine Schande zu verbergen; alle Schatten des Styx (Fluss der Unterwelt) müssen Zeugen derselben sein, um die Götter zu rechtfertigen, die so lange darunter gelitten haben, dass dieser Gottlose auf Erden herrschte.”

Er bemerkt bald den schwarzen Tartarus ziemlich nahe bei ihm. Aus diesem drang ein dicker, schwarzer Rauch hervor, dessen verpesteter Gestank den Tod verursachen würde, wenn er sich in den Stätten der Lebenden verbreiten würde. Dieser Rauch bedeckte einen Feuerstrom und viele Flammenwirbel, deren Getöse, reißenden Wasserläufen ähnlich, wenn sie sich von den höchsten Felsen in die Tiefe der Abgründe stürzen, bewirkte, dass man an diesen traurigen Orten nichts deutlich verstehen konnte.

Telemach, heimlich geliebt von Minerva, der Göttin der Klugheit, betrat furchtlos diesen Schlund. Zuerst bemerkte er eine große Zahl von Menschen, die in den niedrigsten Verhältnissen gelebt hatten und dafür bestraft wurden, dass sie Reichtum durch Betrug, Verrat und Grausamkeiten erstrebt hatten. Er nahm dort viele gottlose Heuchler wahr, die so getan hatten, als ob sie die Gottesverehrung liebten und sie als schönen Vorwand genutzt hatten, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen und sich über die leichtgläubigen Menschen lustig zu machen. Diese Menschen, die selbst die Tugend missbraucht hatten, wurden als die lasterhaftesten aller Menschen bestraft. Die Kinder, die ihre Väter und Mütter erwürgten, die Gattinnen, die ihre Hände in das Blut ihrer Gatten tauchten und die Verräter, die, nachdem sie alle Schwüre gebrochen hatten, ihr Vaterland auslieferten, litten weniger entsetzliche Strafen als jene Heuchler. Die drei Richter der Hölle hatten es so gewollt und ihr Grund war der, dass sich diese Heuchler nicht damit begnügen, böse zu sein wie die übrigen Gottlosen; sie wollen auch noch für gut gehalten werden und bewirken durch ihre falsche Tugend, dass die Menschen es nicht mehr wagen, der wahren Tugend zu vertrauen. Die Götter, die sie verspottet und den Menschen gegenüber verächtlich gemacht haben, finden Vergnügen daran, all ihre Macht anzuwenden, um sich für ihre Beschimpfungen zu rächen.

Neben diesen erschienen andere Menschen, die das einfache Volk kaum für schuldig hält, und die die göttliche Rache auf unerbittliche Weise verfolgt. Das sind die Undankbaren, die Lügner, die Schmeichler, die das Laster gelobt haben, die boshaften Kritiker, die versucht haben, die reinste Tugend zu besudeln; schließlich noch diejenigen, die über Dinge bedenkenlos geurteilt haben, ohne sie gründlich zu kennen, und die dadurch den Ruf der Unschuldigen beschädigt haben.

Telemach, der die drei Richter da sitzen und einen Menschen verdammen sah, wagte es, sie zu fragen, welche Verbrechen er begangen hatte. Sogleich ergriff der Verdammte das Wort und rief: “Ich habe nie irgendetwas Böses getan; ich habe mein ganzes Vergnügen darauf gesetzt, Gutes zu tun. Ich bin großartig, freigebig, gerecht und mitfühlend gewesen. Was kann man mir also vorwerfen?” Da sprach Minos zu ihm: “Man wirft dir in Bezug auf die Menschen nichts vor. Aber warst du den Menschen nicht weniger schuldig als den Göttern? Welcher Gerechtigkeit rühmst du dich denn? Du hast keine Pflicht gegenüber den Menschen versäumt, die nichts sind; du bist tugendhaft gewesen, aber du hast die ganze Tugend auf dich selbst bezogen und nicht auf die Götter, die sie dir gegeben hatten. Denn du wolltest die Frucht deiner eigenen Tugend genießen und dich in dich selbst verschließen: du bist deine Gottheit gewesen. Aber die Götter, die alles gemacht haben und nichts für sich selbst, können nicht auf ihre Rechte verzichten; du hast sie vergessen, sie werden auch dich vergessen. Sie werden dich dir selbst überlassen, da du dir gehören wolltest und nicht ihnen. Wenn du kannst, suche jetzt also deinen Trost in deinem eigenen Herzen. Sieh, du bist für immer von den Menschen getrennt, denen du gefallen wolltest. Sieh, du bist allein mit dir selbst, der du dein Abgott warst! Begreife, dass es gar keine wahrhafte Tugend gibt ohne Ehrfurcht vor den Göttern und Liebe zu ihnen, denen man alles verdankt. Deine falsche Tugend, die lange die leicht zu täuschenden Menschen geblendet hat, wird nun zusammenschmelzen. Die Menschen, die Laster und Tugenden nur danach beurteilen, ob sie unanständig oder angenehm sind, sind für das Gute genauso blind wie für das Böse. Hier stößt ein göttliches Licht all ihre oberflächlichen Urteile um; es verurteilt oft, was sie bewundern und rechtfertigt, was sie verdammen.”

Bei diesen Worten erschrak der Philosoph, wie vom Blitz getroffen, vor sich selbst. Die Freude, mit der er früher seine Mäßigung, seinen Mut und seine großmütigen Neigungen betrachtete, verwandelte sich in Verzweiflung. Der Blick auf sein eigenes Herz, den Feind der Götter, wird seine Strafe; er sieht sich und kann nicht aufhören, sich zu sehen; er sieht die Eitelkeit der Urteile der Menschen, denen er mit all seinen Handlungen gefallen wollte. Es vollzieht sich eine durchgängige Umwälzung in allem, was in ihm ist, als ob man all seine Eingeweide umdrehen würde. Er empfindet sich nicht mehr als derselbe. Es fehlt ihm jeglicher Halt in seinem Herzen; sein Gewissen, dessen Beweis ihm so süß gewesen war, erhebt sich gegen ihn und wirft ihm mit Bitterkeit den Irrtum und die Täuschung all seiner Tugenden vor, die nicht die Verehrung der Gottheit als Ausgangspunkt und Ziel gehabt haben: er ist verwirrt, bestürzt, voller Scham, Selbstanklage und Verzweiflung. Die Furien (Rachegöttinnen) quälen ihn nicht, weil es ihnen genügt, ihn sich selbst überliefert zu haben und weil sein eigenes Herz die verachteten Götter hinreichend rächt. Er sucht die finstersten Orte auf, um sich vor den anderen Toten zu verbergen, da er sich nicht vor sich selbst verbergen kann. Er sucht die Finsternis und kann sie nicht finden; ein lästiges Licht folgt ihm überall hin. Die durchdringenden Strahlen rächen überall die Wahrheit, deren Befolgung er vernachlässigt hat. Alles, was er geliebt hat, wird ihm verhasst, da es die Quelle seiner Leiden ist, die niemals enden können. Er spricht zu sich selbst: “Oh, ich Unsinniger! Ich habe also weder die Götter noch die Menschen noch mich selbst gekannt! Nein, nichts habe ich gekannt, weil ich eben nie das einzige und wahre Gute geliebt habe. Alle meine Schritte sind Verirrungen gewesen. Meine Weisheit war nur Dummheit. Meine Tugend war nur ein gottloser und blinder Hochmut, ich war selbst mein Abgott.”

Endlich bemerkte Telemach die Könige, die verdammt waren, weil sie ihre Macht missbraucht hatten. Von einer Seite hielt ihnen eine rächende Furie einen Spiegel vor, der ihnen die ganze Hässlichkeit ihrer Laster zeigte. Da sahen sie und konnten nicht verhindern, all das zu sehen: Ihre grobe Eitelkeit, die auf das lächerlichste Lob versessen war, ihre Härte gegenüber den Menschen, deren Glück sie bewirken sollten; ihre mangelnde Aufgeschlossenheit für die Tugend, ihre Furcht vor der Stimme der Wahrheit, ihre Zuneigung zu den Feiglingen und Schmeichlern; ihren mangelnden Fleiß, ihre Weichlichkeit, ihre Gefühllosigkeit, ihr unangebrachtes Misstrauen, ihren Prunk und ihre auf den Untergang der Völker gegründete, übertriebene Großartigkeit; ihre Sucht, durch das Blut ihrer Mitbürger ein wenig bedeutungslosen Ruhm zu erkaufen; und schließlich ihre Grausamkeit, die jeden Tag unter den Tränen und der Verzweiflung so vieler Unglücklicher neuen Genuss sucht. Sie sahen sich andauernd in diesem Spiegel; sie fanden sich schrecklicher und ungeheuerlicher als die Chimäre, die von Bellerophon besiegt wurde, oder die Lernäische Hydra, die von Herkules niedergeschlagen wurde, oder Cerberus selbst, obwohl er aus seinen drei gähnenden Rachen ein schwarzes, giftiges Blut speit, das geeignet ist, die ganze Gattung der auf Erden lebenden Sterblichen zu verpesten.

Zur gleichen Zeit wiederholte eine andere Furie ihnen höhnisch von einer anderen Seite alle Lobpreisungen, die ihre Schmeichler ihnen ihr Leben lang erteilt hatten. Sie hielt ihnen einen anderen Spiegel vor, in dem sie sich so sahen, wie die Schmeichelei sie beschrieben hatte. Der Unterschied zwischen diesen beiden so gegensätzlichen Bildern war die Strafe ihrer Eitelkeit. Man bemerkte, dass die bösartigsten unter diesen Königen diejenigen waren, denen man ihr Leben lang die großartigsten Lobreden erteilt hatte, weil die Bösen gefürchteter sind als die Guten und weil sie ohne Scham die feigen Schmeicheleien der Dichter und Redner ihrer Zeit verlangen.

Man hört sie seufzen in dieser tiefen Finsternis, wo sie nur die Beschimpfungen und Verhöhnungen sehen können, die sie zu erdulden haben. Sie haben um sich herum nichts, was sie nicht abstößt, was ihnen nicht widerspricht oder sie verwirrt, während sie auf Erden mit dem Leben der Menschen spielten und behaupteten, dass alles dazu gemacht sei, ihnen zu dienen. Im Tartarus sind sie allen Launen gewisser Sklaven ausgeliefert, die sie ihrerseits eine unerträgliche Knechtschaft fühlen ließen. Sie dienen mit Schmerzen und es bleibt ihnen keine Hoffnung, jemals ihre Gefangenschaft mildern zu können. Sie sind den Schlägen dieser Sklaven ausgeliefert, die ihre unerbittlichen Unterdrücker geworden sind, wie ein Amboss unter den Hammerschlägen der Zyklopen, wenn Vulkan (Gott des Feuers) sie drängt, in den brennenden Schloten des Berges Ätna zu arbeiten.

Da erblickte Telemach bleiche, grauenhafte und bestürzte Gesichter. Es ist eine tiefe Traurigkeit, die an diesen Verbrechern nagt. Sie erschrecken sich vor sich selbst und können sich von diesem Schrecken ebenso wenig befreien wie von ihrem eigenen Wesen. Sie brauchen keine andere Bestrafung für ihre Sünden als ihre Sünden selbst. Sie sehen sie unaufhörlich in all ihrer Ungeheuerlichkeit. Sie zeigen sich ihnen wie schreckliche Gespenster und verfolgen sie. Um sich davor zu schützen, suchen sie einen Tod, der mächtiger ist als jener, der sie vom Körper getrennt hat. In ihrer Verzweiflung rufen sie einen Tod zu Hilfe, der jedes Gefühl und jedes Bewusstsein in ihnen auslöschen kann. Sie bitten den Abgrund, sie zu verschlingen, und möchten sich den rächenden Strahlen der sie verfolgenden Wahrheit entziehen. Aber sie bleiben der Rache erhalten, die Tropfen für Tropfen auf sie herabträufelt und niemals versiegen wird. Die Wahrheit, die sie zu sehen gefürchtet haben, macht ihre Strafe aus. Sie sehen sie und haben nur Augen dafür, zu sehen, wie sie sich gegen sie erhebt. Ihr Anblick durchdringt sie, zerfleischt sie und reißt sie aus ihnen selbst heraus. Sie ist wie der Blitz. Ohne im Äußeren etwas zu zerstören, dringt sie bis tief in die Eingeweide.

Unter jenen Dingen, die Telemach die Haare zu Berge stehen ließen, sah er mehrere der ehemaligen Könige von Lydien, die dafür bestraft wurden, dass sie die Freuden eines genüsslichen Lebens der Arbeit vorgezogen hatten, die ihre Völker entlasten und untrennbar vom Königtum sein sollte.

Diese Könige warfen einander ihre Blindheit vor. Der eine sagte zum anderen, der sein Sohn gewesen war: “Hatte ich euch nicht oft während meines Alters und vor meinem Tod empfohlen, die Übel wiedergutzumachen, die ich durch meine Nachlässigkeit hervorgerufen hatte?” “Oh, unglücklicher Vater!”, sagte der Sohn, “Ihr seid es, der mich verdorben hat. Euer Beispiel ist es, das in mir Prunk, Stolz, Leidenschaft und Härte gegen die Menschen hervorgerufen hat. Weil ich euch mit so viel Schwäche und umgeben von feigen Schmeichlern herrschen sah, habe ich mich daran gewöhnt, Schmeichelei und Vergnügungen zu lieben. Ich habe geglaubt, die übrigen Menschen wären im Hinblick auf die Könige, was die Pferde und die anderen Lasttiere im Hinblick auf die Menschen sind, das heißt Tiere, für die man nur so viel Aufwand macht, wie sie Dienste erweisen und Annehmlichkeiten bereiten. Ich habe es geglaubt; ihr seid es, der in mir diesen Glauben geweckt hat. Und jetzt erdulde ich so viele Leiden dafür, weil ich euch nachgeahmt habe.” Zu diesen Vorwürfen fügten sie die hässlichsten Beschimpfungen hinzu und schienen von Wut erfüllt zu sein und gewillt, einander zu zerfleischen.

Um diese Könige herum flatterten auch noch, wie Eulen in der Nacht, die grausamen Verdächtigungen, die selbstgefälligen Befürchtungen, das Misstrauen, die die Völker für die Härte ihrer Könige rächen. Der unersättliche Hunger nach Reichtümern, der immer unterdrückende, falsche Ruhm und die Halbherzigkeit, die alle erduldeten Leiden verdoppelt, ohne jemals dauerhafte Freuden geben zu können. Man sah mehrere dieser Könige schwer gestraft, nicht für das Böse, das sie getan hatten, sondern dafür, dass sie das Gute, das sie hätten tun sollen, versäumt hatten. All die Verbrechen der Völker, die aus der Nachlässigkeit entstehen, mit der man die Einhaltung der Gesetze beachtet, wurden den Königen unterstellt, die nur herrschen sollen, damit die Gesetze durch ihre Regierung herrschen.

Man beschuldigte sie auch aller Unordnungen, die von der Prunksucht, dem Luxus und allen anderen Exzessen stammen, die die Menschen in einen Zustand der Gewalttätigkeit treiben und in die Versuchung, Gesetze zu verletzen, um Wohlergehen zu erlangen. Insbesondere behandelte man die Könige sehr streng, die, anstatt gute und wachsame Hirten der Völker zu sein, nur danach gestrebt hatten, die Herde wie reißende Wölfe zu Grunde zu richten.

Was Telemach jedoch noch mehr bestürzte, war, in diesem Abgrund von Finsternis und Leiden eine große Anzahl von Königen zu sehen, die, nachdem sie auf Erden als ziemlich gute Könige gegolten hatten, zu den Strafen des Tartarus verurteilt worden waren, weil sie sich von bösen und hinterlistigen Menschen leiten ließen. Sie wurden mit den Übeln bestraft, die sie durch ihre Autorität anrichten ließen. Zudem war die Mehrheit dieser Könige weder gut noch böse gewesen; ihre Schwäche war jedoch groß. Sie hatten nie befürchtet, die Wahrheit nicht zu kennen. Sie hatten kein Interesse an der Tugend gehabt und es bereitete ihnen kein Vergnügen, Gutes zu tun.



11. Die Meinung der Theologen über die Hölle lässt sich in folgenden Zitaten kurz wiedergeben. (Diese Zitate sind dem Werk “Die Hölle” von August Callet entnommen.) Da diese Beschreibung aus den heiligen Schriftstellern und dem Leben der Heiligen entnommen ist, so kann sie diesbezüglich umso mehr als Ausdruck des orthodoxen Glaubens betrachtet werden, da sie, von einigen Abweichungen abgesehen, bei jedem Anlass in den (angeblich) evangelischen Kanzelreden und pastoralen Anweisungen wiedergegeben wird.


12. Die Teufel (Dämonen) sind nichts anderes als Geister, und die Verdammten, die sich gegenwärtig in der Hölle befinden, können ebenfalls als solche Geister betrachtet werden, da nur ihre Seele dorthin hinabgestiegen ist und ihre zu Staub gewordenen Gebeine sich unaufhörlich in Gräser, Pflanzen, Früchte, Steine jeder Art und Flüssigkeiten umwandeln, indem sie, ohne es zu wissen, die beständigen Umwandlungen der Materie erfahren. Aber sowohl die Verdammten als auch die Heiligen müssen am jüngsten Tage wieder auferstehen und einen fleischlichen Körper annehmen, ohne ihn wieder zu verlassen, denselben Körper, mit dem man sie unter den Lebenden kannte. Was sie voneinander unterscheiden wird, ist, dass die Erwählten in einem geläuterten und ganz strahlenden Körper auferstehen werden, die Verdammten aber in einem durch die Sünde beschmutzten und missgestalteten. Es wird also in der Hölle nicht mehr nur ausschließlich Geister geben; es werden dort Menschen sein, wie wir es sind. Die Hölle ist daher ein physischer, geographischer und materieller Ort, weil sie von irdischen Geschöpfen bevölkert sein wird, die Füße, Hände, einen Mund, eine Zunge, Zähne, Ohren und Augen haben, die den unseren ähnlich sind, und Blut in den Adern und schmerzempfindliche Nerven.

Wo liegt die Hölle? Einige Lehrer haben sie genau in das Innere unserer Erde verlegt, andere in irgendwelche Planeten. Aber die Frage ist durch keine Kirchenversammlung entschieden worden. Man ist diesbezüglich also auf Vermutungen angewiesen. Das einzige, dessen man sich gewiss sein kann, ist, dass die Hölle, an welchem Ort sie auch liegen mag, eine aus materiellen Bestandteilen zusammengesetzte Welt ist, aber eine Welt ohne Sonne, ohne Mond, ohne Sterne, trauriger, ungastlicher, jeglichen Keimes und jeglichem Anschein des Wohlergehens beraubt, als dies die unbewohnbarsten Teile dieser Welt sind, in der wir sündigen.

Die angesehenen Theologen wagen nicht, so wie die Ägypter, Hindus und Griechen, alle Schrecken dieses Aufenthaltsortes zu schildern. Sie beschränken sich darauf, uns das Wenige als Modell zu zeigen, was die Schrift davon enthüllt, den Feuer- und Schwefelteich der Offenbarung (Apokalypse) des Johannes und die Würmer des Jesaja, diese ewig kriechenden Würmer auf den Kadavern der Wüste Thophel und die Teufel, welche die von ihnen verdorbenen Menschen quälen, und die weinenden und mit den Zähnen knirschenden Menschen, wie die Evangelisten es ausgedrückt haben.

Sankt Augustin stimmt nicht zu, dass diese körperlichen Strafen einfache Bilder der moralischen Strafen seien. Er sieht in einem wirklichen Schwefelteich wirkliche Würmer und Schlangen, die sich auf alle Teile des Körpers der Verdammten stürzen und ihre Bisse den Wunden des Feuers hinzufügen. Einem Vers des heiligen Markus zufolge behauptet er, dass dieses seltsame Feuer, obwohl es stofflich ist wie das unsere und auf physische Körper einwirkt, sie bewahren wird, wie das Salz das Fleisch der Opfertiere konserviert. Aber die Verdammten, die immer dargebrachte und lebendige Opferwesen sind, werden den Schmerz dieses Feuers fühlen, das brennt, ohne zu zerstören. Es dringt unter ihre Haut. Sie werden davon durchtränkt und übersättigt in all ihren Gliedern, bis ins Mark ihrer Knochen, in die Pupillen ihrer Augen und in die verborgensten und empfindsamsten Fasern ihres Wesens. Wenn sie sich hineinstürzen könnten, wäre der Krater eines feuerspeienden Vulkans für sie ein Ort der Erfrischung und Ruhe.

So sprechen die schüchternsten, bescheidensten und zurückhaltendsten Theologen mit fester Überzeugung. Sie leugnen übrigens nicht, dass in der Hölle weitere körperliche Strafen anzutreffen sind. Sie sagen lediglich, dass sie keine ausreichende und zumindest so fundierte Kenntnis davon haben, um darüber reden zu können, jedenfalls wie jene, die ihnen von der schrecklichen Strafe des Feuers und der ekelhaften Würmer gegeben worden ist. Aber es gibt kühnere oder besser aufgeklärte Theologen, die die Hölle detaillierter, umfassender und vollständiger beschreiben können. Und obwohl man nicht weiß, an welchem Ort des Universums diese Hölle liegt, gibt es Heilige, die sie gesehen haben. Sie sind nicht hingegangen, mit der Leier in der Hand wie Orpheus, oder mit dem Degen in der Hand wie Odysseus, sie sind im Geist dorthin versetzt worden. Die heilige Theresa ist eine von ihnen.

Nach dem Bericht dieser Heiligen scheint es, als ob es in der Hölle Städte gibt. Zumindest sah sie dort so etwas wie eine lange und enge Gasse, von denen es so viele in den alten Städten gibt. Sie trat hinein und ging mit Schrecken auf einem schlammigen, stinkenden Boden entlang, auf dem es von ungeheuerlichen kriechenden Tieren wimmelte. Aber sie wurde bei ihrem Spaziergang durch eine Mauer zurückgehalten, die die Gasse versperrte. In diesem Gemäuer war eine Nische angebracht, in die sich Theresa kauerte, ohne recht zu wissen, wie. Es war, sagte sie, die Stelle, die ihr bestimmt war, wenn sie zu Lebzeiten die Gnaden missbrauchte, die Gott über ihre Zelle in Avila goss. Obwohl sie mit einer wunderbaren Leichtigkeit in diese Nische hineingelangt war, konnte sie sich dennoch weder darin setzen noch sich hinlegen oder aufrecht halten. Noch weniger konnte sie hinausgelangen. Diese schrecklichen Mauern, die sich auf sie herabgesenkt hatten, hüllten sie ein und beengten sie, als ob sie belebt worden wären. Es schien ihr, als ob man sie erstickte oder erdrosselte und sie gleichzeitig bei lebendigem Leib quälte und in Stücke riss; und sie fühlte sich brennen und empfand mit einem Mal alle möglichen Ängste. Es gab keine Hoffnung auf Hilfe! Alles um sie herum war nur Finsternis, und dennoch bemerkte sie durch diese Finsternis hindurch mit Staunen noch die schreckliche Gasse, in der sie wohnte, und ihre abscheuliche Nachbarschaft, ein für sie ebenso unerträgliches Schauspiel wie die Umarmungen ihres Gefängnisses. (Man erkennt in dieser Vorstellung alle Anzeichen des Alptraums. Es ist somit wahrscheinlich, dass es ein solches Ereignis war, das bei der heiligen Theresa auftrat.)

Das war zweifellos nur eine kleine Ecke der Hölle. Andere spirituelle Reisende sind mehr begünstigt worden. Sie haben in der Hölle große Städte gesehen, die in Flammen standen: Babylon und Ninive, selbst Rom, deren Paläste und Tempel brannten und alle Bewohner in Ketten waren; den Händler in seiner Schreibstube, Priester und Höflinge in Speisesälen vereint und heulend auf ihren Sitzen, von denen sie sich nicht mehr losreißen konnten, und um ihren Durst zu stillen, hielten sie Schalen an ihren Lippen, aus denen Flammen schlugen; Knechte, die in siedenden Kloaken knieten, die Arme ausgestreckt, und Fürsten, aus deren Hand geschmolzenes Gold auf sie rieselte, so wie alles verschlingende Lava. Andere haben in der Hölle grenzenlose Ebenen gesehen, auf denen ausgehungerte Bauern gegraben und gesät haben, und da aus diesen Ebenen, von ihrem Schweiß dampfend, und aus diesen unfruchtbaren Feldern nichts spross, fraßen sich diese Bauern gegenseitig auf. Danach zerstreuten sie sich scharenweise bis an den Horizont, genauso zahlreich, mager und ausgehungert wie zuvor und suchten vergeblich in der Ferne glücklichere Länder. Auf den Feldern, die sie hinter sich ließen, wurden sie sogleich durch andere umherirrende Siedlerscharen von Verdammten ersetzt. Es gibt Leute, die in der Hölle Gebirge voller Abgründe gesehen haben, ächzende Wälder, Brunnen ohne Wasser, durch Tränen gespeiste Springbrunnen, Flüsse aus Blut, Schneewirbel in eisigen Wüsten, Boote voller Verzweifelter, die auf uferlosen Meeren trieben. Kurzum, man hat dort alles wieder gesehen, was die Heiden da sahen: ein trauriges Spiegelbild der Erde, einen maßlos vergrößerten Schatten ihrer Beschwerden, ihrer mit dem Dasein verbundenen Leiden verewigt, bis hin zu Kerkern, Galgen und Folterwerkzeugen, die unsere eigenen Hände geschmiedet haben.

Es gibt dort unten tatsächlich Teufel, die Körper annehmen, um die Menschen in ihren Körpern besser quälen zu können. Die einen haben Flügel wie Fledermäuse, Hörner, Schuppenpanzer, Klauen und scharfe Zähne; man zeigt sie uns bewaffnet mit Schwertern, Heugabeln, Kneifzangen, glühend heißen Zangen, Sägen, Rosten, Blasebälgen, Keulen und wie sie durch die Ewigkeit mit menschlichem Fleisch den Dienst von Köchen und Fleischern verrichten. Die anderen sind in Löwen oder in ungeheure Schlangen verwandelt, die ihre Beute in einsame Höhlen hineinschleppen. Einige verwandeln sich in Raben, um manchen Schuldigen die Augen auszuhacken und andere in fliegende Drachen, um sie auf ihre Rücken zu laden und sie ganz entsetzt, blutend und laut schreiend durch die finsteren Räume hindurch fortzutragen und sie dann in den Schwefelteich fallen zu lassen. Da gibt es Wolken von Heuschrecken, riesige Skorpione, deren Anblick einen erschauern lässt, deren Geruch Erbrechen bewirkt, deren geringste Berührung Krämpfe hervorruft. Dort gibt es vielköpfige Ungeheuer, die auf allen Seiten gefräßige Mäuler öffnen, auf ihren missgestalteten Köpfen Mähnen von Nattern schütteln, die Verdammten zwischen ihren blutenden Kiefern zermalmen und sie wieder erbrechen, völlig zerhackt, aber lebend, weil sie unsterblich sind.

Diese Teufel von wahrnehmbarer Gestalt, die so offensichtlich an die Götter des Amenthi (ägyptisch: Ort der Seelen) und des Tartarus (Ort der Verdammten) erinnern, und an die Götzen, die von den Phöniziern, den Moabitern und den anderen an Judäa angrenzenden heidnischen Völkern angebetet wurden, diese Teufel handeln keineswegs willkürlich. Jeder hat seine Funktion und sein Werk. Das Böse, das sie in der Hölle tun, steht im Verhältnis zu dem Bösen, zu dem sie angestachelt und bewirkt haben, auf der Erde begangen zu werden. (Gewiss eine sonderbare Bestrafung, die darin bestehen würde, in einem größeren Maße das Böse fortsetzen zu können, das sie auf Erden im Kleinen getan hatten! Es wäre vernünftiger, dass sie selbst unter den Folgen dieses Bösen litten, anstatt sich das Vergnügen zu machen, so andere leiden zu lassen.)

Die Verdammten werden an all ihren Sinnen und Körperteilen bestraft, weil sie Gott mit all jenen beleidigt haben. Bestraft in einer Weise als Fresser durch die Teufel der Völlerei und in einer anderen Weise als Träge durch die Teufel der Trägheit. Und wieder in einer anderen Weise als Unzüchtige durch die Teufel der Unzucht und auf genauso viele verschiedene Arten, wie es verschiedene Arten der Sünde gibt. Ihnen wird kalt sein, obwohl sie brennen und heiß, obwohl sie frieren. Sie werden begierig nach Ruhe sein und begierig nach Bewegung; und immer hungrig und immer durstig und tausendmal müder als ein Sklave am Ende eines Tages, kränker als die Sterbenden, gebrochener, zerschlagener, mehr mit Wunden übersät als die Märtyrer, und das wird kein Ende nehmen.

Kein Teufel lässt sich und wird sich jemals von seiner grauenhaften Aufgabe abschrecken lassen. Sie alle sind in dieser Beziehung sehr diszipliniert und pflichtgetreu in der Ausführung der Rachebefehle, die sie empfangen haben. Was würde denn sonst aus der Hölle werden? Die Kranken würden zur Ruhe kommen, wenn die Henker anfingen, sich zu zanken oder müde zu werden. Aber keine Ruhe für die einen, keine Streitigkeiten unter den anderen! So böse und so unzählig sie auch sein mögen, die Teufel verstehen einander von einem Ende des Abgrunds bis zum anderen. Nie sah man auf Erden Völker, die ihren Fürsten gegenüber gelehriger, nie Heere, die ihren Anführern gehorsamer und nie klösterliche Gemeinschaften, die ihren Oberen demütiger unterworfen gewesen wären. (Dieselben Teufel, die um des Guten willen ungehorsam gegenüber Gott sind, zeigen eine beispielhafte Fügsamkeit, um das Böse zu tun. Keiner von ihnen schreckt zurück oder lässt über eine ewig lange Zeit nach. Welch seltsame Wandlung hat sich an ihnen vollzogen, die wie Engel rein und vollkommen geschaffen wurden! Ist es nicht recht sonderbar, dass sie sich als Beispiel vollkommener Einigkeit, Übereinstimmung und unveränderlicher Eintracht zeigen, während die Menschen unter sich nicht in Frieden zu leben verstehen und sich untereinander auf Erden zerfleischen? Wenn man den Aufwand der Bestrafungen ansieht, die den Verdammten vorbehalten sind, und ihre Lage mit der der Teufel vergleicht, fragt man sich, wer am meisten zu beklagen ist: Henker oder Opfer.)

Man kennt übrigens das Volk der Teufel, dieser niedrigen Geister, nicht so genau, aus denen sich die Scharen der Blutsauger, Fressmäuler, Kröten, Skorpione, Raben, Giftschlangen, Molche und andere namenlose Tiere bilden, die die Tierwelt der höllischen Gebiete ausmachen. Aber man kennt und benennt mehrere der Fürsten, die diese Scharen befehligen, unter anderem Belphegor, den Teufel der Schwelgerei; Abaddon oder Apollyon, den Teufel des Mordes; Beelzebub, den Teufel der unreinen Begierden oder den Herrn der Mücken, die Sittenlosigkeit erzeugen; und Mammon, den Gott der Habgier, Moloch, Belial, Baalgad, Astaroth und so viele andere. Und über ihnen ihr allgemeines Oberhaupt, den düsteren Erzengel, der im Himmel den Namen Luzifer (Lichtträger) trug und in der Hölle den Namen Satan führt.

Das ist kurzgefasst die Idee, die man uns von der Hölle vermittelt, betrachtet unter dem Blickwinkel ihrer physischen Beschaffenheit und den körperlichen Strafen, die man dort erleidet. Öffnet die Schriften der Kirchenväter und der alten ehemaligen Kirchenlehrer; befragt unsere frommen Sagen; betrachtet die Skulpturen und Gemälde unserer Kirchen, hört genau zu, was man auf unseren Kanzeln sagt, und ihr werdet viel mehr davon erfahren."


13. Der Verfasser lässt diesem Bild folgende Erwägungen folgen, deren Tragweite jeder verstehen wird: "Die Auferstehung der Körper ist ein Wunder. Aber Gott lässt ein zweites Wunder geschehen, um diesen sterblichen Körpern, die bereits einmal durch die vorübergehenden Prüfungen des Lebens abgenutzt, schon einmal vernichtet sind, die Kraft zu geben, in einem Ofen, in dem Metalle verdampfen würden, weiterzubestehen, ohne sich aufzulösen. Man mag sagen, die Seele sei ihr eigener Henker, Gott verfolge sie nicht, sondern überlasse sie sich selbst in dem unglücklichen Zustand, den sie gewählt hat. Das kann man im engeren Sinne begreifen, obwohl es mit der Güte Gottes kaum vereinbar erscheint, verirrte und leidende Wesen ewig im Stich zu lassen. Aber was man von der Seele und den geistigen Strafen sagt, das kann man keinesfalls von den Körpern und den körperlichen Strafen sagen. Um diese körperlichen Strafen beständig zu machen, genügt es nicht, dass Gott seine Hand zurückzieht. Im Gegenteil, er muss sie zeigen, muss sich einschalten und handeln; ohne das würde der Körper unterliegen.“

Die Theologen unterstellen, dass Gott nach der Auferstehung wirklich dieses zweite Wunder bewirkt, über das wir gesprochen haben. Er zieht zunächst unsere aus Lehm geformten Körper aus dem Grab heraus, das sie verschlungen hatte. Er zieht sie so heraus, wie sie hineingelangt sind, mit ihren ursprünglichen Leiden und den allmählich eingetretenen altersbedingten Verschlechterungen, Krankheiten und Lastern. Er gibt sie uns in diesem Zustand zurück: verbraucht, kalt, gichtkrank, mit vielen Bedürfnissen, empfindlich gegen einen Bienenstich, voller Makel, die das Leben und der Tod ihnen aufgedrückt haben, und das ist das erste Wunder. Dann weist er diesen elenden Körpern, die voll und ganz bereit sind, zu dem Staub zurückzukehren, aus dem sie hervorgegangen sind, eine Eigenschaft zu, die sie niemals besessen haben, und das ist das zweite Wunder. Er gibt ihnen Unsterblichkeit, genau dieses Geschenk, das er in seinem Zorn oder vielmehr in seiner Barmherzigkeit Adam bei dessen Vertreibung aus dem Garten Eden wieder entzogen hatte. Als Adam unsterblich war, war er unverwundbar und als er aufhörte, unverwundbar zu sein, wurde er sterblich. Der Tod folgte unverzüglich dem Schmerz.

Die Auferstehung versetzt uns also weder in den physischen Zustand des Unschuldigen noch in den des Schuldigen zurück. Es ist nur eine Auferstehung unseres Leidens, aber zusätzlich mit neuen Leiden, die unendlich schrecklicher sind. Es ist zum Teil eine wahre Schöpfung und die boshafteste, die die Fantasie zu erfassen gewagt hat. Gott besinnt sich auf etwas anderes und um den geistigen Qualen der Sünder körperliche hinzuzufügen, die stets weiterbestehen, verändert er aufgrund seiner Macht plötzlich die Gesetze und Eigenschaften, die er selbst von Beginn an den Verbindungen der Materie zugewiesen hatte. Er erweckt wieder krankes und verdorbenes Fleisch, fügt mithilfe eines unauflösbaren Knotens jene Bestandteile hinzu, die von sich selbst aus das Bestreben haben, sich zu trennen, erhält und verewigt diese lebendige Fäulnis entgegen der einfachen, guten Ordnung. Er wirft sie ins Feuer, nicht um sie zu reinigen, sondern um sie so zu erhalten, wie sie ist: empfindsam, leidend, brennend, grauenvoll, so wie er sie haben will, unsterblich.

Durch dieses Wunder macht man aus Gott einen der Henker der Hölle. Denn wenn die Verdammten ihre geistigen Leiden nur sich selbst zurechnen, so können sie die anderen, zu ihrer eigenen Befriedigung, nur ihm zuschreiben. Es war scheinbar zu wenig für Gott, sie nach ihrem Tod der Traurigkeit zu überlassen, der Reue und allen Ängsten einer Seele, die fühlt, dass sie das höchste Gut verloren hat. Den Theologen zufolge wird Gott sie aus dieser Dunkelheit und aus der Tiefe dieses Höllenschlunds wegholen. Er wird sie für einen Augenblick ans Tageslicht zurückrufen, nicht um sie zu trösten, sondern um sie mit einem abscheulichen, flammenden und unvergänglichen Körper zu versehen, der verunreinigter ist als das Kleid der Dejanira, und erst dann verlässt er sie für immer.

Er wird sie nicht einmal ihrem Schicksal überlassen, weil ja die Hölle, genauso wie die Erde und der Himmel, nur durch einen fortwährenden Entschluss seines immer bewussten Willens besteht und alles vergehen würde, wenn er aufgeben würde, alles zu erhalten. Er wird also unaufhörlich die Hand über sie halten, um zu verhindern, dass ihr Feuer erlischt und dass ihr Körper sich verzehrt, da er ja will, dass diese unsterblichen Unglücklichen durch die beständige Fortdauer ihrer Strafe zur Erbauung der Erwählten beitragen.


14. Wir haben aus gutem Grund gesagt, dass die Hölle der Christen die Hölle der Heiden übertroffen habe. Tatsächlich sieht man im Tartarus die Schuldigen angesichts ihrer Verbrechen und Opfer stets von Gewissensbissen gequält, niedergedrückt von denen, welche von ihnen zu Lebzeiten niedergedrückt wurden. Man sieht sie vor dem Licht fliehen, das sie durchdringt, und vergeblich versuchen sie, den sie verfolgenden Blicken zu entkommen. Da ist der Hochmut erniedrigt und gedemütigt. Alle tragen die Spuren ihrer Vergangenheit. Alle werden durch ihre eigenen Fehler bestraft bis zu dem Punkt, dass es für einige genügt, sie sich selbst zu überlassen, und dass man es für sinnlos hält, dem noch weitere Strafen hinzuzufügen. Aber das sind Schatten, das heißt Seelen mit ihren luftartigen (fluidischen) Körpern, ein Abbild ihres irdischen Daseins. Man sieht dort nicht die Menschen wieder ihren fleischlichen Körper annehmen, um physisch zu leiden, noch Feuer unter ihre Haut dringen und sie bis auf das Knochenmark sättigen, und auch nicht den Aufwand und die sorgfältig ausgedachten Strafen, die die Grundlage der christlichen Hölle bilden. Man findet dort unbeugsame, aber gerechte Richter, die jede Strafe entsprechend abwägen; doch im Reich Satans vermischen sich alle Seelen in denselben Qualen; dort beruht alles auf der Materie. Selbst die Gerechtigkeit ist daraus verbannt.

Zweifellos gibt es heutzutage selbst in der Kirche viele vernünftige Menschen, die diese Dinge nicht wörtlich nehmen und darin nur bildliche Redewendungen sehen, deren Sinn man erkennen muss. Aber ihre Ansicht ist nur eine individuelle und bildet nicht die Regel. Daher ist der Glaube an die materielle Hölle mit all ihren Konsequenzen immer noch Bestandteil der kirchlichen Lehre.


15. Man fragt sich: Wie haben die Menschen diese Dinge mit Begeisterung sehen können, wenn es diese gar nicht gibt? Hier ist nun nicht der Ort, um die Herkunft der phantastischen Bilder zu erörtern, die manchmal mit allem Anschein der Realität erzeugt werden. Wir wollen damit nur sagen, dass man darin einen Beweis jenes Satzes erkennen muss, dass die Verzückung die am wenigsten sichere aller Offenbarungen ist (siehe “Das Buch der Geister”, Fragen 443 und 444), weil dieser Zustand der Überreizung nicht immer die Tatsache einer so vollständigen Loslösung der Seele vom Körper darstellt, wie man es glauben könnte, und weil sich darin recht oft die Spiegelung der Beschäftigungen des vorangegangenen Tages findet. Die Vorstellungen, mit denen der Geist genährt wird und von denen das Gehirn bzw. die mit dem Gehirn in Wechselbeziehung stehende, den Geist umgebende Hülle den Abdruck bewahrt hat, bilden sich erweitert aufs Neue, wie in einer Luftspiegelung in dunstartigen Formen, die sich kreuzen, miteinander verbinden und sich zu unwirklichen Gesamtbildern zusammensetzen. Die Verzückten aller Weisen der Gottesverehrung haben immer Dinge entsprechend des Glaubens gesehen, von dem sie überzeugt waren. Es ist also nicht überraschend, dass diejenigen, die wie die heilige Theresa, von den Vorstellungen der Hölle angetan sind, wie sie durch die mündlichen oder schriftlichen Beschreibungen und durch die Gemälde dargestellt werden, Visionen davon haben, die, genau gesagt, nur deren Nachbildung sind und die Wirkung eines Alptraums hervorrufen. Ein gläubiger Heide hätte den Tartarus und die Furien (Rachegöttinnen) genauso gesehen, wie er Jupiter auf dem Olymp mit dem Donnerkeil in der Hand gesehen hätte.




Kapitel V - Das Fegefeuer

1. Das Evangelium (die Heilsbotschaft von Christus) erwähnt das Fegefeuer an keiner Stelle. Es wurde von der Kirche erst im Jahre 593 angenommen. Es ist sicherlich ein vernünftigeres Dogma, das mehr der Gerechtigkeit Gottes entspricht als das der Hölle, da es weniger strenge Strafen vorsieht und auch für mittelschwere Vergehen eine Erlösung ermöglicht.

Das Prinzip vom Fegefeuer beruht also auf Angemessenheit. Denn, verglichen mit der Gerechtigkeit Gottes, ist dies eine Gefangenschaft auf Zeit neben der Verurteilung auf Ewigkeit. Was sollte man von einem Land denken, das für Verbrechen und einfache Vergehen nur die Todesstrafe verhängt? Ohne das Fegefeuer gibt es für die Seelen nur die beiden extremen Alternativen: unbeschränkte Glückseligkeit und ewige Bestrafung. Was wird bei dieser Annahme aus den Seelen, die nur leichte Vergehen begangen haben? Entweder teilen sie das Glück der Auserwählten, ohne vollkommen zu sein, oder sie erleiden die gleichen Strafen wie die größten Verbrecher, ohne viel Böses getan zu haben, was weder gerecht noch vernünftig wäre.


2. Aber der Begriff des Fegefeuers musste gezwungenermaßen unvollständig sein. Deshalb hat man daraus, da man nur die Strafe des Feuers kannte, eine verkleinerte Hölle gemacht. Die Seelen brennen auch dort, aber in einem weniger heftigen Feuer. Da ein Fortschritt mit dem Glaubenssatz von den ewigen Strafen unvereinbar ist, so gehen die Seelen daraus nicht infolge ihres Vorankommens hervor, sondern durch die Kraft der Gebete, die man spricht oder zu ihren Gunsten sprechen lässt.

Wenn der Grundgedanke gut gewesen ist, so gilt dies nicht ebenso für seine Folgerungen, wegen der Missbräuche, deren Quelle er war. Mit Hilfe bezahlter Gebete ist das Fegefeuer eine ergiebigere Geldquelle als die Hölle geworden. („Mit dem Fegefeuer begann der verwerfliche Handel mit Ablassbriefen (Indulgenzen), mit denen man den Eintritt in den Himmel verkaufte. Dieser Missbrauch war die erste Ursache der Erneuerung der Kirche (Reformation). Das hat Luther dazu bewogen, das Fegefeuer abzulehnen.“)


3. Der Ort des Fegefeuers ist nie fest bestimmt worden, ebenso wenig ist die Art der Strafen, die man dort erleidet, klar bezeichnet worden. Es war der neuen Offenbarung vorbehalten, diese Lücke zu schließen, denn sie erklärt uns die Ursachen des Jammers und des Elends des irdischen Lebens, deren Gerechtigkeit uns nur die Vielzahl der Existenzen zeigen konnte.

Dieses Leiden ist notwendigerweise die Folge der Unvollkommenheiten der Seele, denn wenn die Seele vollkommen wäre, so würde sie keine Fehler begehen und hätte nicht die Folgen davon zu tragen. Ein Mensch, der in allem zurückhaltend und maßvoll wäre, würde z.B. nicht den Krankheiten zum Opfer fallen, die durch Maßlosigkeit verursacht werden. Am häufigsten ist er hier auf Erden durch die eigene Schuld unglücklich. Aber wenn er unvollkommen ist, dann deshalb, weil er es bereits war, bevor er auf die Erde kam. Er büßt hier nicht nur seine gegenwärtigen Fehler, sondern die vorhergehenden, die er noch nicht wieder gut gemacht hat. Er erduldet in einem Leben die Prüfungen, die er andere in einer vorherigen Inkarnation hat erdulden lassen. Die Wechselfälle, die er erlebt, sind zugleich eine vorübergehende Bestrafung und ein Hinweis auf die Unvollkommenheiten, die er ablegen soll, um zukünftiges Unheil zu vermeiden und in Richtung des Guten fortzuschreiten. Das sind lehrreiche Erfahrungen für die Seele, manchmal schwer, aber umso nützlicher für die Zukunft, weil sie einen tieferen Eindruck hinterlassen. Die Wechselfälle sind der Anlass für unaufhörliche Kämpfe, die ihre Kräfte und ihre moralischen und geistigen Fähigkeiten entwickelt, sie im Guten bestärkt und aus denen sie immer siegreich hervorgeht, wenn sie den Mut hat, die Verpflichtung bis zum Ende auch auszuhalten. Der Preis des Sieges liegt im geistigen Leben, in das sie strahlend und triumphierend eintritt, wie der Soldat, der aus dem Kampf hervorgeht und nun die Siegespalme empfängt.


4. Jede Inkarnation ist für die Seele eine Gelegenheit, einen Schritt vorwärtszugehen. Von ihrem Willen hängt es ab, dass dieser Schritt so groß wie möglich ist, mehrere Sprossen der Leiter emporzusteigen oder auf derselben Stelle stehenzubleiben. In diesem letzteren Fall hat sie ohne Nutzen gelitten, und da es immer notwendig ist, ihre Schuld früher oder später zu bezahlen, so wird sie eine neue Existenz beginnen müssen, und zwar unter noch schmerzlicheren Verhältnissen, weil sie zu einer nicht bezahlten Schuld noch eine weitere hinzugefügt hat.

In aufeinanderfolgenden Inkarnationen legt die Seele also nach und nach ihre Unvollkommenheiten ab, reinigt sich, kurzgesagt, bis sie hinreichend rein ist, um zu verdienen, dass sie die Welten der Sühne mit glücklicheren Welten tauschen und später auch diese verlassen kann, um das höchste Glück zu genießen.

Das Fegefeuer ist also nicht mehr ein ungenauer und ungewisser Begriff, er hat eine höhere Wirklichkeit, die wir sehen, berühren und ertragen. Er liegt in den Welten der Sühne, und die Erde ist eine dieser Welten. Die Menschen sühnen dort ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart zugunsten ihrer Zukunft. Aber entgegen der Vorstellung, die man sich davon macht, hängt es von jedem Einzelnen ab, ob er seinen dortigen Aufenthalt verkürzt oder verlängert, entsprechend des Fortschritts und der Läuterung, zu der er durch seine Arbeit an sich selbst gelangt ist. Man verlässt das Fegefeuer nicht, weil man seine Zeit beendet hat oder durch Verdienste anderer, sondern infolge seines eigenen Verdienstes, gemäß jenem Worte Christi: "Jedem nach seinen Werken!", eine Aussage, die die ganze Gerechtigkeit Gottes zusammenfasst.


5. Derjenige also, der in diesem Leben leidet, soll sich sagen, dass dies geschieht, weil er sich in seiner vorhergehenden Existenz nicht hinreichend gereinigt hat, und dass, wenn er das nicht in der gegenwärtigen tut, er noch in den darauffolgenden leiden wird. Das ist gerecht und logisch zugleich. Da das Leiden mit der Unvollkommenheit verbunden ist, so leidet man genauso lange, wie man unvollkommen ist, ebenso wie man bei einer Krankheit so lange leidet, bis man davon geheilt ist. So kommt es, dass ein Mensch, solange er hochmütig ist, an den Folgen des Hochmuts leiden wird und solange er egoistisch ist, die Folgen des Egoismus leiden wird.


6. Der schuldige Geist leidet zunächst im geistigen Leben im Verhältnis zu dem Maß seiner Unvollkommenheiten. Dann wird ihm das körperliche Leben als Mittel zur Wiedergutmachung gegeben. Aus diesem Grund findet er sich dort wieder, sei es mit denen, die er gekränkt hat, sei es in ähnlichen Umgebungen, in denen er Böses getan hat, sei es in Situationen, die davon das Gegenteil sind, wie z.B. im Elend zu sein, wenn er ein schlechter Reicher gewesen oder in einer demütigen Lebensstellung, wenn er hochmütig gewesen ist.

Die Sühne stellt weder in der geistigen Welt noch auf der Erde eine doppelte Bestrafung für das Geistwesen dar. Sie ist dieselbe, die sich als Ergänzung auf Erden fortsetzt, um seine Verbesserung durch wirksame Arbeit zu erleichtern. Es hängt von ihm ab, diese zu nutzen. Ist es nicht besser für ihn auf die Erde zurückzukehren mit der Möglichkeit, den Himmel zu gewinnen, als ohne Gnade verdammt zu sein, wenn er sie verlässt? Die Freiheit, die ihm hier bewilligt wird, ist ein Zeugnis von der Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes, der will, dass der Mensch alles seinen eigenen Anstrengungen verdankt und der Architekt seiner Zukunft wird. Wenn er unglücklich ist und das mehr oder minder lang, kann er daher nur sich selbst dafür verantwortlich machen. Der Weg des Fortschritts steht ihm jederzeit offen.


7. Wenn man bedenkt, wie groß das Leid gewisser mit Schuld beladener Geister in der unsichtbaren Welt ist, wie schrecklich die Lage von so manchen ist, welchen Ängsten sie zum Opfer gefallen sind und wie sehr diese Lage durch ihr Unvermögen zu einer schmerzlichen gemacht wird, dadurch, dass sie außerstande sind, ein Ende derselben abzusehen. Man könnte sagen, dass das für sie die Hölle sei, wenn dieses Wort nicht die Vorstellung einer ewigen und physischen Bestrafung einschließen würde. Dank der Offenbarung der Geistwesen und der Beispiele, die sie uns bieten, wissen wir, dass die Dauer der Sühne von der Besserung des Schuldigen abhängt.


8. Der Spiritismus leugnet also nicht die zukünftigen Strafen, sondern bestätigt sie im Gegenteil. Was er zerstört, ist die örtlich begrenzte Hölle mit ihren Schmelzöfen und unwiderruflichen Strafen. Er leugnet nicht das Fegefeuer, da er ja beweist, dass wir bereits dort sind. Er definiert und bestimmt es genau, indem er sich mit der Ursache der irdischen Leiden auseinandersetzt und bringt damit diejenigen dazu, die es leugnen, daran zu glauben.

Lehnt er die Gebete für die Verstorbenen ab? Ganz im Gegenteil, da leidende Geister ja darum bitten, macht er es zur Pflicht der Nächstenliebe und zeigt ihre Wirksamkeit, indem er sie zum Guten zurückführt und dadurch ihre Qualen verkürzt ("Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus” - Kap. 27: "Die Wirksamkeit des Gebets"). Indem er den Verstand anspricht, hat er die Ungläubigen zum Glauben zurückgebracht und diejenigen zum Gebet, die sich darüber lustig machten. Aber er sagt, dass die Wirksamkeit des Gebets in den Gedanken und nicht in den Worten liegt, dass die besten Gebete die des Herzens und nicht die der Lippen sind und die, die man selbst spricht und nicht die, die man für Geld sprechen lässt. Wer würde es wagen, ihm die Schuld zu geben?


9. Gleichgültig, ob die Strafe im geistigen Leben oder auf der Erde stattfindet und wie lange sie dauern mag, sie hat immer ein mehr oder weniger entferntes oder nahes Ende. Es gibt also in Wirklichkeit für den Geist nur zwei Möglichkeiten: eine zeitlich begrenzte, nach Art der Schuld abgestufte Strafe und eine nach dem Verdienst abgestufte Belohnung. Die Spiritistische Lehre weist eine dritte Möglichkeit zurück, nämlich die der ewigen (endlosen) Verdammnis. Die Hölle - das Wort - bleibt als Symbolfigur der größten Leiden, deren Ende unbekannt ist. Das Fegefeuer ist da die Wirklichkeit.

Das Wort “Fegefeuer” erweckt die Vorstellung einer begrenzten Örtlichkeit. Darum lässt es sich mehr auf die Erde anwenden, die als Ort der Sühne betrachtet wird, weniger auf den unendlichen Raum, wo die leidenden Geister umherirren, und darüber hinaus ist die Art der irdischen Sühne die einer wirklichen und echten Sühne.

Wenn die Menschen sich einmal gebessert haben, so werden sie der unsichtbaren Welt nur gute Geister liefern und diese werden, wenn sie inkarnieren, der Menschheit nur verbesserte Wesen bringen. Dann wird die Erde aufhören, eine Welt der Abbüßungen zu sein, und die Menschen werden auf ihr nicht mehr die Folgen ihrer Unvollkommenheiten erleiden. Diese Transformation vollzieht sich im Augenblick und wird die Erde in der Hierarchie der Welten emporheben. (Siehe:” Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus", Kap. 3).


10. Warum also hat Christus dann nicht vom Fegefeuer gesprochen? Deshalb, weil der Begriff nicht existierte und es keine Worte gab, um es sich vorzustellen. Er benutzte das Wort "Hölle", des einzigen, das in Gebrauch war, als eines entsprechenden Ausdrucks, um die künftigen Strafen ohne Unterschied zu bezeichnen. Hätte er neben das Wort "Hölle" ein mit "Fegefeuer" gleichbedeutendes Wort gestellt, so hätte er dessen wahren Sinn nicht genau erklären können, ohne eine der Zukunft vorbehaltene Frage anzuschneiden. Dies wäre außerdem die Bejahung der Existenz zweier besonderer Orte der Sühne gewesen. Da die Hölle in ihrer allgemeinen Bedeutung die Vorstellung einer Bestrafung erweckte, schloss sie die eines Fegefeuers mit ein, das ja nur eine Form der Strafe ist. Die Zukunft, die die Menschen über die Art der Strafen aufklären sollte, musste gerade deswegen die Hölle auf ihre richtige Bedeutung zurückführen.

Da die Kirche geglaubt hat, sie müsse nach sechs Jahrhunderten das Stillschweigen Jesu ergänzen, indem sie die Existenz des "Fegefeuers" per Erlass festsetzte, dann deshalb, weil sie dachte, er hätte nicht alles gesagt. Warum sollte es bezüglich anderer Punkte damit anders sein als bei diesem hier?



Kapitel VI - Die Lehre von den ewigen Strafen
































Kapitel VII - Die zukünftigen Strafen im Licht des Spiritismus

Es gibt lasterhafte Neigungen, die offensichtlich dem Geist innewohnen, weil sie mehr moralisch als physisch sind. Andere scheinen mehr die Folge des Organismus zu sein. Aus diesem Grund glaubt man, dafür weniger verantwortlich zu sein. Dazu gehören die Veranlagungen zum Zorn, zur Weichlichkeit, zur Sinnlichkeit usw.

Es wird heute von den spiritualistischen Forschern vollkommen anerkannt, dass die Gehirnorgane, die den verschiedenen Fähigkeiten entsprechen, ihre Entwicklung der Aktivität des Geistes zu verdanken haben. Dass diese Entwicklungen also eine Wirkung und keine Ursache sind. Ein Mensch ist kein Musiker, weil er ein Talent für Musik hat, sondern er hat ein Talent für Musik, weil sein Geist Musiker ist.

Wenn die Aktivität des Geistes auf das Gehirn wirkt, dann muss sie in gleicher Weise auf die anderen Bereiche des Organismus einwirken. Der Geist ist also der Schmied seines eigenen Körpers. Er formt ihn und passt ihn seinen Bedürfnissen und der Äußerung seiner Neigungen an. Unter diesen Umständen wäre die Vollkommenheit des Körpers der fortgeschrittenen Völker nicht das Produkt verschiedener Schöpfungen, sondern das Ergebnis der Arbeit des Geistes, der sein Werkzeug in dem Maße perfektioniert, wie seine Fähigkeiten zunehmen.

Als natürliche Folge dieses Prinzips müssen die moralischen Anlagen und Stimmungen des Geistes die Beschaffenheit des Blutes verändern, ihm mehr oder weniger Aktivität verleihen, eine mehr oder weniger reichliche Absonderung von Galle oder anderen Flüssigkeiten bewirken. So geschieht es beispielsweise, dass dem Feinschmecker beim Anblick eines appetitlichen Gerichts der Speichel im Mund zusammenläuft. Nicht das Gericht ist es, das den Geschmackssinn überreizen kann, da es ja keine Berührung gibt. Es ist der Geist, dessen Sinnlichkeit erweckt wird und der durch den Gedanken auf dieses Sinnesorgan einwirkt, während auf einen anderen der Anblick dieses Gerichtes keine Wirkung hat. Aus demselben Grund geschieht es auch, dass ein empfindsamer Mensch leicht Tränen vergießt. Es ist nicht der Überfluss der Tränen, der dem Geist die Empfindsamkeit verleiht, sondern die Empfindsamkeit des Geistes verursacht den reichlichen Ausfluss von Tränen. Unter der Herrschaft der Empfindsamkeit hat sich der menschliche Organismus dieser maßgeblichen Anlage und Stimmung des Geistes angepasst, wie er sich an den des fein schmeckenden Geistes angepasst hat.

Wenn man diesen Gedankengängen folgt, dann versteht man, dass ein jähzorniger Geist zu einem verbitterten Organismus führen muss; woraus folgt, dass ein Mensch nicht zornig ist, weil er verbittert ist, sondern dass er verbittert ist, weil er zornig ist. Genauso verhält es sich mit allen anderen triebhaften Neigungen. Ein schwacher und gefühlloser Geist wird seinen Organismus in einem Zustand von Abgestumpftheit belassen, der zu seinem Charakter im Verhältnis steht, während, wenn er aktiv und energisch ist, er seinem Blut und seinen Nerven ganz andere Qualitäten verleihen wird. Die Wirkung des Geistes auf die Beschaffenheit des Körpers ist so offensichtlich, dass man oft schwere organische Störungen im körperlichen Leben durch den Einfluss starker seelischer Erschütterungen entstehen sieht. Der volkstümliche Ausdruck: "Die Erschütterung hat ihm das Blut in den Adern erstarren lassen" ist nicht ganz so sinnlos, wie man glauben könnte. Was hat das Blut erstarren lassen, wenn nicht die moralischen Zustände und Neigungen des Geistes?

Man kann daher zugeben, dass der Organismus zumindest teilweise durch die Natur des Geistes bestimmt wird, die die Ursache und nicht die Wirkung ist. Wir sagen "teilweise", weil es Fälle gibt, wo das Körperliche offensichtlich Einfluss auf das Moralisch-Geistige ausübt: wenn nämlich ein krankhafter oder anormaler Zustand durch eine äußere, zufällige, vom Geist unabhängige Ursache bewirkt wird, wie: Temperatur, Klima, erbliche Mängel im Körperbau, vorübergehendes Unwohlsein usw. Der moralische Zustand des Geistes kann also in seinen Äußerungen durch ein körperliches Leiden beeinträchtigt werden, ohne dass seine eigentliche Natur verändert wäre.

Sich für seine Vergehen mit der Schwachheit des Fleisches zu entschuldigen, ist also nur eine Ausflucht, um sich der Verantwortung zu entziehen. Das Fleisch ist nur schwach, weil der Geist schwach ist. Das kehrt also die Frage um und überlässt dem Geist die Verantwortung für all seine Handlungen. Das Fleisch, das weder denkt noch Willen hat, beherrscht niemals den Geist, der das denkende und wollende Wesen ist. Es ist der Geist, der dem Fleisch die seinen Trieben entsprechenden Eigenschaften gibt. Ähnlich wie ein Künstler, der seinem materiellen Werk den Stempel seines Geistes aufdrückt. Ein Geistwesen, befreit von tierischen Instinkten, gestaltet sich einen Körper, der seinem Streben nach Spiritualität nicht mehr entgegensteht. Dann wird es so sein, dass der Mensch isst, um zu leben, weil zu leben eine Notwendigkeit ist, und nicht mehr lebt, um zu essen.

Die seelisch-moralische Verantwortung für die Handlungen des Lebens bleibt also vollständig bestehen. Aber die Vernunft sagt, dass die Folgen dieser Verantwortung im Verhältnis zur intellektuellen Entwicklung des Geistes stehen müssen. Je aufgeklärter er ist, desto weniger entschuldbar ist er, weil mit der Intelligenz und dem moralischen Sinn die Begriffe von Gut und Böse, von Recht und Unrecht entstehen.

Dieses Gesetz erklärt in gewissen Fällen die Erfolglosigkeit der Medizin. Da der Organismus eine Wirkung und keine Ursache ist, werden die Bemühungen, die versucht worden sind, sie zu verändern, zwangsläufig durch die moralischen Veranlagungen und Stimmungen des Geistes verhindert, der einen unbewussten Widerstand leistet und die Heilwirkung vereitelt. Auf die erste Ursache muss daher eingewirkt werden. Wenn möglich, gebt dem Feigling Mut und die körperlichen Auswirkungen der Angst werden aufhören.

Dies beweist einmal mehr, wie notwendig es für die Heilkunde ist, sich die Wirkung des geistigen Aspekts auf das körperliche Leben bewusst zu machen (Revue Spirite, März 1869, S. 65).


Die spiritistische Lehre ist in dem, was die zukünftigen Strafen angeht, genauso wenig auf eine vorgefasste Theorie gegründet wie in ihren anderen Teilen. Sie ist kein System, das ein anderes System ersetzt. Sie stützt sich in allem auf Beobachtungen und dies macht ihre Autorität aus. Niemand hat sich also eingebildet, dass sich die Seelen nach dem irdischen Tod in dieser oder jener Lage befinden müssten. Es sind die Wesen selber, die die Erde verlassen haben, die heute zu uns kommen und uns in die Geheimnisse des zukünftigen Lebens einweihen, ihre glückliche oder unglückliche Lage, ihre Eindrücke und ihre Verwandlung nach dem Tod des Körpers beschreiben, mit einem Wort: in diesem Punkt die Lehren Christi vervollständigen.

Es handelt sich hier keineswegs um den Bericht eines einzelnen Geistes, der die Dinge nur von seiner Sicht und unter einem einzigen Aspekt sieht oder von irdischen Vorurteilen beherrscht wird, noch um eine nur an einen Einzelnen gemachte Offenbarung, der sich durch den Schein betrügen lassen könnte, noch um eine ekstatische Vision, die sich Täuschungen hingibt und oft nur der Widerschein einer übersteigerten Vorstellungskraft ist (vgl. Kap. 6, Nr. 7 und Buch der Geister, Nr. 443 und 444). Es handelt sich hierbei vielmehr um unzählige Beispiele, die von allen Kategorien von Geistern gegeben wurden, von der höchsten bis zur untersten Sprosse der Leiter, empfangen mit Hilfe unzähliger Vermittler, die über alle Orte der Erde verstreut sind. Infolgedessen ist die Offenbarung von niemandem ein Vorrecht. Jeder ist imstande zu sehen und zu beobachten. Keiner ist verpflichtet, im Vertrauen auf andere zu glauben.


Strafgesetzbuch des zukünftigen Lebens

Die spiritistische Lehre will also nicht etwa aus eigener Willkür ein Gesetzbuch der Fantasie aufstellen. Was die Zukunft der Seele angeht, kann ihr Gesetz, das aus Beobachtungen abgeleitet wurde, die auf Tatsachen beruhen, in folgende Punkte zusammengefasst werden:

1. Der Geist oder die Seele erleidet im geistigen Leben die Folgen all jener Unvollkommenheiten, von denen sie sich während des körperlichen Lebens nicht befreit hat. Ihr glücklicher oder unglücklicher Zustand hängt vom Grad ihrer Läuterung oder ihrer Unvollkommenheiten ab.

2. Das vollkommene Glück ist an die Vervollkommnung gebunden, d.h. an die vollständige Läuterung des Geistes. Jede Unvollkommenheit ist sowohl eine Ursache für das Leiden als auch für den Verlust an Freude. Genauso wie jede erworbene Fähigkeit eine Ursache für Freude und für die Linderung des Leidens ist.

3. Es gibt nicht eine einzige Unvollkommenheit der Seele, die nicht ihre unglücklichen und unvermeidlichen Folgen nach sich zieht, und nicht eine einzige gute Eigenschaft, die nicht Quelle der Freude ist. Die Summe der Strafen ist also proportional zur Summe der Unvollkommenheiten, genauso wie jene der Freuden sich nach der Summe der guten Eigenschaften richtet.

Eine Seele, die beispielsweise zehn Unvollkommenheiten hat, leidet mehr als eine, die nur drei oder vier hat. Wenn von diesen zehn Unvollkommenheiten nur ein Viertel oder die Hälfte bleiben, so wird sie weniger leiden. Und wenn sie keine mehr hat, wird sie überhaupt nicht mehr leiden und vollkommen glücklich sein. So leidet auf der Erde derjenige mit mehreren Krankheiten stärker als derjenige, der nur eine oder keine hat. Aus demselben Grund hat die Seele mit zehn Fähigkeiten mehr Freuden als die, die weniger hat.

4. Kraft des Gesetzes des Fortschritts hat jede Seele die Möglichkeit, sich das Gute anzueignen, das ihr fehlt und das Schlechte abzulegen, je nach ihren Anstrengungen und ihrem guten Willen. Daraus ergibt sich, dass die Zukunft für keine Seele verschlossen ist. Gott weist keines seiner Kinder zurück. Er nimmt sie in dem Maße in sein Herz auf, wie sie die Vollkommenheit erreichen und überlässt so jedem das Verdienst seiner Werke.

5. Das Leiden ist mit der Unvollkommenheit verbunden, wie die Freude mit der Vollkommenheit. So trägt die Seele in sich selbst ihre individuelle Strafe, überall, wo sie sich befindet. Dafür ist kein begrenzter Ort nötig. Die Hölle ist also überall, wo leidende Seelen sind, wie der Himmel überall dort ist, wo es glückliche Seelen gibt.

6. Das Gute und das Böse, das man tut, ist das Ergebnis der guten und schlechten Eigenschaften, die man besitzt. Das Gute nicht zu tun, das man tun kann, ist also das Ergebnis einer Unvollkommenheit. Wenn jede Unvollkommenheit eine Quelle des Leidens ist, so muss der Geist nicht nur für all das Böse leiden, das er getan hat, sondern auch für all das Gute, das er hätte tun können und das er während seines irdischen Lebens nicht getan hat.

7. Der Geist leidet durch das Böse selbst, das er getan hat, in der Weise, dass seine Aufmerksamkeit beständig auf die Folgen dieses Bösen gerichtet ist und er so dessen negative Folgen besser begreift und angespornt wird, sich davon zu reinigen.

8. Da die Gerechtigkeit Gottes unbegrenzt ist, wird das Gute und das Böse streng berücksichtigt. Wenn es keine einzige schlechte Tat und keinen einzigen schlechten Gedanken gibt, die nicht ihre verhängnisvollen Folgen hätte, so gibt es auch keine einzige gute Tat, keine einzige gute Regung der Seele, mit einem Wort, nicht das geringste Verdienst, das verloren wäre, selbst bei den Verdorbensten, weil es ein Beginn des Fortschritts ist.

9. Jeder begangene Fehler, jedes verübte Böse ist eine eingegangene Schuld, die bezahlt werden muss. Geschieht dies nicht in einer Existenz, dann in der nächsten oder einer folgenden, weil alle Existenzen füreinander haften. Wer sich in der jetzigen Existenz von Schulden freimacht, wird kein zweites Mal bezahlen müssen.

10. Der Geist erleidet die Strafe seiner Unvollkommenheiten, entweder in der geistigen oder in der körperlichen Welt. All das Elend und alle Wechselfälle, die man im körperlichen Leben erleidet, sind die Folgen unserer Unvollkommenheiten, als Sühne für begangene Fehltritte, entweder der gegenwärtigen Existenz oder der früheren Existenzen.

Aus der Beschaffenheit der Leiden und Wechselfälle, die man im irdischen Leben erduldet, kann man die Natur der in einer früheren Existenz begangenen Fehler und Unvollkommenheiten beurteilen, die deren Ursache sind.

11. Die Sühne variiert je nach der Art und Schwere des Fehlers. Dasselbe Verschulden kann auf diese Weise je nach mildernden oder erschwerenden Umständen, unter denen es begangen wurde, zu unterschiedlichen Wiedergutmachungen führen.

12. Hinsichtlich der Art und Dauer der Strafe gibt es keine absolute und einheitliche Regelung. Das einzig allgemeine Gesetz ist, dass jeder Fehler seine Strafe und jede gute Tat ihre Belohnung bekommt, entsprechend ihrem Wert.

13. Die Dauer der Strafe ist von der Besserung des schuldigen Geistes abhängig. Es wird gegen ihn keine Verurteilung auf eine bestimmte Zeit ausgesprochen. Was Gott verlangt, um das Leiden zu beenden, ist eine ernsthafte, wirkliche Besserung und eine aufrichtige Rückkehr zum Guten.

Der Geist ist somit immer der Schiedsrichter seines eigenen Schicksals. Er kann durch seine Verhärtung im Bösen seine Leiden verlängern oder sie durch seine Bemühungen, Gutes zu tun, mildern und abkürzen

Eine Verurteilung für eine bestimmte Zeit würde den doppelten Nachteil mit sich bringen, entweder weiterhin den Geist zu treffen, der sich gebessert hat, oder das Leiden zu beenden, während er noch im Bösen verhaftet wäre. Gott, der gerecht ist, bestraft das Böse, solange es existiert. Er hört auf zu strafen, wenn das Böse nicht mehr existiert (vgl. Kap. 6, Nr. 25, Anführung aus Ezechiel). Oder, wenn man so will, da das moralisch Böse aus sich selbst heraus eine Ursache des Leidens ist, dauert das Leiden genauso lange, wie das Böse besteht. Seine Intensität nimmt in dem Maße ab, wie das Böse schwächer wird.

14. Da die Dauer der Strafe von der Besserung abhängig ist, folgt daraus, dass der schuldige Geist, der sich nie bessern würde, immer leiden müsste und dass die Strafe für ihn ewig wäre. 15. Ein mit den niederen Geistern verbundener Umstand ist der, kein Ende ihrer Situation zu sehen und zu glauben, dass sie immer leiden werden. Es ist für sie eine Strafe, die ihnen ewig erscheinen muss.

Bemerkung: "Immer" ist gleichbedeutend mit “endlos, ewig". Man sagt: die Grenze des ewigen Schnees, das ewige Eis der Pole, man sagt auch: der ständige Sekretär der Akademie, was nicht bedeutet, dass er es auf ewig sein wird, sondern nur auf unbegrenzte Zeit. “Ewig” und “immer” werden daher im Sinne von “unbestimmt” verwendet. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Strafen ewig sind, wenn man darunter versteht, dass sie keine begrenzte Dauer haben. Sie sind ewig für den Geist, der ihr Ende nicht sieht.

16. Der erste Schritt zur Besserung ist die Reue. Aber sie allein reicht nicht, es bedarf noch der Sühne und der Wiedergutmachung. Reue, Sühne und Wiedergutmachung sind die drei notwendigen Bedingungen, um die Spuren eines Fehlers und seiner Folgen zu beseitigen.

Die Reue mildert die Schmerzen der Sühne, indem sie Hoffnung gibt und die Wege der Rehabilitierung vorbereitet. Aber nur die Wiedergutmachung kann die Wirkung aufheben, indem sie die Ursache zerstört. Ein Straferlass wäre eine Gunst und keine Tilgung.

17. Die Reue kann jederzeit und überall stattfinden. Tritt sie später ein, so leidet der Schuldige länger.

Die Sühne besteht in den körperlichen und geistigen Leiden, als Folge des begangenen Fehlers, sei es nun im gegenwärtigen Leben oder nach dem Tod im geistigen Leben oder in einer neuen körperlichen Existenz. Sie dauert, bis die Spuren des Fehlers getilgt sind.

Wiedergutmachung besteht darin, denjenigen Gutes zu tun, denen man Schaden zugefügt hat. Wer sein Unrecht in diesem Leben durch Nichtkönnen oder bösen Willen nicht wiedergutmacht, wird sich in einem späteren Dasein in Kontakt mit denselben Menschen wiederfinden, die sich über ihn zu beklagen hatten, und in von ihm selbst gewählten Lebenslagen, so dass er ihnen seine Hingabe beweisen und ihnen so viel Gutes tun kann, wie er ihnen Schaden zugefügt hat.

Nicht alle Fehler verursachen einen direkten und wirklichen Schaden. In diesem Fall wird die Wiedergutmachung dadurch geleistet, indem man tut, was man damals hätte tun sollen und nicht getan hat, indem man die Pflichten, die man vernachlässigt oder ignoriert, die Aufgaben, die man verfehlt hat, erfüllt; das Gute ausübt, entsprechend dem, was man Böses getan hat. Das heißt, indem man demütig ist, wenn man hochmütig war, milde, wenn man hart war, liebevoll, wenn man selbstsüchtig war, wohlwollend, wenn man gehässig war, fleißig, wenn man faul war, nützlich, wenn man unnütz war, enthaltsam, wenn man ausschweifend war, beispielhaft, wenn man ein schlechtes Beispiel gab usw. So schreitet der Geist voran und zieht Nutzen aus seiner Vergangenheit.

Bemerkung: Die Notwendigkeit der Wiedergutmachung beruht auf dem Grundsatz strenger Gerechtigkeit, der als das wahre Gesetz moralischer Rehabilitation der Geistwesen angesehen werden kann. Es ist eine Lehre, die noch von keiner öffentlich ausgeübten Religion verkündet wurde (wenigstens in deutlichen, einfachen Worten).

Manche Leute lehnen sie ab, weil sie es bequemer finden würden, ihre Missetaten durch eine einfache Reue mit Hilfe einiger Formeln tilgen zu können, die nur Worte kosten. Es steht ihnen frei, sich von ihrer Schuld befreit zu glauben. Sie werden später sehen, ob das für sie genügt. Man könnte sie fragen, ob dieses Prinzip nicht im menschlichen Gesetz verankert ist und ob die Gerechtigkeit Gottes der menschlichen Gerechtigkeit gegenüber minderwertig sein kann? Ob sie mit einer Person zufrieden wären, die sie durch Vertrauensmissbrauch ruiniert hat und sich darauf beschränken würde, ihnen zu sagen, dass sie es unendlich bereut? Warum möchten sie vor einer Verpflichtung zurückweichen, die zu erfüllen sich jeder ehrliche Mensch zur Aufgabe macht, entsprechend seiner Kräfte?

Wenn diese Perspektive der Wiedergutmachung einmal in die Vorstellung der Massen eingedrungen sein wird, so wird sie der Zügel von ganz anderer Wirkungskraft sein als wie jene Lehre der Hölle und der ewigen Strafen. Denn sie berührt die Wirklichkeit des Lebens, und der Mensch wird dann die Ursache der schmerzlichen Umstände begreifen, in denen er sich befindet.

18. Die unvollkommenen Geister sind von den glücklichen Welten ausgeschlossen, deren Harmonie sie stören würden. Sie bleiben in den niederen Welten, wo sie ihre Schuld durch die Leiden des Lebens sühnen und sich von ihren Unvollkommenheiten reinigen, bis sie es verdienen, in den moralisch und physisch weiterentwickelten Welten zu inkarnieren.

Wenn man sich einen begrenzten Ort der Bestrafung vorstellen kann, so würde er sich auf den Welten der Sühne befinden. Denn um diese Welten herum wimmelt es von unvollkommenen desinkarnierten Geistern, die auf eine neue Inkarnation warten, die es ihnen ermöglichen soll, begangene Fehltritte wiedergutzumachen und die zu ihrem Voranschreiten weiterhelfen wird.

19. Weil der Geist immer seinen freien Willen hat, so ist seine Verbesserung manchmal langsam und sein Beharren im Bösen sehr hartnäckig. Er kann Jahre und Jahrhunderte darin verharren, aber es kommt immer ein Zeitpunkt, in dem sein Starrsinn, mit der er der Gerechtigkeit Gottes zu trotzen versuchte, sich dem Leiden beugt, und er trotz seiner Prahlerei die höhere Macht erkennt, die ihn beherrscht. Sobald die ersten Schimmer der Reue in ihm auftauchen, lässt Gott ihn die ersten Funken der Hoffnung sehen.

Kein Geist ist in der Lage, sich niemals zu verbessern. Sonst wäre der Geist fatalerweise einer ewigen Niedrigkeit ausgeliefert und würde dem Gesetz des Fortschritts entgehen, das entsprechend der Vorsehung alle Geschöpfe beherrscht.

20. Was auch immer die Unvollkommenheit der Geister sein mag, Gott verlässt sie niemals. Alle haben ihren Schutzengel, der über sie wacht und die Regungen ihrer Seele beobachtet. Er bemüht sich, in ihnen gute Gedanken und den Wunsch nach Fortschritt zu wecken, danach, in einer neuen Existenz das Böse, das sie getan haben, wiedergutzumachen. Der Schutzgeist handelt dabei meist auf verborgene Weise, ohne irgendwelchen Druck auszuüben. Der Geist soll sich durch eigenen Willen verbessern und nicht durch irgendeinen Zwang. Er handelt gut oder schlecht, je nach seinem freien Willen und ohne dabei in die eine oder andere Richtung getrieben zu werden. Wenn er Böses tut, so erleidet er die Folgen, solange er auf dem falschen Weg bleibt. Sobald er einen Schritt zum Guten macht, fühlt er sofort dessen Wirkung.

Bemerkung: Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass nach dem Gesetz des Fortschritts die Gewissheit, früher oder später zur Vervollkommnung und zum Glück zu gelangen, eine Ermutigung sein kann, vorerst im Bösen zu beharren, unter dem Vorbehalt späterer Reue. Zunächst, weil der niedrigstehende Geist kein Ende seiner Lage sieht, zweitens, weil der Geist als Verursacher seines eigenen Unglücks versteht, dass es von ihm abhängt, dass dieses aufhört. Dass er umso länger unglücklich sein wird, je länger er im Bösen verharrt. Dass sein Leiden ewig währt, wenn er es nicht selbst beendet. Es wäre daher eine falsche Berechnung von seiner Seite, deren erster Betrogener er selbst sein würde. Wenn ihm dagegen nach dem Dogma der unwiderruflichen Strafen für immer alle Hoffnung verwehrt ist, so hat er kein Interesse mehr, zum Guten zurückzukehren. Es wäre für ihn ohne Gewinn.

Vor diesem Gesetz fällt der Einwand, der aus der göttlichen Vorahnung gezogen wird. Gott weiß bei der Erschaffung eines Geistes, ob er Kraft seines freien Willens den guten oder den schlechten Weg einschlagen wird. Er weiß, dass der Geist bestraft werden wird, wenn er Böses tut. Aber er weiß auch, dass diese vorübergehende Bestrafung ein Mittel ist, dem Geist seinen Irrtum verständlich zu machen, und um gleichzeitig zu bewirken, dass er den guten Weg wählen wird, auf dem er früher oder später ankommen wird. Nach der Lehre von den ewigen Strafen weiß er, dass er scheitern wird und im voraus zu endlosen Leiden verurteilt ist.

21. Jeder ist nur für seine eigenen Fehltritte verantwortlich. Niemand trägt die Strafe für die Fehler anderer. Es sei denn, er hat Anlass dazu gegeben, indem er sie durch sein Beispiel provoziert hat oder indem er sie trotz seiner Möglichkeiten nicht verhinderte.

So wird z.B. der Selbstmörder immer bestraft. Aber derjenige, der durch seine Härte einen Menschen zur Verzweiflung und damit zur Selbstvernichtung treibt, erleidet eine noch größere Strafe.

22. Obwohl die Verschiedenheit der Bestrafungen unendlich ist, gibt es doch einige, die dem niedrigen Zustand der Geister entsprechen und deren Folgen, von Nuancen abgesehen, fast identisch sind.

Die unmittelbarste Strafe, besonders für diejenigen, die sich durch Vernachlässigung des geistigen Fortschritts an das materielle Leben gebunden haben, besteht in der langsamen Trennung der Seele vom Körper in den Ängsten, die den Tod und das Erwachen im anderen Leben begleiten und in der Dauer der Verwirrung, die Monate und Jahre fortbestehen kann. Bei denen hingegen, deren Gewissen rein ist, die sich schon zu ihren Lebzeiten mit dem geistigen Leben beschäftigt und von den materiellen Dingen losgelöst haben, ist die Trennung schnell und frei von Erschütterungen, das Erwachen friedlich und die Verwirrung fast gleich null.

23. Ein Phänomen, das bei Geistern mit einer gewissen moralischen Unreife sehr häufig vorkommt, besteht darin, dass sie glauben, noch am Leben zu sein. Diese Illusion kann sich über Jahre ausdehnen, in denen sie alle Bedürfnisse, alle Qualen und alle Schwierigkeiten des Lebens empfinden.

24. Für den Verbrecher ist der unaufhörliche Anblick seiner Opfer und der Umstände seines Verbrechens eine grausame Bestrafung.

25. Bestimmte Geister sind in tiefe Finsternis getaucht. Andere befinden sich mitten im Raum in absoluter Isolation, gequält von der Unkenntnis ihrer Situation und ihres Schicksals. Die Schuldigsten leiden Qualen, die umso schmerzhafter sind, je weniger sie deren Ende sehen. Vielen wird der Anblick ihrer Lieben vorenthalten. Ausnahmslos alle ertragen mit verhältnismäßiger Intensität die Leiden, Schmerzen und Nöte, die sie anderen zugefügt haben, bis Reue und der Wunsch nach Wiedergutmachung beginnen, eine Linderung zu bringen, indem ihnen die Möglichkeit aufgezeigt wird, diese Lage aus eigener Kraft zu beenden.

26. Es ist eine Strafe für den Hochmütigen, diejenigen in himmlischer Herrlichkeit zu sehen, umringt und gefeiert, die er auf der Erde verachtet hatte, während er selbst in die letzten Ränge zurückverwiesen ist; für den Heuchler, sich von dem Licht durchdrungen zu sehen, das seine geheimsten Gedanken enthüllt, die jeder lesen kann, ohne Möglichkeit für ihn, sich zu verstecken und zu verstellen; für den Sinnlichen, alle Versuchungen, alle Wünsche zu haben, ohne sie befriedigen zu können; für den Geizigen, sein Geld verschleudert zu sehen und es nicht behalten zu können; für den Egoisten, von allen verlassen zu werden und all das zu erleiden, was andere durch ihn erlitten haben. Er wird durstig sein und niemand wird ihm zu trinken geben. Er wird hungern und niemand wird ihm zu essen geben. Keine freundliche Hand kommt, um seine Hand zu halten. Keine mitfühlende Stimme kommt, um ihn zu trösten. Er dachte zu Lebzeiten nur an sich. Niemand denkt nun an ihn und bemitleidet ihn jetzt nach seinem Tod.

27. Das Mittel, um die Folgen der eigenen Fehler im zukünftigen Leben zu vermeiden oder abzumildern, besteht darin, sie im gegenwärtigen Leben so weit wie möglich loszuwerden. Das bedeutet, dass man das Böse wiedergutmacht, damit man es nicht später auf eine schmerzlichere Weise wiedergutmachen muss. Je länger man damit zögert, seine Fehler abzulegen, desto schmerzlicher sind die Folgen davon und desto strenger ist die erforderliche Wiedergutmachung, die man erbringen muss.

28. Die Situation des Geistes von seinem Eintritt an in das geistige Leben ist die, die er sich durch sein körperliches Leben auf der Erde vorbereitet hat. Später wird ihm eine weitere Inkarnation gegeben, zur Sühne und zur Wiedergutmachung durch neue Prüfungen. Aber er profitiert mehr oder weniger davon, entsprechend der Kraft seines freien Willens. Wenn er davon keinen Gebrauch macht, vergrößert sich seine Aufgabe, jedes Mal unter schmerzlicheren Bedingungen von vorne anzufangen, so dass derjenige, der auf Erden viel zu leiden hatte, sich sagen kann, dass er viel zu sühnen hatte. Diejenigen, die trotz ihrer Laster und ihrer Nutzlosigkeit ein scheinbares Glück genießen, dürfen sicher sein, dass sie es in einem späteren Leben teuer zu bezahlen haben. In diesem Sinne hat Jesus gesagt: "Selig die Leidtragenden; denn sie werden getröstet werden." (“Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus”, Kap. 5).

29. Die Barmherzigkeit Gottes ist zweifellos unendlich, aber sie ist nicht blind. Der Schuldige, dem er vergibt, ist nicht entlastet und solange er der Gerechtigkeit nicht Genüge getan hat, trägt er die Folgen seiner Fehler. Unter unendlicher Barmherzigkeit muss verstanden werden, dass Gott nicht unerbittlich ist und dass er die Tür zur Rückkehr zum Guten immer offenlässt.

30. Da die Strafen vorübergehend und der Reue und Wiedergutmachung untergeordnet sind, die vom freien Willen des Menschen abhängen, sind sie gleichzeitig Bestrafung und Heilmittel, die dazu helfen sollen, die Wunden des Bösen zu heilen. Die Geister in Bestrafung sind also nicht wie auf Zeit verurteilte Galeerensträflinge, sondern wie Kranke im Krankenhaus. Diese leiden an einer Krankheit, die häufig von ihnen selbst verschuldet ist. Sie leiden auch unter den schmerzvollen Heilmitteln, die diese Krankheit erfordert. Sie haben aber Hoffnung auf Genesung und genesen umso schneller, je genauer sie die Vorschriften des Arztes befolgen, der mit Sorgfalt über sie wacht. Wenn sie ihre Leiden durch ihre Schuld verlängern, hat der Arzt nichts damit zu tun.

31. Zu den Strafen, die der Geist im geistigen Leben erleidet, kommen die des körperlichen Lebens hinzu. Sie sind eine Folge der Unvollkommenheiten des Menschen, seiner Leidenschaften, des schlechten Gebrauchs seiner Fähigkeiten und der Sühne seiner gegenwärtigen und vergangenen Fehler. Im körperlichen Leben macht der Geist das Böse seiner früheren Existenzen wieder gut und setzt die im geistigen Leben getroffenen Vorsätze in die Tat um. So erklären sich jene Leiden und Wechselfälle, die auf den ersten Blick keine Existenzberechtigung zu haben scheinen, und sind doch absolut gerecht, weil sie die Quittung für die Vergangenheit sind und dem Fortschritt dienen (siehe 5. Kapitel: “Das Fegefeuer”, Nr. 3ff; - 19. Kapitel: “Beispiele von irdischen Sühnen” - “Das Evangelium aus der Sicht des Spiritismus”, 5. Kapitel: “Selig sind die Leidtragenden”).

32. Würde Gott, so sagt man, nicht eine größere Liebe zu seinen Geschöpfen beweisen, wenn er sie als unfehlbar geschaffen hätte und folglich frei von den Wechselfällen, die mit der Unvollkommenheit verbunden sind?

Dafür hätte er vollkommene Wesen erschaffen müssen, die nichts zu erwerben brauchen, weder an Kenntnissen noch an Tugenden. Ohne Zweifel hätte er das gekonnt. Wenn er dies nicht getan hat, so hat er in seiner Weisheit gewollt, dass der Fortschritt allgemeines Gesetz sei.

Die Menschen sind unvollkommen und als solche mehr oder weniger schmerzhaften Wechselfällen ausgesetzt. Das ist eine Tatsache, die akzeptiert werden muss, da sie existiert. Daraus zu folgern, dass Gott weder gut noch gerecht sei, wäre eine Auflehnung gegen ihn.

Es wäre ungerecht, wenn er privilegierte Wesen geschaffen hätte, die begünstigter wären als die anderen, ohne Arbeit das Glück genießen, das andere nur mit Mühe oder nie erreichen können. Aber wo seine Gerechtigkeit erstrahlt, liegt es in der absoluten Gleichheit, die die Erschaffung aller Geister leitet und bestimmt. Alle haben den gleichen Ausgangspunkt. Da ist bei seiner Erschaffung keiner, der höher begabt wäre als die anderen. Keiner, dessen Fortschritt durch Ausnahmen erleichtert wäre. Diejenigen, die das Ziel erreicht haben, haben den Weg der Prüfungen und der Niedrigkeit durchlaufen.

Wird dies zugegeben, was wäre da gerechter als die jedem überlassene Handlungsfreiheit? Der Weg zum Glück steht allen offen. Das Ziel ist für alle dasselbe. Die Bedingungen dafür sind für alle gleich. Dieses in alle Gewissen eingravierte Gesetz wird allen gelehrt. Gott hat aus dem Glück den Lohn der Arbeit und nicht der Gunst gemacht, damit jeder dessen Verdienst hat.

Jedem steht es frei zu arbeiten oder nichts für seinen Fortschritt zu tun. Wer viel und schnell arbeitet, wird früher dafür belohnt. Wer sich auf seinem Weg verirrt oder seine Zeit verschwendet, verzögert seine Ankunft und kann sich nur selbst dafür verantwortlich machen. Das Gute und das Böse sind freiwillig und optional. Da der Mensch frei ist, wird er unweigerlich weder zu dem einen noch zu dem anderen gezwungen.

33. Trotz der Verschiedenheit der Arten und Stufen des Leidens unvollkommener Geister lässt sich das Strafgesetzbuch des zukünftigen Lebens in diese drei Grundsätze zusammenfassen:

Das Leiden hängt mit der Unvollkommenheit zusammen.

Jede Unvollkommenheit und jeder Fehler, der sich daraus ergibt, bringt ihre individuelle Strafe durch ihre natürlichen und unvermeidlichen Folgen mit sich, so wie Krankheit die Folge von Exzessen, Langeweile die von Müßiggang ist, ohne dass für jeden Fehler und jede Person eine besondere Verurteilung erforderlich wäre.

Jeder Mensch, der seine Unvollkommenheiten durch die Wirkung seines Willens ablegen kann, kann sich die daraus resultierenden Leiden ersparen und sein zukünftiges Glück sichern.

Dies ist das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit: Jedem nach seinen Werken – im Himmel und auf der Erde.



Kapitel VIII - Die Engel

1. Alle Religionen haben unter verschiedenen Namen Engel gehabt, das heißt Wesen, die über der Menschheit stehen, Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Der Materialismus, der jede geistige Existenz außerhalb des organischen Lebens leugnet, hat Engel naturgemäß unter Fiktionen und Allegorien eingeordnet. Der Glaube an Engel ist ein wesentlicher Bestandteil der Dogmen der Kirche. Hier sind ihre Definitionen.

Bemerkung: Wir entnehmen diese Zusammenfassung dem Hirtenbrief von Hochwürden Thomas Gousset, Kardinal-Erzbischof von Reims, zur Fastenzeit 1864. Man kann diesen als den jüngsten Ausdruck des Kirchenglaubens über diesen Punkt ansehen, genauso wie den über die "Dämonen", der aus derselben Quelle stammt und im folgenden Kapitel angeführt ist.


2. „Wir glauben fest daran, sagt ein allgemeines und ökumenisches LateranKonzil, dass es nur einen wahren Gott gibt, ewig und unendlich, der am Anfang der Zeit das eine und das andere Geschöpf aus dem Nichts erschaffen hat, das Geistige und das Körperliche, das Engelhafte und das Weltliche, und danach als mittlere zwischen beiden, die menschliche Art, bestehend aus Körper und Geist.

So ist nach dem Kirchenglauben der göttliche Plan im Werk der Schöpfung beschaffen, ein majestätischer und vollständiger Plan, wie er der ewigen Weisheit entspricht. So konzipiert, bietet er unseren Gedanken das Sein auf allen Stufen und in allen Bedingungen und Lagen. In der höchsten Sphäre erscheinen Dasein und Leben rein geistig, in der letzten Reihe Dasein und Leben rein materiell und in der Mitte als Trennung dieser eine merkwürdige Vereinigung der beiden Arten, ein Leben, das gleichzeitig dem intelligenten Geist und dem organischen Körper gemeinsam ist.

Unsere Seele ist von einfacher und unteilbarer Natur, aber sie ist in ihren Fähigkeiten begrenzt. Die Vorstellung, die wir von der Vollkommenheit haben, lässt uns verstehen, dass es andere Wesen geben kann, einfach wie sie und die in ihren Eigenschaften und Privilegien überlegen sind. Sie ist groß und edel, aber mit der Materie verbunden, die von zerbrechlichen Organen bedient wird und begrenzt in ihrem Handeln und ihrer Kraft. Warum sollte es nicht noch edlere Wesen geben, die frei sind von dieser Unterdrückung und diesen Fesseln und ausgestattet mit größerer Kraft und unvergleichlicher Aktivität? Bevor Gott den Menschen auf die Erde gesetzt hatte, damit derselbe ihn erkenne, liebe und ihm diene, hatte er da nicht bereits andere Geschöpfe gerufen, um seinen himmlischen Hof zu bilden und ihn in der Wohnstätte seiner Herrlichkeit anzubeten? Schließlich empfängt Gott von den Händen des Menschen den Tribut der Ehre und die Huldigung dieses Universums. Ist es erstaunlich, dass er aus den Händen des Engels den Weihrauch und das Gebet der Menschen empfängt? Wenn es also die Engel nicht gäbe, hätte das große Werk des Schöpfers nicht die Krönung und Vollkommenheit, deren es fähig war. Diese Welt, die seine Allmacht bezeugt, wäre nicht mehr das Meisterwerk seiner Weisheit. Selbst unsere Vernunft, obwohl schwach und fehlbar, könnte es leicht vollständiger und vollendeter entwerfen.

Auf jeder Seite der heiligen Bücher des Alten und Neuen Testaments werden diese erhabenen Geistwesen in frommen Anrufungen oder in historischen Zeilen erwähnt. Ihr Eingreifen zeigt sich deutlich im Leben der Stammväter und Propheten. Gott bedient sich ihres Dienstes, manchmal um seine Wünsche auszudrücken, manchmal um zukünftige Ereignisse anzukündigen. Er macht sie fast immer zu Werkzeugen seiner Gerechtigkeit oder seiner Barmherzigkeit. Ihre Gegenwart ist mit den verschiedenen Umständen der Geburt, des Lebens und Leidens des Erlösers verflochten. Ihr Andenken ist untrennbar verbunden mit dem großer Männer und den wichtigsten Ereignissen der religiösen Antike. Es findet sich sogar im Schoße des Polytheismus und unter den Märchen der Mythologie, denn der betreffende Glaube ist so alt und so universell wie die Welt. Und die Anbetung, die die Heiden den guten und den bösen Geistern erwiesen, war nur eine falsche Anwendung der Wahrheit, ein entarteter Überrest des ursprünglichen Dogmas.

Die Worte des heiligen Lateran-Konzils enthalten eine grundlegende Unterscheidung zwischen Engeln und Menschen. Sie lehren uns, dass erstere reine Geister sind, während letztere aus einem Körper und einer Seele bestehen. Das heißt, dass die engelhafte Natur sich durch sich selbst aufrecht hält, nicht nur ohne Vermischung, sondern auch ohne wirklich mögliche Verbindung mit der Materie, wie leicht und fein man sie sich auch vorstellen mag. Während unsere in gleicher Weise geistige Seele derart mit dem Körper verbunden ist, dass sie nur ein einziges und selbes Wesen bildet, und dass dies im Wesentlichen ihre Bestimmung ist.

Solange diese so innige Vereinigung der Seele mit dem Körper dauert, haben diese beiden Grundwesenheiten ein gemeinsames Leben und üben einen wechselseitigen Einfluss aufeinander aus. Die Seele kann sich von dem daraus resultierenden unvollkommenen Zustand nicht ganz befreien. Ihre Vorstellungen kommen ihr durch die Sinne, durch den Vergleich äußerer Gegenstände und immer unter mehr oder weniger offensichtlichen Bildern. Daher kann sie sich selbst nicht betrachten und sich Gott und die Engel nicht vorstellen, ohne ihnen irgendeine sichtbare und greifbare Form zu geben. Deshalb mussten die Engel, um sich vor den Heiligen und Propheten sichtbar zu machen, körperliche Gestalten zu Hilfe nehmen. Aber diese Figuren waren nur Luftkörper, die sie bewegten, ohne dass sie sich mit ihnen ganz vereint hätten. Oder sie waren symbolische Beigaben in Bezug auf die Mission, mit der sie beauftragt waren.

Ihr Wesen und ihre Bewegungen sind nicht an einen Ort gebunden und auf einen festen und begrenzten Punkt des Raumes festgelegt. Da sie an keinen Körper gebunden sind, können sie nicht wie wir Menschen von anderen Körpern festgehalten und eingeschränkt werden. Sie nehmen keinen Raum ein und füllen keine Leere. Aber so wie unsere Seele vollständig in unserem Körper und in jedem seiner Teile ist, so sind sie vollständig und fast gleichzeitig an allen Punkten und in allen Teilen der Welt. Schneller als der Gedanke können sie überall sein und dort durch sich selbst wirken, ohne andere Hindernisse für ihre Pläne, außer dem Willen Gottes und dem Widerstand der menschlichen Freiheit.

Während wir darauf beschränkt sind, die Dinge, die außerhalb von uns sind, nur nach und nach und bis zu einem gewissen Grad zu sehen, und während uns die Wahrheiten der übernatürlichen Ordnung gemäß der Aussage des Apostels Paulus wie ein Rätsel und in einem Spiegel erscheinen, sehen sie mühelos, was ihnen wichtig ist zu wissen und stehen in unmittelbarem Bezug mit dem Gegenstand ihres Denkens. Ihr Wissen ist nicht das Ergebnis von Folgerung und Urteilen, sondern von jener klaren und tiefen inneren Intuition, die gleichzeitig die Gattung und die sich daraus ableitenden Arten umfasst, die Prinzipien und die Folgerungen, die sich daraus ergeben.

Der Abstand der Zeiten, der Unterschied der Orte und die Vielfalt der Gegenstände können in ihrem Geist keine Verwirrung hervorrufen.

Die göttliche Essenz, die unendlich ist, ist unbegreiflich. Sie hat Geheimnisse und Tiefen, in die sie nicht eindringen können. Die besonderen Pläne der Vorsehung sind ihnen verborgen, aber sie enthüllt ihnen das Geheimnis, wenn sie unter bestimmten Umständen von ihr beauftragt werden, sie den Menschen zu verkünden.

Die Mitteilungen von Gott zu den Engeln und von den Engeln untereinander erfolgen nicht wie bei uns durch artikulierte Laute und andere wahrnehmbare Zeichen. Reine Geistwesen brauchen weder Augen zum Sehen noch Ohren zum Hören. Sie haben auch nicht das Organ der Stimme, um ihre Gedanken zu äußern. Diese gewohnheitsmäßige Vermittlung unserer Gespräche ist für sie nicht notwendig. Aber sie teilen ihre Gefühle auf eine Weise mit, die ihnen eigen und völlig geistig ist. Um verstanden zu werden, müssen sie es nur wollen.

Gott allein kennt die Zahl der Engel. Diese Zahl kann zweifellos nicht unendlich sein und ist es auch nicht. Aber laut den ehrwürdigen Schriftstellern und heiligen Lehrern ist sie sehr beträchtlich und wirklich unermesslich. Wenn es naheliegend ist, die Zahl der Einwohner einer Stadt in ein Verhältnis zu ihrer Größe und Ausdehnung zu bringen, und wenn die Erde im Vergleich zum Firmament und den riesigen Regionen des Weltraums nur ein Atom ist, muss daraus geschlossen werden, dass die Zahl der Bewohner des Himmels und der Luft viel größer ist als die der Menschen.

Da nun die Hoheit der Könige ihren Glanz aus der Zahl ihrer Untertanen, Beamten und Diener erhält, was gäbe es da Besseres, um uns eine Vorstellung von der Größe und Hoheit des Königs der Könige zu gewähren, als diese unzählige Menge von Engeln, die den Himmel, die Erde, das Meer und die Abgründe bevölkern und als die Würde derer, die sich unaufhörlich vor seinem Thron niederwerfen oder aufrecht stehen?

Die Kirchenväter und Theologen lehren im Allgemeinen, dass die Engel in drei große Hierarchien oder Fürstentümer eingeteilt sind und jede Hierarchie in drei Gruppen oder Chöre.

Die der ersten und höchsten Hierarchiestufe werden entsprechend den Funktionen ernannt, die sie im Himmel ausüben. Die einen werden Seraphim genannt, weil sie vor Gott mit dem Feuer der Nächstenliebe entzündet werden. Die anderen heißen Cherubim, weil sie eine leuchtende Reflektion seiner Weisheit sind. Wieder andere nennt man Throne, weil sie Gottes Größe verkünden und Sein Licht zurückstrahlen lassen.

Die Engel der zweiten Hierarchiestufe erhalten ihre Namen von den Aufgaben, die ihnen in der allgemeinen Regierung des Universums zugewiesen sind. Diese sind: Herrschaften, die den Engeln der niederen Ordnungen ihre Aufgaben und Funktionen zuweisen; Kräfte, die die Wunder vollbringen, die von den großen Interessen der Kirche und der Menschheit verlangt werden; Mächte, die durch ihre Macht und Wachsamkeit die Gesetze schützen, die die physische und moralische Welt regieren.

Die der dritten Hierarchiestufe haben als ihren Bereich die Leitung der Gesellschaften und Menschen. Die Fürstentümer sind den Königreichen, Provinzen und Bistümern vorgesetzt; die Erzengel, die die Botschaften von hoher Wichtigkeit übermitteln; die Schutzengel, die jeden von uns begleiten, um über unsere Sicherheit und Heiligung zu wachen.”



Widerlegung

3. Das allgemeine Prinzip, das sich aus dieser Lehre ergibt, ist, dass Engel rein spirituelle Wesen sind, die der Menschheit vorausgehen und ihr überlegen sind, privilegierte Geschöpfe, die seit ihrer Erschaffung dem höchsten und ewigen Glück geweiht sind. Aufgrund ihres Wesens sind sie mit allen Tugenden und allem Wissen ausgestattet, ohne etwas getan zu haben, um sie zu erwerben. Sie stehen im Schöpfungswerk an erster Stelle. In der letzten Reihe steht das rein materielle Leben und zwischen den beiden die Menschheit, die aus den Seelen besteht, geistige Wesen, die niedriger stehen als die Engel und mit materiellen Körpern ausgestattet sind.

Aus diesem System ergeben sich mehrere hauptsächliche Schwierigkeiten. Was vor allem ist dieses rein materielle Leben? Handelt es sich um rohe, grobe Materie? Aber rohe Materie ist unbeseelt und hat kein eigenes Leben. Will man von Pflanzen und Tieren reden? Es wäre dann eine vierte Ordnung in der Schöpfung, denn es ist nicht zu leugnen, dass in dem intelligenten Tier mehr steckt als in einer Pflanze und in letzterer mehr als in einem Stein. Die menschliche Seele, die den Übergang bildet, ist direkt mit einem Körper verbunden, der nur rohe Materie ist, weil er ohne Seele nicht mehr Leben als ein Erdklumpen hat.

Dieser Einteilung fehlt offensichtlich die Klarheit und sie stimmt nicht mit der Beobachtung überein. Sie ähnelt der Theorie der vier Elemente, die den Fortschritten der Wissenschaft nicht standgehalten hat. Lassen wir aber diese drei Begriffe zu: die geistige Schöpfung, das menschliche und das körperliche Wesen. So heißt es, ist der göttliche Plan, ein majestätischer und vollständiger Plan, wie er der ewigen Weisheit entsprach. Bemerken wir zunächst, dass es zwischen diesen drei Begriffen keine notwendige Verbindung gibt. Sie sind drei unterschiedliche Schöpfungen, die nacheinander entstanden. Von einem zum anderen gibt es keinen Zusammenhang, während in der Natur alles zusammenhängt. All dies zeigt uns ein bewundernswertes Gesetz der Einheit, von dem alle Elemente, die nur Abwandlungen voneinander sind, ihr Bindeglied haben. Diese Theorie ist insofern wahr, als diese drei Begriffe offensichtlich existieren. Nur ist sie unvollständig. Ihr fehlen die Berührungspunkte, wie man leicht nachweisen kann.


4. Diese drei Höhepunkte der Schöpfung sind, so sagt die Kirche, notwendig für die Harmonie des Ganzen. Gäbe es einen einzigen weniger, so wäre das Werk unvollendet und entspräche nicht mehr der ewigen Weisheit. Einer der grundlegenden Lehrsätze der Religion besagt jedoch, dass die Erde, Tiere, Pflanzen, die Sonne und Sterne und sogar das Licht vor sechstausend Jahren erschaffen und aus dem Nichts hervorgebracht wurden. Vor dieser Zeit gab es also weder ein menschliches noch ein körperliches Wesen. Während der verflossenen Ewigkeit war also das göttliche Werk unvollkommen geblieben. Dass die Erschaffung des Universums auf sechstausend Jahre zurückgeht, ist ein so wesentlicher Glaubenssatz, dass die Wissenschaft noch bis vor wenigen Jahren mit dem Bannfluch belegt wurde, weil sie begann, die biblische Zeitrechnung zu zerstören, indem sie das hohe Alter der Erde und ihrer Bewohner bewies.

Das Lateran-Konzil, eine weltumfassende Kirchenversammlung, das in Fragen der Rechtgläubigkeit Vorschriften macht, sagt jedoch: „Wir glauben fest daran, dass es nur einen wahren Gott gibt, ewig und unendlich, der am Anfang der Zeit das eine und das andere Geschöpf aus dem Nichts erschaffen hat, das Geistige und das Körperliche.” Der “Anfang der Zeit” kann nur als verflossene Ewigkeit verstanden werden, denn die Zeit ist unendlich wie der Raum: Sie hat weder Anfang noch Ende. Dieser Ausdruck “Anfang der Zeit” ist eine Redewendung, die die Vorstellung einer unbegrenzten Vorzeit einbezieht. Das Lateran-Konzil glaubt daher fest daran, dass die geistigen und körperlichen Geschöpfe gleichzeitig geformt und zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt in der Vergangenheit miteinander aus dem Nichts gezogen wurden. Was wird nun aus dem biblischen Text, der diese Schöpfung auf sechstausend Jahre vor unserer Zeit zurückverlegt? Wenn man annimmt, dass dies der Beginn des sichtbaren Universums ist, ist es sicherlich nicht der Anfang der Zeit. Wem soll man glauben, dem Lateran-Konzil oder der Bibel?


5. Dasselbe Lateran-Konzil stellt außerdem eine seltsame Behauptung auf: „Unsere in gleicher Weise geistige Seele ist derart mit dem Körper verbunden, dass sie mit ihm nur ein einziges und selbes Wesen bildet und dies ist im Wesentlichen ihre Bestimmung.” Wenn die wesentliche Bestimmung der Seele darin besteht, mit dem Körper vereinigt zu sein, stellt diese Vereinigung ihren normalen Zustand dar. Das ist ihr Zweck und ihr Ziel, da dies eben ihre Bestimmung ist. Die Seele ist jedoch unsterblich und der Körper sterblich. Ihre Vereinigung mit dem Körper findet nur einmal statt, sagt die Kirche, und selbst wenn sie ein Jahrhundert andauern würde, was wäre das im Vergleich zur Ewigkeit? Aber für eine sehr große Zahl von Menschen sind es kaum ein paar Stunden. Welchen Nutzen kann diese flüchtige Vereinigung für die Seele haben? Wenn ihre größte Dauer im Verhältnis zur Ewigkeit eine nicht wahrnehmbare Zeit ist, ist es dann richtig zu sagen, dass ihre Bestimmung sei, im Wesentlichen mit dem Körper verbunden zu sein? Diese Vereinigung ist in Wirklichkeit nur ein Zwischenfall, ein Punkt im Leben der Seele und nicht ihr wesentlicher Zustand.

Wenn die wesentliche Bestimmung der Seele darin besteht, mit einem materiellen Körper vereinigt zu sein, wenn diese Vereinigung aufgrund ihrer Natur und gemäß dem Vorsehungszweck ihrer Erschaffung für die Manifestation ihrer Fähigkeiten notwendig ist, muss man daraus schließen, dass die menschliche Seele ohne den Körper ein unvollständiges Wesen ist. Um nun das zu bleiben, was sie ihrer Bestimmung nach ist, nachdem sie einen Körper verlassen hat, muss sie einen anderen annehmen. Dies führt zwingend zu einer Pluralität von Existenzen, mit anderen Worten, zur beständigen Reinkarnation. Es ist wirklich seltsam, dass ein Konzil, das als eines der Leuchten der Kirche gilt, geistiges und materielles Dasein so sehr vereinigt hat, dass sie in gewisser Weise nicht ohne einander bestehen können, da die wesentliche Bedingung ihrer Erschaffung darin besteht, vereint zu sein.


6. Das Bild der Hierarchie der Engel lehrt uns, dass mehrere Ordnungen in ihren Befugnissen die Leitung der physischen Welt und der Menschheit haben und dass sie zu diesem Zweck geschaffen sind. Aber laut der Genesis existieren die physische Welt und die Menschheit erst seit sechstausend Jahren. Was machten diese Engel vor dieser Zeit, die Ewigkeit hindurch, da die Objekte ihrer Beschäftigungen nicht vorhanden waren? Sind Engel von Ewigkeit her erschaffen worden? Es muss so sein, da sie ja der Verherrlichung des Allerhöchsten dienen. Wenn Gott sie zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt geschaffen hätte, wäre er bis dahin, das heißt für eine Ewigkeit, ohne Anbeter gewesen.


7. Weiter heißt es: "Solange diese innige Vereinigung der Seele mit dem Körper dauert." Es kommt also ein Zeitpunkt, zu dem diese Vereinigung nicht mehr besteht? Dieser Satz widerspricht dem, der diese Vereinigung zur wesentlichen Bestimmung der Seele macht.

Es heißt auch: "Die Vorstellungen kommen ihr durch die Sinne, durch den Vergleich äußerer Gegenstände." Dies ist eine zum Teil wahre philosophische Lehre, aber nicht im absoluten Sinn. Es ist nach Ansicht jenes hervorragenden Theologen eine der Natur der Seele innewohnende Bedingung, dass sie die Vorstellungen nur durch die Sinne aufnehmen kann. Er vergisst die angeborenen Ideen, die manchmal so überlegenen Fähigkeiten, die Intuition der Dinge, die das Kind von Geburt an mitbringt und keiner Anweisung verdankt. Durch welchen Sinn haben diese jungen, geistig Begabten von Haus aus, die alle Gelehrten in Erstaunen versetzt haben, die notwendigen Ideen erworben, die für die fast augenblickliche Lösung der kompliziertesten Probleme erforderlich sind? Dasselbe gilt für einige frühe Musiker, Maler und Sprachbegabte.

Die Kenntnisse der Engel sind nicht das Ergebnis von Folgerung und Urteil. Sie wissen es, weil sie Engel sind, ohne dass sie lernen mussten. Gott hat sie so geschaffen. Die Seele muss dagegen lernen. Wenn die Seele Ideen nur durch die körperlichen Organe erhält, welche Vorstellungen kann dann die Seele eines Kindes haben, das nach einigen Tagen verstirbt, wenn man mit der Kirche annimmt, dass es nicht wiedergeboren wird?


8. Hier stellt sich eine wichtige Frage: Erwirbt die Seele Ideen und Wissen nach dem Tod des Körpers? Wenn sie, einmal losgelöst vom Körper, nichts erwerben kann, wird die des Kindes, des Unwissenden und geistig Zurückgebliebenen immer das bleiben, was sie beim Tod war. Dann wäre sie für immer der Wertlosigkeit ausgeliefert. Wenn sie nach dem jetzigen Leben neues Wissen erwirbt, dann deshalb, weil sie Fortschritte machen kann. Ohne den jenseitigen Fortschritt der Seele gelangt man zu absurden Folgerungen. Mit dem Fortschritt kommt man zur Verneinung aller Lehren, die auf dem Stillstand der Seele beruhen: das unwiderrufliche Schicksal, ewige Strafen usw.

Wenn sie voranschreitet, wo hört der Fortschritt auf? Es gibt keinen Grund, warum sie nicht die Stufe von Engeln oder reinen Geistern erreicht. Wenn sie dies erreichen kann, war es nicht nötig, besondere und privilegierte Wesen zu erschaffen, die frei von aller Mühe sind und ewiges Glück genießen, ohne etwas dafür getan zu haben, während andere weniger begünstigte Wesen höchste Glückseligkeit nur um den Preis langer und grausamer Leiden und der härtesten Prüfungen erlangen. Gott kann das zweifellos, aber wenn man die Unendlichkeit seiner Vollkommenheit zugibt, ohne die es keinen Gott gibt, muss man auch zugeben, dass er weder Unnützes tut, noch was die uneingeschränkte Gerechtigkeit und Güte in Frage stellen würde.


9. Da nun die Hoheit der Könige ihren Glanz aus der Zahl ihrer Untertanen, Beamten und Diener erhält, was gäbe es da Besseres, um uns eine Vorstellung von der Erhabenheit des Königs der Könige zu gewähren, als diese unzählige Menge von Engeln, die den Himmel, die Erde, das Meer und die Abgründe bevölkern und die Würde derer, die unaufhörlich vor seinem Thron niederfallen oder aufrecht stehen?

Erniedrigt es nicht die Gottheit, seine Herrlichkeit mit der Pracht der Machthaber der Erde gleichzusetzen? Dieser Gedanke, der in den Geist der unwissenden Massen eingeprägt ist, verfälscht die Meinung, die man sich von der wahren Größe Gottes macht. Das meint immer einen Gott, der auf die kleinlichen Verhältnisse der Menschheit reduziert ist. Ihm das Bedürfnis zu unterstellen, Millionen von Anbetern zu haben, die sich ununterbrochen vor ihm niederwerfen oder aufrecht stehen, heißt, ihm die Schwächen der despotischen und stolzen Monarchen des Ostens zuzuschreiben. Was macht wirklich große Herrscher aus? Ist es die Zahl und der Glanz ihrer Höflinge? Nein, es ist ihre Güte und ihre Gerechtigkeit, es ist der verdiente Titel der Väter ihrer Untertanen. Man fragt sich, ob es etwas Besseres gibt, um uns eine Vorstellung von der Majestät Gottes zu geben, als die Vielzahl von Engeln, die seinen Hof bilden? Ja, gewiss, es gibt etwas Besseres, ihn für alle seine Geschöpfe als höchst gütig, gerecht und barmherzig darzustellen, und nicht als einen zornigen, eifersüchtigen, rachsüchtigen, unerbittlichen, zerstörerischen und parteiischen Gott, der zu seiner eigenen Ehre diese privilegierten, mit allen Gaben ausgestatteten, für ewiges Glück geborenen Wesen erschafft. Auf der anderen Seite lässt er die anderen das Glück mühsam erwerben und bestraft einen Augenblick des Irrtums mit einer Ewigkeit des Martyriums.


10. Der Spiritismus bekennt sich in Bezug auf die Vereinigung von Seele und Körper zu einer mehr spiritualistischen, um nicht zu sagen weniger materialistischen Lehre, die den Vorteil hat, dass sie mehr mit der Beobachtung und der Bestimmung der Seele übereinstimmt. Nach dem, was er uns lehrt, ist die Seele unabhängig vom Körper, der nur eine vorübergehende Hülle ist. Die Essenz der Seele ist geistig und ihr normales Leben ist das geistige Leben. Der Körper ist nur ein Instrument zur Ausübung ihrer Fähigkeiten in ihren Beziehungen zur materiellen Welt. Getrennt von diesem Körper genießt sie ihre Fähigkeiten in größerer Freiheit und größerem Umfang.


11. Ihre Vereinigung mit dem Körper, die für ihre ersten Entwicklungsschritte notwendig ist, findet nur in der Zeit statt, die man ihre Kindheit und Jugend nennen kann. Wenn sie einen gewissen Grad an Vervollkommnung und Entmaterialisierung erreicht hat, ist diese Vereinigung nicht mehr notwendig und die Seele schreitet nur noch durch das Leben des Geistes voran. So zahlreich im Übrigen die körperlichen Existenzen auch sein mögen, sie sind zwangsläufig durch das körperliche Leben begrenzt und ihre ganze Gesamtheit umfasst in jedem Fall nur einen unmerklichen Teil des geistigen Lebens, das unendlich ist.



Die Engel aus der Sicht der Spiritistischen Lehre

12. Dass es Wesen gibt, die mit allen Eigenschaften ausgestattet sind, die den Engeln zugeschrieben werden, kann nicht bezweifelt werden. Die spiritistische Offenbarung bestätigt in diesem Punkt den Glauben aller Völker, aber sie lässt uns zugleich die Natur und den Ursprung dieser Wesenheiten erkennen.

Seelen oder Geistwesen wurden einfach und unwissend erschaffen, das heißt ohne Wissen und ohne Bewusstsein von Gut und Böse, aber fähig, alles zu erwerben, was ihnen fehlt. Sie erwerben es durch Arbeit. Das Ziel, das die Vervollkommnung ist, ist für alle gleich. Sie kommen dort mehr oder weniger schnell an, Kraft ihres freien Willens und entsprechend ihrer Bemühungen. Alle haben die gleichen Stufen zu durchlaufen und die gleiche Arbeit zu leisten. Gott gibt den einen nicht einen größeren oder leichteren Anteil als den anderen. Weil alle seine Kinder sind und er gerecht ist, bevorzugt er keinen. Er sagt zu ihnen: „Hier ist das Gesetz, das eure Verhaltensregel sein sollte. Es allein kann euch zum Ziel führen. Alles, was diesem Gesetz entspricht, ist gut, was dagegen ist, ist böse. Es steht euch frei, es zu beachten oder zu übertreten und ihr werdet somit die Schiedsrichter eures eigenen Schicksals sein.” Gott hat also das Böse nicht erschaffen. Alle seine Gesetze sind zum Guten. Es ist der Mensch selbst, der das Böse erschafft, indem er die Gesetze Gottes bricht. Wenn der Mensch sie gewissenhaft beachtet, würde er niemals vom richtigen Weg abweichen.


13. Aber der Seele fehlt es in den ersten Stadien ihres Daseins, wie bei einem Kind, an Erfahrung. Deshalb ist sie fehlbar. Gott schenkt ihr die Erfahrung nicht, aber er gibt ihr die Mittel, sie zu erwerben. Jeder falsche Schritt auf dem Weg des Bösen ist für sie eine Verzögerung. Sie trägt die Folgen davon und lernt auf ihre Kosten, was sie vermeiden muss. So entwickelt sie sich nach und nach, vervollkommnet sich und schreitet in der spirituellen Hierarchie voran, bis sie den Zustand des reinen Geistes oder Engels erreicht hat. Die Engel sind daher die Seelen der Menschen, die zum Grad der Vollkommenheit gelangten, die das Geschöpf seinem Wesen nach erreichen kann, und die die Fülle der versprochenen Glückseligkeit genießen. Bevor sie die höchste Stufe erreicht haben, genießen sie ein im Verhältnis zu ihrem Fortschritt entsprechendes Glück, aber dieses Glück liegt nicht im Müßiggang. Es liegt in den Aufgaben, die Gott ihnen nach seinem Wohlwollen anvertraut und die sie gerne erfüllen, denn diese Beschäftigungen sind ein Mittel zum Fortschritt (siehe Kap. 3 “Der Himmel”).


14. Die Menschheit ist nicht auf die Erde beschränkt. Sie bewohnt die unzähligen Welten, die im Weltraum kreisen, hat jene bewohnt, die verschwunden sind und wird diejenigen bewohnen, die noch entstehen werden. Gott hat die ganze Ewigkeit lang geschaffen und er schafft unaufhörlich. Lange bevor die Erde existierte, so alt sie auch sein mag, gab es inkarnierte Geister auf anderen Welten, die dieselben Stadien durchlaufen haben, die wir, Geister jüngerer Zeit, in diesem Moment durchlaufen, und die das Ziel erreichten, noch bevor wir aus den Händen des Schöpfers hervorgegangen waren. Daher hat es seit aller Ewigkeit Engel oder reine Geister gegeben. Aber da sich ihre menschliche Existenz in der Unendlichkeit der Vergangenheit verliert, ist es für uns so, als ob sie immer Engel gewesen wären.


15. Auf diese Weise wird das große Gesetz der Einheit der Schöpfung verwirklicht. Gott ist niemals untätig gewesen. Er hatte immer reine, zuverlässige und aufgeklärte Geister für die Übermittlung seiner Befehle und für die Leitung aller Teile des Universums, von der Regierung der Welten bis zu den kleinsten Einzelheiten. Er brauchte also keine privilegierten, von Leiden befreite Wesen zu schaffen. Alle, längst vorhandene wie neue, haben ihre Stufen durch Kampf und durch ihre eigenen Verdienste erlangt. Alle sind die Kinder ihrer Werke. Auf diese Weise erfüllt sich gleichmäßig die höchste Gerechtigkeit Gottes.




Kapitel IX - Die Teufel

Der Ursprung des Glaubens an die Existenz von Teufeln

1. Teufel und Dämonen haben zu allen Zeiten in den verschiedenen Lehren von der Entstehung der Götter eine große Rolle gespielt. Obwohl sie in der öffentlichen Wahrnehmung erheblich an Bedeutung verloren haben, gibt doch die Wichtigkeit dieser Frage, die man ihr noch heute zuschreibt, eine gewisse Tragweite, denn sie berührt die Grundlagen der religiösen Glaubensvorstellungen. Darum ist es angebracht, diese Frage und die ihr zuteil gewordenen Entwicklungen zu prüfen.

Der Glaube an eine höhere Macht ist den Menschen angeboren. Man findet ihn in den verschiedensten Formen und in allen Zeitaltern der Welt. Wenn die Menschen jedoch auf der Stufe des geistigen Fortschritts, auf der sie heute angelangt sind, noch immer über das Wesen und die Eigenschaften dieser Macht streiten, wie viel unvollkommener mussten ihre Vorstellungen darüber in der Kindheitsphase der Menschheit gewesen sein.


2. Das Bild, das uns von der Unschuld der Naturvölker bei der Betrachtung der Schönheiten der Natur vermittelt wird, in der sie die Güte des Schöpfers bewundern, ist zweifellos sehr poetisch. Es entspricht jedoch nicht der Wahrheit.

Je mehr sich der Mensch dem Naturzustand nähert, umso mehr herrschen instinktive Triebe in ihm, so wie man es noch bei den ursprünglichen Naturvölkern unserer Tage sehen kann. Was ihn am meisten in Anspruch nimmt, oder vielmehr, was ihn ausschließlich beschäftigt, ist die Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse, weil er keine anderen hat. Der einzige Sinn, der ihn den rein moralischen Aspekten zugänglich machen kann, entwickelt sich erst im Laufe der Zeit und allmählich. Die Seele hat ihre Kindheit, ihre Jugend und das Erwachsenenalter, so wie der menschliche Körper. Aber um das Erwachsenenalter zu erreichen, das sie befähigt, die abstrakten Dinge zu begreifen, wie viele Entwicklungen muss sie dabei in der Menschheit durchmachen! Wie viele Inkarnationen muss sie dabei vollenden!

Ohne in die frühesten Zeiten zurückzugehen, schauen wir uns die Menschen auf dem Land an und fragen uns, welche Gefühle des Staunens durch die Strahlen der aufgehenden Sonne, den sternenübersäten Himmel, das Zwitschern der Vögel, das Murmeln der klaren Wellen, die Blumenpracht auf den Wiesen in ihnen erweckt werden! Für sie geht die Sonne auf, weil sie es immer tut und alles, was sie wollen, ist, dass die Sonne genug Wärme zum Reifen der Ernte gibt, aber nicht zu viel, sodass sie nicht verbrannt wird. Wenn sie den Himmel betrachten, so geschieht dies, weil sie wissen wollen, ob es den nächsten Tag gutes oder schlechtes Wetter geben wird. Ob die Vögel singen oder nicht, ist ihnen gleichgültig, solange sie das Korn nicht fressen. Sie ziehen das Gegackere der Henne und das Grunzen des Schweines dem Gesang der Nachtigall vor. Sie erwarten von den klaren oder schlammigen Bächen, dass sie nicht versiegen und sie nicht überschwemmen; von den Wiesen, dass sie gutes Gras geben, mit oder ohne Blumen; das ist alles, was sie begehren bzw. alles, was sie von der Natur begreifen, und doch haben sie sich schon weit von den Urmenschen entfernt!


3. Wenn wir uns auf diese Urmenschen beziehen, so sehen wir sie noch ausschließlich mit der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse beschäftigt. Was dazu dient, für diese zu sorgen und was ihnen schaden kann, macht für sie das Gute und das Böse in dieser Welt aus. Sie glauben an eine höhere Macht. Aber da sie am meisten berührt, was ihnen einen materiellen Nachteil bringt, führen sie es auf diese Macht zurück, von der sie sich übrigens nur eine sehr vage Vorstellung machen. Da sie außerhalb der sicht- und tastbaren Welt noch nichts begreifen können, stellen sie sich diese Macht als in den Wesen und Dingen innewohnend vor, die ihnen schaden. Die bösartigen Tiere sind für sie die natürlichen und direkten Vertreter dieser Macht. Aus demselben Grund sahen sie die Versinnbildlichung des Guten in den nützlichen Dingen, die ihnen Vorteile verschafften oder hilfreich waren, daher die erwiesene Verehrung für bestimmte Tiere oder Pflanzen und selbst unbelebte Gegenstände. Aber der Mensch ist im Allgemeinen empfänglicher für das Böse als für das Gute. Das Gute scheint ihm selbstverständlich, während das Böse mehr Eindruck auf ihn macht. In allen anfänglichen Kulten sind darum die Gebräuche zu Ehren böser Mächte die zahlreichsten: Die Furcht gewinnt die Oberhand über die Dankbarkeit.

Lange Zeit hindurch begriff der Mensch nur das physische Gute und Böse. Das Gefühl für das moralische Gute und Böse verwies auf einen Fortschritt in der menschlichen Einsicht. Erst dann gewann der Mensch Einblick in die Spiritualität und verstand, dass die höhere Macht außerhalb der sichtbaren Welt liegt und nicht in den materiellen, vergänglichen Dingen. Das war das Werk einiger auserwählter Geister, die jedoch gewisse Grenzen nicht überschreiten konnten.


4. Da man einen unaufhörlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen sah, bei dem das Böse oft siegte, und weil man auf der anderen Seite vernünftigerweise nicht zugeben konnte, dass das Böse das Werk einer gutartigen Macht sei, schloss man daraus, dass es zwei rivalisierende Mächte gibt, die diese Welt lenken. Von da entstand die Lehre der zwei Prinzipien, dem des Guten und dem des Bösen, eine für jene Zeit logische Schlussfolgerung, denn der Mensch war noch unfähig, eine andere zu begreifen und die Essenz des höchsten Wesens zu ergründen. Wie hätte er verstehen können, dass das Böse nur ein vorübergehender Zustand ist, aus dem das Gute hervorgehen kann, und dass die Leiden, die ihn heimsuchen, ihn zum Glück führen sollen, indem sie zu seinem Fortschritt beitragen? Die Grenzen seines geistigen Horizontes erlaubten ihm nicht, außerhalb des gegenwärtigen Lebens und darüber hinaus etwas zu sehen, weder davor noch danach. Er konnte weder begreifen, dass er fortgeschritten ist, noch individuell weiter fortschreiten wird und noch weniger, dass die Wechselfälle des Lebens das Ergebnis der Unvollkommenheit des geistigen Wesens sind, das in ihm wohnt; das bereits vor seinem Körper existiert hat, ihn überleben wird und sich in einer Folge von Existenzen läutert, bis es seine Vollendung erreicht hat! Um das Gute, das aus dem Bösen hervorgehen kann, zu begreifen, darf man nicht nur eine einzige Existenz betrachten. Man muss das Ganze erfassen: Nur dann erscheinen die wahrhaftigen Ursachen und ihre ganzen Auswirkungen.


5. Das duale Prinzip vom Guten und Bösen war viele Jahrhunderte hindurch und unter verschiedenen Namen die Grundlage aller religiösen Überzeugungen. Es wurde personifiziert unter den Namen “Ormuz” und “Ariman” bei den Persern, “Jehova”, “Jaweh” oder “Ihoh” und “Satan” bei den Hebräern. Aber so wie jeder Herrscher hohe Diener haben muss, bewundern alle Religionen zweitrangige Mächte, seien es gute oder böse Geister. Die Heiden verkörperten sie in einer Menge unzähliger Einzelwesen, von denen jedes seine besondere Zuteilung für das Gute und das Böse, für die Laster und Tugenden hat, und denen sie den allgemeinen Namen "Götter" gaben. Christen und Moslems erhielten von den Hebräern die Engel und die Teufel.


6. Die Lehre von den Teufeln hat also ihren Ursprung im alten Glauben an die zwei Prinzipien des Guten und Bösen. Wir prüfen dies hier nur vom christlichen Standpunkt aus und untersuchen, ob sie mit den genaueren Erkenntnissen vereinbar ist, die wir heute von den Eigenschaften der Gottheit haben.

Diese Eigenschaften sind der Ausgangspunkt, die Grundlage aller Religionen. Glaubenssätze, Kulte, Bräuche, Zeremonien und Moralvorstellungen: Alles steht in Beziehung mit den mehr oder weniger richtigen und erhabenen Begriffen, die man sich von Gott macht, von der Götzenanbetung bis hin zum Christentum. Auch wenn das innerste Wesen Gottes immer noch ein Geheimnis für unseren Verstand ist, verstehen wir es dank der Lehren Christi besser denn je. Das Christentum, in Übereinstimmung mit der Vernunft, lehrt uns, dass “Gott einzig ist, ewig, unwandelbar, immateriell, allmächtig, im höchsten Maße gerecht und gut und unendlich in all seinen Vollkommenheiten.”

Es ist so wie an anderer Stelle (Kap. 6, "Endlose Strafen") gesagt wurde: "Wenn man das kleinste Teilchen einer einzigen von den Eigenschaften Gottes wegnähme, dann hätte man keinen Gott mehr, weil ein vollkommeneres Wesen vorhanden sein könnte." Diese Eigenschaften sind in ihrer unumschränkten Fülle also das Erkennungszeichen aller Religionen, der Maßstab der Wahrheit einer jeden der Prinzipien, die sie lehren. Insofern eine dieser Prinzipien wahr ist, darf sie keine der Vollkommenheiten Gottes beeinträchtigen. Sehen wir, ob es sich mit der gewöhnlichen Lehre von den Teufeln so verhält.



Die Teufel aus kirchlicher Sicht

7. Nach der Kirchenlehre ist "Satan" als das Haupt oder der König der Teufel durchaus keine sinnbildliche Personifizierung des Bösen, sondern ein wirkliches Wesen, das ausschließlich das Böse tut, während Gott ausschließlich das Gute tut. Nehmen wir ihn also als solchen, wie man ihn uns beschreibt.

Gibt es Satan seit aller Ewigkeit, so wie Gott, oder ist er nach Gott gekommen? Wenn es ihn seit aller Ewigkeit gibt, so ist er ungeschaffen und folglich Gott gleich. Gott ist dann nicht mehr einzig. Es gibt da einen Gott des Guten und einen Gott des Bösen.

Ist er aber erst später gekommen, dann ist er ein Geschöpf Gottes. Weil er eben nur das Böse tut und unfähig ist, Gutes zu tun und zu bereuen, hat Gott ein auf immer dem Bösen ergebenes Wesen erschaffen. Wenn das Böse nicht das Werk Gottes ist, sondern das Werk eines seiner Geschöpfe, das zu solchem Tun vorausbestimmt ist, so ist Gott immer dessen erster Urheber und dann ist er nicht unendlich gut. Dasselbe gilt für alle bösen Wesen, die “Teufel" genannt werden.


8. Über lange Zeit ist der Glaube über diesen Punkt folgender gewesen: (Die hier folgenden Zitate sind dem Hirtenbrief des Monsignore Kardinal Gousset, Kardinal-Erzbischof von Reims, zur Fastenzeit von 1865 entnommen. Mit Rücksicht auf das persönliche Verdienst und die Stellung des Autors kann man sie als den letzten Ausdruck der Kirche über die Lehre von den Teufeln deuten).

"Gott, der seiner Natur nach die Güte und Heiligkeit ist, hatte sie durchaus nicht böse und übeltuend geschaffen. Seine väterliche Hand, die sich darin gefällt, über all ihre Werke einen Widerschein seiner unendlichen Vollkommenheit zu verbreiten, hatte sie mit ihren herrlichsten Gaben überhäuft. Den überragenden Eigenschaften ihres Wesens hatte sie die reichen Schenkungen seiner Gnade zugefügt. Sie hatte sie in Allem den erhabenen Geistern gleich gemacht, die in der Herrlichkeit und der Glückseligkeit sind. Verteilt in all ihren Ordnungen und unter alle Ränge gemischt, hatten sie dasselbe Ziel und dieselben Schicksale. Ihr Anführer ist der schönste der Erzengel gewesen. Auch sie hätten es sich verdienen können, bestärkt zu werden, immer in der Gerechtigkeit zu verweilen und zu einem ewigen Genuss des Glückes der Himmel zugelassen zu sein. Diese letzterwähnte Gunst würde von allen anderen Gunsten, denen sie teilhaftig wurden, übertroffen werden; sie sollte der Lohn ihrer Folgsamkeit sein, aber sie haben sich derselben unwert gemacht. Sie haben dieselbe verloren, infolge einer gewagten und unsinnigen Rebellion.

Welches ist das Hindernis ihrer Beharrlichkeit gewesen? Welche Wahrheit haben sie verleugnet? Welche Handlung der Treue und der Anbetung haben sie Gott verweigert? Die Kirche und die Chroniken der heiligen Geschichte beschreiben es auf keine eindeutige Weise. Aber es scheint sicher, dass sie sich weder der Vermittlung des Sohnes Gottes noch der Erhöhung der menschlichen Natur in Jesus Christus unterworfen haben.

Das göttliche Wort, durch das alle Dinge gemacht sind, ist auch der einzige Mittler und Retter im Himmel und auf Erden. Ihr so hohes Ziel ist den Engeln und den Menschen nur in Voraussicht ihrer Inkarnation und ihrer Verdienste gegeben worden. Denn die Werke der höchsten Geister und diese Belohnung, die nichts anderes als Gott selbst ist, stehen in keinem Verhältnis zueinander. Kein Geschöpf hätte zu ihr gelangen können, ohne diese wunderbare und erhabene Intervention barmherziger Liebe. Um nun den unendlichen Abstand auszufüllen, der das göttliche Wesen von den Werken Seiner Hände trennt, musste es mit seiner Person selbst die beiden Extreme vereinen und seiner Göttlichkeit das Wesen und die Art des Engels oder des Menschen verbinden, und es wählte die menschliche Natur.

Dieses Vorhaben, von aller Ewigkeit her angelegt, wurde den Engeln lange vor seiner Ausführung offenbart. Der Menschengott wurde ihnen in der Zukunft als der gezeigt, der sie in Gnade segnen und sie einführen sollte in die Herrlichkeit, unter der Bedingung, dass sie ihn auf der Erde während seiner Sendung und im Himmel in den Jahrtausenden der Jahrtausende anbeten würden. Eine unverhoffte Enthüllung, eine hinreißende Vision für die edelmütigen und dankbaren Herzen, aber ein tiefes Geheimnis, erdrückend für hochmütige Geister. Dieses erhabene Ziel, dieses unermessliche Maß an Herrlichkeit, welches ihnen unterbreitet war, sollte also nicht einzig die Belohnung ihrer eigenen Verdienste sein! Nie sollten sie sich selbst den Rechtsanspruch und den Besitz zuschreiben können. Ein Mittler zwischen ihnen und Gott, welche ihrer Würde zugefügte Beleidigung! Eine der menschlichen Art bewilligte freie Bevorzugung, welche Ungerechtigkeit! Welche Antastung ihrer Rechte! Diese Menschheit, die so viel niedriger stand als sie, sollen sie sie eines Tages vergöttert sehen, durch ihre Vereinigung mit dem "Wort" und sitzend zur Rechten Gottes, auf einem strahlenden Herrschersitz? Sollen sie dazu einwilligen, ihm ewiglich ihre Huldigungen und Anbetungen darzubringen?

"Luzifer” (der Lichtbringer) und der dritte Teil der Engel erlagen jenen Gedanken des Hochmuts und der Eifersucht. Der Erzengel Michael und mit ihm der größte Teil riefen aus: "Wer ist Gott gleich? Er ist der Herr aller Gaben und der unumschränkte Herrscher aller Dinge. Ehre sei Gott und dem Lamm, das für das Heil der Welt geopfert werden wird!" Aber der Anführer der Rebellen, vergessend, dass er seinem Schöpfer verantwortlich sei für seine Stellung und seine Vorrechte, hörte nur auf seine Vermessenheit und sagte: "Ich selbst werde zum Himmel aufsteigen; ich werde meinen Wohnsitz über den Sternen errichten; ich werde mich auf den Berg des Bundes setzen, zu den Seiten des Nordwinds; ich werde die höchsten Wolken beherrschen und dem Höchsten gleich sein." Jene, die seine Ansichten teilten, nahmen seine Worte mit einem Murmeln des Beifalls auf und es gab sie auf allen Rängen der göttlichen Ordnung; aber ihre Menge schützte sie nicht vor der Strafe.”


9. Diese Lehre ruft mehrere Einwände hervor.

Erstens: Wenn Satan und die Teufel Engel waren, so bedeutet das, dass sie vollkommen waren. Wenn sie vollkommen waren, wie konnten sie dann Fehler begehen und in diesem Punkt die Autorität Gottes verkennen, in dessen Gegenwart sie sich befanden? Man würde es noch verstehen, dass, wenn sie nur schrittweise und nach dem Durchlaufen des Geburtsweges der Unvollkommenheit auf dieser verdienstvollen Stufe angelangt waren, sie einen verdrießlichen Rückfall gehabt hätten. Was aber die Sache noch unbegreiflicher macht, ist, dass man sie uns darstellt, als wären sie vollkommen erschaffen worden.

Eine Folgerung aus dieser Lehre ist diese: Gott hatte in ihnen vollkommene Wesen erschaffen wollen, da Er sie ja mit allen Gaben überhäuft hatte, und Er hat sich geirrt; also ist Gott nach Maßgabe der Kirchenlehre nicht unfehlbar.

Diese ungeheuerliche Folgerung wird durch Moses bekräftigt, wenn er sagt (1. Mose, Kap. 6, Vers 6 - 7): "Es reute Ihn, die Menschen auf Erden gemacht zu haben und, berührt vom Schmerz bis auf den Grund des Herzens, sprach Er: „Ich werde den Menschen, den ich geschaffen habe, vom Boden der Erde vertilgen. Ich werde alles vertilgen, vom Menschen bis zu den Tieren, von Allem, das auf Erden kriecht, bis zu den Vögeln des Himmels. Denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“

Ein Gott, der Reue empfindet, über das, was Er getan hat, ist weder vollkommen noch unfehlbar: mithin ist Er kein Gott. Dennoch sind das Worte, welche die Kirche als heilige Wahrheiten verkündet. Man versteht ebenso wenig, was die Tiere mit der Verderbtheit der Menschen gemeinsam haben sollen, um ihre Vernichtung als verdient zu begründen.

Zweitens: Weil weder die Kirche noch die Chroniken der heiligen Geschichte die Ursache der Empörung der Engel gegen Gott aufklären und da es bloß gewiss “scheint”, dass es an ihrer Weigerung lag, die künftige Mission Christi anzuerkennen, welchen Wert kann da die so präzise und detailliert beschriebene Schilderung der Szene haben, die bei dieser Gelegenheit stattfand? Aus welcher Quelle hat man die Worte geschöpft, die so klar beschrieben sind, als ob sie dabei tatsächlich ausgesprochen worden wären - bis hin zu dem einfältigen Murmeln? Es kann nur eines zutreffen: entweder die Szene ist wahr oder sie ist es nicht. Wenn sie wahr ist, gibt es keinerlei Ungewissheit, und warum entscheidet die Kirche dann die Frage nicht? Wenn die Kirche und die Geschichte schweigen, wenn die Sache nur sicher scheint, so ist das nur eine Vermutung und die Beschreibung der Szene ist ein Werk der Fantasie.

Man liest bei Jesaja, Kap. 14, Vers 11 ff: “Dein Hochmut ist in die Unterwelt gestürzt worden; dein toter Leib ist zur Erde gefallen; dein Lager wird Moder sein und deine Kleider werden Würmer sein. – Wie bist du vom Himmel gefallen, Luzifer, du, der so strahlend beim Anbruch des Tages erschien? Wie bist du auf die Erde gestoßen worden, du, der den Völkern Wunden schlug. Du, der in deinem Herzen sprach: ich werde zum Himmel steigen, ich werde meinen Thron über die Sterne Gottes stellen, ich werde mich auf den Berg des Bundes setzen, zu den Seiten des Nordwinds; ich werde mich über den höchsten Wolken niederlassen und in Allem dem Höchsten gleich sein? - Und dennoch bist du von dieser Herrlichkeit in die Unterwelt bis zu den Tiefen des Abgrunds gestürzt worden. Die, welche dich sehen werden, werden nahe zu dir treten und, nachdem sie dir ins Gesicht geblickt haben, zu dir sprechen: ist das jener Mensch, der die Erde in Furcht versetzt, der den Schrecken in die Königreiche geworfen, der aus der Welt eine Wüste gemacht hat, der ihre Städte zerstört und jene in Ketten gelegt hat, die er zu seinen Gefangenen gemacht hatte?”

Diese Worte des Propheten beziehen sich keineswegs auf den Aufstand der Engel, sondern sind eine Anspielung auf den Hochmut und den Fall des Königs von Babylon, der die Juden gefangen hielt, wie es ja die letzten Verse beschreiben. Der König von Babylon ist sinnbildlich mit dem Namen Luzifer bezeichnet; aber die oben beschriebene Szene wird dort nicht erwähnt. Besagte Worte sind die des Königs, der in seinem Herzen sprach und sich in seinem Stolz über Gott setzte, dessen Volk er gefangen hielt. Die Vorhersage von der Befreiung der Juden, vom Untergang Babylons und von der Niederlage der Assyrer ist übrigens das ausschließliche Thema dieses Kapitels.

Drittens: Die Luzifer zugeschriebenen Worte verraten eine Unwissenheit, die man nur mit Verwunderung bei einem Erzengel vernimmt, der aufgrund seiner eigenen Wesensart und auf der Stufe, auf der er steht, nicht die Irrtümer und Vorurteile bezüglich der Einrichtung des Universums teilen darf, zu denen sich die Menschen bekannt haben, bis die Wissenschaft kam und sie aufklärte. Wie kann er sagen: "Ich werde meine Wohnung über die Gestirne setzen; ich werde die höchsten Wolken beherrschen?" Das ist immer der alte Glaube an die Erde als Mittelpunkt des Weltalls, an den Wolkenhimmel, der sich bis zu den Sternen ausdehnt, an das begrenzte Gebiet der Sterne, die ein Gewölbe bilden und die, wie uns mittlerweile die Astronomie lehrt, in den unendlichen Raum verstreut sind! Man weiß heutzutage, dass sich die Wolken von der Oberfläche der Erde aus nicht mehr als zwei Wegstunden (= ca. 9 km) in das All erstrecken. Um zu sagen, dass er die höchsten Wolken beherrschen werde und um von den Bergen zu sprechen, musste sich die Szene auf der Erdoberfläche abspielen und dort auch der Aufenthaltsort der Engel sein. Wenn dieser Aufenthaltsort in höheren Sphären liegt, war es unnütz zu sagen, dass er sich über die Wolken erheben werde. Engel eine von Unwissenheit geprägte Sprache sprechen zu lassen, heißt einzugestehen, dass die Menschen heutzutage davon mehr wissen als die Engel. Die Kirche hat stets den Fehler gemacht, die Fortschritte der Wissenschaft nicht zu beachten.


10. Die Antwort auf den ersten Einwand findet sich an der folgenden Stelle:

“Die heilige Schrift und die Überlieferung geben den Namen “Himmel" dem Ort, wo die Engel zur Zeit ihrer Erschaffung untergebracht waren. Aber das war nicht der Himmel, der Himmel der seligen Anschauung, wo Gott sich von Angesicht zu Angesicht seinen Auserwählten zeigt, und wo seine Auserwählten ihn ohne Mühen und deutlich anschauen, denn dort gibt es keine Gefahr oder die Möglichkeit mehr zu sündigen. Versuchung und Schwäche sind hier unbekannt. Gerechtigkeit, Freude und Friede herrschen hier in unveränderlicher Sicherheit, unvergänglich in Heiligkeit und Herrlichkeit. Es war demnach eine andere himmlische Region, eine strahlende und beglückte Sphäre, wo diese edlen Geschöpfe, die reichlich mit göttlichen Botschaften begünstigt worden sind, diese empfangen und sich mit Glaubensdemut an sie halten sollten, bevor ihnen gewährt wurde, deren Wahrheit im Wesen Gottes selbst zu sehen.”

Aus den vorherigen Erläuterungen folgt, dass die Engel, die sich schuldig gemacht haben, einer minder erhabenen, minder vollkommenen Kategorie angehörten, und dass sie noch nicht an den höchsten Ort gelangt waren, wo Verfehlungen unmöglich sind. Es mag sein, aber dann findet sich hier ein offenbarer Widerspruch, denn weiter oben wurde gesagt, dass "Gott sie in allem den erhabenen Geistern gleich gemacht hatte; dass sie, verteilt in all deren Ordnungen und vermischt in all deren Reihen, dasselbe Ziel und Schicksal hatten; dass ihr Anführer der schönste der Erzengel war." Wenn sie in allem den anderen gleich geschaffen worden sind, so waren sie nicht von niedrigem Wesen. Wenn sie in all ihren Reihen vermischt waren, so waren sie nicht an einem bestimmten Ort. Der Einwand bleibt also voll bestehen.


11. Es gibt einen anderen Einwand, der unbestritten der schwerwiegendste und ernsteste ist.

Es wird gesagt: "Dieses Vorhaben (die Vermittlung Christi), seit aller Ewigkeit geplant, wurde den Engeln lange Zeit vor dessen Ausführung offenbart.” Gott wusste also seit aller Ewigkeit, dass die Engel, ebenso wie die Menschen, diese Vermittlung brauchen würden. Er wusste oder wusste eben nicht, dass gewisse Engel fallen würden; dass dieser Fall für sie die ewige Verdammnis ohne Hoffnung auf Rückkehr nach sich ziehen würde; dass sie dazu bestimmt sein würden, die Menschen zu verführen; dass jene letzteren, die sich verführen lassen, dasselbe Schicksal erleiden würden. Wusste Er es, so schuf Er diese Engel zu ihrem unwiderruflichen Verderben, wie auch den größten Teil des Menschengeschlechts. Was man auch einwenden möge, es ist bei solcher Voraussicht unmöglich, ihre Erschaffung mit der herrlichen Güte Gottes in Einklang zu bringen. Wusste Gott es nicht, so war Er nicht allmächtig. In beiden Fällen ist es die Verneinung zweier Eigenschaften, ohne deren Fülle Gott nicht Gott wäre.



13. Sehen wir jetzt, welches ihr Schicksal ist und was sie tun. Kaum war ihr Aufstand in der Sprache der Geister, also in ihren Gedankengängen, bekannt geworden, wurden sie unwiderruflich aus ihrer himmlischen Stadt verbannt und in den Abgrund gestürzt.

“Unter diesen Worten verstehen wir, dass sie an einen Ort der Strafen verwiesen wurden, wo sie die Qual des Feuers erleiden, entsprechend dem Wortlaut des Evangeliums, der aus dem Munde des Erlösers selbst gekommen ist: “Gehet hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welches bereitet ist für den Teufel und seine Engel!" Der heilige Petrus sagt ausdrücklich, dass “Gott sie den Ketten und Qualen der Hölle überliefert hat", aber nicht alle bleiben ewig dort. Erst am Ende der Welt werden sie dort gemeinsam mit den Verdammten für immer eingeschlossen werden. Gegenwärtig erlaubt Gott, dass sie in dieser Schöpfung, zu der sie gehören, noch einen Platz einnehmen; in der Ordnung der Dinge, zu der ihre Existenz gehört, letztlich in den Beziehungen, die sie mit den Menschen haben sollten, und mit denen sie den verderblichsten Missbrauch treiben. Während die einen an ihrem finsteren Wohnsitz verweilen und dort der göttlichen Gerechtigkeit als Werkzeug gegen die unglücklichen Seelen dienen, die von ihnen verführt worden sind, wohnt eine endlose Zahl anderer, die unter der Leitung ihrer Anführer unsichtbare Legionen bilden, in den unteren Schichten unserer Atmosphäre und durchstreifen alle Teile der Erde. Sie sind mit allem, was hier unten vorgeht, verbunden und nehmen meistens einen sehr aktiven Anteil daran.”

Was die Worte Christi über die Strafe des ewigen Feuers betrifft, so wird diese Frage im 4. Kapitel "Die Hölle" behandelt.


14. Nach dieser Lehre ist nur ein Teil der Teufel in der Hölle. Der andere irrt in Freiheit umher, mischt sich in alles, was hier unten vor sich geht, macht sich das Vergnügen, Böses zu tun und das bis ans Ende der WeIt, dessen unbestimmter Zeitpunkt wohl nicht so bald eintreten wird. Warum also dieser Unterschied? Sind sie weniger schuldig? Sicher nicht. Es sei denn, es gelänge ihnen, einer nach dem anderen hinauszugelangen, was aus folgendem Satz hervorzugehen scheint: "Während die einen in ihrer finsteren Behausung bleiben und darin der göttlichen Gerechtigkeit als Werkzeug gegen die unglücklichen Seelen dienen, die von ihnen verführt worden sind."

Ihre Aufgaben bestehen also darin, die von ihnen verführten Seelen zu quälen. So sind sie nicht mit der Aufgabe belastet, jene zu strafen, die aus freien Stücken und willentlich begangener Vergehen schuldig sind, sondern die, deren Vergehen sie selbst bewirkt haben. Sie sind gleichzeitig die Ursache der Schuld und das Werkzeug der Bestrafung. Das ist etwas, was von der menschlichen Gerechtigkeit, so unvollkommen sie auch sein mag, nicht zugelassen werden würde. Das Opfer, das aus Schwäche dem Anlass erliegt, den man verursacht, um es in Versuchung zu führen, wird ebenso streng bestraft wie der Anstifter der Tat selbst, der List und Schlauheit anwendet; sogar noch schlimmer, weil es beim Verlassen der Erde direkt in die Hölle geht, aus der es nie wieder herauskommt und dort bis in alle Ewigkeit ohne Ruhe und Erbarmen leidet, während derjenige, der die erste Ursache seines Vergehens ist, bis ans Ende der Welt in Ruhe und Freiheit lebt! Ist die Gerechtigkeit Gottes denn nicht vollkommener als die der Menschen?


15. Das ist noch nicht alles. “Gott erlaubt, dass sie in dieser Schöpfung noch einen Platz einnehmen, in den Beziehungen, die sie gegenüber den Menschen haben sollten und mit denen sie den verderblichsten Missbrauch treiben." Konnte Gott der Missbrauch unbekannt bleiben, den sie mit der Freiheit treiben würden, die Er ihnen gab? Warum bewilligt Er sie ihnen dann? Es geschieht also in Kenntnis der Sachlage, dass Er seine Geschöpfe an ihre Willkür ausliefert, wohlwissend, kraft Seiner Allwissenheit, dass sie unterliegen und das Schicksal der Teufel haben werden. Hatten sie nicht schon genug an ihrer eigenen Schwachheit, um nicht auch noch von einem Feind zum Bösen verführt zu werden, der umso gefährlicher ist, als er unsichtbar ist? Weiterhin, wenn die Strafe nur vorübergehend wäre und der Schuldige sich durch Wiedergutmachung befreien könnte! Aber nein: er ist auf Ewigkeit verdammt. Seine Reue, seine Rückkehr zum Guten und seine Klagen sind überflüssig.

Die Teufel sind auf diese Weise die Lockmittel, vorausbestimmt zum Anwerben von Seelen für die Hölle, und das mit der Erlaubnis Gottes, der bei der Erschaffung dieser Seelen ihr Schicksal kannte, das ihnen bestimmt war. Was würde man auf der Erde von einem Richter sagen, der diese Erlaubnis nutzen würde, um die Gefängnisse zu füllen? Eine seltsame Vorstellung, die man uns von der Gottheit gibt, von einem Gott, dessen wesentliche Eigenschaften unumschränkte Gerechtigkeit und uneingeschränkte Güte sind! Und es geschieht im Namen Jesu Christi, der nur Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung gepredigt hat, dass solche Lehren verbreitet werden! Es gab eine Zeit, in der solche Regelwidrigkeiten unbemerkt blieben; man begriff sie nicht, man fühlte sie nicht; der Mensch, gebeugt unter dem Joch der Gewaltherrschaft, unterwarf seine Vernunft blind oder gab sie oft freiwillig selbst auf. Aber heutzutage hat die Stunde der Befreiung geschlagen. Er begreift die Gerechtigkeit, er will sie während seines Lebens und nach seinem Tode geltend wissen; darum spricht er: "Das gibt es nicht, das kann nicht sein, oder Gott ist nicht Gott."


16. Die Strafe folgt diesen gefallenen und verfluchten Wesen überall hin und sie tragen ihre Hölle stets bei sich. Sie haben keine Ruhe und keinen Frieden mehr. Selbst die Süße der Hoffnung hat sich für sie in Bitterkeit verwandelt; Hoffnung ist ihnen verhasst. Die Hand Gottes hat sie inmitten ihrer sündigen Tat getroffen und ihr Wille hat sich im Bösen verhärtet. Nachdem sie böse geworden sind, wollen sie nicht mehr aufhören, es zu sein und sind es für immer.

Sie sind nach der Sünde, was der Mensch nach dem Tod ist. Die Wiedereingliederung für die Gefallenen ist daher unmöglich. Ihr Verlust ist nunmehr ohne Wiederkehr und sie beharren in ihrem Hochmut gegenüber Gott, in ihrem Hass gegen Christus und in ihrer Eifersucht auf die Menschheit.

Da sie die Herrlichkeit des Himmels nicht erlangen konnten, weil sie in ihrem Ehrgeiz so hochgeflogen sind, trachten sie danach, ihr Reich auf Erden zu errichten und die Herrschaft Gottes von dort zu verbannen. Das zu Fleisch gewordene Wort hat gegen ihren Willen sein Vorhaben für die Rettung und die Würde der Menschheit ausgeführt. Alle ihre Mittel zum Handeln sind auf das Ziel gerichtet, Ihm die Seelen zu entreißen, die er erlöst hat. List, Zudringlichkeit, Lüge und Verführung, alles setzen sie daran, um sie ins Böse zu treiben und ihren Untergang zu vollenden.

Bei solchen Feinden kann das Leben des Menschen von seiner Wiege bis zum Grab doch nur ein beständiger Kampf sein, denn sie sind mächtig und unermüdlich.

ln der Tat sind diese Feinde dieselben, die, nachdem sie das Böse in die Welt gebracht haben, es geschafft haben, die Erde mit der dichten Finsternis des Irrtums und des Lasters zu bedecken; dieselben, die sich viele Jahrhunderte hindurch als Götter anbeten ließen und als Herrscher über die Völker des Altertums geherrscht haben; dieselben, die noch heute ihre tyrannische Herrschaft über die Götzen anbetenden Regionen ausüben und die Unordnung und Skandale bis mitten in den Schoß der christlichen Gemeinschaften stiften.

Um zu begreifen, was ihnen alles an Hilfsmitteln zum Dienst für ihre Bosheit zur Verfügung steht, genügt die Feststellung, dass sie von den erstaunlichen Fähigkeiten, die eine Eigenschaft ihrer engelhaften Natur sind, nichts verloren haben. Ohne Zweifel haben die Zukunft und vor allem die übersinnliche Ordnung Geheimnisse, die sich Gott vorbehalten hat und die sie nicht aufdecken können. Aber ihre Intelligenz ist der unseren weit überlegen, weil sie mit einem Blick die Wirkungen in ihren Ursachen und die Ursachen in ihren Wirkungen erkennen. Dieser Scharfblick erlaubt ihnen, im Voraus Ereignisse anzukündigen, die unseren Vermutungen entgehen. Die Entfernung und Verschiedenheit der Orte verschwinden vor ihrer Beweglichkeit. Schneller als der Blitz und rascher als der Gedanke sind sie fast gleichzeitig an verschiedenen Punkten der Erde und können in der Ferne die Dinge beschreiben, von denen sie Zeuge sind, im gleichen Augenblick, in dem sich diese ereignen.

Die allgemeinen Gesetze, durch die Gott dieses Universum regiert und leitet, gehören nicht zu ihrem Wirkungsbereich. Davon können sie nicht abweichen, folglich auch nicht wahrhaftige Wunder vorhersagen oder bewirken. Aber sie besitzen innerhalb gewisser Grenzen die Kunst der Nachahmung und Fälschung der göttlichen Werke. Sie wissen, welche Phänomene aus der Verbindung der Elemente hervorgehen und sagen mit Bestimmtheit diejenigen voraus, die natürlich eintreten werden, so wie jene, die sie aus eigener Macht hervorbringen können. Daher gibt es jene zahlreichen Vorhersagen, jene außergewöhnlichen Erscheinungen, von denen uns die heiligen und weltlichen Bücher berichten und die als Nährboden für alle Formen des Aberglaubens dienten.

Ihr einfaches und immaterielles Wesen entzieht sie unseren Blicken. Sie sind an unserer Seite, ohne wahrgenommen zu werden. Sie beeindrucken unsere Seele, ohne an unser Ohr zu dringen. Wir glauben, unseren eigenen Gedanken zu folgen, während wir ihren Versuchungen und ihrem verderblichen Einfluss erliegen. Unsere Anlagen und Zustände dagegen sind ihnen durch die Eindrücke, die wir von ihnen haben, bekannt und sie greifen uns gewöhnlich an unserer Schwachstelle an. Um uns sicherer zu verführen, haben sie die Gewohnheit, uns Verlockungen und Einflüsterungen anzubieten, die unseren Neigungen entsprechen. Sie verändern ihre Wirkungsweise je nach den Umständen und den charakteristischen Zügen jeder Stimmungslage. Ihre bevorzugten Waffen sind jedoch Lüge und Heuchelei.


17. Die Strafe, sagt man, folgt ihnen überall hin, sie haben keinen Frieden und keine Ruhe mehr. Das entwertet keineswegs die über die Gnadenfrist gemachte Bemerkung, von der die, die nicht in der Hölle sind, eine umso weniger gerechtfertigte Frist genießen, da sie mehr Böses tun, wenn sie draußen sind. Ohne Zweifel sind sie nicht glücklich, so wie die guten Engel, aber zählt die Freiheit, die sie genießen, nichts? Wenn sie das geistige Glück, das die Tugend bietet, nicht besitzen, so sind sie unbestreitbar weniger unglücklich als ihre Mittäter, die in den Flammen sind. Und für den Bösen ist es dann eine Art Vergnügen, in aller Freiheit Böses zu tun. Fragt einen Verbrecher, ob es ihm gleichgültig ist, im Gefängnis zu sitzen oder durch die Felder zu laufen und ganz nach Belieben seine Missetaten zu verüben.

Die Situation ist genau dieselbe. Die Gewissensbisse, sagt man, verfolgen sie ohne Rast und Erbarmen. Aber man vergisst, dass Gewissensbisse die unmittelbaren Vorläufer der Reue sind, falls sie nicht bereits die Reue selbst sind. Man sagt: “Nachdem sie böse geworden sind, wollen sie durchaus nicht aufhören, es zu sein und bleiben es für immer.” Dass sie nicht aufhören wollen, lasterhaft zu sein, rührt nur daher, dass sie keine Gewissensbisse haben. Fühlten sie das geringste Bedauern, so würden sie aufhören Böses zu tun und um Verzeihung bitten. Also sind die Gewissensbisse für sie keine Strafe.


18. “Sie sind nach der Sünde, was der Mensch nach dem Tod ist. Die Rehabilitierung für die, die gefallen sind, ist daher unmöglich." Woher kommt diese Unmöglichkeit? Man begreift nicht, dass sie die Folge ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen nach dem Tod ist, eine Behauptung, die übrigens nicht sehr klar ist. Kommt diese Unmöglichkeit von ihrem eigenen oder vom Willen Gottes? Wenn sie die Folge ihres Willens ist, bedeutet dies eine äußerste Entartung, eine erbarmungslose Verhärtung im Bösen. Daher begreift man nicht, dass so von Grund auf schlechte Wesen jemals tugendhafte Engel gewesen sein konnten und dass sie während der endlosen Zeit, die sie unter den Guten verbracht haben, in der Lage waren, keine Spur ihres bösen Wesens durchscheinen zu lassen. Wenn man den Willen Gottes betrachtet, versteht man noch weniger, dass Gott als Strafe für einen ersten Fehltritt die Unmöglichkeit der Rückkehr zum Guten auferlegt. Das Evangelium sagt nichts dergleichen.


19. “Ihr Verlust", so fügt man hinzu, “ist nunmehr ohne Wiederkehr und sie verharren in ihrem Hochmut gegenüber Gott”. Wozu sollte es ihnen dienen, nicht darin zu beharren, da ja alle Reue umsonst ist? Wenn sie Hoffnung auf Wiedergutmachung hätten, um welchen Preis es auch immer sei, so würde das Gute einen Zweck für sie haben, während es so keinen gibt. Wenn sie auf dem Bösen beharren, so geschieht es also, weil ihnen die Tür der Hoffnung verschlossen bleibt. Aber warum verschließt Gott sie ihnen? Um sich für die Beleidigungen zu rächen, die er durch ihr Verweigern der Unterwerfung empfangen hat. Um also seinen Groll gegen einige Schuldige zu besänftigen, zieht er es vor, sie nicht nur leiden zu sehen, sondern lieber das Böse als das Gute tun; alle seine Geschöpfe des Menschengeschlechts zum Bösen zu verleiten und in das ewige Verderben zu stoßen, obwohl eine einfache Tat des Erbarmens genügt hätte, um ein so großes Unglück zu verhindern, ein Unglück das von aller Ewigkeit her vorgesehen war.

Hätte es sich bei dem Akt der Barmherzigkeit noch um eine reine und einfache Gnade gehandelt, die vielleicht eine Ermutigung zum Bösen gewesen wäre? Nein, sondern eine Verzeihung mit Bedingung, abhängig von einer aufrichtigen Rückkehr zum Guten. Anstatt eines Wortes der Hoffnung und der Barmherzigkeit lässt man Gott sagen: „Lieber soll das ganze Menschengeschlecht zugrunde gehen als meine Rache!“ Und man wundert sich, dass es bei einer solchen Lehre Ungläubige und Gottesleugner gibt! Stellt Jesus uns so seinen himmlischen Vater dar? Er, der uns das Vergessen und Vergeben der Beleidigungen ausdrücklich zum Gesetz macht und uns sagt, dass wir Böses mit Gutem vergelten sollen? Er, der die Liebe zu seinen Feinden in die erste Reihe der Tugenden stellt, die uns den Himmel verdienen sollen, würde Er verlangen, dass die Menschen besser, gerechter, mitfühlender wären als Gott selbst?



Die Teufel im Lichte des Spiritismus

20. Nach der Spiritistischen Lehre sind weder Engel noch Teufel besondere Wesen. Die Schöpfung der intelligenten Wesen ist eine Einheit. Vereinigt mit materiellen Körpern machen sie die Menschheit aus, die die Erde und die anderen bewohnten Welten bevölkern. Befreit von diesem Körper, bilden sie die geistige Welt oder die Welt der Geister, die den Raum bevölkern. Gott hat sie vervollkommnungsfähig erschaffen. Er hat ihnen als Ziel die Vollkommenheit auferlegt und das Glück, das daraus folgt; aber er hat ihnen nicht die Vollkommenheit gegeben. Er wollte, dass sie diese ihrer eigenen Arbeit verdanken, damit sie das Verdienst davon haben. Vom Augenblick ihrer Entstehung an, schreiten sie voran, sei es im Zustand der Inkarnation oder im geistigen Zustand. Sind sie auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung angekommen, sind sie reine Geistwesen oder Engel nach der üblichen Bezeichnung, so dass es von der Keimzelle des intelligenten Wesens bis hin zum Engel eine ununterbrochene Kette gibt, in der jedes Glied eine Stufe auf dem Weg des Fortschritts kennzeichnet.

Daraus ergibt sich, dass es Geistwesen auf allen Stufen des moralischen und intellektuellen Aufstiegs gibt, je nachdem ob sie oben, unten oder auf der Mitte der Entwicklungsleiter stehen. Folglich gibt es sie auf allen Stufen des Wissens und der Ignoranz, der Güte und der Bosheit. In den niederen Reihen gibt es welche, die noch zutiefst dem Bösen verfallen sind und sich darin gefallen. Man kann sie Dämonen nennen, wenn man will, denn sie sind zu allen ihnen zugeschriebenen Missetaten fähig. Wenn die Spiritistische Lehre ihnen nicht diesen Namen gibt, so geschieht das, weil sich damit die Vorstellung von Wesen verbindet, die sich von der Menschheit unterscheiden, von grundsätzlich boshafter Natur, auf ewig dem Bösen geweiht und unfähig sind, im Guten fortzuschreiten.


21. Nach der Lehre der Kirche sind die Dämonen als gut erschaffen worden und durch ihren Ungehorsam böse geworden: das sind die gefallenen Engel. Sie wurden von Gott auf die Höhe der Leiter gestellt und sind herabgefallen. Nach der Spiritistischen Lehre sind es unvollkommene Geister, die sich aber bessern werden; sie stehen noch unten auf der Leiter und werden aufsteigen.

Diejenigen, die durch ihre Sorglosigkeit, ihre Nachlässigkeit, ihre Verstocktheit und ihren schlechten Willen länger in den niederen Reihen verbleiben, tragen die Strafe davon, und die Gewohnheit des Bösen macht es ihnen schwerer, aus diesen herauszukommen. Aber es kommt eine Zeit, wo sie dieser mühevollen Existenz und der Leiden müde werden, die die Folge davon sind. Dann vergleichen sie ihre Lage mit der der guten Geister, begreifen, dass ihr Vorteil im Guten liegt und streben danach, sich zu bessern. Aber sie tun es aus eigenem Willen und ohne dazu gezwungen zu werden. Sie sind wegen ihrer Fähigkeit fortzuschreiten dem Gesetz des Fortschritts unterworfen, aber sie schreiten durchaus nicht gegen ihren Willen fort. Gott bietet ihnen unaufhörlich die Mittel dazu; aber es steht ihnen frei, sie zu nutzen oder nicht. Wenn der Fortschritt unumgänglich wäre, so hätten sie kein Verdienst und Gott will, dass sie das ihrer Werke haben. Er stellt niemanden aufgrund von Privilegien in die erste Reihe, sondern die erste Reihe steht allen offen, und sie gelangen nur durch ihre Anstrengungen dahin. Die erhabensten Engel haben ihre Stufe wie alle anderen erobert, indem sie die gemeinsame Laufbahn durchschritten haben.


22. Sobald die Geister auf einer gewissen Stufe der Läuterung angelangt sind, erhalten sie Aufgaben, die ihrem Fortschritt entsprechen. Sie erfüllen all jene, die den Engeln der verschiedenen Ordnungen zugewiesen sind. Da Gott von aller Ewigkeit her geschaffen hat, haben sich von aller Ewigkeit solche gefunden, um alle Bedürfnisse der Leitung des Weltalls zu befriedigen. Eine einzige Gattung intelligenter Wesen, dem Gesetz des Fortschritts unterworfen, genügt also für alles. Diese Einheit in der Schöpfung, zusammen mit dem Gedanken, dass alle einen gleichen Ausgangspunkt und dieselben Wege zu durchlaufen haben, und dass sie durch ihr eigenes Verdienst aufsteigen, entspricht weit mehr der Gerechtigkeit Gottes, als die Erschaffung verschiedener mehr oder weniger begünstigter Arten, die mit natürlichen Gaben ausgestattet wären, die ebenso viele Privilegien sein würden.


23. Die gewöhnliche Lehre über das Wesen der Engel, der Dämonen und der menschlichen Seelen, die das Gesetz des Fortschritts nicht anerkennt und dennoch Wesen auf verschiedenen Stufen sieht, hat daraus geschlossen, sie seien die Hervorbringung von ebenso vielen besonderen Schöpfungen. Sie schafft es auf diesem Wege, aus Gott einen parteiischen Vater zu machen, der einigen seiner Kinder alles schenkt, während er den anderen die härteste Arbeit auferlegt. Es ist nicht verwunderlich, dass die Menschen lange Zeit hindurch nichts Anstößiges in diesen Bevorzugungen gefunden haben, zu einer Zeit, in der sie es durch das Erstgeburtsrecht und der Privilegien der Geburt ebenso bezüglich ihrer eigenen Kinder hielten, konnten sie glauben, schlechter als Gott zu handeln? Aber heute hat sich der Horizont der Vorstellungen erweitert. Sie sehen klarer. Sie haben klarere Vorstellungen von Gerechtigkeit. Sie beanspruchen sie für sich, und wenn sie diese nicht immer auf der Erde finden, so hoffen sie wenigstens, sie im Himmel vollkommener zu finden. Darum widerstrebt jede Lehre ihrer Vernunft, in der die göttliche Gerechtigkeit ihnen nicht in ihrer größten Reinheit erscheint.




Kapitel X - Manifestation von Teufeln in den modernen Kundgebungen

1. Die modernen Phänomene aus der Geisterwelt haben die Aufmerksamkeit auf ähnliche Tatsachen gelenkt, die zu allen Zeiten stattgefunden haben, und nie ist die Geschichte in dieser Beziehung mehr durchforscht worden als in jüngster Zeit. Von der Ähnlichkeit der Wirkungen hat man auf die Einheit der Ursache geschlossen. Wie bei allen außerordentlichen Tatsachen, deren Ursache unbekannt war, hat die Unwissenheit darin etwas Übersinnliches gesehen, und der Aberglaube hat diese Tatsachen durch das Hinzufügen von sinnlosen Dingen, die für wahr gehalten wurden, verstärkt. So kommt von daher eine Vielzahl von Legenden, die zum größten Teil eine Mischung von ein wenig Wahrem und viel Falschem sind.


2. Die Lehren über den Teufel, die so lange vorgeherrscht haben, hatten seine Macht dermaßen übertrieben, dass sie sozusagen Gott darüber vergessen lassen haben. Dem Teufel gab man deshalb die Ehre von allem, was menschliches Vermögen zu überschreiten schien. Überall trat die Hand Satans hervor. Die besten Dinge, die nützlichsten Entdeckungen, all jene vor allem, die den Menschen aus der Unwissenheit ziehen und den Kreis seiner Vorstellungen erweitern konnten, sind so manches Mal als teuflische Werke betrachtet worden. Die spiritistischen Phänomene, die sich in unseren Tagen vervielfachen, besser beobachtet mit Hilfe der Einsicht, der Vernunft und den Daten der Wissenschaft, haben allerdings das Eingreifen verborgener Intelligenzen bestätigt, die aber immer in den Grenzen der Naturgesetze handeln und als Wesen, die durch ihr Handeln eine neue Kraft und bis heute unbekannte Gesetze offenbaren. Die Frage beschränkt sich also darauf, von welcher Ordnung diese Intelligenzen sind.

Solange man von der geistigen WeIt nur unbestimmte Vorstellungen oder bloße Theorien hatte, konnte man sich irren. Aber heutzutage, wo streng geführte Beobachtungen und experimentelle Studien ein Licht auf das Wesen der Geister, ihren Ursprung, ihre Bestimmung, ihre Aufgabe im Weltall und ihre Vorgehensweise geworfen haben, ist die Frage durch Tatsachen entschieden. Man weiß jetzt, dass es die Seelen derer sind, die auf der Erde gelebt haben. Man weiß auch, dass die verschiedenen Kategorien von guten und bösen Geistern keine Wesen von verschiedenen Arten bilden, sondern nur verschiedene Stufen des Fortschritts bezeichnen. Gemäß dem Rang, den sie aufgrund ihrer geistigen und moralischen Entwicklung einnehmen, zeigen sich die, die sich manifestieren, auf sehr unterschiedliche Weise, was nicht ausschließt, dass sie aus der großen menschlichen Gattung hervorgegangen sind, genauso wie der Wilde, der Barbar und der zivilisierte Mensch.


3. In diesem Punkt, wie in vielen anderen, hält die Kirche in Bezug auf die Teufel an ihren alten Anschauungen fest. Sie sagt: "Wir haben Prinzipien, die sich seit achtzehn Jahrhunderten nicht verändert haben und unveränderlich sind." Das Unrecht der Kirche liegt darin, dass sie den Fortschritt der Ideen nicht berücksichtigt und dass sie Gott für so wenig weise hält, die Offenbarung nicht an die Entwicklung der Intelligenz anzupassen und bei den primitiven Menschen die gleiche Sprache zu sprechen wie bei den fortgeschrittenen. Wenn sich während des Fortschreitens der Menschheit die Religion an alte Irrtümer klammert, sowohl in spirituellen Dingen, als auch in Bezug auf die Wissenschaft, so kommt ein Zeitpunkt, wo sie vom Unglauben überholt wird.


4. Sehen wir, wie die Kirche das ausschließliche Eingreifen der Teufel bei den modernen Kundgebungen erklärt. (Die Anführungen in diesem Kapitel sind demselben Hirtenbrief entlehnt wie die des vorhergehenden. Sie sind dessen Fortsetzung und genießen dasselbe Ansehen.)

In ihrem äußeren Eingreifen sind die Teufel nicht weniger darauf bedacht, ihre Gegenwart zu verschleiern, um jeden Verdacht von sich abzuwenden. Immer listig und gemein, locken sie den Menschen in ihre Fallen, ehe sie ihm die Ketten der Unterdrückung und der Knechtschaft anlegen. Hier erwecken sie durch Erscheinungen und kindische Spiele die Neugierde; dort setzen sie in Erstaunen und unterjochen durch den Reiz des Wunderbaren. Wenn das Übersinnliche in Erscheinung tritt, wenn ihre Macht sie entlarvt, so beruhigen und besänftigen sie die Furcht. Sie werben um Vertrauen, ja sie rufen “manchmal” Vertrautheit hervor. Einmal geben sie sich für Gottheiten und gute Geister aus; einmal leihen sie sich die Namen und selbst die Merkmale der Toten, die unter den Lebenden in Erinnerung geblieben sind. Begünstigt durch diese der alten Schlange würdigen Täuschungen beginnen sie ihr Spiel und man hört sie an. Sie stellen Theorien auf und man glaubt ihnen. Sie mischen einige Wahrheiten in ihre Lügen und bewirken, dass der Irrtum in allen Formen angenommen wird. Darauf zielen die scheinbaren Offenbarungen aus dem Jenseits. Um dieses Ergebnis zu gewinnen, geben das Holz, der Stein, die Wälder und Brunnen, das Heiligtum der Götzen, der Fuß der Tische, die Hand der Kinder: Orakel. Zu diesem Zweck prophezeit die Pythia (amtierende weissagende Priesterin im Orakel von Delphi, die in veränderten Bewusstseinszuständen ihre Prophezeiungen verkündete) in ihrem Delirium und wird der Unwissende in einem geheimnisvollen Traum plötzlich ein Lehrer der Wissenschaft. Täuschen und verführen, das ist überall und zu allen Zeiten der einzige Zweck dieser seltsamen Offenbarungen.

Die überraschenden Ergebnisse dieser Beobachtungen oder dieser größtenteils sonderbaren und lächerlichen Handlungen können weder aus ihrer inneren Kraft, noch aus der von Gott errichteten Ordnung hervorgehen. Man kann sie daher nur durch die Mitwirkung verborgener Mächte erwarten. Dieser Art sind erfahrungsgemäß die außergewöhnlichen Phänomene, die heutzutage durch die anscheinend durchschaubaren Vorgänge des Magnetismus und das intelligente Werkzeug der sprechenden Tische bewirkt werden. Mit Hilfe dieser Ausübungen der neuen Zauberkunst sehen wir unter uns die wieder auftretenden Anrufungen und Vorhersagen, Befragungen, Heilungen und Täuschungen, die die Götzentempel und die Höhlen der Sibyllen (Weissagerinnen) berühmt gemacht haben. Wie in alter Zeit befiehlt man dem Holz und das Holz gehorcht; man befragt es und es antwortet in allen Sprachen und auf alle Fragen. Man befindet sich in der Gegenwart unsichtbarer Wesen, die sich die Namen Verstorbener anmaßen und deren angebliche Offenbarungen von Widerspruch und Lüge geprägt sind. Leichte und formlose Wesen erscheinen plötzlich und zeigen sich mit übermenschlicher Kraft ausgestattet.

Wer sind die geheimen Akteure dieser Phänomene und die wahren Schauspieler in diesen unerklärbaren Auftritten? Engel würden diese unwürdigen Rollen nicht übernehmen, noch sich zu all den Launen einer eitlen Neugier hergeben. Die Seelen der Verstorbenen, deren Befragung Gott verbietet, befinden sich an dem Aufenthaltsort, den Seine Gerechtigkeit ihnen zugewiesen hat und können sich ohne Seine Erlaubnis nicht den Befehlen der Lebenden stellen. Die geheimnisvollen Wesen, die sich auf diese Weise dem ersten Anruf des Abtrünnigen und des Gottlosen wie des Gläubigen, des Verbrechens ebenso wie der Unschuld fügen, sind weder die Gesandten Gottes, noch die Apostel der Wahrheit und des Heils, sondern die Gehilfen des Irrtums und der Hölle. Trotz der Sorgfalt, die sie anwenden, um sich hinter den ehrwürdigsten Namen zu verbergen, verraten sie sich nicht weniger durch das Nichts ihrer Lehren, als durch die Niedrigkeit ihrer Handlungen und die Zusammenhanglosigkeit ihrer Worte. Sie bemühen sich, von dem religiösen Glaubensbekenntnis die Sätze von der Erbsünde, der Auferstehung der Körper, der Endlosigkeit der Strafen und die gesamte göttliche Offenbarung zu löschen, um den Gesetzen ihre Weihe und Kraft zu rauben und dem Laster alle Türen zu öffnen. Könnten ihre Einflüsterungen die Oberhand gewinnen, würden sie einen bequemen Glauben gestalten, zum Gebrauch von unsinnigem Sozialismus und für alle, denen der Begriff von Pflicht und Gewissen unbequem ist. Der Unglaube unseres Jahrhunderts hat ihnen die Wege gebahnt. Mögen die christlichen Gesellschaften durch einfache Rückkehr zum katholischen Glauben doch der Gefahr dieser neuen und furchtbaren Invasion entfliehen.


5. Diese ganze Theorie beruht auf jenem Prinzip, dass Engel und Teufel von den Seelen der Menschen unterschiedliche Wesen und dass diese Seelen das Erzeugnis einer besonderen Schöpfung seien, diesen Teufeln sogar an Einsicht, Kenntnissen und Fähigkeiten aller Art unterlegen. Sie schließt auf das ausschließliche Eingreifen der “gefallenen Engel” in den Offenbarungen alter und neuer Zeit, wie sie den Geistern der Verstorbenen zugeschrieben worden sind.

Ob es den Seelen möglich sei, sich den Lebenden mitzuteilen, ist eine Tatsachenfrage, bei der es sich um ein Ergebnis der Erfahrung und der Beobachtung handelt, das wir hier nicht erörtern wollen. Im Sinn einer hypothetischen Vermutung wollen wir einmal die obige Lehre zugeben und dann sehen, ob sie sich nicht durch ihre eigene Beweisführung selbst zerstört.


6. In den drei Kategorien von Engeln der Kirchenlehre befasst sich die eine ausschließlich mit dem Himmel; eine andere mit der Leitung des Weltalls; der dritten ist die Erde in Amt und Auftrag gegeben und in dieser dritten finden sich die Schutzengel, die dem Schutz jedes Einzelnen übergeordnet sind. Nur ein Teil der Engel dieser Kategorie nahm an dem Aufstand teil und wurde in Teufel verwandelt. Wenn Gott diesen letzteren erlaubt hat, die Menschen durch Einflüsterungen aller Art und eindeutiger Manifestationen ins Verderben zu stoßen, warum, wenn Er im höchsten Maße gerecht und gut ist, sollte Er ihnen die unermessliche Macht bewilligt haben, die sie genießen, und ihnen eine Freiheit gelassen haben, von der sie einen so verderblichen Gebrauch machen, ohne gleichermaßen den guten Engeln (Gottesboten) zu erlauben, dass sie ein Gegengewicht zu ihnen durch ähnliche Kundgebungen bilden, die auf das Gute zielen? Nehmen wir an, Gott habe den Guten und den Bösen einen gleichen Machtanteil gegeben, was schon eine ganz außerhalb des Gesetzes liegende Begünstigung dieser letzteren wäre, so hätte der Mensch wenigstens die Freiheit gehabt zu wählen. Aber ihnen das alleinige Recht der Versuchung zu geben mit der Fähigkeit, das Gute zu heucheln, während sie sich an demselben vergreifen, um so sicherer zu verführen, würde bedeuten, eine wahre Schlinge für seine Schwäche, Unerfahrenheit und seinen guten Glauben zu legen. Mehr noch: Es würde bedeuten, sein Vertrauen auf Gott zu missbrauchen. Die Vernunft wehrt sich gegen die Annahme einer solchen Vergünstigung zum Vorteil des Bösen. Schauen wir auf die Tatsachen.


7. Man bewilligt den Teufeln übersinnliche Fähigkeiten; sie haben nichts von ihrer Engelhaftigkeit verloren. Sie haben das Wissen, den Scharfsinn, die Vorausschau, das Hellsehen der Engel und mehr als das: Schlauheit, Geschicklichkeit und List im höchsten Maße. Ihr Zweck ist, die Menschen vom Guten abzuwenden und besonders, sie von Gott zu entfernen, um sie in die Hölle zu schleppen, deren Lieferanten und Werber sie sind.

Man begreift, dass sie sich an diejenigen wenden, die auf einem guten Weg und für sie verloren sind, wenn sie an diesem festhalten. Man begreift die Verführung und die Vortäuschung des Guten, um sie in ihre Netze zu locken. Aber was an der Sache unbegreiflich ist, das ist, dass sie sich an die wenden, die ihnen bereits mit Leib und Seele angehören, um sie zu Gott und zum Guten zurückzuführen. Wer ist nun mehr in ihren Klauen als derjenige, der Gott leugnet und lästert, der sich ins Laster und in die Unordnung der Leidenschaften stürzt? Ist er nicht bereits auf dem Weg zur Hölle? Begreift man, dass diese, ihrer Beute sicher, ihn dazu treiben, zu Gott zu beten und sich Seinem Willen zu unterwerfen, dem Bösen zu entsagen, dass sie vor seinen Augen die Freuden des Lebens der guten Geister verherrlichen und ihm die Lage der Bösen mit Schrecken malen? Hat man jemals einen Kaufmann gesehen, der seinen Kunden die Ware seines Nachbarn auf Kosten der seinigen anpreist und sie nötigt, zu diesem zu gehen? Einen Werber, der das Militärleben herabsetzt und die Ruhe des häuslichen Lebens lobt? Und zu den Rekruten sagt, dass sie ein Leben voller Beschwerden und Entbehrungen haben werden; dass sie zehn zu einer Chance haben, getötet zu werden oder wenigstens Arme und Beine abgeschossen zu bekommen?

Das ist doch die dumme Rolle, die man den Teufel spielen lässt; denn es ist eine bekannte Tatsache, dass man infolge der Lehren, die aus der unsichtbaren Welt kommen, alle Tage sieht, wie Ungläubige und Atheisten zu Gott zurückgeführt werden und mit Inbrunst beten, wie sie es niemals vorher getan hatten; wie lasterhafte Leute mit Eifer an ihrer Besserung arbeiten. Behaupten zu wollen, das sei das Werk der Listen des Teufels, heißt, einen wahren Dummkopf aus ihm zu machen. Da dies hier nun keine bloße Unterstellung ist, sondern ein Ergebnis der Erfahrung, und da eine Tatsache sich unmöglich wegleugnen lässt, muss man daraus schließen, dass entweder der Teufel als oberster Führer ungeschickt sei; weder so listig, noch so bösartig, wie man behauptet, und folglich nicht sehr zu fürchten sei, da er ja seinen Interessen entgegenarbeitet; oder alle jene Kundgebungen stammen nicht von ihm.


8. Sie bewirken, dass der Irrtum in jeder Gestalt als wahr hingenommen wird; nämlich um das Ergebnis zu erzielen, dass das Holz, der Stein, die Wälder, die Brunnen, das Heiligtum der Götzen, der Fuß der Tische, die Hand der Kinder Orakel hervorbringen.

Was ist denn danach der Wert jener Worte des Evangeliums: "Ich will ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter sollen weissagen; eure Jünglinge sollen Gesichte sehen und eure Greise sollen Träume haben. In jenen Tagen will ich ausgießen von meinem Geist über meine Knechte und meine Mägde und sie werden weissagen" (Apostelgeschichte Kap. 2, Verse 17 und 18). Ist das nicht die Vorhersage der "Medialität", der Vermittlung des Verkehrs mit der Geisterwelt, aller Welt gegeben, selbst den Kindern, die sich in unseren Tagen verwirklicht? Haben die Apostel auf diese Fähigkeit den Bannstrahl geworfen? Nein; sie künden sie als eine Gunst Gottes an und nicht als ein Werk des Teufels. Wissen die Theologen unserer Tage denn über diesen Punkt mehr als die Apostel? Sollten sie in der Erfüllung jener Worte nicht den Finger Gottes sehen?


9. Mit Hilfe dieser Ausübung der modernen Magie sehen wir unter uns die Anrufungen und Orakel, Befragungen, Heilungen und Illusionen wieder auftreten, die die Tempel der Götzenbilder und die Höhlen der Sibyllen berühmt gemacht haben.

Wo sieht man die Ausübung der Zauberei in den auf die Spiritistische Lehre gegründeten Anrufungen? Es gab eine Zeit, in der man an ihre Wirkungskraft glauben konnte; aber heutzutage ist sie lächerlich. Niemand glaubt daran und die Spiritistische Lehre verurteilt sie. Zu einer Zeit, wo die sogenannte Zauberei blühte, hatte man nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von der Natur der Geister. Man dachte sich dieselben als mit übermenschlicher Macht begabte Wesen. Man rief sie nur an, um von ihnen, und wäre es selbst um den Preis seiner Seele, die Gunst des Schicksals und den Besitz von Vermögen zu erlangen, die Entdeckung von Schätzen, die Offenbarung der Zukunft oder Liebestränke. Man nahm an, dass Zauberei aus der jüdischen Kabbala mit ihren Zeichen, Formeln und Ausführungen sie in den Besitz angeblicher Geheimnisse bringt, um Wunder zu bewirken, indem Geister dazu gezwungen würden, den Menschen als Werkzeuge zu dienen und ihre Wünsche zu befriedigen. Heutzutage weiß man, dass die Geister nur die Seelen der Menschen sind. Man ruft sie nur, um von den Guten Ratschläge zu empfangen, um die Unvollkommenen moralisch zu verbessern und die Beziehungen mit den Wesen fortzusetzen, die uns lieb sind. Sehen wir, was der Spiritismus zu diesem Thema sagt.


10. Es gibt kein Mittel, einen Geist zu zwingen, gegen seinen Willen zu kommen - wenn er euch moralisch gleich ist oder über euch steht, weil ihr über ihn keine Macht habt. Steht er tiefer als ihr, so könnt ihr es, falls es zu seinem Wohl dient, denn dann helfen euch andere Geister. (Buch der Medien, Kap. 25.)

Der wesentlichste aller Gefühlszustände für Anrufungen, wenn man mit höheren Geistern zu tun haben will, ist die geistige Sammlung. Mit festem Wunsch für das Gute ist man wirkungsvoller, die höheren Geister anzurufen. Wenn man zum Zeitpunkt der Anrufung für einige Augenblicke der Sammlung seine Seele erhebt, vereint man sich mit den guten Geistern und ermöglicht es ihnen zu kommen. (Buch der Medien, Kap. 25.)

Kein Gegenstand, keine Münze und kein Talisman hat die Eigenschaft, Geister anzuziehen oder abzustoßen. Die Materie hat keine Wirkung auf sie. Niemals rät ein guter Geist zu solchen Geschmacklosigkeiten. Die Kraft der Talismane hat nur in der Einbildung leichtgläubiger Leute bestanden. (Buch der Medien, Kap. 25.)

Es gibt keinerlei geheiligte, zauberkräftige Formel für die Anrufung von Geistern. Wer da behauptet, eine solche zu bieten, kann entschlossen der Scharlatanerie beschuldigt werden; denn für die Geister bedeutet die Form nichts. Jedoch soll eine Anrufung stets im Namen Gottes geschehen. (Buch der Medien, Kap. 27)

Die Geister, die an schaurigen Orten und zu ungehörigen Stunden ein Treffen einberufen, sind Geister, die sich auf Kosten derer belustigen, die auf sie hören. Es ist immer unnütz und oft gefährlich, solchen Einflüsterungen nachzugeben; unnütz, weil man schlichtweg nichts dabei gewinnt, als dass man hinters Licht geführt wird; gefährlich, nicht wegen des Bösen, das die Geister tun, sondern wegen des Einflusses, den sie auf schwache Hirne ausüben können. (Buch der Medien, Kap. 25)

Es gibt weder Tage, noch Stunden, die besser oder schlechter für Anrufungen geeignet wären. Das ist für die Geister völlig belanglos, wie alles, was gegenständlich und äußerlich ist, und zu glauben, einen solchen Einfluss zu haben, wäre Aberglaube. Die günstigsten Augenblicke sind die, in denen der Anrufer am wenigsten durch seine gewohnten Beschäftigungen zerstreut ist; in denen sein Körper und Geist die größte Ruhe haben. (Buch der Medien, Kap. 25.)

Boshafter Kritik hat es gefallen, die Mitteilungen aus der Welt der Geister als von lächerlichen und abergläubischen Zauberkünsten und Geisterbeschwörung begleitet darzustellen. Wenn die, die vom Spiritismus sprechen, ohne ihn zu kennen, sich die Mühe gegeben hätten, zu ergründen, wovon sie sprechen wollen, so hätten sie sich manche Kosten der Erfindung oder der Anführung fremder Aussprüche erspart; denn dies beweist nur ihre Unwissenheit oder ihren schlechten Willen. Zur Erbauung von Leuten, die mit der Wissenschaft nicht vertraut sind, wollen wir sagen, dass es für den Verkehr mit den Geistern weder Tage, noch Stunden, noch Orte gibt, die günstiger wären als andere; dass es weder geweihter, kabbalistischer Formeln, noch solcher Worte bedarf, dass keinerlei Vorbereitung und keinerlei Einweihung nötig ist; dass die Anwendung jedes Zeichens oder äußeren Gegenstandes, sei es die Geister anzuziehen oder abzustoßen, ohne Wirkung ist und dass der Gedanke genügt; schließlich, dass die Medien ihre Mitteilungen empfangen, ohne ihren Normalzustand zu verlassen, auf ebenso einfache, wie natürliche Weise, so als wären diese von einem lebenden Menschen diktiert worden. Nur Scharlatanerie könnte eine Vorliebe für ausschreitende, ungewöhnliche Verfahrensweisen haben und Iächerliche Nebensächlichkeiten hinzufügen. (Was ist Spiritismus? Kap. 2, Satz 49.)

Im Grunde soll die Zukunft dem Menschen verborgen sein. Nur in seltenen und Ausnahmefällen erlaubt Gott deren Enthüllung. Würde der Mensch die Zukunft kennen, so würde er die Gegenwart vernachlässigen und nicht mit derselben Freiheit handeln. Er würde von dem Gedanken beherrscht sein, dass, wenn eine Sache kommen soll, er sich nicht im voraus damit zu beschäftigen braucht, oder sogar versuchen, sie zu verhindern. Gott hat nicht gewollt, dass es so wäre, damit ein jeder seinen Teil zur Erfüllung der Dinge beiträgt, sogar solcher, denen er sich widersetzen würde. Gott gestattet die Enthüllung der Zukunft dann, wenn dieses Vorherwissen die Erfüllung der Sache erleichtern soll, anstatt ihr entgegenzuwirken, dass sie dazu bewegen würde, anders zu handeln, als man es ohne dieses getan hätte. (Buch der Geister, 3. Buch, Kap. 10.)

Die Geister können bei wissenschaftlichen Forschungen und Entdeckungen nicht anleiten. Die Wissenschaft ist das Werk des Genies. Sie soll nur durch die Arbeit erworben werden; denn nur die Arbeit ist es, die den Menschen auf seinem Wege fördert. Welchen Verdienst hätte er, wenn er nur die Geister fragen müsste, um alles zu wissen? Jeder Schwachkopf könnte um diesen Preis ein Gelehrter werden. Mit den Erfindungen und Entdeckungen der Industrie verhält es sich ebenso.

Wenn die Zeit einer Entdeckung gekommen ist, suchen sich die Geister, die mit der Leitung des Verlaufs beauftragt sind, einen Menschen aus, der fähig ist, diese zum Ziel zu führen. Sie flößen ihm die nötigen Gedanken so ein, dass sie ihm den ganzen Verdienst lassen; denn er muss diese Gedanken ausgestalten und umsetzen. So geht es mit allen großen Arbeiten des menschlichen Verstandes. Die Geister lassen jeden Menschen in seinem Kreis. Aus einem, der nur für das Umgraben des Bodens geeignet ist, werden sie keinen Bewahrer der Geheimnisse Gottes machen. Aber sie werden wissen, den zur Unterstützung ihrer Absichten Befähigten aus dem Dunkeln zu ziehen. Lasst euch deshalb nicht von Neugierde oder Ehrgeiz auf einen Weg verleiten, der nicht das Ziel einer würdigen Beschäftigung mit dem Spiritismus ist und der für euch in den lächerlichsten Täuschungen enden würde. (Buch der Medien, Kap. 26.)

Die Geister können nicht dazu befähigen, verborgene Schätze zu entdecken. Höhere Geister befassen sich nicht mit diesen Dingen; aber Spottgeister melden oft das Dasein von Schätzen, die nicht vorhanden sind, oder dass ein solcher an einem Ort gesehen wird, während er an einem entgegengesetzten ist. Das hat seinen Nutzen, um zu zeigen, dass das wahre Glück in der Arbeit liegt. Wenn die Vorsehung irgendjemandem verborgene Reichtümer zugedacht hat, wird er sie auf einfache, naheliegende Weise finden, nicht anders. (Buch der Medien, Kap. 26.)

Die Spiritistische Lehre klärt uns über die Eigenschaften der Fluide auf, die die Wirkungsmittel der unsichtbaren Welt sind und eine der Kräfte und der Gewalten der Natur bilden, und gibt uns auf diese Weise den Schlüssel zu einer Vielzahl unerklärter und durch kein anderes Mittel erklärbarer Vorgänge, die in vergangenen Zeiten für Wunder gelten konnten. Sie offenbart, ebenso wie der Magnetismus, ein, wenn nicht unbekanntes, dann wenigstens schlecht verstandenes Gesetz; oder besser gesagt, man kannte die Wirkungen, denn sie sind zu allen Zeiten aufgetreten; aber man kannte das Gesetz nicht, und eben der Mangel an Kenntnis hat den Aberglauben hervorgebracht. Ist dieses Gesetz bekannt, so schwindet das Wundersame, das Staunen, und die Erscheinungen treten in die Ordnung der gesetzmäßigen Dinge zurück. Darin liegt die Ursache, mit deren Hilfe die Spiritisten nicht mehr Wunder vollbringen, wenn sie bewirken, dass sich Tische drehen oder dass die Verstorbenen schreiben, als der Arzt, wenn er einen im Sterben liegenden Menschen wiederbelebt, oder der Physiker, wenn er Blitze hervorruft und niedergehen lässt. Wer behaupten wollte, er könne mit Hilfe dieser Wissenschaft Wunder tun, wäre der Sache entweder nicht kundig oder ein Betrüger. (Buch der Medien, Kap. 2.)

Gewisse Leute machen sich von den Anrufungen eine ganz falsche Vorstellung. Es gibt Menschen, die glauben, dass diese darin bestehen, die Toten wiederkehren zu lassen, einschließlich dem schaurigen Zubehör des Grabes. Nur in Romanen, den abenteuerlichen Erzählungen von Gespenstern und auf der Bühne sieht man die Totengerippe aus ihren Gruften hervorkommen, in Leinentücher gehüllt und mit ihren Knochen klappernd. Der Spiritismus, der niemals Wunder bewirkt hat, hat das genauso wenig getan wie andere und niemals einen toten Körper wieder zum Leben erweckt. Wenn der Körper im Grab ruht, befindet er sich endgültig dort. Aber das spirituelle, luftartige, einsichtige Wesen ist dort keineswegs mit seiner groben Hülle begraben. Dieses hat sich im Augenblick des Todes von ihm getrennt, und nachdem die Trennung einmal vollzogen ist, hat es mit dieser Hülle nichts mehr gemein. (Was ist Spiritismus? Kap. 2, Stück 48.)


11. Wir sind auf diese Aussagen eingegangen, um zu zeigen, dass die Grundsätze des Spiritismus keinerlei Beziehung zur Magie haben. Also: es gibt hier keine Geister, die den Befehlen der Menschen gehorchen; keine Mittel, sie zu zwingen; keine kabbalistischen Zeichen oder Formeln; keine Entdeckungen von Schätzen oder Mittel zum Reichwerden; keine Wunder oder Sensationen; keine Wahrsagereien oder fantastischen Erscheinungen; kurz, nichts von dem, was das Ziel und die wesentlichen Bestandteile der Zauberei ausmacht! Die Spiritistische Lehre missbilligt nicht nur all diese Dinge, sondern sie beweist deren Unmöglichkeit und Wirkungslosigkeit. Es gibt also keine Ähnlichkeit zwischen Zweck und Mitteln der Zauberei und denen der Spiritistischen Lehre. Sie als einander ähnlich zu zeigen, kann nur eine Sache von Unwissenheit oder Unredlichkeit sein; und da die Grundsätze des Spiritismus nichts Geheimes beinhalten, da sie vielmehr in klaren und eindeutigen Worten formuliert sind, so vermag der Irrtum nichts auszurichten.

Was die Tatsache von Heilungen betrifft, die in dem vorerwähnten Hirtenbrief als wirklich anerkannt sind, so ist das Beispiel schlecht gewählt, um Beziehungen zu den Geistern abzuweisen. Das ist eine der Wohltaten, die am meisten berühren und die ein jeder zu schätzen weiß. Wenige Leute werden geneigt sein, darauf zu verzichten, vor allem, nachdem sie alle anderen Mittel ausgeschöpft haben – aus Furcht vom Teufel geheilt zu werden. Im Gegenteil, mehr als einer wird sagen, wenn ihn der Teufel heilt, so vollbringt er eine gute Tat.

(Indem man von Geistwesen Geheilten hat einreden wollen, dass sie es durch den Teufel seien, hat man eine große Anzahl von ihnen endgültig von der Kirche getrennt, die nicht daran dachten, diese zu verlassen.)


12. “Welches sind die geheimen Kräfte dieser Erscheinungen und die wahren Schauspieler in diesen unerklärbaren Auftritten? Engel würden diese unwürdigen Rollen nicht annehmen und sich nicht dazu hergeben, all die Launen einer eitlen Neugierde zu befriedigen.”

Der Verfasser des Erlasses will von den physischen Manifestationen der Geister sprechen. Unter ihnen finden sich augenscheinlich solche, die höherer Geister wenig würdig wären; und wenn man das Wort "Engel" durch "reine Geister" oder "höhere Geister" ersetzt, so hat man genau das, was die Spiritistische Lehre darüber sagt. Aber man kann die durch Schrift, Wort, Gehör oder jedes andere Mittel erlangten intelligenten Mitteilungen nicht auf dieselbe Linie stellen, die den guten Geistern nicht weniger unwürdig sind, als sie auf der Erde den hervorragendsten Menschen unwürdig sind, noch die Erscheinungen, Heilungen und eine Menge anderer Dinge, die die heiligen Bücher überreichlich als von Engeln oder Heiligen bewirkt anführen. Wenn demnach Engel und Heilige ehemals derartige Erscheinungen bewirkt haben, warum sollten sie diese nicht auch heutzutage bewirken? Warum sollten dieselben Tatsachen heutzutage in den Händen gewisser Leute ein Werk des Teufels sein, während sie bei anderen als heilige Wunder gelten? Eine solche These aufrechtzuerhaIten, bedeutet alle Logik zu missachten.

Der Verfasser des Hirtenbriefes ist im Irrtum, wenn er sagt, diese Erscheinungen seien unerklärbar. Sie sind im Gegenteil heutzutage vollkommen erklärt, und aus diesem Grund betrachtet man sie nicht mehr als wunderbar und aus den Gesetzen fallend; und wären sie noch unerklärt, so wäre es nicht logischer, sie dem Teufel zuzuschreiben, als ihm wie einst die Ehre all der natürlichen Phänomene zu geben, die man nicht begriff.

Unter unwürdigen Rollen muss man lächerliche und solche Rollen verstehen, die darin bestehen, Böses zu tun. Aber man kann doch so nicht diejenigen Geister bezeichnen, die Gutes tun und die Menschen zu Gott und zur Tugend zurückführen. Nun sagt der Spiritismus ausdrücklich, dass unwürdige Rollen nicht in den Zuordnungen der höheren Geister liegen, wie es folgende Vorschriften beweisen:


13. Man erkennt die Eigenschaft der Geister an ihrer Sprache. Die der wahrhaft guten, höheren Geister ist stets würdig, edel, logisch und frei von Widersprüchen. Sie atmet Weisheit, Wohlwollen, Bescheidenheit und reinste Moral; sie ist kurz gefasst und ohne unnütze Worte. Bei den niederen, unwissenden oder hochmütigen Geistern wird die Gedankenarmut fast immer durch einen Überfluss an Worten ausgeglichen. Jeder offensichtlich falsche Gedanke, jeder der gesunden Moral entgegengesetzte Grundsatz, jeder lächerliche Rat, jeder grobe, gemeine oder schlichtweg leichtfertige Ausdruck, schließlich jedes Zeichen von Böswilligkeit, Überheblichkeit oder Arroganz sind unbestreitbare Zeichen der niedrigen Stufe eines Geistes.

Die höheren Geister befassen sich nur mit intelligenten Mitteilungen hinsichtlich unserer Belehrung. Wahrnehmbare oder rein materielle Manifestationen gehören mehr in den Bereich der niederen Geister, die allgemein als “Klopfgeister” bezeichnet werden. Wie unter uns, sind Kraftakte die Sache der Gaukler und nicht der Wissenschaftler. Es wäre absurd zu denken, dass - seien es noch so wenig - erhabene Geister sich ein Vergnügen daraus machen, sich zur Schau zu stellen. (“Was ist Spiritismus?”, Kap. 2, Abs. 37, 38, 39, 40 u. 60; “Buch der Geister”, 2. Buch, Kap. 1: Verschiedene Ordnungen der Geister; die Stufenleiter der Geister; “Buch der Medien”, 2. Teil, Kap. 24: Identität der Geistwesen, Unterscheidung der guten und der bösen Geister.)

Welcher ehrliche Mensch kann in diesen Vorschriften eine den erhabenen Geistern zugewiesene unwürdige Rolle erblicken? Nicht nur, dass der Spiritismus die Geister nicht vermischt, sondern, während man den Teufeln eine den Engeln gleiche Einsicht zuschreibt, stellt er durch Tatsachen fest, dass die niederen Geister mehr oder weniger unwissend sind, dass ihr geistiger Horizont beschränkt, ihr Scharfsinn begrenzt ist; dass sie von den Dingen eine oft falsche und unvollständige Vorstellung haben und unfähig sind, gewisse Fragen zu lösen, was alles es ihnen unmöglich machen würde, all das zu tun, was man den Teufeln zuschreibt.


14. "Die Seelen der Toten, deren Befragung Gott verbietet, wohnen an einem Ort, den Seine Gerechtigkeit ihnen zugewiesen hat, und sie können sich den Lebenden ohne Seine Erlaubnis nicht zur Verfügung stellen."

Die Spiritistische Lehre sagt gleichfalls, dass sie ohne Gottes Erlaubnis nicht kommen können, aber sie ist noch weit strenger. Denn sie sagt, dass kein guter oder böser Geist ohne diese Erlaubnis kommen kann, während die Kirche den Teufeln die Macht zuschreibt, ohne diese Erlaubnis zu kommen. Die Spiritistische Lehre geht noch weiter, indem sie nämlich sagt, dass selbst mit dieser Erlaubnis, wenn sie dem Ruf der Lebenden folgen, sie dies nicht tun, um sich unter deren Befehle zu stellen.

Frage: Kommt ein angerufener Geist freiwillig oder ist er dazu gezwungen? Antwort: Er gehorcht dem Willen Gottes, das heißt dem allgemeinen Gesetz, das das Weltall lenkt. Er beurteilt, ob es nützlich sei, zu kommen, und dann unterliegt es noch seinem freien Willen. Ein höherer Geist kommt immer, wenn er zu einem nützlichen Zweck gerufen wird. Er weigert sich nicht, zu antworten, außer wenn er von wenig ernsten Leuten umgeben ist, die die Sache als Belustigung sehen. (Buch der Medien, Kap. 25.)

Frage: Kann ein angerufener Geist sich weigern, auf einen Ruf zu kommen, der an ihn gerichtet wird? Antwort: Vollkommen; wo würde sonst seine Willensfreiheit bleiben? Glaubt ihr etwa, dass alle Wesen des Weltalls zu euren Befehlen stehen? Und ihr selbst, glaubt ihr all denen zu einer Antwort verpflichtet zu sein, die euren Namen aussprechen? Wenn ich sage, dass er sich weigern könne, so meine ich auf die Bitte des Anrufenden; denn ein niederes Geistwesen kann von einem höheren gezwungen werden zu kommen. (Buch der Medien, Kap. 25.)

Die Spiritisten sind dermaßen davon überzeugt, dass sie keine unmittelbare Gewalt über die Geister haben und von diesen nichts ohne Gottes Erlaubnis erlangen können, dass sie, wenn sie irgendeinen Geist rufen, sagen: "Ich bitte den allmächtigen Gott, einem guten Geist zu erlauben, mit mir in Verbindung zu treten; ich bitte auch meinen Schutzengel, mir beizustehen und die bösen Geister zu entfernen.” Oder auch, falls es sich um einen Ruf an einen bestimmten Geist handelt: “Ich bitte den allmächtigen Gott, dem Geist von dem und dem zu erlauben, sich mir mitzuteilen." (Buch der Medien, Kap. 27, Abs. 203.)


15. Die von der Kirche gegen die Praxis der Anrufungen geschleuderten Anklagen treffen also nicht die Beschäftigung mit dem Spiritismus, indem sie hauptsächlich gegen die Vorgänge der Zauberei gehen, mit der der Spiritismus nichts gemeinsam hat; weil er bei dieser verurteilt, was die Kirche selber verurteilt; weil er ferner die guten Geistwesen keineswegs eine unwürdige Rolle spielen lässt; und weil er schließlich erklärt, nichts zu verlangen und ohne die Erlaubnis Gottes nichts zu erhalten.

Ohne Zweifel gibt es Leute, die die Anrufungen missbrauchen, die sich ein Vergnügen daraus machen, das sie von ihrem vorsehungsmäßigen Zweck wegführt, um sie ihren eigenen Interessen dienstbar zu machen; die sich ferner aus Unwissenheit, Leichtsinn, Hochmut oder Habgier von den wahren Grundsätzen der Lehre entfernen. Der ernste Spiritismus hat nichts mit solchen Leuten gemeinsam, so wenig wie der wahre Gottesglaube mit Scheinheiligen und fanatischen Ausschreitungen. Es ist demnach weder logisch noch berechtigt, dem Spiritismus die Missbräuche, die er verdammt, anzulasten oder die Fehler derjenigen, die ihn nicht verstehen. Ehe man eine Anklage ausspricht, muss man sehen, ob sie auch zutrifft. Wir sagen daher: Der Tadel der Kirche fällt auf die Scharlatane, die Ausbeuter, die Praxis der Zauberei und der "Hexerei"; darin hat sie Recht. Wenn kirchliche oder kritische Beurteilung die Missbräuche brandmarkt und die Scharlatanerie verurteilt, so hilft sie, dass die Reinheit der heiligen Lehre nur umso besser zur Geltung kommt, und sich auf diese Weise von ihren schlechten Schlacken zu befreien; damit erleichtert sie unsere Aufgabe. Ihr Unrecht besteht darin, dass sie das Gute und das Böse vermischt; bei der Mehrzahl geschieht es aus Unwissenheit, bei Einzelnen aus Unehrlichkeit. Aber die Unterscheidung, die sie nicht macht, machen andere. In allen Fällen kann ihr Tadel, dem sich jeder aufrichtige Spiritist anschließt, mit Ausnahme dessen, was für das Böse gilt, die Lehre nicht treffen.


16. "Die geheimnisvollen Wesen, die auf diese Weise dem ersten Ruf des Ketzers und des Gottlosen, wie des Gläubigen, des Verbrechens, ebenso wie der Unschuld folgen, sind weder die Abgesandten Gottes noch die Apostel der Wahrheit, sondern die Werkzeuge des lrrtums und der Hölle."

Also, dem Abtrünnigen, dem Gottlosen und dem Verbrecher erlaubt Gott nicht, dass gute Geister kommen, um sie aus dem Irrtum zu ziehen, um sie vor dem ewigen Verderben zu retten! Er sendet ihnen nur Gehilfen der Hölle, die sie immer tiefer in den Sumpf ziehen sollen! Weit mehr noch, er sendet der Unschuld nur bösartige Wesen, um sie zu verführen! Findet sich also unter den Engeln, diesen privilegierten Geschöpfen Gottes, kein Wesen, das mitfühlend genug ist, um jenen verlorenen Seelen zu Hilfe zu kommen? Wozu dann die glänzenden Eigenschaften, mit denen sie ausgestattet wurden, wenn diese nur ihren eigenen Freuden dienen? Sind sie wirklich gut, wenn sie, in die Freude der Kontemplation versunken, jene Seelen auf dem Wege zur Hölle gehen sehen, ohne dass sie kommen, um sie davon abzubringen? Ist das nicht das Bild des egoistischen Reichen, der, obwohl er alles im Überfluss hat, ohne Mitleid den Armen an seiner Tür vor Hunger sterben lässt? Ist das nicht der zur Tugend erhobene Egoismus und sogar zu den Füßen des Ewigen sitzend?

Ihr wundert euch, dass die guten Geister zum Ketzer und Gottlosen gehen. Ihr vergesst also jenes Wort Christi: “Der Gesunde bedarf des Arztes nicht.” Möchtet ihr die Dinge nicht von einem erhabeneren Standpunkt aus sehen, als es die Pharisäer seinerzeit taten? Und ihr selbst, wenn ihr vonseiten eines Ungläubigen gerufen werdet, werdet ihr euch weigern, zu ihm zu gehen, um ihn auf den guten Weg zu bringen? Die guten Geister tun also, was ihr tun würdet; sie gehen zum Gottlosen, um ihn gute Worte hören zu lassen. Anstatt die Mitteilungen aus dem Jenseits zu verdammen, segnet die Wege des Herrn und bewundert seine Allmacht und seine unendliche Güte!


17. Es gibt Schutzengel, sagt man. Wenn sich nun aber diese Schutzengel nicht durch die geheimnisvolle Stimme des Gewissens oder Inspiration verständlich machen können, warum sollten sie nicht unmittelbarere und mehr materielle Maßnahmen anwenden, von einer Art, die die Sinne beeindrucken, da diese da sind? Gott stellt also diese Mittel, die sein Werk sind, da ja alles von Ihm kommt und nichts ohne Seine Erlaubnis geschieht, nur den bösen Geistern zur Verfügung, während Er es den guten verwehrt, sich ihrer zu bedienen? Woraus man ja schließen muss, dass Gott es den Teufeln weitaus leichter macht, die Menschen ins Verderben zu stoßen, als den Schutzengeln, sie zu retten!

Nun gut! Was die Schutzengel nicht tun können – gemäß der Kirchenlehre – das tun die Teufel für sie. Mit Hilfe dieser sogenannten teuflischen Mitteilungen führen sie diejenigen zu Gott zurück, die ihn leugneten, und die zum Guten, die im Bösen versunken waren. Sie bieten uns das seltsame Schauspiel von tausenden und abertausenden Menschen, die an Gott glauben "durch die Macht des Teufels", während die Kirche machtlos gewesen war, sie zu bekehren; dass Menschen, die niemals gebetet hatten, heute mit Inbrunst beten, dank den Belehrungen dieser nämlichen Teufel! Wieviele sieht man, die aus hochmütigen, egoistischen und ausschweifenden Menschen demütige, liebevolle und weniger sinnliche Menschen geworden sind! Und man sagt, dies sei das Werk der Teufel! Wenn dem so ist, so muss man gestehen, dass der Teufel ihnen einen größeren Dienst erwiesen und besser beigestanden hat als die Engel. Man muss eine recht schwache Meinung vom Urteilsvermögen der Menschen in diesem Jahrhundert (19. Jh.) haben, um zu glauben, dass sie blindlings solche Vorstellungen annehmen können! Eine Religion, die aus einer derartigen Lehre ihren Eckstein macht, die sich an ihrer Basis als erschüttert erklärt, wenn man ihr ihre (eigenartigen) Teufel, ihre Hölle, ihre endlosen Strafen und ihren mitleidlosen Gott nimmt, begeht Selbstmord.


18. Hat Gott, sagt man, der Seinen Christus gesandt hat, um die Menschen zu retten, nicht Seine Liebe zu Seinen Geschöpfen bewiesen und hat Er sie ohne Schutz gelassen? Ohne Zweifel ist Christus der göttliche Messias, der gesandt wurde, um die Menschen die Wahrheit zu lehren und ihnen den rechten Weg zu zeigen. Zählt man seither aber nur die Zahl derjenigen, die sein Wort der Wahrheit verstehen konnten, wieviele sind gestorben und wieviele werden sterben, ohne es zu kennen, und unter denen, die es kennen, wieviele gibt es denn, die es ausüben! Warum sollte Gott in Seiner Fürsorge für das Heil Seiner Kinder ihnen nicht andere Boten senden, die überall auf die Erde kommen, in die bescheidensten Schlupfwinkel dringen, zu den Großen und den Kleinen, den Gelehrten und den Unwissenden, den Ungläubigen wie den Gläubigen kommen, um denen die Wahrheit zu lehren, die sie nicht kennen, durch ihre unmittelbare und vielfältige Unterweisung die unzureichende Verbreitung des Evangeliums zu ergänzen und auf solche Weise das Kommen des Reiches Gottes zu beschleunigen? Und wenn diese Boten in Massen kommen, um nach dem Vorbild Jesu den Blinden die Augen zu öffnen, die Gottlosen zu bekehren, die Kranken zu heilen, die Betrübten zu trösten, so stoßt ihr diese zurück und weist das Gute ab, das sie tun, indem ihr sagt, es seien die Teufel. Das ist auch die Sprache der Pharisäer in Bezug auf Jesus; denn auch sie sagten, er tue das Gute durch die Macht des Teufels. Was hat er ihnen geantwortet? "Erkennt den Baum an seiner Frucht! Ein schlechter Baum kann keine guten Früchte bringen."

Für sie aber waren die durch Jesus hervorgebrachten Früchte schlecht, weil er kam, um die Missbräuche auszurotten und die Freiheit zu verkünden, die ihr Ansehen vernichten sollte. Wäre er gekommen, um ihrem Hochmut zu schmeicheln, ihre Pflichtversäumnisse zu rechtfertigen und ihre Macht zu stützen, so wäre er in ihren Augen der von den Juden erwartete Messias gewesen. Er war allein, arm und schwach; sie haben ihm den Untergang bereitet und geglaubt, sein Wort zu töten. Aber sein Wort war göttlich und hat ihn überlebt. Jedoch hat es sich nur langsam verbreitet und ist nach 1800 Jahren kaum für ein Zehntel der Menschheit bekannt, und zahlreiche Spaltungen sind bei seinen eigenen Schülern ausgebrochen. Da sendet nun Gott in Seiner Barmherzigkeit die Geister, um jenes Wort zu bestätigen, es zu vervollständigen, es in die Reichweite aller zu rücken und es über die ganze Erde zu verbreiten. Aber die Geister werden nicht in einem einzigen Menschen inkarniert, dessen Stimme beschränkt gewesen wäre; sie sind unzählig, gehen überall hin und man kann sie nicht festnehmen; seht, darum breitet sich ihre Unterweisung mit der Schnelligkeit des Blitzes aus. Sie sprechen zum Herzen und zur Vernunft; seht, darum werden sie von den einfachsten Menschen verstanden.


19. "Ist es himmlischer Boten nicht unwürdig", sagt ihr, "ihre Belehrungen durch ein so gewöhnliches Mittel, wie das der sprechenden Tische zu übermitteln? Heißt es nicht, sie zu beleidigen, wenn man unterstellen will, dass sie sich an Nichtigkeiten belustigen und ihren glänzenden Aufenthaltsort verlassen, um sich dem ersten Besten zur Verfügung zu stellen?”

Hat Jesus nicht die Wohnung seines Vaters verlassen, um in einem Stall geboren zu werden? Wo habt ihr übrigens je gesehen, dass der Spiritismus höheren Geistern nichtige Dinge zuweist? Er sagt im Gegenteil, dass die alltäglichen Dinge das Ergebnis alltäglicher Geister sind. Aber durch ihre Alltäglichkeit selbst haben jene Dinge nur umsomehr die Tätigkeit der Einbildungskraft geweckt. Sie haben dazu gedient, die Existenz der Geisterwelt zu beweisen, und gezeigt, dass jene Welt eine ganz andere ist, als man sich vorgestellt hatte. Das war der Anfang. Er war einfach, wie alles, was beginnt. Aber der aus einem kleinen Samen hervorgegangene Baum breitet darum später nicht weniger weithin sein Blätterwerk aus. Wer hätte geglaubt, dass von der ärmlichen Krippe zu Bethlehem eines Tages das Wort ausgehen würde, das die Welt bewegen sollte? Ja, Christus ist der göttliche Messias. Ja, sein Wort ist die Wahrheit.

Ja, der auf diesem Wort gegründete Glaube wird unerschütterlich sein, aber unter der Bedingung, dass man seine erhabenen Unterweisungen befolgt und ausübt und nicht aus dem gerechten und gütigen Gott, den er uns kennen lehrt, einen parteiischen, rachsüchtigen und mitleidlosen macht.



Kapitel XI - Vom Verbot der Anrufung Toter

1. Die Kirche leugnet in keiner Weise die Tatsache der Geisterkundgebungen. Im Gegenteil, sie gibt all diese zu, wie man in den oben erwähnten Ausführungen gesehen hat, schreibt sie jedoch dem ausschließlichen Eingreifen der Teufel zu. Zu Unrecht beziehen sich einige auf das Evangelium, als ob es sie verbiete, aber das Evangelium erwähnt kein Wort darüber. Die wichtigste Begründung, die man geltend macht, ist das Verbot durch Mose. Nachfolgend ist der Wortlaut des in den vorherigen Kapiteln angeführten Hirtenbriefes zu diesem Thema aufgeführt:

"Es ist nicht erlaubt, sich mit ihnen (den Geistern) in Verbindung zu setzen, sei es unmittelbar oder durch Vermittlung derer, die sie anrufen und befragen. Das mosaische Gesetz bestrafte diese verabscheuenswerten Fähigkeiten, die unter den Heiden gebräuchlich waren, mit dem Tod. "Gehet nicht hin zu den Zauberern, so steht es im Buch Levitikus, und richtet keine Frage an die Wahrsager; habt Furcht, euch dadurch zu verunreinigen, dass ihr euch an sie wendet!" (Levitikus, 3. Buch Mose, Kap. 19, Vers 31). "Wenn ein Mann oder ein Weib einen Beschwörer- oder Wahrsagegeist hat, so seien sie mit dem Tod bestraft; sie sollen gesteinigt werden, ihr Blut komme auf ihr Haupt." (3. Buch Mose, Kap. 20, Vers 27). Und im Buch des Deuteronomiums (der Gesetzeswiederholung) steht: “Es sei niemand unter euch, der die Wahrsager befragt oder auf Träume, An- und Vorzeichen achtet oder der sich der Verführung der Zeichendeutereien und der Zauberei bedient oder der diejenigen befragt, die einen Beschwörergeist haben, Wahrsagerei betreiben oder die Toten befragen, um die Wahrheit zu erfahren, denn dem Herrn sind all diese Dinge ein Greuel, und er wird bei eurer Ankunft die Völker ausrotten, die diese Verbrechen verüben." (Deuteronomium, 5. Buch Mose, Kap. 18, Vers 10 - 12).


2. Es dient dem Verständnis des wahren Sinnes der Worte Moses, sich den vollständigen Wortlaut zu vergegenwärtigen, der im Folgenden nur wenig verkürzt dargestellt ist:

“Wendet euch nicht von eurem Gott ab, um Zauberer aufzusuchen und befragt nicht die Wahrsager; habt Furcht, euch dadurch zu verunreinigen, dass ihr euch an sie wendet! Ich bin der Herr, euer Gott.” (3. Buch Mose, Kap. 19, Vers 31).

"Wenn ein Mann oder ein Weib einen Beschwörer- oder Wahrsagegeist hat, so seien sie mit dem Tode bestraft. Sie sollen gesteinigt werden, und ihr Blut soll über ihr Haupt kommen." (3. Buch Mose, Kap. 20, Vers 27).

“Wenn ihr in das Land gekommen seid, das der Herr, euer Gott euch geben wird, so seid auf der Hut und ahmt nicht die Greuel dieser Völker nach; es sei niemand unter euch, der begehrt, seinen Sohn oder seine Tochter zu reinigen, indem er sie durchs Feuer gehen lässt, oder der die Wahrsager befragt oder auf Träume, An- und Vorzeichen achtet oder der sich der Verführung der Zeichendeutereien und der Zauberei bedient oder der die befragt, die einen Beschwörergeist haben, sich mit Wahrsagerei abgeben oder die Toten befragen, um die Wahrheit zu erfahren. Denn der Herr verabscheut all diese Dinge und wird bei eurer Ankunft all diese Völker wegen dieser Art von Verbrechen, die sie begangen haben, ausrotten." (5. Buch Mose, Kap. 18, Vers 9 - 12).


3. Wenn das Gesetz von Mose in diesem Punkt so streng beachtet werden soll, so muss es dies auch in gleicher Weise in all den anderen. Denn warum sollte es gut sein, wenn es die Anrufungen betrifft und schlecht bei anderen Themen? Man muss konsequent vorgehen. Erkennt man an, dass sein Gesetz bezüglich gewisser Dinge nicht mehr mit unseren Sitten und unserer Zeit im Einklang steht, so gibt es keinen Grund zu glauben, dass es nicht auch für das Verbot gilt, um das es sich handelt.

Übrigens muss man die Beweggründe berücksichtigen, die jenes Verbot veranlasst haben. Beweggründe, die damals ihre Berechtigung hatten, aber sicherlich heutzutage nicht mehr vorhanden sind. Der hebräische Gesetzgeber wollte, dass sein Volk mit allen in Ägypten übernommenen Gewohnheiten bricht, wo Anrufungen üblich und ein Anlass zu Missbrauch waren, wie das jene Worte Jesajas beweisen: “Der Geist Ägyptens soll in ihr zugrunde gerichtet werden, und ich werde ihre Klugheit niederwerfen. Sie werden ihre Götzen, Wahrsager, Beschwörer und Zauberer befragen." (Jesaja, Kap. 19, Vers 3).

Außerdem durften die Israeliten keine Verbindung mit fremden Völkern eingehen; nun aber fanden sie dieselben Künste bei denen, in die sie demnächst eindringen wollten und die von ihnen bekämpft werden sollten. Mose musste also dem Staatsinteresse dienen und versuchen, dem hebräischen Volk eine Abneigung gegen alle Gewohnheiten einzuflößen, die Berührungspunkte gewesen wären, falls es diese angenommen hätte. Um diese Abneigung zu begründen, musste man sie so erklären, als seien sie von Gott selbst verboten worden. Darum spricht er: "Der Herr verabscheut all diese Dinge, und Er wird bei eurer Ankunft die Völker ausrotten, die jene Verbrechen begehen."


4. Das Verbot des Mose war umso mehr gerechtfertigt, als man die Toten nicht aus Achtung und Zuneigung für sie oder einem Gefühl von Frömmigkeit anrief. Es war ein Mittel für Weissagungen, wie so manche Deutungen von Omen, ausgebeutet von betrügerischer Scharlatanerie und vom Aberglauben. Obwohl er es hätte tun können, so gelang es ihm nicht, diese nun geschäftlich genutzte Gewohnheit zu entwurzeln, wie das die folgenden Stellen des gleichen Propheten bezeugen:

"Wenn sie aber zu euch sagen: Ihr müsst die Totengeister und Beschwörer befragen, die da flüstern und murmeln, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Oder soll man für Lebendige die Toten befragen?” (Jesaja, Kap. 8, Vers 19).

"Ich bin es, der die Zeichen der Wahrsager zunichtemacht und die Weissager zu Narren; der die Weisen zurücktreibt und ihre Kunst zur Torheit macht.” (Jesaja, Kap. 44, Vers 25).

"Du hast dich müde gemacht mit der Menge deiner Pläne. Es sollen hertreten und dir helfen die Meister des Himmelslaufs und die Sterngucker, die an jedem Neumond kundtun, was über dich kommen werde! Siehe, sie sind wie Stoppeln, die das Feuer verbrennt, sie können ihr Leben nicht erretten vor der Flamme Gewalt. Denn es wird nicht eine Glut sein, an der man sich wärmen, oder ein Feuer, um das man sitzen könnte. So sind alle, um die du dich bemüht hast, die mit dir Handel trieben von deiner Jugend auf: Ein jeder wird hierhin und dorthin wanken, und du hast keinen Retter!" (Jesaja, Kap. 47, Vers In diesem Kapitel wendet sich Jesaja in Vers 1 an die BabyIonier, unter der sinnbildlichen Gestalt der "jungfräulichen Tochter Babylon, der Tochter der Chaldäer." Er sagt, dass die Zauberer den Untergang ihrer Alleinherrschaft nicht aufhalten werden. Im folgenden Kapitel wendet er sich unmittelbar an die Israeliten.

"Ihr aber, tretet herzu, ihr Söhne der Zauberin, ihr Kinder des Ehebrechers und der Hure! Mit wem wollt ihr euren Spott treiben? Über wen wollt ihr das Maul aufsperren und die Zunge herausstrecken? Seid ihr nicht abtrünnige Kinder, ein verkehrtes Geschlecht, die ihr bei den Götzeneichen in Brunst geratet, unter allen grünen Bäumen, und die Kinder schlachtet in den Tälern unter den Felsklippen? Bei den glatten Steinen im Tal ist dein Teil, sie sind dein Los. Ihnen hast du dein Trankopfer ausgeschüttet, hast du Speisopfer geopfert. Sollte ich mich darüber nicht empören?” (Jesaja, Kap. 57, Vers 3 - 6).

Diese Worte sind eindeutig. Sie beweisen klar, dass Anrufungen zu jener Zeit der Wahrsagerei dienten und man aus ihnen ein Gewerbe machte. Sie waren mit der Ausübung geheimer Kunst und des Zauberbannes verbunden und sogar von Menschenopfern begleitet. Mose hatte also Recht, diese Dinge zu verbieten und zu sagen, Gott würde sie verabscheuen. Diese abergläubischen Praktiken haben sich bis ins Mittelalter hinein erhalten. Heutzutage aber hat sie die Vernunft widerlegt, und die Spiritistische Lehre ist gekommen, die ausschließlich moralische, tröstliche und Gott ehrende Absicht der Berichte aus dem Jenseits aufzuzeigen. Da die Spiritisten ja "keine kleinen Kinder opfern und keine Trankopfer bringen, um die Götter zu ehren", da sie weder die Sterne noch die Toten oder die Zeichendeuter befragen, um die Zukunft zu erfahren, die Gott den Menschen wohlweislich verborgen hat, da sie sämtlichen Gewinn zurückweisen aus der Fähigkeit, die einige empfangen haben, sich mit den Geistern einzulassen, da sie weder von Neugierde noch von Gier getrieben werden, sondern von einem frommen Gefühl und dem alleinigen Wunsch zu lernen, sich zu verbessern und leidende Seelen zu trösten, so betrifft sie das Verbot des Moses in keinster Weise. Diejenigen, die es gegen die Spiritisten anführen, hätten es verstanden, wenn sie den Sinn der biblischen Worte tiefer erfasst hätten. Sie hätten erkannt, dass es keine Übereinstimmung zwischen dem, was sich bei den Hebräern zutrug, und den Grundsätzen des Spiritismus gibt. Weit mehr noch: Dass der Spiritismus genau das verurteilt, was das Verbot des Moses begründete. Aber geblendet von dem Wunsch, einen Beweis gegen die neue Denkweise zu finden, haben sie nicht bemerkt, dass diese Argumentation zu vollständig falschen Schlüssen führt.

Das bürgerliche Gesetz unserer Tage bestraft alle Missbräuche, die Mose beenden wollte. Wenn Mose das Höchstmaß an Strafe gegen die Übeltäter verkündet hat, dann bedurfte es eben strenger Maßnahmen, um dieses an Disziplin noch nicht gewöhnte Volk zu lenken. Auch wird die Todesstrafe in seiner Gesetzgebung ausgiebig angewandt. Er hatte übrigens keine große Wahl in seinen Maßnahmen der Bestrafung; er hatte weder Gefängnisse noch Zuchthäuser in der Wüste, und sein Volk zeigte keine Angst vor reinen Gefängnisstrafen. Er konnte seine Strafmaßnahmen nicht abstufen, wie man es heutzutage tut. Zu Unrecht stützt man sich also auf die Härte der Bestrafung, um das Ausmaß der Schuld für die Anrufungen der Toten zu begründen. Sollte es aus Achtung für das Gesetz von Mose erforderlich sein, die Todesstrafe in allen Fällen aufrechtzuerhalten, wo er sie anwendete? Aus welchem anderen Grund lässt man diese Bestimmung mit so viel Beharrlichkeit wiederaufleben, während man doch stillschweigend über den Anfang des Kapitels hinwegsieht, das den Priestern verbietet, irdische Güter zu besitzen und an irgendeiner Erbschaft teilzuhaben, weil der Herr selbst ihr Erbe sei? (5. Buch Mose, Kap. 18, Vers 1 - 2).


5. Es gibt zwei unterschiedliche Teile im Gesetz Moses, das eigentliche Gesetz Gottes, das auf dem Berg Sinai verkündet wurde, und das bürgerliche oder Strafgesetz, das den Sitten und dem Weltbild des Volkes angepasst ist. Das eine ist unveränderlich, das andere verändert sich im Laufe der Zeit, und es kann niemand auf den Gedanken kommen, dass wir mit denselben Mitteln gelenkt und geleitet werden könnten wie die Hebräer in der Wüste, ebensowenig wie die Gesetze und Verordnungen (Kapitularien) Karls des Großen sich auf das Frankreich des 19. Jahrhunderts anwenden lassen würden (Anmerkung: Himmel und Hölle erschien im August 1865). Wer möchte z.B. daran denken, jene Verfügung des mosaischen Gesetzes in der heutigen Zeit wieder aufleben zu lassen: “Wenn ein Ochse einen Mann oder eine Frau mit seinem Horn verletzt und sie dadurch sterben, so soll der Ochse gesteinigt werden und man soll nicht von seinem Fleisch essen; aber der Herr des Ochsen soll als unschuldig gelten?” (2. Buch Mose, Kap. 21, Vers 28 - 29).

Diese Bestimmung, die uns so sinnlos erscheint, bezog sich aber nicht auf die Bestrafung des Ochsen und den Freispruch seines Herrn. Sie bedeutete einfach die Wegnahme und Beschlagnahme des Tieres als Verursacher des Unfalls und sollte den Eigentümer zu größerer Wachsamkeit veranlassen. Der Verlust des Ochsen war die Strafe für den Besitzer, eine Strafe, die bei einem Hirtenvolk empfindlich genug sein musste, so dass es nicht erforderlich wurde, ihm eine andere aufzuerlegen. Aber der Verlust durfte für niemanden von Nutzen sein; darum war es untersagt, das Fleisch des Ochsen zu essen. Andere Bestimmungen regeln den Fall, in dem der Herr und Besitzer verantwortlich gemacht wird.

Alles hatte in der Gesetzgebung des Moses seine Berechtigung. Denn dort ist alles vorgesehen, bis in die kleinsten Einzelheiten hinein. Aber die Form und der Inhalt entsprachen den Umständen, in denen er sich befand. Wenn Mose heutzutage wiederkäme, um einem gesitteten europäischen Volk ein Gesetzbuch zu geben, so würde er ihm gewiss nicht das der Hebräer geben.


6. Dem hält man entgegen, dass alle Gesetze Moses im Namen Gottes erlassen seien, ebenso wie das vom Sinai. Wenn man alle beurteilt, dass sie aus göttlicher Quelle stammen, warum werden dann die Gebote auf die "Zehn Gebote" (den Dekalog) beschränkt? Das geschieht doch, eben weil man sie unterschieden hat. Wenn alle von Gott stammen, so sind alle in gleicher Weise verbindlich. Warum beachtet man sie nicht alle? Warum hat man zudem die Beschneidung nicht aufrechterhalten, die an Jesus vollzogen wurde und die er niemals aufgehoben hat? Man vergisst, dass alle Gesetzgeber aus früher Zeit, um ihren Gesetzen mehr Geltung zu verleihen, gesagt haben, dass sie diese von einer Gottheit hätten. Mose benötigte diese Stütze aufgrund der Einstellung seines Volkes mehr als jeder andere. Wenn er trotzdem so viel Mühe hatte, sich Gehorsam zu verschaffen, so wäre es noch weit schlimmer gewesen, wenn er die Gesetze in seinem eigenen Namen ausgerufen hätte.

Ist nicht Jesus gekommen, um das mosaische Gesetz zu verändern, und ist sein Gesetz nicht das Gebot der Christen? Hat er nicht gesagt: "Ihr habt gehört, dass den Alten dies und das gesagt worden ist, und ich, ich sage euch das und noch weiteres?” Aber hat er das Gesetz vom Sinai angetastet? In keinster Weise. Er bestätigt und festigt es, und seine ganze Morallehre ist nur eine Weiterentwicklung dessen. Nun aber spricht er nirgends von einem Verbot der Anrufung der Toten. Dies war jedoch eine sehr wesentliche Frage, um in seinen Weisungen nicht übergangen zu werden, während er hingegen unbedeutendere Fragen erörtert hat.


7. Zusammenfassend geht es um die Frage, ob die Kirche das mosaische über das christliche Gesetz stellt, mit anderen Worten, ob sie mehr jüdisch als christlich ist. Es muss sogar erwähnt werden, dass von allen Religionen die jüdische diejenige ist, die dem Spiritismus den geringsten Widerstand entgegengesetzt hat, und dass sie sich bezüglich des Kontaktes mit den Toten keineswegs auf das Gesetz des Moses berufen hat, auf das sich Teile der christlichen Kirche stützen.


8. Ein anderer Widerspruch in sich: Wenn Mose verboten hat, die Geister der Toten anzurufen, so können diese Geister also doch kommen, ansonsten wäre sein Verbot unnütz gewesen. Wenn sie zu seiner Zeit kommen konnten, so können sie das noch heute. Wenn es die Geister der Verstorbenen sind, so sind es also nicht ausschließlich Teufel. Übrigens spricht Mose überhaupt nicht von diesen letzteren.

Ganz offensichtlich könnte man sich in diesem Fall nicht logischerweise auf das Gesetz Moses stützen, und das aus zweifachem Grund: weil es nicht das Christentum dominiert und weil es nicht den Sitten unserer Zeit angepasst ist. Will man ihm aber die ganze Autorität zuschreiben, die einige ihm zugestehen, so kann man es, wie wir gesehen haben, nicht auf den Spiritismus anwenden.

Mose bezieht zwar die Befragung der Toten in sein Verbot ein. Aber das ist nur zweitrangig der Fall und als Anhängsel der Methoden der Zauberei. Das Wort “befragen" selbst, das neben den Wörtern "Wahrsager" und “Zeichendeuter" steht, beweist, dass Anrufungen bei den Hebräern ein Mittel zum Wahrsagen waren. Nun befragen die Spiritisten die Toten nicht, um von ihnen unerlaubte Offenbarungen zu erlangen, sondern weise Ratschläge zu empfangen und den Leidenden Erleichterung zu verschaffen. Hätten die Hebräer sich der Mitteilungen aus dem Jenseits gewiss nur zu diesem Zweck bedient, so hätte Mose, fern davon, ihnen diese zu verbieten, sie sogar dazu ermutigt, weil so sein Volk leichter zu führen gewesen wäre.


9. Wenn es einigen witzigen oder übelgesinnten Kritikern gefallen hat, spiritistische Vereinigungen als Versammlungen von Zauberern und Geisterbeschwörern und die Vermittler (Medien) als Verkünder des Glücks darzustellen, wenn einige gewinnsüchtige Betrüger diesen Namen mit lächerlichen Praktiken verbinden, die der Spiritist verabscheut, so wissen genug Leute, woran man sich in Bezug auf die durchaus moralische und würdige Art und Weise der Zusammenkünfte ernsthafter Spiritisten zu halten habe. Die für die ganze Welt geschriebene Lehre widersetzt sich vehement den Missbräuchen aller Art, so dass die Verleumdung auf denjenigen zurückfällt, der sie verdient.


10. Man sagt, dass die Anrufung der Toten, deren Asche man nicht stören soll, zu wenig Respekt erweist. Wer sagt das? Die Gegner aus zwei entgegengesetzten Lagern, die sich die Hand reichen: Die Ungläubigen, die nicht an das Dasein der Seelen glauben und diejenigen, die daran glauben, aber behaupten, dass diese nicht kommen könnten und nur der Teufel erscheine.

Wenn die Anrufung mit Respekt und innerer Sammlung geschieht, wenn man die Geister nicht aus Neugierde, sondern aus einem Gefühl von Zuneigung und Anteilnahme ruft und mit dem aufrichtigen Wunsch, zu lernen und besser zu werden, so ist nicht zu verstehen, inwiefern es respektloser sein soll, die Menschen nach ihrem Tod als zu ihren Lebzeiten zu rufen. Aber es gibt eine andere sehr entscheidende Antwort auf diesen Einwand, nämlich dass die Geister vollkommen freiwillig und nicht unter Zwang kommen; dass sie sogar aus eigenem Antrieb kommen, also ohne gerufen zu werden; dass sie ihre Genugtuung darin zeigen, sich den Menschen mitteilen zu können und sich häufig über die Vergessenheit beklagen, der sie manchmal zum Opfer fallen. Wenn sie in ihrer Ruhe gestört würden oder mit unserer Anrufung unzufrieden wären, so würden sie es sagen oder würden nicht kommen. Weil sie aber frei sind, wenn sie kommen, so geschieht dies, weil es ihnen zusagt.


11. Man führt einen anderen Grund an: "Die Seelen", sagt man, "bleiben an dem Aufenthaltsort, den die Gerechtigkeit Gottes ihnen zugewiesen hat, d.h. in der Hölle oder im Paradies". So können also diejenigen, die in der Hölle sind, nicht hinausgelangen, obwohl den Teufeln diesbezüglich jede Freiheit gegeben ist. Diejenigen Seelen, die im Paradies sind, befinden sich ganz und gar in ihrer Glückseligkeit. Sie sind zu hoch über den Sterblichen, um sich mit ihnen beschäftigen zu können und zu glücklich, um auf diese Erde des Elends zurückzukommen und sich für das Schicksal ihrer Verwandten und Freunde zu interessieren, die sie hier zurücklassen. Sind sie also wie jene Reichen, die den Blick von den Armen abwenden, aus Angst, das Bild könnte ihre Verdauung stören? Wenn dem so wäre, dann wären sie des höchsten Glücks wenig würdig, das dann der Lohn des Egoismus wäre. Es bleiben die Seelen übrig, die im Fegefeuer sind. Aber diese leiden und müssen vor allem an ihre Rettung denken. Da also weder die einen noch die anderen kommen können, so ist es nur der Teufel, der an ihrer Stelle kommt. Können sie nicht kommen, so ist also nicht zu befürchten, dass man ihre Ruhe stört.


12. Hier aber zeigt sich eine andere Schwierigkeit. Wenn die Seelen, die die Glückseligkeit genießen, ihren glücklichen Wohnort nicht verlassen können, um den Sterblichen zu Hilfe zu kommen, warum ruft dann die Kirche den Beistand der Heiligen an, die sich ihrerseits der größtmöglichen Fülle von Seligkeit erfreuen müssen? Warum sagt sie den Gläubigen, sie sollen diese bei Krankheiten und Schmerzen anrufen und um sich vor dem Elend der Landplagen zu schützen? Warum kommen nach ihrer Lehre die Heiligen, die heilige Jungfrau selbst, um sich den Menschen zu zeigen und Wunder zu vollbringen? Sie verlassen also den Himmel, um auf die Erde zu kommen. Wenn diejenigen von ihnen, die sich im höchsten der Himmel aufhalten, diesen verlassen können, warum sollten diejenigen das nicht können, die weniger erhaben sind?


13. Dass die Ungläubigen die Manifestation der Seelen leugnen, versteht sich, weil sie ja nicht an die Existenz der Seele glauben. Es ist aber seltsam zu sehen, wie jene, deren Glaubensvorstellungen auf der Existenz und Zukunft der Seele beruhen, gegen die Beweismittel für deren Existenz aufbegehren und sich bemühen, die Unmöglichkeit der Existenz der Seele zu beweisen. Dagegen würde der Gedanke naheliegend erscheinen, dass diejenigen, denen am meisten an ihrer Existenz liegt, mit Freuden und zwar als eine Wohltat der Vorsehung Mittel sammeln müssten, um die Leugner durch unwiderlegbare Beweise zu Fall zu bringen, weil das ja die Leugner des Gottesglaubens sind.

Die Erstgenannten beklagen unaufhörlich das Überhandnehmen der Ungläubigkeit, das die Schar der Gläubigen verkleinert, und wenn sich ihnen das mächtigste Mittel zu seiner Bekämpfung zeigt, so stoßen sie es mit größerer Hartnäckigkeit von sich, als es die Ungläubigen selbst tun.

Wenn zudem die Beweise an einen Punkt gelangen, an dem es keinen Zweifel mehr gibt, so greift man als wichtigste Begründung, um jede Beschäftigung damit zu verbieten und dies auch zu rechtfertigen, auf einen Satz im Gesetz des Moses zurück, an den niemand dachte und in dem man unter allen Umständen eine Anwendbarkeit sehen will, die gar nicht vorhanden ist. Man ist über diese Entdeckung so glücklich, dass man gar nicht bemerkt, wie sehr jene Gesetzesbestimmung eine Rechtfertigung der aus dem Spiritismus geschaffenen Lehre ist.


14. Alle angeführten Gründe gegen die Beziehungen zu den Geistwesen können einer ernsthaften Überprüfung nicht standhalten. Doch aus dem Widerstand, mit dem darauf beharrt wird, kann man schließen, dass sich mit dieser Frage ein großes Interesse verbindet; ansonsten würde man sie nicht mit so viel Beharrlichkeit verfolgen.

Beim Anblick dieses Kreuzzuges aller Glaubensrichtungen gegen die Kundgebungen möchte man sagen, sie fürchteten sich davor. Der wahre Beweggrund könnte womöglich die Furcht sein, dass die Geister, die sehr hellsehend sind, kommen und die Menschen über die Punkte aufklären möchten, die man so beharrlich im Dunkeln lässt, und sie genau erkennen lassen möchten, was es mit der anderen Welt und den wahren Bedingungen für dortiges Glücklich- oder Unglücklichsein auf sich hat.

Genauso wie man deshalb zu einem Kind sagt: "Geh nicht dorthin, dort ist ein Werwolf!", sagt man zu den Menschen: "Ruft nicht die Geister, es ist der Teufel!" Aber man wird noch so viel tun können: Wenn man die Menschen davon abhält, die Geister zu rufen, so wird man die Geister nicht daran hindern, zu den Menschen zu kommen, um das Licht unter dem Scheffel hervorzuholen.

Ein Glaubensbekenntnis, das in absoluter Wahrheit liegt, wird vom Licht nichts zu befürchten haben. Denn das Licht wird die Wahrheit leuchten lassen, und der Teufel vermag gegen die Wahrheit nichts auszurichten.


15. Die Mitteilungen aus dem Jenseits abzulehnen, das bedeutet, das mächtige Mittel der Unterweisungen zu verwerfen, die sich durch die Einweihung in das künftige Leben für sich selbst ergeben und aus den Beispielen, die sie uns geben. Da die Erfahrung uns weiterhin lehrt, wieviel Gutes man dadurch tun kann, dass man unvollkommene Geister vom Bösen abwendet und denen, die leiden müssen, hilft, sich von der Materie zu lösen und sich zu bessern, so heißt ein Verbot jener Mitteilungen nichts anderes als unglücklichen Seelen die Unterstützung zu entziehen, die wir ihnen geben können. Die folgenden Worte eines Geistes fassen in wunderbar treffender Weise die Folgen zusammen, die eine zu wohltätigen Zwecken praktizierte Anrufung haben kann:

"Jeder leidende und klagende Geist wird euch die Ursache seines Versagens erzählen, die überwältigenden Gewalten schildern, denen er unterlegen ist. Er wird auch von seinen Hoffnungen, Kämpfen und Qualen sprechen. Er wird euch seine Gewissensbisse, seine Schmerzen und seine Verzweiflung erzählen. Er wird euch Gott als den zu Recht Erzürnten zeigen, der den Schuldigen mit der ganzen Strenge seiner Gerechtigkeit bestraft. Wenn ihr ihm zuhört, werdet ihr von Mitleid für ihn und vor Furcht für euch selbst ergriffen sein. Wenn ihr ihm im Geist bei seinen Klagen folgt, werdet ihr sehen, wie Gott ihn nicht aus dem Auge verliert, den reuigen Sünder erwartet und ihm die Arme entgegenstreckt, sobald dieser versucht, voranzuschreiten. Ihr werdet die Fortschritte des Schuldigen sehen und das Glück und den Ruhm genießen, dazu beigetragen zu haben. Ihr werdet ihnen fürsorglich folgen, so wie der Chirurg die Fortschritte der Wunde überwacht, die er täglich verbindet."