Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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3. Angenommen, infolge irgendeines Umstandes würde ein ganzes Volk die Gewissheit erlangen, dass es in acht Tagen, in einem Monat, meinetwegen in einem Jahr vernichtet sein wird, dass nicht ein einziger überlebt und dass nach dem Tod keine Spur von ihm selbst übrig sein wird; was wird es während dieser Zeit tun? Wird es an seiner Besserung, seiner Belehrung arbeiten? Wird es sich Mühe geben, um am Leben zu bleiben? Wird es die Rechte, die Güter, das Leben des Nächsten respektieren? Wird es sich den Gesetzen unterwerfen, einer Autorität, welche immer es sei, selbst der recht mäßigsten: der väterlichen Autorität? Wird es für das Volk eine Pflicht irgend welcher Art geben? Sicherlich nicht! Nun denn, was nicht im Großen geschieht, verwirklicht die Lehre des Nichtglaubens jeden Tag im Kleinen.

Wenn die Folgen nicht so schlimm sind, wie sie es sein könnten, liegt dies zunächst daran, dass bei der Mehrzahl der Ungläubigen mehr Prahlerei als wahrhafter Unglaube vorherrscht, mehr Zweifel als Überzeugung, und dass sie mehr Furcht vor dem Nichts haben, als sie es zeigen wollen: die Bezeichnung eines starken Geistes zu führen, schmeichelt ihrer Eigenliebe; des Weiteren bilden die ganz Ungläubigen eine verschwindende Minderzahl; sie unterliegen wider Willen der Überlegenheit der gegenteiligen Meinung und wer den durch eine äußere Gewalt in Schranken gehalten. Aber wenn eines Ta ges der völlige Unglaube die Ansicht der Mehrheit wird, ist die Gesellschaft in Auflösung begriffen. Darauf zielt die Ausbreitung der Lehre des Nichtglaubens.

Ein 18-jähriger junger Mann litt an einer für unheilbar erklärten Herzkrankheit. Die Wissenschaft hatte gesagt: er kann in 8 Tagen sterben oder erst in 2 Jahren, aber darüber hinaus wird er nicht gelangen. Der junge Mann wusste das; sogleich unterließ er es, sich weiterzubilden und gab sich den Ausschweifungen jeder Art hin. Wenn man ihm vorhielt, wie sehr ein ungeregeltes Leben in seiner Lage gefährlich sei, antwortete er: Was liegt mir daran, da ich ja doch nur noch zwei Jahre zu leben habe! Was würde es nützen, meinen Geist anzustrengen? Ich genieße, soviel mir übrigbleibt und will mich vergnügen bis an mein Ende. Das ist die logische Folge des Nichtglaubens.

Wäre dieser junge Mann ein Spiritist gewesen, hätte er sich gesagt: Der Tod wird nur meinen Körper zerstören, den ich zurücklassen werde wie ein abgenutztes Kleid; aber mein Geist wird immer leben. Ich werde in meinem zukünftigen Leben sein, was ich in diesem hier aus mir gemacht habe. Nichts von dem, was ich darin an moralischen und geistigen Eigenschaften erwerben kann, wird verloren sein, denn es wird für meinen Fortschritt so viel gewonnen. Alle Unvollkommenheit, die ich ablege, ist ein weiterer Schritt zur Glückseligkeit; mein künftiges Glück oder Unglück hängt von dem Nutzen oder der Nutzlosigkeit meines gegenwärtigen Daseins ab. Es liegt also in meinem Interesse, das bisschen Zeit, das mir noch bleibt, zu nutzen und alles zu vermeiden, was meine Kräfte vermindern könnte. Welche von diesen beiden Lehren ist vorzuziehen?

Was auch die Folgerungen hieraus sein mögen, würde der Nichtglaube auf Wahrheit beruhen, müsste man sie akzeptieren, und es würden weder entgegengesetzte Lehrweisen noch der Gedanke an das Böse, das daraus entspringen würde, bewirken können, dass sie nicht vorhanden wären. Nun darf man nicht verschweigen, dass trotz der Anstrengungen der Religion Skepsis, Zweifel und Gleichgültigkeit mit jedem Tag an Boden gewinnen, das steht fest. Wenn die Religion dem Unglauben gegenüber machtlos ist, so deshalb, weil ihr etwas fehlt, um diesen zu bekämpfen, so dass sie unweigerlich innerhalb einer bestimmten Zeit über Bord geworfen würde, würde sie unbeweglich bleiben. Was in diesem Jahrhundert des Positivismus, wo man begreifen will, bevor man glaubt, fehlt, ist die Bestätigung dieser Lehren durch feststehende Tatsachen; es ist auch die Übereinstimmung gewisser Lehren mit den Grundlagen der Wissenschaft. Wenn sie sagt: 'weiß', und die Tatsachen sagen: 'schwarz', muss man zwischen dem Offenkundigen und dem blinden Glauben wählen.