Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Kapitel XI - Vom Verbot der Anrufung Toter

1. Die Kirche leugnet in keiner Weise die Tatsache der Geisterkundgebungen. Im Gegenteil, sie gibt all diese zu, wie man in den oben erwähnten Ausführungen gesehen hat, schreibt sie jedoch dem ausschließlichen Eingreifen der Teufel zu. Zu Unrecht beziehen sich einige auf das Evangelium, als ob es sie verbiete, aber das Evangelium erwähnt kein Wort darüber. Die wichtigste Begründung, die man geltend macht, ist das Verbot durch Mose. Nachfolgend ist der Wortlaut des in den vorherigen Kapiteln angeführten Hirtenbriefes zu diesem Thema aufgeführt:

"Es ist nicht erlaubt, sich mit ihnen (den Geistern) in Verbindung zu setzen, sei es unmittelbar oder durch Vermittlung derer, die sie anrufen und befragen. Das mosaische Gesetz bestrafte diese verabscheuenswerten Fähigkeiten, die unter den Heiden gebräuchlich waren, mit dem Tod. "Gehet nicht hin zu den Zauberern, so steht es im Buch Levitikus, und richtet keine Frage an die Wahrsager; habt Furcht, euch dadurch zu verunreinigen, dass ihr euch an sie wendet!" (Levitikus, 3. Buch Mose, Kap. 19, Vers 31). "Wenn ein Mann oder ein Weib einen Beschwörer- oder Wahrsagegeist hat, so seien sie mit dem Tod bestraft; sie sollen gesteinigt werden, ihr Blut komme auf ihr Haupt." (3. Buch Mose, Kap. 20, Vers 27). Und im Buch des Deuteronomiums (der Gesetzeswiederholung) steht: “Es sei niemand unter euch, der die Wahrsager befragt oder auf Träume, An- und Vorzeichen achtet oder der sich der Verführung der Zeichendeutereien und der Zauberei bedient oder der diejenigen befragt, die einen Beschwörergeist haben, Wahrsagerei betreiben oder die Toten befragen, um die Wahrheit zu erfahren, denn dem Herrn sind all diese Dinge ein Greuel, und er wird bei eurer Ankunft die Völker ausrotten, die diese Verbrechen verüben." (Deuteronomium, 5. Buch Mose, Kap. 18, Vers 10 - 12).


2. Es dient dem Verständnis des wahren Sinnes der Worte Moses, sich den vollständigen Wortlaut zu vergegenwärtigen, der im Folgenden nur wenig verkürzt dargestellt ist:

“Wendet euch nicht von eurem Gott ab, um Zauberer aufzusuchen und befragt nicht die Wahrsager; habt Furcht, euch dadurch zu verunreinigen, dass ihr euch an sie wendet! Ich bin der Herr, euer Gott.” (3. Buch Mose, Kap. 19, Vers 31).

"Wenn ein Mann oder ein Weib einen Beschwörer- oder Wahrsagegeist hat, so seien sie mit dem Tode bestraft. Sie sollen gesteinigt werden, und ihr Blut soll über ihr Haupt kommen." (3. Buch Mose, Kap. 20, Vers 27).

“Wenn ihr in das Land gekommen seid, das der Herr, euer Gott euch geben wird, so seid auf der Hut und ahmt nicht die Greuel dieser Völker nach; es sei niemand unter euch, der begehrt, seinen Sohn oder seine Tochter zu reinigen, indem er sie durchs Feuer gehen lässt, oder der die Wahrsager befragt oder auf Träume, An- und Vorzeichen achtet oder der sich der Verführung der Zeichendeutereien und der Zauberei bedient oder der die befragt, die einen Beschwörergeist haben, sich mit Wahrsagerei abgeben oder die Toten befragen, um die Wahrheit zu erfahren. Denn der Herr verabscheut all diese Dinge und wird bei eurer Ankunft all diese Völker wegen dieser Art von Verbrechen, die sie begangen haben, ausrotten." (5. Buch Mose, Kap. 18, Vers 9 - 12).


3. Wenn das Gesetz von Mose in diesem Punkt so streng beachtet werden soll, so muss es dies auch in gleicher Weise in all den anderen. Denn warum sollte es gut sein, wenn es die Anrufungen betrifft und schlecht bei anderen Themen? Man muss konsequent vorgehen. Erkennt man an, dass sein Gesetz bezüglich gewisser Dinge nicht mehr mit unseren Sitten und unserer Zeit im Einklang steht, so gibt es keinen Grund zu glauben, dass es nicht auch für das Verbot gilt, um das es sich handelt.

Übrigens muss man die Beweggründe berücksichtigen, die jenes Verbot veranlasst haben. Beweggründe, die damals ihre Berechtigung hatten, aber sicherlich heutzutage nicht mehr vorhanden sind. Der hebräische Gesetzgeber wollte, dass sein Volk mit allen in Ägypten übernommenen Gewohnheiten bricht, wo Anrufungen üblich und ein Anlass zu Missbrauch waren, wie das jene Worte Jesajas beweisen: “Der Geist Ägyptens soll in ihr zugrunde gerichtet werden, und ich werde ihre Klugheit niederwerfen. Sie werden ihre Götzen, Wahrsager, Beschwörer und Zauberer befragen." (Jesaja, Kap. 19, Vers 3).

Außerdem durften die Israeliten keine Verbindung mit fremden Völkern eingehen; nun aber fanden sie dieselben Künste bei denen, in die sie demnächst eindringen wollten und die von ihnen bekämpft werden sollten. Mose musste also dem Staatsinteresse dienen und versuchen, dem hebräischen Volk eine Abneigung gegen alle Gewohnheiten einzuflößen, die Berührungspunkte gewesen wären, falls es diese angenommen hätte. Um diese Abneigung zu begründen, musste man sie so erklären, als seien sie von Gott selbst verboten worden. Darum spricht er: "Der Herr verabscheut all diese Dinge, und Er wird bei eurer Ankunft die Völker ausrotten, die jene Verbrechen begehen."


4. Das Verbot des Mose war umso mehr gerechtfertigt, als man die Toten nicht aus Achtung und Zuneigung für sie oder einem Gefühl von Frömmigkeit anrief. Es war ein Mittel für Weissagungen, wie so manche Deutungen von Omen, ausgebeutet von betrügerischer Scharlatanerie und vom Aberglauben. Obwohl er es hätte tun können, so gelang es ihm nicht, diese nun geschäftlich genutzte Gewohnheit zu entwurzeln, wie das die folgenden Stellen des gleichen Propheten bezeugen:

"Wenn sie aber zu euch sagen: Ihr müsst die Totengeister und Beschwörer befragen, die da flüstern und murmeln, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Oder soll man für Lebendige die Toten befragen?” (Jesaja, Kap. 8, Vers 19).

"Ich bin es, der die Zeichen der Wahrsager zunichtemacht und die Weissager zu Narren; der die Weisen zurücktreibt und ihre Kunst zur Torheit macht.” (Jesaja, Kap. 44, Vers 25).

"Du hast dich müde gemacht mit der Menge deiner Pläne. Es sollen hertreten und dir helfen die Meister des Himmelslaufs und die Sterngucker, die an jedem Neumond kundtun, was über dich kommen werde! Siehe, sie sind wie Stoppeln, die das Feuer verbrennt, sie können ihr Leben nicht erretten vor der Flamme Gewalt. Denn es wird nicht eine Glut sein, an der man sich wärmen, oder ein Feuer, um das man sitzen könnte. So sind alle, um die du dich bemüht hast, die mit dir Handel trieben von deiner Jugend auf: Ein jeder wird hierhin und dorthin wanken, und du hast keinen Retter!" (Jesaja, Kap. 47, Vers In diesem Kapitel wendet sich Jesaja in Vers 1 an die BabyIonier, unter der sinnbildlichen Gestalt der "jungfräulichen Tochter Babylon, der Tochter der Chaldäer." Er sagt, dass die Zauberer den Untergang ihrer Alleinherrschaft nicht aufhalten werden. Im folgenden Kapitel wendet er sich unmittelbar an die Israeliten.

"Ihr aber, tretet herzu, ihr Söhne der Zauberin, ihr Kinder des Ehebrechers und der Hure! Mit wem wollt ihr euren Spott treiben? Über wen wollt ihr das Maul aufsperren und die Zunge herausstrecken? Seid ihr nicht abtrünnige Kinder, ein verkehrtes Geschlecht, die ihr bei den Götzeneichen in Brunst geratet, unter allen grünen Bäumen, und die Kinder schlachtet in den Tälern unter den Felsklippen? Bei den glatten Steinen im Tal ist dein Teil, sie sind dein Los. Ihnen hast du dein Trankopfer ausgeschüttet, hast du Speisopfer geopfert. Sollte ich mich darüber nicht empören?” (Jesaja, Kap. 57, Vers 3 - 6).

Diese Worte sind eindeutig. Sie beweisen klar, dass Anrufungen zu jener Zeit der Wahrsagerei dienten und man aus ihnen ein Gewerbe machte. Sie waren mit der Ausübung geheimer Kunst und des Zauberbannes verbunden und sogar von Menschenopfern begleitet. Mose hatte also Recht, diese Dinge zu verbieten und zu sagen, Gott würde sie verabscheuen. Diese abergläubischen Praktiken haben sich bis ins Mittelalter hinein erhalten. Heutzutage aber hat sie die Vernunft widerlegt, und die Spiritistische Lehre ist gekommen, die ausschließlich moralische, tröstliche und Gott ehrende Absicht der Berichte aus dem Jenseits aufzuzeigen. Da die Spiritisten ja "keine kleinen Kinder opfern und keine Trankopfer bringen, um die Götter zu ehren", da sie weder die Sterne noch die Toten oder die Zeichendeuter befragen, um die Zukunft zu erfahren, die Gott den Menschen wohlweislich verborgen hat, da sie sämtlichen Gewinn zurückweisen aus der Fähigkeit, die einige empfangen haben, sich mit den Geistern einzulassen, da sie weder von Neugierde noch von Gier getrieben werden, sondern von einem frommen Gefühl und dem alleinigen Wunsch zu lernen, sich zu verbessern und leidende Seelen zu trösten, so betrifft sie das Verbot des Moses in keinster Weise. Diejenigen, die es gegen die Spiritisten anführen, hätten es verstanden, wenn sie den Sinn der biblischen Worte tiefer erfasst hätten. Sie hätten erkannt, dass es keine Übereinstimmung zwischen dem, was sich bei den Hebräern zutrug, und den Grundsätzen des Spiritismus gibt. Weit mehr noch: Dass der Spiritismus genau das verurteilt, was das Verbot des Moses begründete. Aber geblendet von dem Wunsch, einen Beweis gegen die neue Denkweise zu finden, haben sie nicht bemerkt, dass diese Argumentation zu vollständig falschen Schlüssen führt.

Das bürgerliche Gesetz unserer Tage bestraft alle Missbräuche, die Mose beenden wollte. Wenn Mose das Höchstmaß an Strafe gegen die Übeltäter verkündet hat, dann bedurfte es eben strenger Maßnahmen, um dieses an Disziplin noch nicht gewöhnte Volk zu lenken. Auch wird die Todesstrafe in seiner Gesetzgebung ausgiebig angewandt. Er hatte übrigens keine große Wahl in seinen Maßnahmen der Bestrafung; er hatte weder Gefängnisse noch Zuchthäuser in der Wüste, und sein Volk zeigte keine Angst vor reinen Gefängnisstrafen. Er konnte seine Strafmaßnahmen nicht abstufen, wie man es heutzutage tut. Zu Unrecht stützt man sich also auf die Härte der Bestrafung, um das Ausmaß der Schuld für die Anrufungen der Toten zu begründen. Sollte es aus Achtung für das Gesetz von Mose erforderlich sein, die Todesstrafe in allen Fällen aufrechtzuerhalten, wo er sie anwendete? Aus welchem anderen Grund lässt man diese Bestimmung mit so viel Beharrlichkeit wiederaufleben, während man doch stillschweigend über den Anfang des Kapitels hinwegsieht, das den Priestern verbietet, irdische Güter zu besitzen und an irgendeiner Erbschaft teilzuhaben, weil der Herr selbst ihr Erbe sei? (5. Buch Mose, Kap. 18, Vers 1 - 2).


5. Es gibt zwei unterschiedliche Teile im Gesetz Moses, das eigentliche Gesetz Gottes, das auf dem Berg Sinai verkündet wurde, und das bürgerliche oder Strafgesetz, das den Sitten und dem Weltbild des Volkes angepasst ist. Das eine ist unveränderlich, das andere verändert sich im Laufe der Zeit, und es kann niemand auf den Gedanken kommen, dass wir mit denselben Mitteln gelenkt und geleitet werden könnten wie die Hebräer in der Wüste, ebensowenig wie die Gesetze und Verordnungen (Kapitularien) Karls des Großen sich auf das Frankreich des 19. Jahrhunderts anwenden lassen würden (Anmerkung: Himmel und Hölle erschien im August 1865). Wer möchte z.B. daran denken, jene Verfügung des mosaischen Gesetzes in der heutigen Zeit wieder aufleben zu lassen: “Wenn ein Ochse einen Mann oder eine Frau mit seinem Horn verletzt und sie dadurch sterben, so soll der Ochse gesteinigt werden und man soll nicht von seinem Fleisch essen; aber der Herr des Ochsen soll als unschuldig gelten?” (2. Buch Mose, Kap. 21, Vers 28 - 29).

Diese Bestimmung, die uns so sinnlos erscheint, bezog sich aber nicht auf die Bestrafung des Ochsen und den Freispruch seines Herrn. Sie bedeutete einfach die Wegnahme und Beschlagnahme des Tieres als Verursacher des Unfalls und sollte den Eigentümer zu größerer Wachsamkeit veranlassen. Der Verlust des Ochsen war die Strafe für den Besitzer, eine Strafe, die bei einem Hirtenvolk empfindlich genug sein musste, so dass es nicht erforderlich wurde, ihm eine andere aufzuerlegen. Aber der Verlust durfte für niemanden von Nutzen sein; darum war es untersagt, das Fleisch des Ochsen zu essen. Andere Bestimmungen regeln den Fall, in dem der Herr und Besitzer verantwortlich gemacht wird.

Alles hatte in der Gesetzgebung des Moses seine Berechtigung. Denn dort ist alles vorgesehen, bis in die kleinsten Einzelheiten hinein. Aber die Form und der Inhalt entsprachen den Umständen, in denen er sich befand. Wenn Mose heutzutage wiederkäme, um einem gesitteten europäischen Volk ein Gesetzbuch zu geben, so würde er ihm gewiss nicht das der Hebräer geben.


6. Dem hält man entgegen, dass alle Gesetze Moses im Namen Gottes erlassen seien, ebenso wie das vom Sinai. Wenn man alle beurteilt, dass sie aus göttlicher Quelle stammen, warum werden dann die Gebote auf die "Zehn Gebote" (den Dekalog) beschränkt? Das geschieht doch, eben weil man sie unterschieden hat. Wenn alle von Gott stammen, so sind alle in gleicher Weise verbindlich. Warum beachtet man sie nicht alle? Warum hat man zudem die Beschneidung nicht aufrechterhalten, die an Jesus vollzogen wurde und die er niemals aufgehoben hat? Man vergisst, dass alle Gesetzgeber aus früher Zeit, um ihren Gesetzen mehr Geltung zu verleihen, gesagt haben, dass sie diese von einer Gottheit hätten. Mose benötigte diese Stütze aufgrund der Einstellung seines Volkes mehr als jeder andere. Wenn er trotzdem so viel Mühe hatte, sich Gehorsam zu verschaffen, so wäre es noch weit schlimmer gewesen, wenn er die Gesetze in seinem eigenen Namen ausgerufen hätte.

Ist nicht Jesus gekommen, um das mosaische Gesetz zu verändern, und ist sein Gesetz nicht das Gebot der Christen? Hat er nicht gesagt: "Ihr habt gehört, dass den Alten dies und das gesagt worden ist, und ich, ich sage euch das und noch weiteres?” Aber hat er das Gesetz vom Sinai angetastet? In keinster Weise. Er bestätigt und festigt es, und seine ganze Morallehre ist nur eine Weiterentwicklung dessen. Nun aber spricht er nirgends von einem Verbot der Anrufung der Toten. Dies war jedoch eine sehr wesentliche Frage, um in seinen Weisungen nicht übergangen zu werden, während er hingegen unbedeutendere Fragen erörtert hat.


7. Zusammenfassend geht es um die Frage, ob die Kirche das mosaische über das christliche Gesetz stellt, mit anderen Worten, ob sie mehr jüdisch als christlich ist. Es muss sogar erwähnt werden, dass von allen Religionen die jüdische diejenige ist, die dem Spiritismus den geringsten Widerstand entgegengesetzt hat, und dass sie sich bezüglich des Kontaktes mit den Toten keineswegs auf das Gesetz des Moses berufen hat, auf das sich Teile der christlichen Kirche stützen.


8. Ein anderer Widerspruch in sich: Wenn Mose verboten hat, die Geister der Toten anzurufen, so können diese Geister also doch kommen, ansonsten wäre sein Verbot unnütz gewesen. Wenn sie zu seiner Zeit kommen konnten, so können sie das noch heute. Wenn es die Geister der Verstorbenen sind, so sind es also nicht ausschließlich Teufel. Übrigens spricht Mose überhaupt nicht von diesen letzteren.

Ganz offensichtlich könnte man sich in diesem Fall nicht logischerweise auf das Gesetz Moses stützen, und das aus zweifachem Grund: weil es nicht das Christentum dominiert und weil es nicht den Sitten unserer Zeit angepasst ist. Will man ihm aber die ganze Autorität zuschreiben, die einige ihm zugestehen, so kann man es, wie wir gesehen haben, nicht auf den Spiritismus anwenden.

Mose bezieht zwar die Befragung der Toten in sein Verbot ein. Aber das ist nur zweitrangig der Fall und als Anhängsel der Methoden der Zauberei. Das Wort “befragen" selbst, das neben den Wörtern "Wahrsager" und “Zeichendeuter" steht, beweist, dass Anrufungen bei den Hebräern ein Mittel zum Wahrsagen waren. Nun befragen die Spiritisten die Toten nicht, um von ihnen unerlaubte Offenbarungen zu erlangen, sondern weise Ratschläge zu empfangen und den Leidenden Erleichterung zu verschaffen. Hätten die Hebräer sich der Mitteilungen aus dem Jenseits gewiss nur zu diesem Zweck bedient, so hätte Mose, fern davon, ihnen diese zu verbieten, sie sogar dazu ermutigt, weil so sein Volk leichter zu führen gewesen wäre.


9. Wenn es einigen witzigen oder übelgesinnten Kritikern gefallen hat, spiritistische Vereinigungen als Versammlungen von Zauberern und Geisterbeschwörern und die Vermittler (Medien) als Verkünder des Glücks darzustellen, wenn einige gewinnsüchtige Betrüger diesen Namen mit lächerlichen Praktiken verbinden, die der Spiritist verabscheut, so wissen genug Leute, woran man sich in Bezug auf die durchaus moralische und würdige Art und Weise der Zusammenkünfte ernsthafter Spiritisten zu halten habe. Die für die ganze Welt geschriebene Lehre widersetzt sich vehement den Missbräuchen aller Art, so dass die Verleumdung auf denjenigen zurückfällt, der sie verdient.


10. Man sagt, dass die Anrufung der Toten, deren Asche man nicht stören soll, zu wenig Respekt erweist. Wer sagt das? Die Gegner aus zwei entgegengesetzten Lagern, die sich die Hand reichen: Die Ungläubigen, die nicht an das Dasein der Seelen glauben und diejenigen, die daran glauben, aber behaupten, dass diese nicht kommen könnten und nur der Teufel erscheine.

Wenn die Anrufung mit Respekt und innerer Sammlung geschieht, wenn man die Geister nicht aus Neugierde, sondern aus einem Gefühl von Zuneigung und Anteilnahme ruft und mit dem aufrichtigen Wunsch, zu lernen und besser zu werden, so ist nicht zu verstehen, inwiefern es respektloser sein soll, die Menschen nach ihrem Tod als zu ihren Lebzeiten zu rufen. Aber es gibt eine andere sehr entscheidende Antwort auf diesen Einwand, nämlich dass die Geister vollkommen freiwillig und nicht unter Zwang kommen; dass sie sogar aus eigenem Antrieb kommen, also ohne gerufen zu werden; dass sie ihre Genugtuung darin zeigen, sich den Menschen mitteilen zu können und sich häufig über die Vergessenheit beklagen, der sie manchmal zum Opfer fallen. Wenn sie in ihrer Ruhe gestört würden oder mit unserer Anrufung unzufrieden wären, so würden sie es sagen oder würden nicht kommen. Weil sie aber frei sind, wenn sie kommen, so geschieht dies, weil es ihnen zusagt.


11. Man führt einen anderen Grund an: "Die Seelen", sagt man, "bleiben an dem Aufenthaltsort, den die Gerechtigkeit Gottes ihnen zugewiesen hat, d.h. in der Hölle oder im Paradies". So können also diejenigen, die in der Hölle sind, nicht hinausgelangen, obwohl den Teufeln diesbezüglich jede Freiheit gegeben ist. Diejenigen Seelen, die im Paradies sind, befinden sich ganz und gar in ihrer Glückseligkeit. Sie sind zu hoch über den Sterblichen, um sich mit ihnen beschäftigen zu können und zu glücklich, um auf diese Erde des Elends zurückzukommen und sich für das Schicksal ihrer Verwandten und Freunde zu interessieren, die sie hier zurücklassen. Sind sie also wie jene Reichen, die den Blick von den Armen abwenden, aus Angst, das Bild könnte ihre Verdauung stören? Wenn dem so wäre, dann wären sie des höchsten Glücks wenig würdig, das dann der Lohn des Egoismus wäre. Es bleiben die Seelen übrig, die im Fegefeuer sind. Aber diese leiden und müssen vor allem an ihre Rettung denken. Da also weder die einen noch die anderen kommen können, so ist es nur der Teufel, der an ihrer Stelle kommt. Können sie nicht kommen, so ist also nicht zu befürchten, dass man ihre Ruhe stört.


12. Hier aber zeigt sich eine andere Schwierigkeit. Wenn die Seelen, die die Glückseligkeit genießen, ihren glücklichen Wohnort nicht verlassen können, um den Sterblichen zu Hilfe zu kommen, warum ruft dann die Kirche den Beistand der Heiligen an, die sich ihrerseits der größtmöglichen Fülle von Seligkeit erfreuen müssen? Warum sagt sie den Gläubigen, sie sollen diese bei Krankheiten und Schmerzen anrufen und um sich vor dem Elend der Landplagen zu schützen? Warum kommen nach ihrer Lehre die Heiligen, die heilige Jungfrau selbst, um sich den Menschen zu zeigen und Wunder zu vollbringen? Sie verlassen also den Himmel, um auf die Erde zu kommen. Wenn diejenigen von ihnen, die sich im höchsten der Himmel aufhalten, diesen verlassen können, warum sollten diejenigen das nicht können, die weniger erhaben sind?


13. Dass die Ungläubigen die Manifestation der Seelen leugnen, versteht sich, weil sie ja nicht an die Existenz der Seele glauben. Es ist aber seltsam zu sehen, wie jene, deren Glaubensvorstellungen auf der Existenz und Zukunft der Seele beruhen, gegen die Beweismittel für deren Existenz aufbegehren und sich bemühen, die Unmöglichkeit der Existenz der Seele zu beweisen. Dagegen würde der Gedanke naheliegend erscheinen, dass diejenigen, denen am meisten an ihrer Existenz liegt, mit Freuden und zwar als eine Wohltat der Vorsehung Mittel sammeln müssten, um die Leugner durch unwiderlegbare Beweise zu Fall zu bringen, weil das ja die Leugner des Gottesglaubens sind.

Die Erstgenannten beklagen unaufhörlich das Überhandnehmen der Ungläubigkeit, das die Schar der Gläubigen verkleinert, und wenn sich ihnen das mächtigste Mittel zu seiner Bekämpfung zeigt, so stoßen sie es mit größerer Hartnäckigkeit von sich, als es die Ungläubigen selbst tun.

Wenn zudem die Beweise an einen Punkt gelangen, an dem es keinen Zweifel mehr gibt, so greift man als wichtigste Begründung, um jede Beschäftigung damit zu verbieten und dies auch zu rechtfertigen, auf einen Satz im Gesetz des Moses zurück, an den niemand dachte und in dem man unter allen Umständen eine Anwendbarkeit sehen will, die gar nicht vorhanden ist. Man ist über diese Entdeckung so glücklich, dass man gar nicht bemerkt, wie sehr jene Gesetzesbestimmung eine Rechtfertigung der aus dem Spiritismus geschaffenen Lehre ist.


14. Alle angeführten Gründe gegen die Beziehungen zu den Geistwesen können einer ernsthaften Überprüfung nicht standhalten. Doch aus dem Widerstand, mit dem darauf beharrt wird, kann man schließen, dass sich mit dieser Frage ein großes Interesse verbindet; ansonsten würde man sie nicht mit so viel Beharrlichkeit verfolgen.

Beim Anblick dieses Kreuzzuges aller Glaubensrichtungen gegen die Kundgebungen möchte man sagen, sie fürchteten sich davor. Der wahre Beweggrund könnte womöglich die Furcht sein, dass die Geister, die sehr hellsehend sind, kommen und die Menschen über die Punkte aufklären möchten, die man so beharrlich im Dunkeln lässt, und sie genau erkennen lassen möchten, was es mit der anderen Welt und den wahren Bedingungen für dortiges Glücklich- oder Unglücklichsein auf sich hat.

Genauso wie man deshalb zu einem Kind sagt: "Geh nicht dorthin, dort ist ein Werwolf!", sagt man zu den Menschen: "Ruft nicht die Geister, es ist der Teufel!" Aber man wird noch so viel tun können: Wenn man die Menschen davon abhält, die Geister zu rufen, so wird man die Geister nicht daran hindern, zu den Menschen zu kommen, um das Licht unter dem Scheffel hervorzuholen.

Ein Glaubensbekenntnis, das in absoluter Wahrheit liegt, wird vom Licht nichts zu befürchten haben. Denn das Licht wird die Wahrheit leuchten lassen, und der Teufel vermag gegen die Wahrheit nichts auszurichten.


15. Die Mitteilungen aus dem Jenseits abzulehnen, das bedeutet, das mächtige Mittel der Unterweisungen zu verwerfen, die sich durch die Einweihung in das künftige Leben für sich selbst ergeben und aus den Beispielen, die sie uns geben. Da die Erfahrung uns weiterhin lehrt, wieviel Gutes man dadurch tun kann, dass man unvollkommene Geister vom Bösen abwendet und denen, die leiden müssen, hilft, sich von der Materie zu lösen und sich zu bessern, so heißt ein Verbot jener Mitteilungen nichts anderes als unglücklichen Seelen die Unterstützung zu entziehen, die wir ihnen geben können. Die folgenden Worte eines Geistes fassen in wunderbar treffender Weise die Folgen zusammen, die eine zu wohltätigen Zwecken praktizierte Anrufung haben kann:

"Jeder leidende und klagende Geist wird euch die Ursache seines Versagens erzählen, die überwältigenden Gewalten schildern, denen er unterlegen ist. Er wird auch von seinen Hoffnungen, Kämpfen und Qualen sprechen. Er wird euch seine Gewissensbisse, seine Schmerzen und seine Verzweiflung erzählen. Er wird euch Gott als den zu Recht Erzürnten zeigen, der den Schuldigen mit der ganzen Strenge seiner Gerechtigkeit bestraft. Wenn ihr ihm zuhört, werdet ihr von Mitleid für ihn und vor Furcht für euch selbst ergriffen sein. Wenn ihr ihm im Geist bei seinen Klagen folgt, werdet ihr sehen, wie Gott ihn nicht aus dem Auge verliert, den reuigen Sünder erwartet und ihm die Arme entgegenstreckt, sobald dieser versucht, voranzuschreiten. Ihr werdet die Fortschritte des Schuldigen sehen und das Glück und den Ruhm genießen, dazu beigetragen zu haben. Ihr werdet ihnen fürsorglich folgen, so wie der Chirurg die Fortschritte der Wunde überwacht, die er täglich verbindet."