Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Kapitel VIII - Die Engel

1. Alle Religionen haben unter verschiedenen Namen Engel gehabt, das heißt Wesen, die über der Menschheit stehen, Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Der Materialismus, der jede geistige Existenz außerhalb des organischen Lebens leugnet, hat Engel naturgemäß unter Fiktionen und Allegorien eingeordnet. Der Glaube an Engel ist ein wesentlicher Bestandteil der Dogmen der Kirche. Hier sind ihre Definitionen.

Bemerkung: Wir entnehmen diese Zusammenfassung dem Hirtenbrief von Hochwürden Thomas Gousset, Kardinal-Erzbischof von Reims, zur Fastenzeit 1864. Man kann diesen als den jüngsten Ausdruck des Kirchenglaubens über diesen Punkt ansehen, genauso wie den über die "Dämonen", der aus derselben Quelle stammt und im folgenden Kapitel angeführt ist.


2. „Wir glauben fest daran, sagt ein allgemeines und ökumenisches LateranKonzil, dass es nur einen wahren Gott gibt, ewig und unendlich, der am Anfang der Zeit das eine und das andere Geschöpf aus dem Nichts erschaffen hat, das Geistige und das Körperliche, das Engelhafte und das Weltliche, und danach als mittlere zwischen beiden, die menschliche Art, bestehend aus Körper und Geist.

So ist nach dem Kirchenglauben der göttliche Plan im Werk der Schöpfung beschaffen, ein majestätischer und vollständiger Plan, wie er der ewigen Weisheit entspricht. So konzipiert, bietet er unseren Gedanken das Sein auf allen Stufen und in allen Bedingungen und Lagen. In der höchsten Sphäre erscheinen Dasein und Leben rein geistig, in der letzten Reihe Dasein und Leben rein materiell und in der Mitte als Trennung dieser eine merkwürdige Vereinigung der beiden Arten, ein Leben, das gleichzeitig dem intelligenten Geist und dem organischen Körper gemeinsam ist.

Unsere Seele ist von einfacher und unteilbarer Natur, aber sie ist in ihren Fähigkeiten begrenzt. Die Vorstellung, die wir von der Vollkommenheit haben, lässt uns verstehen, dass es andere Wesen geben kann, einfach wie sie und die in ihren Eigenschaften und Privilegien überlegen sind. Sie ist groß und edel, aber mit der Materie verbunden, die von zerbrechlichen Organen bedient wird und begrenzt in ihrem Handeln und ihrer Kraft. Warum sollte es nicht noch edlere Wesen geben, die frei sind von dieser Unterdrückung und diesen Fesseln und ausgestattet mit größerer Kraft und unvergleichlicher Aktivität? Bevor Gott den Menschen auf die Erde gesetzt hatte, damit derselbe ihn erkenne, liebe und ihm diene, hatte er da nicht bereits andere Geschöpfe gerufen, um seinen himmlischen Hof zu bilden und ihn in der Wohnstätte seiner Herrlichkeit anzubeten? Schließlich empfängt Gott von den Händen des Menschen den Tribut der Ehre und die Huldigung dieses Universums. Ist es erstaunlich, dass er aus den Händen des Engels den Weihrauch und das Gebet der Menschen empfängt? Wenn es also die Engel nicht gäbe, hätte das große Werk des Schöpfers nicht die Krönung und Vollkommenheit, deren es fähig war. Diese Welt, die seine Allmacht bezeugt, wäre nicht mehr das Meisterwerk seiner Weisheit. Selbst unsere Vernunft, obwohl schwach und fehlbar, könnte es leicht vollständiger und vollendeter entwerfen.

Auf jeder Seite der heiligen Bücher des Alten und Neuen Testaments werden diese erhabenen Geistwesen in frommen Anrufungen oder in historischen Zeilen erwähnt. Ihr Eingreifen zeigt sich deutlich im Leben der Stammväter und Propheten. Gott bedient sich ihres Dienstes, manchmal um seine Wünsche auszudrücken, manchmal um zukünftige Ereignisse anzukündigen. Er macht sie fast immer zu Werkzeugen seiner Gerechtigkeit oder seiner Barmherzigkeit. Ihre Gegenwart ist mit den verschiedenen Umständen der Geburt, des Lebens und Leidens des Erlösers verflochten. Ihr Andenken ist untrennbar verbunden mit dem großer Männer und den wichtigsten Ereignissen der religiösen Antike. Es findet sich sogar im Schoße des Polytheismus und unter den Märchen der Mythologie, denn der betreffende Glaube ist so alt und so universell wie die Welt. Und die Anbetung, die die Heiden den guten und den bösen Geistern erwiesen, war nur eine falsche Anwendung der Wahrheit, ein entarteter Überrest des ursprünglichen Dogmas.

Die Worte des heiligen Lateran-Konzils enthalten eine grundlegende Unterscheidung zwischen Engeln und Menschen. Sie lehren uns, dass erstere reine Geister sind, während letztere aus einem Körper und einer Seele bestehen. Das heißt, dass die engelhafte Natur sich durch sich selbst aufrecht hält, nicht nur ohne Vermischung, sondern auch ohne wirklich mögliche Verbindung mit der Materie, wie leicht und fein man sie sich auch vorstellen mag. Während unsere in gleicher Weise geistige Seele derart mit dem Körper verbunden ist, dass sie nur ein einziges und selbes Wesen bildet, und dass dies im Wesentlichen ihre Bestimmung ist.

Solange diese so innige Vereinigung der Seele mit dem Körper dauert, haben diese beiden Grundwesenheiten ein gemeinsames Leben und üben einen wechselseitigen Einfluss aufeinander aus. Die Seele kann sich von dem daraus resultierenden unvollkommenen Zustand nicht ganz befreien. Ihre Vorstellungen kommen ihr durch die Sinne, durch den Vergleich äußerer Gegenstände und immer unter mehr oder weniger offensichtlichen Bildern. Daher kann sie sich selbst nicht betrachten und sich Gott und die Engel nicht vorstellen, ohne ihnen irgendeine sichtbare und greifbare Form zu geben. Deshalb mussten die Engel, um sich vor den Heiligen und Propheten sichtbar zu machen, körperliche Gestalten zu Hilfe nehmen. Aber diese Figuren waren nur Luftkörper, die sie bewegten, ohne dass sie sich mit ihnen ganz vereint hätten. Oder sie waren symbolische Beigaben in Bezug auf die Mission, mit der sie beauftragt waren.

Ihr Wesen und ihre Bewegungen sind nicht an einen Ort gebunden und auf einen festen und begrenzten Punkt des Raumes festgelegt. Da sie an keinen Körper gebunden sind, können sie nicht wie wir Menschen von anderen Körpern festgehalten und eingeschränkt werden. Sie nehmen keinen Raum ein und füllen keine Leere. Aber so wie unsere Seele vollständig in unserem Körper und in jedem seiner Teile ist, so sind sie vollständig und fast gleichzeitig an allen Punkten und in allen Teilen der Welt. Schneller als der Gedanke können sie überall sein und dort durch sich selbst wirken, ohne andere Hindernisse für ihre Pläne, außer dem Willen Gottes und dem Widerstand der menschlichen Freiheit.

Während wir darauf beschränkt sind, die Dinge, die außerhalb von uns sind, nur nach und nach und bis zu einem gewissen Grad zu sehen, und während uns die Wahrheiten der übernatürlichen Ordnung gemäß der Aussage des Apostels Paulus wie ein Rätsel und in einem Spiegel erscheinen, sehen sie mühelos, was ihnen wichtig ist zu wissen und stehen in unmittelbarem Bezug mit dem Gegenstand ihres Denkens. Ihr Wissen ist nicht das Ergebnis von Folgerung und Urteilen, sondern von jener klaren und tiefen inneren Intuition, die gleichzeitig die Gattung und die sich daraus ableitenden Arten umfasst, die Prinzipien und die Folgerungen, die sich daraus ergeben.

Der Abstand der Zeiten, der Unterschied der Orte und die Vielfalt der Gegenstände können in ihrem Geist keine Verwirrung hervorrufen.

Die göttliche Essenz, die unendlich ist, ist unbegreiflich. Sie hat Geheimnisse und Tiefen, in die sie nicht eindringen können. Die besonderen Pläne der Vorsehung sind ihnen verborgen, aber sie enthüllt ihnen das Geheimnis, wenn sie unter bestimmten Umständen von ihr beauftragt werden, sie den Menschen zu verkünden.

Die Mitteilungen von Gott zu den Engeln und von den Engeln untereinander erfolgen nicht wie bei uns durch artikulierte Laute und andere wahrnehmbare Zeichen. Reine Geistwesen brauchen weder Augen zum Sehen noch Ohren zum Hören. Sie haben auch nicht das Organ der Stimme, um ihre Gedanken zu äußern. Diese gewohnheitsmäßige Vermittlung unserer Gespräche ist für sie nicht notwendig. Aber sie teilen ihre Gefühle auf eine Weise mit, die ihnen eigen und völlig geistig ist. Um verstanden zu werden, müssen sie es nur wollen.

Gott allein kennt die Zahl der Engel. Diese Zahl kann zweifellos nicht unendlich sein und ist es auch nicht. Aber laut den ehrwürdigen Schriftstellern und heiligen Lehrern ist sie sehr beträchtlich und wirklich unermesslich. Wenn es naheliegend ist, die Zahl der Einwohner einer Stadt in ein Verhältnis zu ihrer Größe und Ausdehnung zu bringen, und wenn die Erde im Vergleich zum Firmament und den riesigen Regionen des Weltraums nur ein Atom ist, muss daraus geschlossen werden, dass die Zahl der Bewohner des Himmels und der Luft viel größer ist als die der Menschen.

Da nun die Hoheit der Könige ihren Glanz aus der Zahl ihrer Untertanen, Beamten und Diener erhält, was gäbe es da Besseres, um uns eine Vorstellung von der Größe und Hoheit des Königs der Könige zu gewähren, als diese unzählige Menge von Engeln, die den Himmel, die Erde, das Meer und die Abgründe bevölkern und als die Würde derer, die sich unaufhörlich vor seinem Thron niederwerfen oder aufrecht stehen?

Die Kirchenväter und Theologen lehren im Allgemeinen, dass die Engel in drei große Hierarchien oder Fürstentümer eingeteilt sind und jede Hierarchie in drei Gruppen oder Chöre.

Die der ersten und höchsten Hierarchiestufe werden entsprechend den Funktionen ernannt, die sie im Himmel ausüben. Die einen werden Seraphim genannt, weil sie vor Gott mit dem Feuer der Nächstenliebe entzündet werden. Die anderen heißen Cherubim, weil sie eine leuchtende Reflektion seiner Weisheit sind. Wieder andere nennt man Throne, weil sie Gottes Größe verkünden und Sein Licht zurückstrahlen lassen.

Die Engel der zweiten Hierarchiestufe erhalten ihre Namen von den Aufgaben, die ihnen in der allgemeinen Regierung des Universums zugewiesen sind. Diese sind: Herrschaften, die den Engeln der niederen Ordnungen ihre Aufgaben und Funktionen zuweisen; Kräfte, die die Wunder vollbringen, die von den großen Interessen der Kirche und der Menschheit verlangt werden; Mächte, die durch ihre Macht und Wachsamkeit die Gesetze schützen, die die physische und moralische Welt regieren.

Die der dritten Hierarchiestufe haben als ihren Bereich die Leitung der Gesellschaften und Menschen. Die Fürstentümer sind den Königreichen, Provinzen und Bistümern vorgesetzt; die Erzengel, die die Botschaften von hoher Wichtigkeit übermitteln; die Schutzengel, die jeden von uns begleiten, um über unsere Sicherheit und Heiligung zu wachen.”



Widerlegung

3. Das allgemeine Prinzip, das sich aus dieser Lehre ergibt, ist, dass Engel rein spirituelle Wesen sind, die der Menschheit vorausgehen und ihr überlegen sind, privilegierte Geschöpfe, die seit ihrer Erschaffung dem höchsten und ewigen Glück geweiht sind. Aufgrund ihres Wesens sind sie mit allen Tugenden und allem Wissen ausgestattet, ohne etwas getan zu haben, um sie zu erwerben. Sie stehen im Schöpfungswerk an erster Stelle. In der letzten Reihe steht das rein materielle Leben und zwischen den beiden die Menschheit, die aus den Seelen besteht, geistige Wesen, die niedriger stehen als die Engel und mit materiellen Körpern ausgestattet sind.

Aus diesem System ergeben sich mehrere hauptsächliche Schwierigkeiten. Was vor allem ist dieses rein materielle Leben? Handelt es sich um rohe, grobe Materie? Aber rohe Materie ist unbeseelt und hat kein eigenes Leben. Will man von Pflanzen und Tieren reden? Es wäre dann eine vierte Ordnung in der Schöpfung, denn es ist nicht zu leugnen, dass in dem intelligenten Tier mehr steckt als in einer Pflanze und in letzterer mehr als in einem Stein. Die menschliche Seele, die den Übergang bildet, ist direkt mit einem Körper verbunden, der nur rohe Materie ist, weil er ohne Seele nicht mehr Leben als ein Erdklumpen hat.

Dieser Einteilung fehlt offensichtlich die Klarheit und sie stimmt nicht mit der Beobachtung überein. Sie ähnelt der Theorie der vier Elemente, die den Fortschritten der Wissenschaft nicht standgehalten hat. Lassen wir aber diese drei Begriffe zu: die geistige Schöpfung, das menschliche und das körperliche Wesen. So heißt es, ist der göttliche Plan, ein majestätischer und vollständiger Plan, wie er der ewigen Weisheit entsprach. Bemerken wir zunächst, dass es zwischen diesen drei Begriffen keine notwendige Verbindung gibt. Sie sind drei unterschiedliche Schöpfungen, die nacheinander entstanden. Von einem zum anderen gibt es keinen Zusammenhang, während in der Natur alles zusammenhängt. All dies zeigt uns ein bewundernswertes Gesetz der Einheit, von dem alle Elemente, die nur Abwandlungen voneinander sind, ihr Bindeglied haben. Diese Theorie ist insofern wahr, als diese drei Begriffe offensichtlich existieren. Nur ist sie unvollständig. Ihr fehlen die Berührungspunkte, wie man leicht nachweisen kann.


4. Diese drei Höhepunkte der Schöpfung sind, so sagt die Kirche, notwendig für die Harmonie des Ganzen. Gäbe es einen einzigen weniger, so wäre das Werk unvollendet und entspräche nicht mehr der ewigen Weisheit. Einer der grundlegenden Lehrsätze der Religion besagt jedoch, dass die Erde, Tiere, Pflanzen, die Sonne und Sterne und sogar das Licht vor sechstausend Jahren erschaffen und aus dem Nichts hervorgebracht wurden. Vor dieser Zeit gab es also weder ein menschliches noch ein körperliches Wesen. Während der verflossenen Ewigkeit war also das göttliche Werk unvollkommen geblieben. Dass die Erschaffung des Universums auf sechstausend Jahre zurückgeht, ist ein so wesentlicher Glaubenssatz, dass die Wissenschaft noch bis vor wenigen Jahren mit dem Bannfluch belegt wurde, weil sie begann, die biblische Zeitrechnung zu zerstören, indem sie das hohe Alter der Erde und ihrer Bewohner bewies.

Das Lateran-Konzil, eine weltumfassende Kirchenversammlung, das in Fragen der Rechtgläubigkeit Vorschriften macht, sagt jedoch: „Wir glauben fest daran, dass es nur einen wahren Gott gibt, ewig und unendlich, der am Anfang der Zeit das eine und das andere Geschöpf aus dem Nichts erschaffen hat, das Geistige und das Körperliche.” Der “Anfang der Zeit” kann nur als verflossene Ewigkeit verstanden werden, denn die Zeit ist unendlich wie der Raum: Sie hat weder Anfang noch Ende. Dieser Ausdruck “Anfang der Zeit” ist eine Redewendung, die die Vorstellung einer unbegrenzten Vorzeit einbezieht. Das Lateran-Konzil glaubt daher fest daran, dass die geistigen und körperlichen Geschöpfe gleichzeitig geformt und zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt in der Vergangenheit miteinander aus dem Nichts gezogen wurden. Was wird nun aus dem biblischen Text, der diese Schöpfung auf sechstausend Jahre vor unserer Zeit zurückverlegt? Wenn man annimmt, dass dies der Beginn des sichtbaren Universums ist, ist es sicherlich nicht der Anfang der Zeit. Wem soll man glauben, dem Lateran-Konzil oder der Bibel?


5. Dasselbe Lateran-Konzil stellt außerdem eine seltsame Behauptung auf: „Unsere in gleicher Weise geistige Seele ist derart mit dem Körper verbunden, dass sie mit ihm nur ein einziges und selbes Wesen bildet und dies ist im Wesentlichen ihre Bestimmung.” Wenn die wesentliche Bestimmung der Seele darin besteht, mit dem Körper vereinigt zu sein, stellt diese Vereinigung ihren normalen Zustand dar. Das ist ihr Zweck und ihr Ziel, da dies eben ihre Bestimmung ist. Die Seele ist jedoch unsterblich und der Körper sterblich. Ihre Vereinigung mit dem Körper findet nur einmal statt, sagt die Kirche, und selbst wenn sie ein Jahrhundert andauern würde, was wäre das im Vergleich zur Ewigkeit? Aber für eine sehr große Zahl von Menschen sind es kaum ein paar Stunden. Welchen Nutzen kann diese flüchtige Vereinigung für die Seele haben? Wenn ihre größte Dauer im Verhältnis zur Ewigkeit eine nicht wahrnehmbare Zeit ist, ist es dann richtig zu sagen, dass ihre Bestimmung sei, im Wesentlichen mit dem Körper verbunden zu sein? Diese Vereinigung ist in Wirklichkeit nur ein Zwischenfall, ein Punkt im Leben der Seele und nicht ihr wesentlicher Zustand.

Wenn die wesentliche Bestimmung der Seele darin besteht, mit einem materiellen Körper vereinigt zu sein, wenn diese Vereinigung aufgrund ihrer Natur und gemäß dem Vorsehungszweck ihrer Erschaffung für die Manifestation ihrer Fähigkeiten notwendig ist, muss man daraus schließen, dass die menschliche Seele ohne den Körper ein unvollständiges Wesen ist. Um nun das zu bleiben, was sie ihrer Bestimmung nach ist, nachdem sie einen Körper verlassen hat, muss sie einen anderen annehmen. Dies führt zwingend zu einer Pluralität von Existenzen, mit anderen Worten, zur beständigen Reinkarnation. Es ist wirklich seltsam, dass ein Konzil, das als eines der Leuchten der Kirche gilt, geistiges und materielles Dasein so sehr vereinigt hat, dass sie in gewisser Weise nicht ohne einander bestehen können, da die wesentliche Bedingung ihrer Erschaffung darin besteht, vereint zu sein.


6. Das Bild der Hierarchie der Engel lehrt uns, dass mehrere Ordnungen in ihren Befugnissen die Leitung der physischen Welt und der Menschheit haben und dass sie zu diesem Zweck geschaffen sind. Aber laut der Genesis existieren die physische Welt und die Menschheit erst seit sechstausend Jahren. Was machten diese Engel vor dieser Zeit, die Ewigkeit hindurch, da die Objekte ihrer Beschäftigungen nicht vorhanden waren? Sind Engel von Ewigkeit her erschaffen worden? Es muss so sein, da sie ja der Verherrlichung des Allerhöchsten dienen. Wenn Gott sie zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt geschaffen hätte, wäre er bis dahin, das heißt für eine Ewigkeit, ohne Anbeter gewesen.


7. Weiter heißt es: "Solange diese innige Vereinigung der Seele mit dem Körper dauert." Es kommt also ein Zeitpunkt, zu dem diese Vereinigung nicht mehr besteht? Dieser Satz widerspricht dem, der diese Vereinigung zur wesentlichen Bestimmung der Seele macht.

Es heißt auch: "Die Vorstellungen kommen ihr durch die Sinne, durch den Vergleich äußerer Gegenstände." Dies ist eine zum Teil wahre philosophische Lehre, aber nicht im absoluten Sinn. Es ist nach Ansicht jenes hervorragenden Theologen eine der Natur der Seele innewohnende Bedingung, dass sie die Vorstellungen nur durch die Sinne aufnehmen kann. Er vergisst die angeborenen Ideen, die manchmal so überlegenen Fähigkeiten, die Intuition der Dinge, die das Kind von Geburt an mitbringt und keiner Anweisung verdankt. Durch welchen Sinn haben diese jungen, geistig Begabten von Haus aus, die alle Gelehrten in Erstaunen versetzt haben, die notwendigen Ideen erworben, die für die fast augenblickliche Lösung der kompliziertesten Probleme erforderlich sind? Dasselbe gilt für einige frühe Musiker, Maler und Sprachbegabte.

Die Kenntnisse der Engel sind nicht das Ergebnis von Folgerung und Urteil. Sie wissen es, weil sie Engel sind, ohne dass sie lernen mussten. Gott hat sie so geschaffen. Die Seele muss dagegen lernen. Wenn die Seele Ideen nur durch die körperlichen Organe erhält, welche Vorstellungen kann dann die Seele eines Kindes haben, das nach einigen Tagen verstirbt, wenn man mit der Kirche annimmt, dass es nicht wiedergeboren wird?


8. Hier stellt sich eine wichtige Frage: Erwirbt die Seele Ideen und Wissen nach dem Tod des Körpers? Wenn sie, einmal losgelöst vom Körper, nichts erwerben kann, wird die des Kindes, des Unwissenden und geistig Zurückgebliebenen immer das bleiben, was sie beim Tod war. Dann wäre sie für immer der Wertlosigkeit ausgeliefert. Wenn sie nach dem jetzigen Leben neues Wissen erwirbt, dann deshalb, weil sie Fortschritte machen kann. Ohne den jenseitigen Fortschritt der Seele gelangt man zu absurden Folgerungen. Mit dem Fortschritt kommt man zur Verneinung aller Lehren, die auf dem Stillstand der Seele beruhen: das unwiderrufliche Schicksal, ewige Strafen usw.

Wenn sie voranschreitet, wo hört der Fortschritt auf? Es gibt keinen Grund, warum sie nicht die Stufe von Engeln oder reinen Geistern erreicht. Wenn sie dies erreichen kann, war es nicht nötig, besondere und privilegierte Wesen zu erschaffen, die frei von aller Mühe sind und ewiges Glück genießen, ohne etwas dafür getan zu haben, während andere weniger begünstigte Wesen höchste Glückseligkeit nur um den Preis langer und grausamer Leiden und der härtesten Prüfungen erlangen. Gott kann das zweifellos, aber wenn man die Unendlichkeit seiner Vollkommenheit zugibt, ohne die es keinen Gott gibt, muss man auch zugeben, dass er weder Unnützes tut, noch was die uneingeschränkte Gerechtigkeit und Güte in Frage stellen würde.


9. Da nun die Hoheit der Könige ihren Glanz aus der Zahl ihrer Untertanen, Beamten und Diener erhält, was gäbe es da Besseres, um uns eine Vorstellung von der Erhabenheit des Königs der Könige zu gewähren, als diese unzählige Menge von Engeln, die den Himmel, die Erde, das Meer und die Abgründe bevölkern und die Würde derer, die unaufhörlich vor seinem Thron niederfallen oder aufrecht stehen?

Erniedrigt es nicht die Gottheit, seine Herrlichkeit mit der Pracht der Machthaber der Erde gleichzusetzen? Dieser Gedanke, der in den Geist der unwissenden Massen eingeprägt ist, verfälscht die Meinung, die man sich von der wahren Größe Gottes macht. Das meint immer einen Gott, der auf die kleinlichen Verhältnisse der Menschheit reduziert ist. Ihm das Bedürfnis zu unterstellen, Millionen von Anbetern zu haben, die sich ununterbrochen vor ihm niederwerfen oder aufrecht stehen, heißt, ihm die Schwächen der despotischen und stolzen Monarchen des Ostens zuzuschreiben. Was macht wirklich große Herrscher aus? Ist es die Zahl und der Glanz ihrer Höflinge? Nein, es ist ihre Güte und ihre Gerechtigkeit, es ist der verdiente Titel der Väter ihrer Untertanen. Man fragt sich, ob es etwas Besseres gibt, um uns eine Vorstellung von der Majestät Gottes zu geben, als die Vielzahl von Engeln, die seinen Hof bilden? Ja, gewiss, es gibt etwas Besseres, ihn für alle seine Geschöpfe als höchst gütig, gerecht und barmherzig darzustellen, und nicht als einen zornigen, eifersüchtigen, rachsüchtigen, unerbittlichen, zerstörerischen und parteiischen Gott, der zu seiner eigenen Ehre diese privilegierten, mit allen Gaben ausgestatteten, für ewiges Glück geborenen Wesen erschafft. Auf der anderen Seite lässt er die anderen das Glück mühsam erwerben und bestraft einen Augenblick des Irrtums mit einer Ewigkeit des Martyriums.


10. Der Spiritismus bekennt sich in Bezug auf die Vereinigung von Seele und Körper zu einer mehr spiritualistischen, um nicht zu sagen weniger materialistischen Lehre, die den Vorteil hat, dass sie mehr mit der Beobachtung und der Bestimmung der Seele übereinstimmt. Nach dem, was er uns lehrt, ist die Seele unabhängig vom Körper, der nur eine vorübergehende Hülle ist. Die Essenz der Seele ist geistig und ihr normales Leben ist das geistige Leben. Der Körper ist nur ein Instrument zur Ausübung ihrer Fähigkeiten in ihren Beziehungen zur materiellen Welt. Getrennt von diesem Körper genießt sie ihre Fähigkeiten in größerer Freiheit und größerem Umfang.


11. Ihre Vereinigung mit dem Körper, die für ihre ersten Entwicklungsschritte notwendig ist, findet nur in der Zeit statt, die man ihre Kindheit und Jugend nennen kann. Wenn sie einen gewissen Grad an Vervollkommnung und Entmaterialisierung erreicht hat, ist diese Vereinigung nicht mehr notwendig und die Seele schreitet nur noch durch das Leben des Geistes voran. So zahlreich im Übrigen die körperlichen Existenzen auch sein mögen, sie sind zwangsläufig durch das körperliche Leben begrenzt und ihre ganze Gesamtheit umfasst in jedem Fall nur einen unmerklichen Teil des geistigen Lebens, das unendlich ist.



Die Engel aus der Sicht der Spiritistischen Lehre

12. Dass es Wesen gibt, die mit allen Eigenschaften ausgestattet sind, die den Engeln zugeschrieben werden, kann nicht bezweifelt werden. Die spiritistische Offenbarung bestätigt in diesem Punkt den Glauben aller Völker, aber sie lässt uns zugleich die Natur und den Ursprung dieser Wesenheiten erkennen.

Seelen oder Geistwesen wurden einfach und unwissend erschaffen, das heißt ohne Wissen und ohne Bewusstsein von Gut und Böse, aber fähig, alles zu erwerben, was ihnen fehlt. Sie erwerben es durch Arbeit. Das Ziel, das die Vervollkommnung ist, ist für alle gleich. Sie kommen dort mehr oder weniger schnell an, Kraft ihres freien Willens und entsprechend ihrer Bemühungen. Alle haben die gleichen Stufen zu durchlaufen und die gleiche Arbeit zu leisten. Gott gibt den einen nicht einen größeren oder leichteren Anteil als den anderen. Weil alle seine Kinder sind und er gerecht ist, bevorzugt er keinen. Er sagt zu ihnen: „Hier ist das Gesetz, das eure Verhaltensregel sein sollte. Es allein kann euch zum Ziel führen. Alles, was diesem Gesetz entspricht, ist gut, was dagegen ist, ist böse. Es steht euch frei, es zu beachten oder zu übertreten und ihr werdet somit die Schiedsrichter eures eigenen Schicksals sein.” Gott hat also das Böse nicht erschaffen. Alle seine Gesetze sind zum Guten. Es ist der Mensch selbst, der das Böse erschafft, indem er die Gesetze Gottes bricht. Wenn der Mensch sie gewissenhaft beachtet, würde er niemals vom richtigen Weg abweichen.


13. Aber der Seele fehlt es in den ersten Stadien ihres Daseins, wie bei einem Kind, an Erfahrung. Deshalb ist sie fehlbar. Gott schenkt ihr die Erfahrung nicht, aber er gibt ihr die Mittel, sie zu erwerben. Jeder falsche Schritt auf dem Weg des Bösen ist für sie eine Verzögerung. Sie trägt die Folgen davon und lernt auf ihre Kosten, was sie vermeiden muss. So entwickelt sie sich nach und nach, vervollkommnet sich und schreitet in der spirituellen Hierarchie voran, bis sie den Zustand des reinen Geistes oder Engels erreicht hat. Die Engel sind daher die Seelen der Menschen, die zum Grad der Vollkommenheit gelangten, die das Geschöpf seinem Wesen nach erreichen kann, und die die Fülle der versprochenen Glückseligkeit genießen. Bevor sie die höchste Stufe erreicht haben, genießen sie ein im Verhältnis zu ihrem Fortschritt entsprechendes Glück, aber dieses Glück liegt nicht im Müßiggang. Es liegt in den Aufgaben, die Gott ihnen nach seinem Wohlwollen anvertraut und die sie gerne erfüllen, denn diese Beschäftigungen sind ein Mittel zum Fortschritt (siehe Kap. 3 “Der Himmel”).


14. Die Menschheit ist nicht auf die Erde beschränkt. Sie bewohnt die unzähligen Welten, die im Weltraum kreisen, hat jene bewohnt, die verschwunden sind und wird diejenigen bewohnen, die noch entstehen werden. Gott hat die ganze Ewigkeit lang geschaffen und er schafft unaufhörlich. Lange bevor die Erde existierte, so alt sie auch sein mag, gab es inkarnierte Geister auf anderen Welten, die dieselben Stadien durchlaufen haben, die wir, Geister jüngerer Zeit, in diesem Moment durchlaufen, und die das Ziel erreichten, noch bevor wir aus den Händen des Schöpfers hervorgegangen waren. Daher hat es seit aller Ewigkeit Engel oder reine Geister gegeben. Aber da sich ihre menschliche Existenz in der Unendlichkeit der Vergangenheit verliert, ist es für uns so, als ob sie immer Engel gewesen wären.


15. Auf diese Weise wird das große Gesetz der Einheit der Schöpfung verwirklicht. Gott ist niemals untätig gewesen. Er hatte immer reine, zuverlässige und aufgeklärte Geister für die Übermittlung seiner Befehle und für die Leitung aller Teile des Universums, von der Regierung der Welten bis zu den kleinsten Einzelheiten. Er brauchte also keine privilegierten, von Leiden befreite Wesen zu schaffen. Alle, längst vorhandene wie neue, haben ihre Stufen durch Kampf und durch ihre eigenen Verdienste erlangt. Alle sind die Kinder ihrer Werke. Auf diese Weise erfüllt sich gleichmäßig die höchste Gerechtigkeit Gottes.